Kapitel 8
An diesem Abend hatte ich mir Oliven, Schafskäse, Brötchen und neue Leckerlis für Oleg geholt und war an den Strand gegangen. Ich hatte das dringende Bedürfnis, ein wenig alleine zu sein und meine Gedanken auf andere Dinge zu richten. Es war schon nach acht und nur wenige Spaziergänger waren unterwegs. Eine Familie holte gerade den Drachen ein und machte sich lautstark auf den Weg zurück. Ich ließ mich im Sand nieder, der immer noch ein wenig die Wärme des Tages ausstrahlte, und begann zu essen, den Blick auf das Meer gerichtet. Oleg drehte sich wie verrückt in den seichten Wellen des Meeres. Ich freute mich darauf, ihn mal wieder richtig durchzuschäumen und zu baden. Komischerweise liebte er Wasser und jegliche nassen Aktivitäten aber sich baden lassen hasste er total.
Über mir am Himmel bot sich ein gigantisches Farbenspiel. Der Himmel leuchtete orange, goldene Streifen durchzogen ihn und ab und zu sah man einen Flecken rosa. Ein Licht, so strahlend, so golden und so sanft, hüllte mich ein. Das ist es wert, dachte ich. Alles. Die Nächte mit Svea und fremde Penisse mit Sonnenbrand. Diese Momente abends am Meer, wenn die Sonne langsam unterging und die Luft frischer wurde. Das Geräusch der Wellen und dieses Gefühl, frei zu sein, die Gedanken schweifen lassen zu können. Diese Wirkung hatte das Meer immer schon auf mich gehabt. Die Weite, nichts, was den Blick einschränkte, und diese Luft, salzig und voll von Gerüchen. Das Gefühl des Sandes zwischen meinen Zehen. Das war Glück. Noch großartiger wäre es, wenn die Sonne nun auch noch als leuchtender Feuerball direkt im Meer versinken würde, aber leider war das nicht so. Dennoch war es schön, selbst wenn sich der Sonnenuntergang neben dem Meer abspielte. Ich packte das restliche Brot und den Käse in meinen Rucksack und ließ mich auf den Rücken sinken.
Auf meinem Handy suchte ich mir eine Playlist mit lauter schnellen, gute Laune spendenden Liedern aus und stöpselte die Kopfhörer an. In diesem Moment war mein Leben perfekt. Fünfzehn Minuten später war es noch perfekter. Diese Musik war einfach zu mitreißend, zu gut. Ich dachte nicht mehr an George und sein leuchtend rotes Schwert oder wie Grace jetzt vermutlich gerade damit beschäftigt war, ihm eine Quarkhaube zu verpassen. Ich dachte an gar nichts außer daran, dass ich jung war und das Leben trotz allem schön. Ich sprang auf und tat etwas, das ich noch nie getan hatte, auch wenn ich es mir schon immer mal gewünscht hatte.
Ich tanzte mit nackten Füßen und einer grässlichen gelb-orangen Uniform im langsam auskühlenden Sand, während das Mittelmeer sanft im letzten Licht des Tages glitzerte. Okay, das mit der Uniform, das war so nicht in meinen Träumen vorgekommen, aber darüber sah ich großzügig hinweg. Alles andere war genau richtig für den Moment. Vor allem Oleg der direkt neben mir mitsprang. Ich tanzte drei Lieder lang, dann ließ ich endlich meine Arme sinken. Breitbeinig stand ich da und schaute noch einen Moment auf das Meer, ehe ich die Musik ausmachte und die Stöpsel aus den Ohren zog. Es wurde frisch, nun, da die Sonne fast ganz weg war, und ich sollte mich langsam auf den Rückweg machen. Um neun wurden die Tore vom Strand zum Campingplatz geschlossen, und dann musste man den weiteren Weg um das Gelände gehen, um ihn zu verlassen. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ich wahrscheinlich genau dies würde tun müssen. Einmal außen herum gehen, denn es war schon zehn nach neun. Ich drehte mich um und erschrak einen Moment. Eine Gestalt stand hinten am Strand, angelehnt an das Geländer der Holzrampe, auf der man vom Strand auf den etwas höher gelegenen Campingplatz kam. Ich konnte nicht viel sehen, nur das weiße Hemd leuchtete im schwachen Licht. ,,Hallo. Ich hoffe, Sie und Ihr Hund sind so glücklich, wie Sie scheinen." Die Stimme klang wunderbar warm und weich und das Griechisch war ohne jeden Akzent. Und sie klang so nett, dass ich sofort jede Anspannung verlor. ,,Ja. " Ich lachte übermütig. ,,Ja. Das sind wir." ,,Wie schön. Nun, eigentlich bin ich hier, um abzuschließen, nicht, um fremden Frauen beim Tanzen zuzusehen, aber du hast mich abgelenkt. Willst du noch reinkommen?" ,,Gerne. " Ich ging vor ihm die Rampe hoch und wartete ein paar Schritte hinter dem Tor, bis er es abgeschlossen hatte. In der Beleuchtung des Platzes konnte ich ihn besser sehen, mehr als sein Hemd. Das ich übrigens sehr interessant fand. Wie auch ihn.
Ein gut aussehender Mann, das sah man auf einen Blick. Er musste ein Mitarbeiter sein, denn sonst hätte er keinen Schlüssel gehabt, und dennoch wirkte er nicht wie einer. Normalerweise waren die Mitarbeiter gut zu erkennen, weil sie wie wir Shirts trugen mit dem Logo des Campingplatzes. Er nicht. Er trug kurze Jeansshorts, die seine schlanken, braunen Beine zeigten. Tolle Waden im Übrigen. Ich weiß, Waden sind nicht das Erste, worauf man blickt, aber ich mag sie. Das liegt vielleicht daran, dass ich seit Kindesbeinen in einem Tanzverein war. In einer Tanzgarde, um ganz genau zu sein. Ich hatte als Kind damit angefangen, als Tanzmariechen auf Faschingsveranstaltungen, und immer weitergemacht. Gardetanz ist eine großartige Form des Trainings und ich war nicht schlecht gewesen. Ich konnte meine Beine ziemlich hoch schmeißen, ich hatte sogar zwei Jahre lang mit einem Partner getanzt, der mich hochwarf, unter seinen Beinen durchrutschen ließ und solche Dinge. Doch das Training war zu zeitintensiv gewesen und ich konnte es nicht länger mit meinem Job vereinbaren. Zusätzlich zu den normalen Proben musste ich in unsere Einzelstunden, zeitlich kaum mehr machbar bei meinen Dienstplänen. Also war ich zurückgekehrt in die Reihen der Backgroundtänzerinnen.
,,Machst du das öfter? Einfach lostanzen?" ,,Das musste gerade sein. Verrückt, was?" ,,Nein, eigentlich nicht." Wir schlenderten langsam über den Platz. Oleg interessierte sich für alles andere. Laut hechelnd rannte er wie ein Irrer über den Campingplatz. ,,Eigentlich finde ich es sehr charmant." Ich grinste. Es war verrückt, wenn man wie eine Bekloppte am Strand herumhüpfte, zu Musik, die niemand hören konnte. ,,Seit wann arbeitest du hier? Ich glaube nicht, dass ich dich schon einmal gesehen habe." ,,Erst seit Kurzem. Ich bin sozusagen nachgerückt." Wir waren am Rezeptionsgebäude angekommen und blieben stehen. Hier war es heller als auf dem übrigen Platz und ich konnte ihn deutlich sehen. Das Hemd war aus einem dünnen Seidenstoff. Es hing nachlässig über den Hosenbund, war relativ schmal geschnitten und leicht zerknittert. Die aufgerollten Ärmel entblößten schlanke Unterarme, ziemlich gebräunt. Er hatte die obersten Knöpfe auf und eine definierte Brust zeigte sich dort, wo mein Blick hinfiel. Auch sein Gesicht war braun, diese Art braun, die nicht nur im Sommer da ist. Ein leichter Bartschatten lag auf seinem Gesicht, gut geschnitten und gestutzt. Sein Haar wirkte fast schwarz und vermutlich war es auch im Tageslicht nicht viel heller. Seine Hand spielte immer noch mit den Schlüsseln. Lange, schlanke Finger, die den Schlüsselbund sachte zum Klirren brachten. An seinem rechten Handgelenk trug er zwei Lederarmbänder. Kein Bändchen, wie es die Gäste trugen. Dann sah ich in seine Augen und einen Moment war wieder genau das Gefühl da, das ich empfunden hatte, als ich unten am Strand tanzte. Dieses Gefühl, dass das Leben trotz allem schön war und eine Menge zu bieten hatte. Braune Augen, die vertraut wirkten, warm und freundlich. Und dennoch geheimnisvoll waren, weil ich die Gedanken nicht deuten konnte, die sich darin spiegelten.
,,Und? Gefällt es dir hier?" ,,Ja. Der Platz ist wunderschön, das Meer direkt dabei, die Sonne." ,,Diese Gegend ist wirklich schön. Aber ich meinte eigentlich deinen Job." ,,Oh. Der gefällt mir ebenfalls. Es ist keine leichte Arbeit und sie ist definitiv zu schlecht bezahlt, man bekommt trockene Hände vom vielen Putzen und hat kaum Freizeit, aber trotzdem, ich wollte gerade nirgends anders sein. Außerdem mag ich die Toleranz des Besitzers, dass ich meinen Hund mitnehmen darf." Die Schwangerschaft verschwieg ich lieber. Ich dachte an die Begegnung mit Grace und George heute und musste lachen. ,,Auf alle Fälle wird es einem nicht langweilig dabei." Er sah mich nachdenklich an. ,,Deine Einstellung gefällt mir."
Mir gefallen deine Augen, dachte ich. Dann erschrak ich über mich selbst. Hatte ich das wirklich gedacht? Nein, ich hatte gemeint, mir gefällt es, dass ich jemanden kennengelernt habe, der nicht im Team Oceanside war. ,,Tja ..." begann ich, doch er sah plötzlich auf die Uhr. ,,Mist. Ich muss los. War nett, dich kennenzulernen ..." Er beugte sich ein wenig vor und versuchte, mein Namensschild zu entziffern. ,,Mira." ,,Mira", wiederholte er. Ich spürte, wie eine leichte Gänsehaut meine Arme überzog. Wenn er es aussprach, klang es wie ein Lied. Nicht viel anders als im Deutschen, und doch so viel wärmer. ,,Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, Mira." Und dann, mit einem letzten Lächeln, verschwand er eilends. Ich nickte hinter ihm her. Das hoffte ich auch.
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