Prolog
Der Neumond verschluckte das Licht, sodass die Umgebung dunkel und düster wirkte. Den Menschen, denen Mara begegnete, waren ihr fremd. Zielstrebig schritt sie die Straße entlang zu ihrem Zuhause.
Mara Sirako trug eine blaue Regenjacke und halbhohe Stiefeletten. Die Kapuze der Jacke hatte sie sich tief in ihr Gesicht gezogen, sodass niemand ihr braunes Haar und ihre blauen Augen erkennen konnte.
Als sie um eine Ecke bog, konnte sie auf der linken Seite ihr Wohnhaus sehen. Das Haus bestand aus zwei Etagen, in denen sich jeweils eine Wohnung befand. Im Erdgeschoss lebte ein Mann, von dem Mara wusste, dass er Wissenschaftler war. Die obere Ebene war ihr eigener Wohnraum.
Um dem Regen zu entfliehen, beschleunigte Mara ihre Schritte. Beim Näherkommen bemerkte sie, dass kein Licht in der unteren Wohnung brannte. Der Wissenschaftler schlief entweder oder war nicht zu Hause.
Am Wohnhaus angekommen, sperrte sie die Haustüre auf und ging in den Hausflur. Von dort aus nahm sie die Treppe in den ersten Stock und streifte ihre Schuhe vor der Wohnungstür ab. Nachdem Mara in ihre Wohnung getreten war, zog sie die nasse Regenjacke von ihrem Rücken und hängte diese an eine Kleiderstange. Daraufhin ging sie in die Küche, um für das Abendessen zu kochen. Die Stille im Raum vertrieb Mara, indem sie sich umdrehte, um das Radio einzuschalten. Überrascht blieb sie stehen und spitzte ihre Ohren. Ein Poltern aus der unteren Wohnung verriet ihr, dass ihr Nachbar ebenfalls zu Hause war. Beruhigt drehte sie den Lautstärkeregler auf, und aus dem Gerät drang fröhliche Musik. Maras Stimmung wurde besser und der harte Tag und das nasse Wetter waren vergessen.
Während sich Mara zu ihrem Kühlschrank umdrehte, erklang ein weiterer Ton, der lauter erschallte. Dieses Mal war Mara sich sicher, dass das Geräusch aus der unteren Wohnung kam. Schrille Rufe vermischten sich mit einem Krachen und Mara schritt auf das Fenster zu. Mit einer fließenden Bewegung riss sie die Scheibe auf. In der Dunkelheit hatte sie Schwierigkeiten, Details zu erkennen. Dennoch erblickte sie drei Schemen, die über den Zaun hinter dem Haus sprangen. Sie öffnete ihren Mund, um den Personen hinterherzurufen, doch ihre Stimme starb ab, als ein weiteres Krachen sie herumfahren ließ.
Mit vor Schreck aufgerissenen Augen sah sie das Übel auf sie zukommen. Bevor Mara reagieren konnte, wurde sie von einer Explosion erfasst und aus dem Fenster geschleudert.
Während des Fluges überschlug sich Mara und sie konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Feuer aus der zersprengten Fensterscheibe aus der Wohnung des Wissenschaftlers hervorschossen und gierig nach der frischen Luft lechzte.
Der Aufprall presste Mara das Lebenselixier aus den Lungen. Keuchend hustete sie und zog den giftigen Qualm ein. Bevor ein weiterer qualvoller Atemzug ihre Organe füllte, verschwamm ihre Sichtweise und sie verlor das Bewusstsein.
Langsam lichtete sich der Schleier in ihrem Kopf. Je mehr Mara ihr Bewusstsein wiedererlangte, desto bewusster wurde sie sich der höllischen Schmerzen. Jede Faser ihres Körpers brannte wie Feuer in ihr. Mara wurde bewusst, dass sie auf dem Bauch gelandet war. Keuchend öffnete sie die Augen und wurde von der Helligkeit um sie herum geblendet.
Ihre Sicht gewöhnte sich langsam an das Licht. Die Flammen umschlossen ihr Wohnhaus und brannten lichterloh in den Himmel. Mit einem lauten Krachen brach der Dachstuhl ein und hinterließ eine große Staubwolke. Das Feuer zischte dankbar für den neuen Nährstoff.
Ein abrupter Hustenanfall schüttelte Maras Körper. Der Qualm wurde immer dichter. Ihr wurde bewusst, dass sie den Ort schleunigst verlassen musste, um nicht im Rauch zu ersticken.
Vorsichtig griff sie mit der linken Hand unter ihren Körper und stemmte sich ächzend hoch. Ein plötzlicher Schmerz in ihrer rechten Hand ließ Mara innehalten. Zischend stieß sie die Luft zwischen den Zähnen hervor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Durch den Schleier blickte sie an sich herab und stellte fest, dass ihre rechte Hand unter einem großen Stein eingequetscht war.
Die Hitze wurde mit jedem Atemzug unerträglicher. Ein erneutes Krachen erschallte in der Luft. Aufgrund des Qualms konnte Mara das Wohnhaus nicht mehr erkennen, aber sie vermutete, dass das obere Stockwerk bereits in sich zusammenbrach.
Mit neuer Entschlossenheit kämpfte sie sich in eine ungemütliche Hocke. Ihre freie linke Hand legte Mara unter den Stein, der die Größe ihres Oberkörpers hatte. Ein Schmerzensschrei löste sich aus ihrem Mund, als sie sich mit ihrem Körper gegen den Stein stemmte. Mara ignorierte den Schmerz in ihrer Hand und mit einer letzten Kraftanstrengung gelang es ihr, sich zu befreien.
Keuchend setzte sich Mara auf den Boden und sah auf ihre gequetschte Hand. Ihre Finger waren lila angelaufen und aus etlichen kleinen Wunden quoll Blut hervor. Aufgrund der Tränen, die sich in ihren Augen gebildet hatten, vermochte sie die Schwere der Verletzung nicht einzuschätzen.
Ein weiterer Hustenanfall schüttelte ihren Körper durch und Mara wurde bewusst, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Unter einem gequälten Ächzen stemmte sie sich vom Boden hoch. Bevor sie das Grundstück verließ, sah sie ein letztes Mal zum Wohnhaus. Alle Hilfe kam zu spät. Von dem Haus und ihren Habseligkeiten wird nichts mehr übrigbleiben.
Mara verscheuchte ihre trüben Gedanken und drehte sich mit einer ruckartigen Bewegung um, um sich vom Feuer zu entfernen. An der Grundstücksgrenze angekommen, erkannte sie, dass ein Felsbrocken die Mauer zerstört hatte. Überall lagen die Trümmer und erleichterten ihr somit das Durchkommen. Bevor Mara durch den Schutt steigen konnte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln ein Schimmern am Boden.
Mara wendete ihren Blick dem Glanz zu und näherte sich dem seltsamen Anblick. Durch ihre tränenreichen Augen konnte sie einen leblosen Körper im Gras liegen sehen. Die Gestalt hatte einen länglichen Körperbau und blau glitzernde Flügel. Die helle Farbe hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt.
Traurig seufzte Mara über den Verlust des kleinen Geschöpfs. Sie wollte sich soeben umdrehen und vom Grundstück fliehen, da bemerkte sie, dass sich das Wesen bewegte. Es lebte!
Ihr Herz raste und ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, hob sie mit ihrer verwundenen Hand das kleine Geschöpf schützend an ihre Brust. Das Wesen benötigte dringend einen Arzt und sie brauchte nicht auf die Rettungskräfte vor Ort zu warten. Unter diesen war gewiss kein Mediziner für Wesen und Tiere.
Mara drehte sich um und kletterte über den Schutthaufen, der einmal die Grundstücksmauer gebildet hatte. Hinter dem Zaun angekommen, liefen ihre Füße wie von allein in eine Richtung. Ihre Gedanken galten ausschließlich dem kleinen Wesen in ihrer Hand und ließen sie ihre eigene Situation vergessen.
Nur eine Person vermochte dem Geschöpf zu helfen und ihre Beine trugen Mara durch die dunklen Straßen. In weiter Ferne hörte sie die Sirenen heulen. Menschen rannten in die Richtung, aus der sie soeben gekommen waren. Keine Person drehte sich zu ihr um, um sich nach ihrem Gesundheitszustand zu erkundigen. Alle waren von dem plötzlichen Chaos, das der Brand verursacht hatte, in den Bann gezogen.
Bei jedem Schritt protestierte ihr erschöpfter Körper. In ihrer Hand spürte sie, wie sich das Wesen bewegte. Um sich zu vergewissern, dass es bei Bewusstsein war, hielt Mara kurz an. Vorsichtig hob sie ihre Hand und sah auf den kleinen Körper. Ein plötzlicher Stich durchfuhr ihren Finger. Zischen sog Mara die Luft ein. „Da möchte man dir helfen und du dankst mir, indem du mich beißt!", klagte sie empört. Bevor Mara weiterreden konnte, erschlaffte das Wesen in ihrer Hand.
Sofort vergaß sie ihren Ärger und rannte weiter. Nach etlichen Minuten bog sie in eine Straße ein und schritt auf ein großes Anwesen zu. Dort angekommen, klingelte Mara stürmisch an der Glocke. Die Sekunden des Wartens verstrichen quälend langsam. Besorgt sah sie auf ihre Hand und stellte erleichtert fest, dass das Wesen weiterhin lebte.
„Bald bist du in Sicherheit", murmelte sie und ignorierte den Schmerz in ihrer Kehle.
Die Tür des Hauses flog auf und eine kleine Person erschien im Türrahmen.
„Mara!", rief die Frau erschrocken. „Was ist passiert."
Mara sah zu ihrer Freundin. „Chrisi, ich brauche Hilfe. Dein Vater muss sich um das Wesen kümmern. Er ist doch Arzt für alle möglichen Geschöpfe. Ich werde die Leistungen bezahlen, das verspreche ich euch." Wie zur Bestätigung hob Mara ihre Hand. Erschaudernd fuhr Chrisi mit ihren Fingern vor den Mund. "Mara, deine Hand. Komm sofort ins Haus."
Mara schüttelte den Kopf und hielt ihrer Freundin das kleine Geschöpf hin. Wie in einem Traum nahm Chrisi das Wesen aus Maras Händen. Bevor Mara über die Schwelle des Hauses trat, wurde ihr schwarz vor Augen. Den Aufprall auf dem Boden spürte sie bereits nicht mehr.
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