Das Erwachen

In der Dunkelheit hörte Mara leise Stimmen. Die Stimmen wurden immer lauter und klarer, je länger ihre Augen geschlossen blieben.

"Sie hat sehr viel Blut verloren. Es ist ein Wunder, dass sie den ganzen Weg hierherlaufen konnte. Ihr ganzer Körper weist Spuren auf, dass sie wohl aus ihrer Wohnung geschleudert wurde. Der Aufprall hat ihr drei Rippen gebrochen. Höchstwahrscheinlich ist ein Stein oder etwas Ähnliches auf ihre Hand gefallen. Leider wird sie nicht mehr alle Finger behalten können. Der Ringfinger ist unbrauchbar und nicht mehr zu retten."

Das Gehörte ließ Mara leise stöhnen. „Sie wird wach", sagte eine bekannte Stimme. Mara öffnete vorsichtig ihre Augen und blickte in das Gesicht ihrer Freundin Chrisi. In den rehbraunen Augen konnte sie das Gefühl der Sorge erkennen.

„Hallo Mara. Wie geht es dir?", fragte Chrisi mit ruhiger Stimme.

„Mir schmerzt der ganze Körper", sagte Mara. Ihre Stimme war heiser und ein Husten folgte ihren Worten. „Ich habe Durst. Mein Mund fühlt sich an, als hätte ich heiße Asche gegessen."

Chrisi lächelte sie gütig an. „Nimm das Glas und trink." Sie reichte Mara vorsichtig ein Glas mit Wasser. Dankbar nahm Mara das Glas entgegen und trank vorsichtig. Jeder Schluck schmerzte in ihrem Rachen. Sie ignorierte den Schmerz und trank das kühle Nass, dass zum Teil den Schmerz linderte.

„Danke", entgegnete Mara. Stille trat ein und sie versuchte, sich an das Geschehene zu erinnern. Plötzlich kamen ihre Erinnerungen zurück. „Wie geht es dem kleinen Wesen? Konnte dein Vater ...", weiter kam Mara mit ihren Fragen nicht. Ein großer, schlanker Mann trat in ihr Blickfeld, denn sie sofort erkannte. Auf dem Gesicht von Chrisis Vater konnte sie Erleichterung sehen. Genau wie die Augen seiner Tochter drückten diese Sorgen aus.

„Es freut mich, dass du wach bist, Mara. Chrisi kam mit dem kleinen Geschöpf sofort zu mir. Anschließend hat sich Chrisi um deine Verletzungen gekümmert. Doktor Archer ist soeben da, um sich deinen Körper anzusehen."

Mara drehte ihren Kopf und sah den Doktor neben ihrem Bett stehen. „So wie es aussieht, hast du keine schlimmeren Kopfverletzungen erlitten. Du kannst dich an das Geschehene noch erinnern", sagte der Arzt und notierte ein paar Worte auf einem Klemmbrett, welches er in seinen Armen hielt.

Mara drehte ihren Kopf zu Chrisis Vater. „Herr Rid, wie geht es dem Wesen?", fragte sie und unwillkürlich spannte sie sich an.

„Dem Wesen geht es gut. Deine Entscheidung, das kleine Geschöpf zu mir zu bringen, war richtig. Ich habe mein Bestes gegeben und wie es aussieht, scheint es wieder gesund zu werden. Sobald es dir besser geht, kannst du dir selbst ein Bild von dem Gesundheitszustand machen."

Erschöpft und zufrieden mit der Antwort, schloss Mara die Augen. Eine kleine Träne der Erleichterung rann an ihrem rechten Augen herunter. Sie war froh, dass das Wesen überleben wird. Die Rettungsaktion hatte sich gelohnt.

„Wir lassen dich in Ruhe, damit du dich ausruhen kannst. Chrisi bringt dir eine Suppe, die dich stärken wird", sagte Herr Rid und verließ mit dem Arzt das Zimmer.

„Ich bin so froh, dass du lebst. Es ist eine Tragödie, was geschehen ist." Mara blickte zu ihrer Freundin. Chrisi konnte die Frage in ihren Augen erkennen.

„Dein Wohnhaus ist in die Luft geflogen. Die Feuerwehr war sofort zur Stelle. Zuerst dachten alle, dass in dem Haus vor der Explosion niemand war. Mein Vater hat die Feuerwehr verständigt und ihnen mitgeteilt, dass du voller Ruß und Verletzungen vor unserer Haustüre aufgetaucht bist. Daraus schloss die Feuerwehr, dass du dich zu dem Zeitpunkt der Explosion im Haus befunden haben musstest."

Chrisis Augen blickten traurig in die Leere. „Keiner kann sich erklären, wie du das Desaster überlebt hast. Von dem Haus ist nichts mehr als eine Ruine übrig. Das Feuer hat die umliegenden Häuser angesteckt. Doch die Feuerwehr war bereits vor Ort und konnte das Feuer schnell eindämmen. Laut ihrer Aussage wurde niemand weiteres verletzt."

Die Stimme von Chrisi wurde immer panischer und in ihren Augen sammelten sich Tränen.

Mara hustete. „Mir geht es gut. Danke, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast. Ich verspreche dir, mich schnell zu erholen."

Chrisi nickte. „Ich werde dir eine Suppe holen." Ihre Freundin drehte sich um und verließ den Raum.

In Mara breitete sich das Gefühl von Unbehagen aus. Das was sie gehört hatte, wollte noch nicht so recht in ihren Kopf. Sie realisierte noch nicht, dass ihr Zuhause für immer zerstört war. Zu müde, um sich weiter den Kopf zu zerbrechen, schloss Mara die Augen und fiel in einen traumlosen Schlaf.

Als Mara erwachte, stand die Sonne im Zenit. Der ganze Himmel färbte sich Rot. Beim Umblicken im Raum stellte sie fest, dass sie allein war.

Neben ihrem Bett stand eine kleine Schüssel auf einem Tisch. An dem Tisch lehnte eine Notiz ihrer Freundin: >Die Suppe schmeckt auch kalt. Chrisi< Ein Lächeln umspielte Maras Lippen.

Vorsichtig richtete sie sich auf. Bei der Aufwärtsbewegung durchfuhr sie ein stechender Schmerz im Brustkorb. Stöhnend biss sie ihre Zähne zusammen und wartete, bis der Schmerz verebbte. Anschließend setzte sie sich langsam an die Bettkante. Maras Herz raste und Schweiß trat auf ihre Stirn.

Mit der rechten Hand wollte Mara nach dem Löffel, der in der Schüssel lag, greifen. Verwirrt blickte sie auf einen weißen Verband. Erst da fiel ihr wieder ein, dass ihre Hand durch den Sturz ebenfalls verletzt wurde.

Seufzend nahm sie den Löffel mit der linken Hand auf und führte diesen zu ihren Lippen.

Du bist wach!", erklang eine fremde Stimme. Mara blickte sich im Raum um, konnte aber niemanden erkennen. Verwirrt vernahm Mara ein leises Kichern.

Entschuldigung, wir sehen uns sicher bald." Die Stimme verebbte und es wurde wieder still im Raum. Mara begann über das Urteil des Arztes zu zweifeln. Vermutlich hatte sie doch eine Gehirnerschütterung erlitten, wenn sie schon Stimmen hörte, die nicht da waren.

Sie strich sich eine brünette Strähne aus dem Gesicht und aß ihre Suppe. Diese schmeckte fantastisch. Nach dem Essen legte sich Mara zurück in ihr Bett. Alle Glieder schmerzten und an Aufstehen konnte sie noch nicht denken. Mit einer Hand deckte sie sich unbeholfen zu und schloss die Augen.

Mara wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Chrisi an die Tür klopfte und anschließend eintrat. Die Braunhaarige bedankte sich bei ihrer Freundin für die Suppe.

Ihre Freundin hatte das lange, glatte Haar zu einem Zopf nach hinten gebunden. Eine schwarze Strähne hatte sich allerdings aus dem Zopf gelöst und hing seitlich an ihrem Gesicht herunter.

„Es freut mich, dass dir die Suppe geschmeckt hat." Chrisi trat zu ihrem Bett. „Wie geht es dir?"

„Ich würde sagen, mir geht es nicht sonderlich gut. Das Wichtigste ist aber, dass ich lebe."

Chrisi nickte ihr zustimmend zu. „Da gebe ich dir recht. Lass uns über den Unfall vorerst nicht reden. Die Polizei wird bald auf dich zukommen und um eine Stellungnahme bitten. Du warst die einzige Person am Unfallgeschehen." Verständlich nickte Mara ihr zu.

„Wie geht es dem kleinen Geschöpf?", wollte sie stattdessen von ihrer Freundin wissen.

Ein Lächeln stahl sich auf Chrisis Lippen. „Dem Wesen geht es gut. Wenn du willst, bringe ich dich hin und du kannst dir selbst ein Bild von seinem Gesundheitszustand machen."

Mara nahm das Angebot gern an und richtete sich vorsichtig auf. Erneut kam der Schmerz in ihrer Brust zurück. Mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihr, sich aufzurichten.

„Hast du so ein Wesen schon einmal gesehen?", fragte Mara neugierig.

Chrisi schüttelte ihren Kopf. „Um ehrlich zu sein, habe ich so ein Wesen noch nie gesehen. Mein Vater hat schon viele Tiere behandelt. Aber was heißt das schon? Wir leben in einer Stadt, wo es kaum Wesen gibt."

Mara stimmte insgeheim ihrer Freundin zu. Chrisi wollte einen Rollstuhl holen, den Mara dankend ablehnte. Solange sie auf zwei Beinen stehen konnte, wollte sie keine zusätzliche Hilfe. Dennoch nahm sie die helfende Hand von Chrisi dankbar an und erhob sich aus dem Bett. Ihre Beine waren wacklig und unsicher. Mit einem vorsichtigen Schritt nach vorne testete sie ihr Können. Zufrieden, dass ihre Beine nicht nachgaben, traten sie gemeinsam aus dem Zimmer in den dahinterliegenden Gang. 

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