2.3 ~ Advocatus diaboli


Looking for an answer - well, you've got to start somewhere . sooner or later you've got to show something ♪♫ (INXS - Different world)


Dem Glück auf die Sprünge helfen, das sagt sich so leicht. Schicksal spielen? Wenn ich nur wüsste, wie... Doch irgendwie fühlt sich das nicht richtig an, denn was mir wirklich zu schaffen macht, ist der stetig bohrende Gedanke, dass zwischen uns mehr im Argen liegt als der völlig vermurkste Mädelsabend, den ich mir ursprünglich ganz anders vorgestellt hatte. Was dabei herausgekommen ist, wundert mich gar nicht. Was mache ich mir hier eigentlich vor? Wie naiv ich doch war. Zu glauben, dass wir nahtlos dort weitermachen könnten, wo wir aufgehört haben, so als hätte es die drei Monate dazwischen nie gegeben - wie dumm kann man sein? Habe ich mich auch nur ein einziges Mal gefragt, wie es meiner besten Freundin in dieser ganzen Zeit damit ging? Das habe ich wohl gründlich verbockt und bevor ich jetzt womöglich noch mehr anrichte, indem ich die nächste schlechtdurchdachte Aktion starte, sollte ich lieber zu Jess gehen und versuchen, mich mit ihr zu versöhnen.

Irgendwer hat mal gesagt, dass man schließlich irgendwo anfangen muss, wenn man Antworten sucht, und früher oder später musst du irgendwie abliefern. Also tue ich das, was ich schon ewig nicht mehr gemacht habe und stehe am übernächsten Tag mit einem ramponierten Karton vor ihrer Tür und atme tief durch, bevor ich mit wild pochendem Herzen den Klingelknopf anvisiere. Entschlossenheit sieht anders aus, und das liegt nicht daran, dass ich krampfhaft versuche, den Karton nicht nochmal fallenzulassen. Das würde dem inzwischen nicht mehr so makellosen Kuchen darin vermutlich wohl schlecht bekommen, und die halbe Nacht, die ich dafür in der Küche gestanden habe, wäre für die Katz.

Moment mal - genau da liegt der Hund begraben. Denn das ist ja mal wieder typisch Ella: Da lässt du euer Ritual, bei der die eine bei der anderen mit einem Versöhnungskuchen angetrabt kommt, wenn sie Mist gebaut hat, wieder aufleben - und dann sowas? Denkst nur an dich... obwohl es dabei eigentlich um Jess gehen sollte.Genau aus diesem Grund kann mein unbeholfener Versuch, mich bei ihr einzuschleimen, nur nach hinten losgehen, und das liegt nicht an meinen mit der Zeit eingerosteten Backkünsten.

Noch während ich klingele, wird mir klar, dass es mit einem schnöden Kuchen nicht getan sein wird; und auch nicht mit der Flasche Wein, die ich dabei habe. Erstens bin ich nicht Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter, obwohl ich jetzt nichts dagegen hätte, wenn mich der Wolf mit einem Happs verschlänge. Und zweitens sind wir keine dreizehn mehr und versuchen, ein Problem aus der Welt zu schaffen, bei dem es sich in Grunde um nicht mehr als eine Lappalie handelt.

Vielleicht war die Idee mit dem Kuchen ja doch eine Schnapsidee und ich sollte die Pappschachtel unauffällig verschwinden lassen; am besten in der Mülltonne. Oder - noch besser - die Segel komplett streichen und gleich mitverschwinden, doch noch bevor ich den Rückzug antreten kann, wird die Tür aufgerissen und vor mir steht, in einen schwarzen Morgenmantel gehüllt, nicht Jess, sondern ihre Mitbewohnerin, mit Haaren so rot wie das Eichhörnchen in dem handgestickten Wappen, das auf dem seidig schimmernden Stoff prangt.

„So, du bist also diese mysteriöse Ella?!" ist das erste, das ich von ihr zu hören bekomme.

Was für eine Begrüßung! Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit. Was hat Jess dieser Lucy alles über mich erzählt? Und wo, zum Teufel, ist Jess? In Gedanken sehe ich schon meinen in letzter Minute gefassten Entschluss, endlich die Karten auf den Tisch zu legen, in die Tonne wandern. Denn wie soll das gehen, wenn der einzige Platz am Tisch, der zählt, unbesetzt ist, weil die Person, auf die es ankommt, durch Abwesenheit glänzt?

Logisch, um die Mittagszeit ist sie meistens an der Uni, darauf hätte ich ja auch von selbst kommen können. Ein Wunder, dass mir überhaupt jemand aufgemacht hat. Oder vielleicht doch nicht, wenn ich so drüber nachdenke und ich bei einem unauffälligen Blick über Lucys Schulter in das unaufgeräumte Wohnzimmer den Ascher erspähe, in dem irgendetwas vor sich hin kokelt. Bei dem unverkennbaren Geruch nach Gras, der in der Luft hängt, brauche ich nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu der Einschätzung zu gelangen, dass es Lucy mit ihrem Psychologiestudium nicht besonders ernst zu sein scheint, denn sonst würde sie nicht um diese Zeit herumgammeln und sich mit einem Lungenbrötchen der besonderen Art den Morgen versüßen. Oder auch zweien. Als ob es das normalste der Welt wäre, macht Lucy nicht einmal den Versuch, den noch nicht vollständig aufgerauchten Joint zu verstecken oder mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, als ihr der Fehler in der Matrix auffällt, ganz im Gegenteil: Anscheinend möchte sie mich nicht zwischen Tür und Angel abfertigen und bittet mich herein in die gute Stube. Und so trete ich wider jede Vernunft ein.

„Kuchen? Aha..." kommt es von Lucy, nachdem ich meine Box auf dem Tisch gestellt habe. Kann die Lady hellsehen? „... netter Bestechungsversuch!"

Was zur Hölle... Netter Bestechungsversuch? Höflichkeit war heute anscheinend genauso wenig im Angebot wie Logik. Und wenn ich mich in Jess' und Lucys Bude so umschaue, ist letztere anscheinend völlig überbewertet, wenn ich nach dem Spruch gehe, der das Wappen vervollständigt.

~ Exspectate rem inexspectatam ~

Erwarte das Unerwartete. So weit reichen meine dürftigen Lateinkenntnisse gerade noch. Das allein reicht schon, damit ich mich wundere, und das nicht zu knapp, in welch vornehmen Kreisen sich Jess neuerdings zu bewegen scheint. Doch mehr noch beschäftigt mich die Frage, ob Lucy nicht doch einen sechsten Sinn hat, wenn sie mich innerhalb weniger Minuten durchschaut hat, ohne mich zu kennen. Das verspricht, ein interessanter Nachmittag zu werden.

Dank meiner Neugier, in was für eine Höhle des Löwen ich hineingeraten bin, finden wir uns später bei Kaffee und dem Kuchen, der eigentlich für Jess bestimmt war, wieder. Versöhnungskuchen oder Bestechungsversuch? Egal, denn so oder so war er das ideale Mittel, um das Eis zwischen Jess' Mitbewohnerin und mir zu brechen. Jedenfalls erfahre ich nach dem dritten Stück von Lucy, womit sie ihre Finanzen aufbessert. Anscheinend sind Modeljobs doch nicht so rar gesät wie ich dachte und obendrein auch noch besser bezahlt als Kellnern oder - wie im Fall von Mathegenie Jess - das Anbieten von Nachhilfestunden für angehende Abiturienten, die sich ohne ihre Hilfe den Notendurchschnitt in die Haare schmieren könnten. Apropos Schmieren... so langsam scheint der bisher als grauer Nebel durch meine Hirnwindungen wabernde und nur schemenhaft erkennbare Plan, was ich für meine beste Freundin tun könnte, Formen anzunehmen.

Anscheinend hilft der Inhalt der Rotweinflasche, die ich dabei hatte und mittlerweile offen auf dem Tisch steht, ungemein beim Denken - sonst wäre Lucy doch niemals auf die Idee gekommen, von jemandem, der bei den Alster-Studios arbeitet, einen Gefallen einzufordern. Oder war es doch dieser Sender, bei dem samstags eine Mischung aus Game- und Datingshow mit dem einprägsamen Titel „Geld oder Liebe" läuft? Irgendwie bring' ich das gerade nicht zusammen, ich weiß nur noch, dass sie diesen Typ von einem ihrer Fotoshootings kennt und der ihr anscheinend noch etwas schuldet. Eine Harley hat bei der Geschichte auch eine Rolle gespielt.

Aber wie auch immer - genau diesen Typen möchte sie schmieren, damit er eine vorbereitete Bewerbung für eben diese Show an den richtigen Stellen im Sender platziert. Ich glaube, ich muss nicht groß erwähnen, wessen Name in dieser Bewerbung steht.

„Geld oder Liebe" ? Na, wenn das nichts ist! Oder besser gesagt - wenn das nicht genau das Richtige für die vom Dating-Pech verfolgte Jess ist! Oh ja, Lucys Plan klingt nach dem zweiten Glas Rotwein immer ausgeklügelter. Oder vielleicht auch nach dem dritten... Shane wird begeistert sein, wenn ich ihm berichte, was meine neue Verbündete und ich ausgeheckt haben. Und wie es aussieht, spielt diese äußerst gerne den Advocatus diaboli.

Advocatus diaboli... oder Advocatus diabolicus? Ehrlich gesagt, bin ich mir inzwischen gar nicht mehr so sicher, aber kommt das nicht sowieso aufs gleiche raus?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top