Das Gefängnis
Sein Weg führt einen dunklen Korridor entlang. Draußen war die Sonne bereits seit einiger Zeit untergegangen. An den Wänden befanden sich in regelmäßigen Abständen kleine Leuchtquellen, die das Licht von einem kleinen Feuer wiedergaben.
Aufgrund des Steinbodens hallten seine Schritte hohl wieder. Der Weg des Mannes führte an kahlen Wänden vorbei. Am Ende des Korridors versperrte ihm eine massive große Eichentüre den Weg. Auf jeder Seite der Tür waren Wachen positioniert. Diese blickten den Mann finster an.
„Enthülle dich", sagte eine der Wachen und der Mann hob seine Hand, um seinen Umhang vom Kopf zu ziehen. Unter dem Stoff kam schwarzes Haar zum Vorschein und eisblaue Augen fixierten die Person, die gesprochen hatte.
Mit einem kleinen Nicken signalisierte die Wache, dass er weitergehen durfte. Mit einer fließenden Bewegung ließ sich die Eichentür öffnen. Als er durch die Tür getreten war, schloss er diese hinter sich wieder.
Der schwarzhaarige Mann stand in einem großen Raum, der eher einer Halle glich. Wie im Korridor hingen an den Wänden kleine Lichtquellen, die versuchten, die dunklen Schatten zu vertreiben. Am Ende der Halle war ein großer Kamin, in dem ein Feuer brannte. Vor der Feuerquelle befand sich ein Podest, auf dem ein alter Thron stand. Der Mann schritt auf die Erhöhung zu und kniete sich davor nieder.
„Meister, Ihr habt nach mir gerufen", sagte der Schwarzhaarige gehorsam.
Auf dem Thron bewegte sich eine Person. „Du bist spät. Was hat dich aufgehalten, Kiran?"
Kiran hob seinen Kopf und blickte seinen Meister an. Dieser hatte dunkelbraunes Haar, das an den Schläfen bereits ergraute. Sein Gesicht verriet, dass er sich in der Mitte seines Lebens befand. Die dunkelbraunen Augen fixierten Kiran und funkelten vor Zorn.
„Bitte entschuldigt, Meister. Einer unserer Leute hat bei der Entführung der Frau einen Stadtbewohner fast umgebracht. Ich musste mich um die Angelegenheit kümmern, ansonsten wären wir aufgefallen. Mehrere Bewohner hatten den Beinaheunfall beobachtet."
Zähneknirschend knurrte der Meister. „Alles nur Nichtsnutze. Danke, dass du dich dieser Angelegenheit sofort angenommen hast. Was wir nicht benötigen, ist Aufmerksamkeit durch die Stadtbewohner."
Der Meister erhob sich von seinem Thron und schritt zu Kiran. „Steh auf und erzähle mir, wie es der Frau und dem Wesen namens Geisterschwinge geht."
Gehorsam stand Kiran auf. „Beide sind, nachdem wir sie getrennt hatten, ohnmächtig geworden. Wie ihr vermutet habt, können sie sich nicht weit voneinander entfernen. Ihre Vitalwerte blieben stabil, bis wir sie in ihre Zelle gesperrt haben. Bevor ich zu Ihnen gekommen bin, waren sie noch bewusstlos."
Der Meister nickte. „Sehr gut gemacht. Wie weit waren die Geisterschwinge und die Frau voneinander entfernt, als sie das Bewusstsein verloren haben?"
„Es waren keine 100 Meter", erklärte Kiran und blickte seinen Meister an. Der ältere Mann war etwas kleiner als er, doch seine Körpersprache machte den Größenunterschied wett. Wer keine Ehrfurcht vor diesem Mann hatte, war blind.
„Das ist weniger, als ich angenommen habe", erwiderte der Meister und ließ seinen Blick nachdenklich durch den Raum schweifen. „Für unsere Zwecke ist die Entfernung nicht relevant. Sie spielt eher bei der Trennung einen wichtigen Faktor."
Kiran nickte und blieb still. Er kannte die Pläne seines Meisters bereits.
„Ich würde sagen, wir beginnen mit unserem Experiment. Mal sehen, wie lange die Frau und die Geisterschwinge durchhalten." Ein schauerliches Gelächter drang aus der Kehle des Meisters und hallte von den Wänden wider. Im Kamin knisterte das Feuer und schoss gierig nach oben.
„Du wirst mir bei dem Experiment Gesellschaft leisten", sagte der Meister, bevor er sich umdrehte und zu seinem Thron zurückging. „Ich möchte, dass du unsere Gefangenen in den Innenhof bringst."
„Wie Ihr befiehlt", erwiderte Kiran und kehrte seinem Meister den Rücken. Mit schnellen Schritten lief er den Weg zurück. Vor der Eichentür wand er sich nach rechts und seine Beine trugen ihn in Richtung Verlies.
Ein leises Tropfen drang an ihre Ohren und sie öffnete verschlafen ihre Augen. Sofort wurde Mara mit einem fürchterlichen Kopfschmerz bestraft. Stöhnend hielt sie sich die Augen zu.
„Bist du wach?", fragte Kuronirokianis Stimme in ihrem Kopf. Die Geisterschwinge hörte sich müde an.
„Mein Kopf tut weh", antwortete Mara.
„Meiner auch. Es ist wie das erste Mal, als wir uns zu weit voneinander entfernt haben. Ich hoffe, die Schmerzen lassen bald nach. Wie geht es dir sonst?"
Mara ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Nach ein paar Atemzügen ließ der Schmerz in ihrem Kopf nach und sie öffnete vorsichtig ihre Augen. Dunkelheit umfing sie. Die einzige Lichtquelle war eine Fackel auf der gegenüberliegenden Wand. Mara blickte sich um und stellte fest, dass sie auf einer Pritsche in einem Gefängnis lag. Ansonsten befand sich ein Eimer mit Wasser in der einen Ecke des Raumes und in der anderen stand ein Tablett mit einem Stück Brot darauf. Kuro lag ebenfalls auf der Pritsche und blickte sie neugierig an.
„Mir geht es gut und dir?" Zur Antwort schickte Kuro ihr in Gedanken positive Gefühle.
„Wo sind wir hier?", frage Mara.
„Wenn ich das wüsste", antwortete ihr Kuronirokiani traurig. „Ich kann noch nicht einmal sagen, wie lange wir bewusstlos waren. Mir fehlt das Tageslicht."
Mara stimmte ihrem kleinen Freund zu. Langsam erhob sie sich von der Pritsche und ging auf die Gitterstäbe zu. Sie versuchte kläglich, die Stäbe zu bewegen. Doch diese blieben fest an ihrem Platz verankert. Enttäuscht drehte sich Mara zu Kuro um.
„Wir haben wohl keine Wahl und müssen warten, bis jemand kommt." Sie setzte sich auf die Pritsche und die Geisterschwinge legte sich auf ihre Beine. Mara streichelte dem kleinen Wesen über den Rücken und schenkte ihm Trost.
„Irgendwie müssen wir aufgefallen sein", schlussfolgerte Kuro. „Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie uns sonst gefangen genommen haben. Das ist alles meine Schuld."
Mara schüttelte ihren Kopf. „Das stimmt nicht und das weißt du auch. Kannst du dich noch an die Explosion des Hauses erinnern? Damals habe ich zwei Gestalten aus dem Haus rennen sehen. Die Personen hatten dich gesucht und damals nicht gefunden. Sie dachten vermutlich zu diesem Zeitpunkt, dass du bei dem Wissenschaftler Christian Karera bist."
„Da sie mich bei Herrn Karera nicht gefunden hatten und du die einzige Person am Unfallort warst, schlussfolgerten sie, dass ich bei dir war?", fragte Kuronirokiani erstaunt.
„Ich denke, dass es nicht so einfach war, aber das Ergebnis bleibt das Gleiche."
Traurig ließ die Geisterschwinge ihren Kopf hängen. Mara konnte die Stimmung ihres kleinen Freundes nachvollziehen. Sie selbst fühlte sich hilflos und Tränen der Verzweiflung stiegen in ihre Augen. Stille kehrte ein und Mara wusste nicht, wie lange sie so dasaßen, als sie ein Krachen hörten.
Erschrocken drehte sich die Frau zu dem Geräusch um. Ein erneutes Krachen, gefolgt von Schritten, war zu hören. Vor ihrer Gefängniszelle blieb eine dunkle Gestalt stehen. Die Person war in einem langen schwarzen Umgang gehüllt und Mara konnte unter der Kapuze kein Gesicht erkennen.
Ein Klirren ertönte, als die Person einen Schlüssel aus dem Umgang holte und die Zelle öffnete.
Mara beobachtete die Person und sie konnte an den Bewegungen erkennen, dass es sich um einen Mann handeln musste. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, blieb sie still, bis der Mann direkt vor ihr stand.
„Wer bist du?", kam die Frage über ihre Lippen und sie versuchte unter der Kapuze ein Gesicht zu erkennen. Der Fremde antwortete ihr nicht und griff erneut in seinen Umhang. Zum Vorschein kam ein Seil. Mit der freien Hand griff er nach ihrem Arm. Erschrocken riss Mara ihre Hände nach oben und Kuro knurrte bedrohlich.
„Gib mir deine Hände, sonst kann ich nicht versprechen, dass ich euch weh tue", erklang eine kalte Stimme und Mara blickte den Fremden schockiert an. Sie erkannte die Stimme.
Der Fremde nutzte Maras Verwirrung und fesselte geschickt ihre Hände. Kuronirokiani hat ihre verwirrten Gedanken gespürt und stellte sein Knurren ein.
„Mara, was ist los?", fragte die Geisterschwinge besorgt in ihren Gedanken. Doch Mara ignorierte ihn und als sich ihre Gedanken wieder beruhigt hatten, richtete sie das Wort an den Fremden.
„Wieso hast du uns verfolgt?", wollte sie von ihm wissen. Der Fremde antwortete ihr nicht, sondern riss an dem Seil, sodass Mara gezwungen war aufzustehen. Kuronirokiani sprang auf ihre Schulter und hielt sich mit seinen Krallen in ihren Klamotten fest.
Als Mara vor dem Fremden stand, konnte sie leichte Konturen unter der Kapuze erkennen. Ein junges Gesicht, kaum älter als sie selbst, blickte Mara an. Die eisblauen, kalten Augen erkannte sie sofort. Es war der Fremde, der sie vor dem Geist gerettet hatte und bereits mehrere Male in ihrer unmittelbaren Umgebung aufgetaucht war.
Bevor Mara eine erneute Frage stellen konnte, drehte sich der Mann um und schritt aus der Zelle. Mara folgte ihm gehorsam, da sie nicht wollte, dass Kuro oder ihr etwas zustieß.
Der Mann führte sie durch mehrere Korridore, die spärlich beleuchtet waren. Sie hatte keine Zeit, um ihre Umgebung näher zu betrachten. Nach mehreren Minuten schritt sie durch eine Tür und sie befanden sich unter freiem Himmel. Erleichtert ließ Mara die Luft in ihre Lungen strömen. Doch die Erleichterung währte nicht lange.
Sie befanden sich in einem großen Innenhof. Bis auf eine große Steinplatte am anderen Ende des Hofes konnte Mara nichts von Bedeutung erkennen. Neben der Steinplatte stand eine weitere verhüllte Person, auf die sie zuschritten.
Vor der Steinplatte blieben sie stehen. „Willkommen in meinem Reich", sagte eine dunkle männliche Stimme, die Mara einen Schauer über den Rücken jagte. „Wie ich sehe, geht es euch gut." Wie giftiger Honig umhüllte die Stimme ihre Sinne. Sofort wurde Mara bewusst, dass diesem Mann nicht zu trauen war.
„Meinen Schüler hast du bereits kennengelernt. Mich nennt man Meister und ich hoffe, wir werden eine interessante Zeit miteinander verbringen." Ein kehliges Lachen ertönte und Mara zuckte erschrocken zusammen.
„Lasst uns beginnen."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top