2.5 ~ Wattwandern 2.0
„Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten!" - wer auch immer das gesagt hat, kann dabei unmöglich an mich gedacht haben – dabei würde der Spruch zu mir passen wie die Faust aufs Auge.
Quietschgelbe Gummistiefel!
Dabei war ich bloß freudig überrascht, mehr nicht.
Alles in Gelb – die ideale Farbe für eine Wattwanderung, dann kann man nicht verloren gehen. Könnte man theoretisch auch in Shocking Pink, doch wozu übertreiben? Lasst uns mal alle hübsch auf dem Teppich bleiben. Denn genau das ist doch der Punkt, warum ich jetzt da bin, wo ich nie hinwollte. Wäre ich auch nicht, hätte ich nicht diese saudumme Wette verloren. Ja, ja. Hätte, hätte... Aber wahrscheinlich glauben die anderen eh, dass ich unter Entzugserscheinungen leide, wenn ich meine über alles geliebte Farbe nicht bekommen kann. Meinetwegen, dann haltet mich eben für für eine oberflächliche Tussi mit Barbie-Komplex und begrenztem Horizont. Macht doch. Nur zu! Aber wenigstens habe ich sofort geschnallt, auf was diese Kostümprobe hinauslaufen würde: drei potentielle Teams und die passenden Farben dazu. Rot, Gelb, Blau. Gummistiefel in Größe 38: auf sie mit Gebrüll, bevor eine andere sie dir wegschnappt.
Wie war das nochmal mit dem Wattwandern? Würde sich jemand, der bei Verstand ist, tatsächlich noch nach Sonnenuntergang hinaustrauen? Und dann noch mit einem kompletten Kamerateam? Wie soll das technisch überhaupt hinhauen und wäre das nicht völlig verantwortungslos? Wir sind hier doch nicht in einem dieser Ostfriesenkrimis. Obwohl so ein Plot schon eine Überlegung wert wäre. Aber da wir hier nicht bei „Wünsch dir was" und auch nicht bei „So isses!" sind, sondern bei „Geld oder Liebe", wartet auf uns ein ganz besonderer Hindernisparcours, bei dem Teamwork gefragt ist und über den wir nur eines erfahren, nämlich dass es matschig wird, sehr matschig sogar. Aber keine Angst – Schlammcatchen wird es nicht geben.
Mehr müssen wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Schließlich sollen wir bei der Liveausstrahlung morgen Abend authentisch rüberkommen. Authentisch! Ha, dass ich nicht lache – das ganze Ding ist doch von vorne bis hinten gescriptet, darauf könnte ich wetten. Obwohl – wenn ich an letztes Mal in unserem Pub denke, dann sollte ich besser aufs Wetten verzichten.
Nachdem wir diesen Teil hinter uns haben, geht es weiter mit der Tour durch die Alster-Studios. Garderobe, Maske, Büffetbereich... Bis wir dann an den Ort des Geschehens geführt werden: dem Studio, wo das große Ereignis stattfinden soll.
Noch sind die Sitze auf den Rängen leer, doch deswegen wirkt die große Showbühne noch lange nicht wie ausgestorben. Margo, die seit der Aktion mit den Wattwanderklamotten die Führung an ihre Assistentin abgegeben hat, begutachtet die Aufbauarbeiten, und die Bühnenarbeiter in Gelb schieben die vielen Dekorationsobjekte unter Margos kritischen Augen im Tetris-Style so lange hin und her, bis die Produktionsleiterin mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden ist.
Sonst ist niemand anwesend, abgesehen von unserer kleinen Dreiergruppe und Jenny – weder Moderator Harry noch unsere morgigen Sparringspartner. Dass wir ihnen bis jetzt noch nicht über den Weg gelaufen sind, grenzt fast schon an ein Wunder.
Nein, falsch.
Ein Wunder ist es allein schon nicht wegen der unüberhörbaren Tatsache, dass Jenny in permanenter Verbindung mit dem für die männlichen Kandidaten zuständigen Kollegen steht. Außer abgerissener und unverständlicher Wortfetzen fällt ab und zu der Name Benny.
Jenny und Benny - aha.
So also läuft der Hase – die Herren haben einen völlig anderen Zeitplan als wir. Hoffentlich machen Bennys Schützlinge ihm oder Jenny (und damit uns) keinen Strich durch die Rechnung, denn spätestens beim Essen versteht der eine oder andere bestimmt keinen Spaß und pfeift auf das perfekte Timing. Jedenfalls, wenn derjenige so tickt wie ich. Aber was mache ich mir Gedanken, wie sie das Kunststück der perfekten Trennung beider Gruppen bis kurz vor der eigentlichen Show hinbekommen wollen... Das soll weder Laras noch mein Problem sein oder gar das von Jess.
Alles, worauf „wir Mädels" zu achten haben, sind die Markierungen. Oder besser gesagt, welche davon wir auf keinen Fall übertreten dürfen.
Dass eine einfache Kostümprobe so anstrengend sein kann, hätte ich vorher nie im Leben gedacht. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, dazu die ständige Beleuchtung aus gefühlt hundert Scheinwerfern, die sich gegenseitig abwechseln. Gut, dass ich nicht jedes Mal in den Büffetbereich muss, wenn ich eine Cola möchte oder Schwarztee mit Zitrone, an dem Lara schweigend in einer Tour nippt. Für die Getränke hat Jenny zwar gesorgt. O ja, dafür schon. Aber wie es sich zeigt, zum großen Bedauern von Jess aber auch nicht für mehr.
Bereits beim Verteilen der Gummistiefel war sie nicht ganz bei der Sache. Seitdem ist sie immer hibbeliger geworden, dass es sogar Jenny irgendwann auffällt. Und ich Dummerchen habe doch tatsächlich bis jetzt gedacht, dass dem geholfen wird, der sich traut, den Mund aufzumachen. Ganz im Gegensatz zu Jess, die ewig braucht, bis sie endlich mit ihrem tatsächlichen Problem herausrückt: einer Zigarettenpause. Oder besser gesagt dem Fehlen einer solchen.
Tja, damit hat Jenny wohl nicht gerechnet, und so wie sie aus der Wäsche guckt, scheint ihr der Gedanke, dass mitten in der Maske jemand das Gebäude verlassen möchte, überhaupt nicht zu gefallen. Aber was will sie dagegen tun? Im Vertrag stand nichts von einem generellen Rauchverbot, gegen das ich zwar nichts gehabt hätte, aber wenn andere Kandidaten das anders sehen – bitte, warum nicht? Schließlich weisen ja genug Schilder darauf hin, dass offenes Feuer und brennende Tabakwaren in den Innenräumen, wo mit Farben und Lacken hantiert wird, nichts zu suchen haben. Und so schaut unsere Stylistin Elvira dann dementsprechend nicht schlecht, als Jess sich den Frisierumhang von den Schultern reißt und ihn ihr in die Hand drückt, um sich nach draußen zu empfehlen.
Auch wenn es die liebe Jenny noch so sehr wurmt, dass sich eine von uns nicht an ihren ausgetüftelten Plan hält, da wird sie wohl in den sauren Apfel beißen müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen möchte, dass eine ihrer Kandidatinnen immer unleidlicher wird und für die Show eine tickende Zeitbombe darstellt.
Sagte ich etwas von einer unleidlichen Kandidatin? Ich weiß ja nicht, was sich in den paar Minuten da draußen zugetragen hat, aber erstens fehlt die obligatorische Wolke aus abgehangenem Zigarettenqualm, der Raucher normalerweise umgibt, als sie wie in Zeitlupe und mit nicht so ganz koordinierten Bewegungen zur Tür hereingeschlichen kommt. Und zweitens wäre mir eine Jess mit angesäuertem Resting Bitch Face bedeutend lieber als eine, die weiß wie die Wand ist.
Ich will ja nichts sagen, aber wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich doch glatt glauben, sie hätte da draußen, irgendwo zwischen Maske und Tür zum Innenhof einen Geist gesehen.
A/N: Hm. Wen oder was hat Jess da draußen wirklich gesehen? Einen Geist oder jemand ganz anderen? Nicht mehr lange – und wir werden es hoffentlich bald erfahren...
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