17. Kapitel

Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich die zwei Fotos auf dem Bildschirm und versuchte nach wie vor herauszufinden, welcher der beiden Männer ein Monster im Inneren versteckte. Es war ein Leichtes gewesen, sie mit den mir vorliegenden Angaben im Internet zu finden: Während ich Peter Jones dank eines älteren Zeitungsartikels ausfindig machen konnte, in dem sein Engagement als neuer Leiter der Personalabteilung einer der größten Fabriken in Detroit gelobt wurde, lächelte mir Justin Clearwater als Schulleiter einer staatlichen High-School in Dearborn auf dessen Internetseite entgegen.

Das Gefühl der absoluten Euphorie hatte mich durch meinen Arbeitstag getragen – und nun war mein Ziel endlich in Sichtweite. Im Grunde genommen, gab es nur noch ein kleines Problem: Keiner der Männer hatte auf der Stirn stehen, ob er ein Mörder war. Wie sollte ich herausfinden, wer von ihnen der Mörder war?

War das der Moment, in dem ich zur Polizei gehen sollte, um ihnen meine Fortschritte zu präsentieren? Sie würden nahezu keinerlei Arbeit mehr mit diesem Fall haben; sie mussten lediglich eine DNA-Probe von beiden anfordern und diese sodann mit dem am Tatort gefundenen Sperma abgleichen. Doch war ich mir mittlerweile nicht einmal sicher, ob sie selbst diesen vergleichsweisen geringen Aufwand betreiben würden.

Ich hatte jegliches Vertrauen in ein funktionierendes System verloren. Wenn ich wollte, dass der Fall zu Ende gebracht wurde, musste ich das schon selbst erledigen. Allerdings konnte ich nicht einfach bei ihnen auf der Arbeit auftauchen und sie mit meinem Verdacht konfrontieren... oder? Beide Männer arbeiteten an Orten mit vielen Menschen, sodass mich der potenzielle Mörder zumindest nicht vor Ort umbringen konnte. Was konnte schon schief gehen?

Alles.

Verzweifelt stieß ich die Luft zwischen meinen Zähnen aus und griff nach meinem Handy, das bisher unberührt neben dem Laptop gelegen hatte. Ich brauchte den Rat meiner besten Freundin, die mich stets von Dummheiten abgehalten und mit viel clevereren Ideen schon die ein oder andere Katastrophe verhindert hatte. Aber leider konnte ich sie nicht um Hilfe bitten, nicht dieses Mal. Das hatte ich mir selbst verbaut.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und für einen Moment fürchtete ich, in Tränen auszubrechen. Doch dann erfüllte die Melodie von Wonder Woman mein Wohnzimmer, was mich noch mehr an Hayden erinnerte und mich zeitgleich davon abhielt, die Fassung zu verlieren. Hastig wischte ich mir über die eigentlich noch trockenen Augen, ehe ich den eingehenden Anruf von der unbekannten Nummer entgegennahm.

„Sophia Dubois." – „Guten Abend, Sophia. Ich gehe davon aus, dass Sie den gerichtlichen Beschluss heute Morgen gefunden haben?" Ein bitteres Lachen entkam mir, während ich begann, in meinem Wohnzimmer umher zu laufen. Das konnten sie nicht ernst meinen. Wenn die Polizei ebenso viel Aufwand in die Suche nach dem Mörder wie in die Beseitigung meines Instagram-Accounts stecken würde, hätten sie ihn mit Sicherheit schon längst verhaftet.

„Hier ist übrigens Jonathan Blake", fügte der Anrufer am anderen Ende der Leitung unnötigerweise hinzu, als ich ihm eine Antwort schuldig blieb. Mein Blut begann zu kochen, während ich fast schon krampfhaft langsam ein- und ausatmete. Den Pressesprecher des East Side Reviers zu beschimpfen war definitiv etwas, was mich keinen Schritt weiterbringen würde.

„Sind Sie noch dran?" Ein letztes Mal atmete ich tief durch, ehe ich mich zwang, ein freundliches Lächeln aufzusetzen. Natürlich konnte er dieses am Telefon nicht sehen, doch in einem Seminar hatte ich mal gelernt, dass sich die eigene Stimme selbst mit einem gefakten Lächeln automatisch freundlicher anhörte.

„Ja, entschuldigen Sie. Ich habe den Beschluss erhalten und gelesen, dass ich ab Zustellung 24 Stunden Zeit habe, um den Account zu löschen. Diese Frist ist doch noch nicht abgelaufen, oder sehe ich das falsch?" Zwar brauchte ich den Account nun nicht mehr, da ich zwei Namen hatte und mir nahezu hundertprozentig sicher sein konnte, dass einer der beiden der Mörder von Alejandra war. Dennoch würde ich den Account erst dann löschen, wenn ich es zur Vermeidung rechtlicher Konsequenzen tatsächlich musste – was im Übrigen absolut lächerlich war. Aber das teilte ich meinem Gesprächspartner lieber nicht mit.

„Sie haben noch genau 3 Stunden und 48 Minuten. Ich möchte nur vermeiden, dass Sie diese Frist missachten." – „Oh, sagen Sie bloß, ich bin Ihnen ans Herz gewachsen?", bemerkte ich mit sarkastischem Unterton. Dieses Mal ertönte das Lachen vom anderen Ende der Leitung. „Löschen Sie einfach den Account. Ich versichere Ihnen, dass wir bemüht sind, intern einen für den Fall fachlich geeigneten Detective zu finden. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber sie mahlen."

„Ich zweifle nicht an der fachlichen Eignung, sondern an der persönlichen. Einen schönen Abend noch, Jonathan." Damit beendete ich das Gespräch. Im selben Moment wusste ich, was ich als nächstes tun musste – zur Polizei zu gehen, war auf jeden Fall keine Option mehr. Also schrieb ich Chad noch schnell eine Nachricht, in der ich mich für den morgigen Arbeitstag krankmeldete, und begann, gedanklich einen Plan zu schmieden.

Unschlüssig betrachtete ich das farblose Schulgebäude vor mir, während mein Puls zum wiederholten Mal in wenigen Tagen eine mutmaßlich gefährliche Schnelligkeit erreichte. Die ganze Nacht hatte ich wach gelegen: Zum einen, weil ich noch immer jedes Mal den zerstochenen Oberkörper von Alejandra vor mir sah, sobald ich die Augen schloss. Zum anderen aber auch, weil ich mir einen genauen Plan für den heutigen Tag zurechtgelegt hatte.

Doch nun, wo ich tatsächlich mit Gregor vor der Schule stand, war mein Kopf wie leergefegt und ich konnte nur noch daran denken, wie unglaublich dämlich es von mir war, hier aufzutauchen. Was sollte ich auch schon großartig machen? Jemanden auf einen Mord ansprechen, den ich im Verdacht hatte, ihn begangen zu haben? Das war selbst für mich ein Ticken zu selbstmörderisch.

Dennoch versuchte ich mich darauf zu konzentrieren, dass er mir hier in der Schule nichts tun konnte. Hunderte Schüler waren vor weniger als einer Stunde in das Gebäude geströmt, von den Lehrern ganz abgesehen. Hier waren viel zu viele Zeugen und anders als die meisten anderen Menschen achtete ich sehr darauf, im Internet nicht zu leicht auffindbar zu sein. Selbstverständlich konnte man auch meinen Arbeitgeber herausfinden – aber auch an meinem Arbeitsplatz waren zu viele Leute, um mich umzubringen. Zudem hatte ich mich noch gestern über unkomplizierte und günstige Alarmanlagen informiert, von denen ich heute auf dem Rückweg eine kaufen und sodann in meiner Wohnung installieren würde.

Etwas in meinem Inneren hielt mich jedoch davon ab, einfach auszusteigen und Mr. Clearwater aufzusuchen. In mir festigte sich der Entschluss, zur Polizei zu gehen, ihnen meine Ergebnisse zu präsentieren und zu hoffen, dass sie damit etwas anfangen würden. Tut mir leid, Alejandra. Ich kramte Gregors Schlüssel wieder aus meiner Manteltasche und steckte ihn ins Zündschloss.

Doch gerade als ich die Zündung startete, entdeckte ich einen schwarzen Wagen mit einem mir sehr bekannt vorkommenden Kennzeichen, das auf den Parkplatz einbog. Das könnte der Wagen gewesen, in den Alejandra ihren letzten Atemzug getan hatte... Ruckartig zog ich den Schlüssel wieder heraus und ließ mich tiefer in den Sitz sinken, während Justin Clearwater an mir vorbeifuhr und sein schickes Auto auf einem für ihn reservierten Parkplatz abstellte.

Nur wenige Augenblicke später öffnete er die Tür und stieg aus. Um sich auf dem kurzen Weg von seinem Wagen zu dem Eingang der Schule vor dem erbarmungslosen Novemberregen zu schützen, spannte er seinen Regenschirm mit einer eleganten Bewegung auf und setzte sich gemächlich in Bewegung.

Der Regen brachte mich unvermittelt zurück in die Nacht, in der ich sie gefunden hatte. Zu meinen Füßen hatten sich Sturzbäche aus Regenwasser gebildet und in dieser Gasse vermischte es sich mit Blut. Ihre leeren Augen starrten mich an, während ich in der Ferne ein kleines Mädchen nach seiner Mutter schreien hörte.

Alejandra war schon tot gewesen, bevor man sie wie wertlosen Müll in den Regen geworfen hatte und hatte so zum Glück nicht mehr mitbekommen müssen, wie ihre komplette Kleidung sich mit dem Wasser vollsog und wie die beißende Kälte sich in ihre Haut grub.

Hatte Justin Clearwater ihr das angetan? Derjenige, der sich für wenige hundert Meter unter einem Regenschirm versteckte?

Ich konnte nicht gehen. Zumindest nicht, ohne mich mit ihm über diese Nacht und über diese Frau unterhalten zu haben.

Während mein Verdächtiger in dem Gebäude verschwand, steckte ich meinen Schlüssel wieder in die Manteltasche. Mein Pfefferspray, das sich vorher im Handschuhfach befunden hatte, folgte. Zuletzt schickte ich Hayden meinen Live-Standort und hoffte, sie würde im Zweifelsfall verstehen und trotz dem, was ich ihr angetan hatte, helfen.

Ich würde den Fall endlich lösen.

A/N:
Langsam beginnt der Showdown. Ich denke mal, es kommen noch maximal 8-10 Kapitel. Was meint ihr, wird Sophia alles ab jetzt durchziehen, ohne noch einmal drüber nachzudenken oder kommen die (wohl gerechtfertigten) Zweifel noch mal zurück?

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