3.7 ~ Rainy Night

Denn es ist Zeit, sich einzugesteh'n, dass es nicht geht. Es gibt nichts mehr zu reden, denn wenn es regnet, ist es besser, aufzugeben. ♪♫ (Silbermond – Symphonie)

Vier Uhr. Café Mokkaschnitte.

Vier Worte, mit denen Lucy zum Abschluss ihres Anrufs mir Ort und Zeit unseres Treffens mitgeteilt hat. Und nun sitze ich hier, weit vor der vereinbarten Zeit und habe keine Ahnung, was genau sie von mir will, denn dazu hätte sie sich am Telefon genauer fassen müssen. Will sie an alte Zeiten anknüpfen? Will sie sich revanchieren? Wenn ich nur wüsste, wofür... Ich weiß, das Duftgemisch aus bitterer Schokolade mit Zimt, extrastark aufgebrühtem Gewürztee und Kaffee mit Kardamom müsste mich beruhigen. Doch so nervös, wie ich bin, ist das Gegenteil der Fall. Und dann noch die üppig dekorierten Sahnetorten in der sich langsam drehenden Vitrine... ein Süßmaul war ich noch nie. Aber jetzt, bei ihrem Anblick, habe ich das Gefühl, als würde sich jeden Moment mein Magen heben.

Da hilft nur noch Kamillentee... und eventuell noch ein unsichtbarer Finger, der die Zeiger der Uhr weiter und weiter dreht. Und weiter und weiter. Bis an das Ende dieses Tages. Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht wie jetzt, dass die Zeit einen Sprung macht, verfolge mit den Augen den Sekundenzeiger, wie er in zäher Langsamkeit vorwärts ruckelt. Einatmen, ausatmen – immer schön langsam und gleichmäßig, bete ich mir selber wie ein Mantra vor, während mir die Dämpfe aus der Tasse vor mir in die Nase steigen. Bin ich schon so neben der Spur, dass ich mich jetzt schon nicht mehr erinnern kann, dass ich bereits bestellt habe und wann war ich eigentlich das letzte Mal so drauf? Da fällt mir nur noch unser Prozess ein, der...

„Ach, hol's der Teufel!"

Wer auch immer am Tisch auf der anderen Seite des dicht bepflanzten Blumenkübels gerade verbal an die Decke geht und für Stille sorgt, hat es geschafft, mich aus meinem dumpfen Brüten zu reißen, wenigstens für kurze Zeit. Doch die kurze Pause ist genauso schnell wieder vorbei, wie sie eingetreten ist.

„Hol's der Teufel!??" kommt es von weiter hinten zurück.

„Na ja, was erwartest du, wenn du mit so einem Spruch wie dem von eben kommst?"

„Hach ja, ich liebe sie, diese Gegenfragen." Genervtes Schnauben, fehlt nur noch theatralisches Augenrollen. Oha, da ist jemand wirklich angefressen. Hoffentlich eskaliert das hier nicht. Kommt mal wieder runter Leute, knibbele ich an dem Faden von meinem Kamillenbeutel herum, denn so unharmonisch, wie die zwei am Tisch nebenan sich aufführen, hilft mir das keinen Meter weiter.

Anscheinend hat mein stilles Gebet geholfen, denn jetzt wird eingelenkt.

„Aber jetzt mal Butter bei die Fische. Sieh dich doch mal um – das ist so herrlich plüschig, noch plüschiger geht's nicht. Da fühl ich mich fast wieder wie damals bei meiner Oma am Samstagnachmittag. Streuselkuchen und Karo-Kaffee. Aus den ‚guten' Täßchen. Und das Radio hatte sie da auch immer laufen..."

„Ja ja, mit einem Haufen oller Kamellen – wie der da? Die Nummer dudeln sie hier neuerdings ständig! All I wanna do is... Örks!"

Zu schade - Zurückrudern hört sich irgendwie anders an. Da habe ich mich wohl zu früh gefreut. Zu allem Übel kratzt und pfeift es aus dem Radio, während um mich herum mit Besteck geklappert wird. Dank der Stimme, die vorher mit Hol's der Teufel  auf den Tisch geschlagen hat und erneut laut wird, bekomme ich von der angeblich ach so ollen Kamelle nicht viel mit.

„Ach? Madame hätte wohl lieber einen Stehgeiger? Und den aber bitte nur sonntags? Ganz ehrlich: Es war doch gerade so gemütlich, und dann kommst du mit deinem Gemotze! Ich hab echt keine Ahnung, warum dich das jetzt so dermaßen triggert, dass..."

Triggern – olle Kamellen – Radio. Irgendetwas in mir macht klick, und ein jetzt, wo du es sagst leuchtet vor meinem inneren Auge auf - und plötzlich bin ich es, der sich getriggert fühlt. Doch daran sind nicht die beiden Streithennen am Nachbartisch schuld, die sind nur der Auslöser. Der wahre Trigger sprudelt aus den Lautsprechern, und er ist klar und deutlich zu hören.

It was a rainy night when he came into sight, standing by the road, no umbrella, no coat. ♪♫

Wie aus dem Nichts fährt mir die glockenhelle Stimme der Sängerin in den mit Kamillentee nur scheinbar besänftigten Magen und trifft mich wie ein Blitz aus dem Hinterhalt.

So I pulled up along side and I offered him a ride, he accepted with a smile, so we drove for a while ♪♫

Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit, dass mich ausgerechnet dieses elende Gedudel geradewegs wieder an jene Tanke am Arsch der Welt zurück katapultieren würde. Wie damals, denke ich und nehme das große Fenster des Cafés mit seiner verschnörkelten Beschriftung ins Visier, als wie zum Hohn die ersten Tropfen dagegen schlagen. Es dauert eine Weile, bis ich gedanklich die gespiegelten Buchstaben zu einem sinnvollen Satz verbinden kann.

Café Mokkaschnitte – Kaffee und mehr.

Kaffee und mehr? Oh ja, als wäre es gestern gewesen, fühle ich, wie das verloren geglaubte Puzzlestück einrastet und plötzlich ist alles wieder da.

Hatte ich wirklich ernsthaft geglaubt, es könnte nicht noch schlimmer kommen? Wie hätte ich auch ahnen können, dass Lucy und ich uns lange nach dem Fotoshooting an einer Tanke am Arsch der Welt über den Weg laufen würden. An einem verregneten Abend noch dazu. Wobei nicht ich es war, der lief, sondern sie. Ich stand einfach nur da, nachdem ich mein Motorrad ins Trockene gebracht und mir eine Dose Cola aufgemacht hatte. Ein lauter Knall, wie bei einer Fehlzündung, so typisch für alte Autos, riss mich aus dem Moment der Entspannung, und da kam sie aus dem Verkaufsraum gehechtet, als wäre der Teufel hinter ihr her, um von jetzt auf gleich zur Salzsäule zu erstarren.

Eins und eins zusammenzuzählen, fiel mir nicht schwer, denn ihr Gesicht sprach Bände – oder besser gesagt, ihre Augen. Denn wo bei den Werbeaufnahmen diese noch geleuchtet hatten, war nun das Feuer erloschen und von ihm nicht einmal mehr das kleinste Fünkchen übrig. Gerade so, als ob jemand einen unsichtbaren Schalter umgelegt hatte, war ihre Selbstsicherheit von damals geradezu verpufft. Für einen Augenblick stand die Erde still, während der Regen unaufhörlich weiter in Strömen vom Himmel prasselte. Hilf ihr! meldete sich mein innerer Gentleman und gab mir einen Schubs. Die Cola unbeachtet stehen lassend, verließ ich das schützende Vordach, halbwegs lässig, wie ich hoffte, und sprach sie an.

„Lucy?"

Schutz vor den Wassermassen suchend, landeten wir dann in dieser etwas abgelegenen Ecke mit einem Becher Kaffee nach dem anderen, denn irgendwo tief in meinen Hirnwindungen musste ich mir einen Plan zusammengesponnen haben, den Regen abzuwarten und sie dann auf meinem Bike mitzunehmen, ganz egal, wohin auch immer sie an diesem Abend noch wollte. Bedacht hatte ich jedoch nicht den blöden, abgedroschenen Spruch vom Teufel, der im Detail steckt und Pläne in Wohlgefallen auflöst. Und zu allem Übel natürlich genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet, denn sonst wäre es an diesem Abend wirklich nur beim Kaffee geblieben.

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