3.2 ~ Je besser der Spion...
♫ ♪ Our lips are sealed. There's a weapon that we must use in our defense. Silence ♪♫ (The Go-Gos – Our lips are sealed)
Ich muss zugeben, ich bin nicht ganz ehrlich gewesen. Wenn schon bei solchen Shows das wenigste spontan geschieht, warum sollte ich nicht aufs Ganze gehen und mich selbst irgendwie hinein schummeln? Klingt nach einem halbwegs logischen Plan. Wie ich das geschafft habe, wollt ihr wissen? Nee, nee, nee... ein guter Illusionist verrät niemals seine Tricks. Diese Katze lasse ich dann doch lieber im Sack. Oder um es mal mit dem Spruch auf dem Filmplakat von neulich auszudrücken: Je besser der Spion, desto perfekter die Illusion!
Heißt in meinem Fall so viel wie „je unauffälliger, desto besser". Es hat schon seinen Grund, dass ich herumlaufe wie tausend andere auch. X-beliebiges T-Shirt und 08/15-Jeans, dazu noch eine durchschnittliche Langhaarfrisur in Straßenköterblond – und nach einem kurzen Smalltalk kann sich dein Gesprächspartner schon nicht mehr an dich erinnern, geschweige denn dass er einem Phantomzeichner nützliche Hinweise geben könnte. Und da wären wir auch schon beim Thema, zu dem ich nur so viel sagen möchte, ohne mich dabei zu weit aus dem Fenster zu lehnen: Speed-Dating.
Sollte es dann doch dazu kommen, warum auch immer, muss ich den Vorfall leider unter persönliches Risiko verbuchen. Aber das bin ich ja schon in dem Moment eingegangen, als mich habe breitschlagen lassen, bei diesem Zirkus mitzumachen. Obwohl breitschlagen lassen übertrieben wäre. Wegen dem ganzen Hin und Her nächtelang unruhig zu schlafen, nur um am Ende doch meinem Mentor zu vertrauen? Nein, Schrödinger ist zwar mein persönlicher Betreuer, und doch handelt es sich bei dem Programm, in dem ich mich von jetzt auf gleich irgendwo an der Ostsee wiederfand, nicht um die Anonymen Alkoholiker. Der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt, wenn ich mir überlege, dass trocken zu werden auch nicht mühsamer sein kann als mein langer, steiniger Weg zurück in den ganz gewöhnlichen Alltag, den die meisten als Normalität bezeichnen würden. Fragt sich bloß, was normal ist.
Sieben Jahre staatlich verordnete Abgeschiedenheit in einem speziellen Trakt einer Einrichtung ihrer königlichen Majestät, zählen vermutlich nicht dazu. Schon gar nicht die Aussicht, in einer noch spezielleren Einrichtung zu landen, wenn mir auch nur ein falsches Wort entschlüpft. Auch auf die Gefahr hin, hinter dreifach gesicherten Türen zu versauern oder völlig abzudrehen, zog ich Schweigen als die sinnvollere Option vor. Wie hätte ich denn auch ahnen können, dass da draußen jemand existiert, der mir das Hirngespinst von den schwachen Anzeichen außerirdischen Lebens tatsächlich abnehmen würde.
Doch bevor ich jetzt noch weiter abschweife, zurück zu jenem Event, das Schrödinger auch „meine Feuertaufe" nannte. Keine Ahnung, ob ich die nicht vielleicht schneller gehabt hätte, wäre Corona nicht gewesen, aber nun war seiner Meinung nach die Zeit gekommen, die bisher oberflächlichen, kurzen Kontakte mit anderen Menschen zu vertiefen.
Vielleicht nicht gleich bei Rock am Ring (zu viele Leute) oder in einem Verein (zu regelmäßig und außerdem noch mit denselben Personen). Aber was sprach eigentlich gegen eine Weinprobe oder ein Whisky-Tasting? Eine ganze Menge, wenn man wie ich schon allein durch das Wort Whisky getriggert wird und Alkohol schon lange nichts mehr abgewinnen kann. Das einzige, was mich in meiner Situation retten würde, war ein klarer Kopf.
Und das war genau der Punkt, an dem Schrödinger mich festnageln konnte. Speed-Dating also.
Bloß kein Info-Dumping betreiben – mit diesem festen Vorsatz war ich in die Vorstellungsrunde gegangen. Aber das?
„Ich bin Lara."- „Und ich nicht interessiert!"
Wow – das hatte gesessen. Aber schon kurz darauf wurde mir klar, dass ich nicht die einzige war, die bei Julian keine Chance gehabt hätte - bei den Blicken, die er einer gewissen Dame zuwarf. Jess. Hm.
Nun, das war richtig blöd gelaufen und ich hätte sonst was dafür gegeben, diesen Korb vergessen zu können. Als ob das so einfach gewesen wäre. Aber nicht, weil ich ihn so unwiderstehlich gefunden hätte.
Ich bin nicht interessiert. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit einer so schnellen und vor allem so unverblümten Abfuhr. Lass dir jetzt bloß nichts anmerken, rang ich innerlich um Fassung, da nach gefühlt endlosem und tödlichem Schweigen bereits der nächste Kandidat im Anmarsch war. Wie ich den Abend rumgebracht habe?
Gute Frage. Von diesem mehr als in die Hose gegangenen Versuch, halbwegs normal mit Menschen, die ich vermutlich nie mehr wiedersehen würde, zu kommunizieren, sind in meiner Erinnerung nur noch Bruchstücke hängengeblieben. Und sagt mir nicht, dass ich nur wegen meiner gekränkten Eitelkeit das Fiasko mehr oder weniger erfolgreich verdrängt habe. Denn wäre das der Fall, so würde ich mich jetzt an gar nichts mehr erinnern. Aber eines habe ich sehr wohl noch im Gedächtnis: die Stimmung in dem Raum, in dem dieses Dating-Event mit dreizehn Paaren über die Bühne gehen sollte.
Merkwürdige Schwingungen hingen in der Luft, sehr merkwürdige sogar. Schwingungen, die ich am liebsten nie wieder gespürt hätte, nicht nach dem ganzen Schlamassel, in den ich überhaupt erst hinein geraten bin.
Ersetzt Schwingungen durch Überreste von Spuren einer außerirdischen Existenz, und ihr habt den Grund für das, was Experten Déjà-vu nennen. In meinem Fall sind ein steinerner Engel in einem Park und ein nächtlicher Spaziergang daran beteiligt, und wenn ich mich nicht irre, lässt mich der leere Sockel vor dem Lokal, in dem ich den Korb bekommen habe, ungutes ahnen.
Nur brauche ich damit niemandem zu kommen, es sei denn, ich möchte es darauf anlegen, wegen Unzurechnungsfähigkeit eingewiesen zu werden. Aber genau diese Spuren und nicht etwa die schon erwähnte gekränkte Eitelkeit waren der Grund, warum ich ihn nicht mehr von meinem Radar verschwinden lassen würde.
Und nun ist Julian, wie es der Zufall so will, Kandidat in derselben Show wie ich. Obwohl das mit dem Zufall absoluter Blödsinn ist. Denn wie ich schon sagte, je besser der Spion, desto perfekter die Illusion.
A/N: Den Spruch mit dem Spion habe ich mir für dieses Infokapitel von dem Filmplakat zu der Spionage-Actionkomödie „Argylle" ausgeborgt, auch wenn die folgenden Kapitel mit Spionage nichts zu tun haben.
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