Heimliches Treffen

Eine dicke Schicht aus Wolken zog über den Himmel und tränkte ihn in ein dunkles Grau. Ein wenig beruhigt, nicht durch das Sonnenlicht leicht zu erkennen zu sein, zwängte sich Shadow aus dem schmalen Loch in der Wand des Kämpferbaus. Zuerst bewegte er sich vorsichtig voran, doch je mehr das Schnarchen verklang, umso schneller wurde er.

Bei Tag sah der Düsterwald nicht viel anders aus. Die kleinen Strahlen, die sich durch die Wolkendecke zwängten, konnten die Schatten der Bäume nicht vertreiben. Während der schwarze Kater immer weiter lief, verschwand auch allmählich die Müdigkeit aus seinen Knochen. Dazu trommelte sein Herz wie verrückt in seiner Brust und mit jedem Schritt näherte er sich dem vereinbarten Ort.

Es war zum Glück einfach gewesen, Nachtigall zu einem Treffen mit Joel zu überreden. Zwar war sie nicht begeistert gewesen, als er ihr von seinem Plan erzählte, Joel alles zu beichten, aber letztendlich hatte sie eingesehen, dass er es früher oder später nicht mehr ertragen würde, zu schweigen. Doch nun fragte Shadow sich, ob es wirklich so eine gute Idee war. Eine Patrouille könnte uns erwischen. Jemand könnte unsere Gerüche gemeinsam auf unserem Territorium erkennen. Was soll ich meinem Stamm dann sagen? Panik übernahm die Kontrolle über seine Bewegungen und er wurde immer schneller, bis er zwischen den Bäumen hindurchrannte und aufpassen musste, nicht zu fallen.

Die Brücke war nicht mehr weit. Vermutlich wartete Joel bereits und seine Geruchsspur wäre schon bald durch den gesamten Düsterwald geweht, bis hin zu Fuchs und Kralle, die es dann Düster berichten würden und...Shadow nahm einen tiefen Atemzug, nur um die Luft scharf durch seine Zähne auszustoßen. Jetzt gibt es ohnehin kein Zurück mehr.

Als der Fluss in Sichtweite kam, wurden Shadows Schritte langsamer, doch sein Herz pumpte noch immer im rasenden Tempo das Blut durch seinen Körper. Vorsichtig näherte der Kämpfer sich dem Ende des Waldes und spähte hinter den Bäumen hervor, konnte jedoch niemanden sehen. Er sog die Luft ein. Nichts. Er war der Erste.

Hatte Joel ihn vergessen? Oder waren ihm ebenfalls Zweifel gekommen und er hatte beschlossen, umzukehren? Soll ich dann auch einfach zurück zum Lager laufen? Noch ist es nicht zu spät, einen dämlichen Fehler zu vermeiden.

Doch ehe Shadow dem Drang seiner Angst nachgeben konnte, regte sich etwas in seinem Blickwinkel. Instinktiv ließ er sich zu Boden fallen, sein Körper war fest an die gefrorene Erde gepresst. Wer war das? Joel? Oder eine Patrouille? Bei der Nacht, bitte mach, dass sie mich nicht gesehen haben!

Regungslos verharrte Shadow in seiner Position, traute sich nicht, aufzusehen. Schritte ertönten und sein Herz setzte einen Schlag aus. Er horchte. Wieder Schritte. Sie bewegten sich auf ihn zu. Shadow spannte seine Muskeln an, bereit, davonzulaufen. Oder zu kämpfen...Doch plötzlich änderten die Schritte ihre Richtung. Sie wurden leiser und Shadow wollte erleichtert ausatmen, als auf einmal eine Stimme miaute: "Shadow?"

Der Kater erstarrte.

"Shadow?" Noch einmal. "Bist du da?"

War das Joel? Er musste es sein, wer sonst könnte von ihm wissen. Und wenn er mich doch verraten hat? Wenn hinter ihm eine ganze Patrouille wartet? Shadows Schnauze zitterte, als er die Luft nach einem Geruch prüfte. Der Nacht sei Dank hatte er diesen Teil seiner Lehrlingsausbildung nicht übersprungen. Ein bekannter Duft wehte ihm entgegen und ließ ihn vermuten, dass es sich um nur eine Katze handelte. Er war allein gekommen.

Unsicher erhob Shadow sich und wollte aus seinem Versteck heraustreten, doch eine seiner Pfoten blieb an einer Wurzel hängen, sodass er mit einem überraschten Jaulen aus dem Dickicht stolperte und nur knapp sein Gleichgewicht halten konnte.

Der helle Kater sprang erschrocken auf. "Was zum...!" Er taumelte einige Schritte nach hinten, bis er wieder sicheren Halt gefunden hatte.

"Bist du wahnsinnig!" Joel japste nach Luft, als er den schwarzen Kater erkannte.

Shadow starrte auf seine Pfoten. Wie dämlich war das denn?, schimpfte er innerlich. Er wollte etwas sagen, was einer guten Erklärung nahekommen könnte, doch ihm war, als hätte er verlernt, zu sprechen. Joels Blick brannte sich wie ein Feuer in sein Fell und war ihm bei der Suche nach den richtigen Worten keine Hilfe.

Der Lehrling seufzte. "Dieser Ort weckt Erinnerungen, nicht wahr?", lenkte er von dem peinlichen Beginn ihres Treffens ab.

Shadow atmete erleichtert auf und nickte. Jetzt lag es nicht mehr an ihm, das Gespräch zu starten. "Es ist schon etwas her", entgegnete er, während er mit seinen Augen den Fluss entlang zur Brücke schweifte. "Zum Glück warst du nicht dumm genug, wieder herzukommen." Fuchsdung! Das Blut in seinen Adern gefror, als ihm klar wurde, wie beleidigend seine Worte gewesen sein mussten.

Doch zu seiner Überraschung schnurrte Joel. "Da hast du wohl recht. Aber nun erzähl: Warum sollte ich herkommen? Diese mysteriöse Katze aus meinem Traum hat mir kein Wort verraten."

Shadow legte den Kopf schief und überlegte, wo er am besten anfangen sollte. "Der Name der Katze ist Nachtigall", hob er an. "Ich habe sie gebeten, dich zu einem Treffen zu überzeugen, um dir alles zu erklären. Immerhin schulde ich es dir."

Joels Ohren zuckten irritiert und er fragte: "Wie konnte sie mir in meinem Traum erscheinen? Gibt es ein Kraut dafür?"

"Wie soll ich dir das erklären?" Nervös trat der schwarze Kater von einer Pfote auf die andere. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, schließlich war Sonnenhoch schon vorrüber und auch Joels Verschwinden würde nicht für immer von seinem Stamm unbemerkt bleiben. "In dieser Nacht, als du...und als ich...Es ging um..." Er knurrte frustriert.

"Es ist alles gut." Joel trat vor und wollte ihn mit der Schnauze anstupsen, zögerte jedoch. "Erzähl es mir einfach, ich werde es schon verstehen."

Shadow sah auf. Der helle Kater stand keine Schwanzbreite vor ihm und blinzelte ihm aufmunternd zu. Eine Woge der Wärme strömte über ihn hinweg, vermischt mit Nervosität und Neugier. Joel wollte die Wahrheit wissen.

Shadow atmete tief ein und seufzte. "Ich besitze eine Macht, die es mir erlaubt, die Gefühle einfach jeder Katze zu erkennen und selbst zu spüren. Eine tote Katze namens Kralle wollte diese Macht für sich haben, also hat sie mich in meinen Träumen trainiert. Obwohl, tot kann man sie nicht nennen. Nur jetzt, wo Nachtigall sie endgültig getötet hat. Aber..." Er holte Luft. Ich komme vom Thema ab. "Jedenfalls hat Kralle eine Katze meines Stammes darauf angesetzt, meine Mutter zu töten, um mich zu zwingen, weiterhin ihr Schüler zu sein. Diese Katze hast du getötet und mir damit vermutlich das Leben gerettet."

Es schienen Monde zu vergehen, in denen Shadow und Joel sich einfach nur schweigend gegenüber standen. Warum sagt er nichts?

"Sei mir nicht böse, aber dass Igel fliegen könnten, wäre leichter zu glauben", miaute Joel vorsichtig. "Eine Macht? Tote Katzen?"

Verzweifelt schüttelte Shadow den Kopf und suchte nach einem Weg, Joel zu überzeugen, dass er die Wahrheit sagte. "Du musst mir glauben! Wie sonst würdest du dir deinen Traum erklären?"

Joel zuckte mit den Schultern. "Eure Heilkünste sich fortgeschrittener als unsere."

"Und den Kater, den du getötet hast?"

Diese Worte brachten Joel zum Nachdenken und Shadow sah ihm an, dass er darauf keine Antwort parat hatte. "Siehst du?", entgegnete er schließlich. "Ich habe..."

"Er muss den Verstand verloren haben", unterbrach Joel ihn. "Das ist auch einer Kätzin meines Stammes passiert, bis sie nicht mehr wusste, wer sie war oder was sie tat."

Shadow stöhnte frustriert auf und suchte nach einer weiteren Möglichkeit, den hellen Kater von der Wahrheit zu überzeugen. So stand er wie ein dummes Junges da. Er ist der Einzige, mit dem ich reden darf. Er muss mir einfach glauben! "Und..." Er brach ab. "Was ist mit der Kätzin, die ich getötet habe? Ist sie auch eine meiner Fantasien?"

Joel blinzelte überrascht. "Du hast...Du hast diese Kätzin getötet?"

Er wusste es nicht. Shadow wich dem Blick des Katers aus und sah zu Boden. Er wusste es nicht. Die Trauer kroch aus ihrem Versteck in seiner Brust hervor und klammerte sich wie Klauen im sein Herz. Doch das würde er nun für immer bleiben: der Mörder seiner Schwester.

Shadows Schweigen war Joel genug als Antwort. Er versuchte, Fassung zu wahren, doch der Kämpfer spürte sein Entsetzen.

"Wieso hast du das getan?"

Jetzt konnte Shadow es auch hören. Dieser Unglaube. Dieser Schreck. Diese Angst.

"Es war ein Unfall", flüsterte er und hasste sich dafür, wie er sich mit diesen einfachen Worten aus der Verantwortung zog.

"Ein Unfall?"

Shadow schwieg. War es das? Ich wollte Sichel immerhin töten, aber doch nicht Mond!

"Aber wieso war sie da? Wieso warst du da? Und dieser Kater? Dazu sterben zufällig zwei von euch und eine geisterhafte Kätzin schickt mich zu dir. Das ergibt doch keinen Sinn!" Die Worte strömten nur so aus Joel heraus und mit jedem weiteren Satz wurden seine blauen Augen größer und größer. "Kann es sein...Kann es sein, dass du die Wahrheit sagst?"

Shadow spitzte die Ohren. Überrascht sah er zu dem hellen Kater auf, der einen Schritt zurücktrat. Er glaubt mir! Eine Woge aus Erleichterung und Dankbarkeit durchströmte den Kämpfer. "Ja! Das tue ich!", rief er und vergaß für einen Moment, dass er besser leise sein sollte.

"Also kannst du wirklich die Gefühle anderer Katzen erkennen?" Joel schüttelte immer noch ungläubig den Kopf, doch Shadow sah ihm an, dass es keine weiteren Worte mehr zur Überzeugung brauchte.

"Ich gebe zu, es klingt verrückt", erwiderte er. "Aber das kann ich. Sie nennen mich Wächter, scheinbar gab es diese Macht schon vor ewiger Zeit."

Joel legte den Kopf schief. "Sie?"

Shadow warf den Kopf in den Nacken. Wie sollte er ihm das erklären? Wenn es ihm schwer gefallen war, den ersten Teil der Geschichte zu verstehen, was würde er dann zu einer Welt von Geistern sagen? "Schon gut.", Joel schnurrte. "Lassen wir uns etwas für das nächste Mal."

Der schwarze Kater erstarrte. Das nächste Mal? Meint er das Ernst? "Du..."

"Das war nur eine Idee", miaute Joel rasch. "Wir müssen auch nicht..."

"Doch!" Seine Antwort war lauter, als Shadow geplant hatte. "Gern", fügte er etwas leiser hinzu und trat von einer Pfote auf die andere.

Auf Joels Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. "Drei Nächte vor dem nächsten Neumond?"

"Sonnenhoch?"

"Abgemacht!"

Shadow nickte, als sein Blick am Himmel hängen blieb, durch dessen Grau langsam in ein zartes Rosa hindurchstach. Panik überkam ihn. "Es ist bald Sonnenuntergang! Dein Stamm hat dein Verschwinden sicherlich schon bemerkt!"

Auch Joels Ruhe hielt nicht länger an. "Dann sollte ich mich lieber auf den Weg machen", pflichtete er Shadow bei und wandte sich zum Gehen, zögerte allerdings. "Eine Frage habe ich noch." Shadow sah ihn erwartungsvoll an. "Wie war sein Name?"

"Von wem sprichst du?", fragte der schwarze Kater irritiert und zuckte unruhig mit der Schwanzspitze.

"Der Kater, den ich getötet habe." Joel machte eine Pause. "Wie war sein Name?"

Shadows Herz setzte einen Moment aus. Er hatte nie daran gedacht, wie es für Joel war, eine vollkommen fremde Katze zu töten. Nicht zu wissen, wem man das Leben mit nur einem Schlag genommen hatte. "Sichel."

"Sichel", wiederholte Joel und sah zu Boden. Seine Stimme war so dünn, dass sie beinahe der Wind davontrug. Ob er etwas sagen sollte, wusste Shadow nicht. Er glaubte auch nicht, damit helfen zu können.

Nach wenigen Herzschlägen des Schweigens richtete Joel seinen Blick schließlich wieder auf Shadow und mit einem schwachen Lächeln und geflüsterten "Auf Wiedersehen" bewegte er sich in Richtung Bach. Mit wenigen Schritten war er an der Brücke angekommen. Dort prüfte er noch einmal die Luft, ehe er in den Schatten der Bäume verschwand.

Shadow sah ihm noch kurz hinterher, dann tauchte auch er in die Dunkelheit des Düsterwaldes ein. "Auf Wiedersehen."

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