Chapter 6

Wie erstarrt kniee ich da, bis ich merke, wie die Limousine anhält und schließlich die Tür aufgeht.

„Los rauskommen! Ihr vier, haltet sie fest und bringt sie in mein Büro!“ Der reiche Mann winkt ein paar Bedienstete heran, die mich und Finja etwas ungeschickt aus dem Auto zerren.

„Bitte hier entlang“, fügt der eine noch hinzu, doch verstummt, als er Finjas komischen Gesichtsausdruck sieht.

Das gibt es doch nicht! Das Dach ist ja völlig ruiniert!“, höre ich die Stimme von dem reichen Mann, und als ich einen Blick zurück werfe sehe ich tiefe Kratzer im schwarzen Lack.

Die Villa ist riesig. Schneeweiß ragt sie zwischen den Bäumen hervor und ich komme vor lauter staunen gar nicht mehr dazu, mich zu wehren, als wir den ordentlich gepflegten Kiesweg hochgebracht werden.

Das eher schlichte Eingangsportal wird von zwei Bediensteten in schwarzen Fracks aufgehalten und wir betreten eine gigantische Eingangshalle. Hoch über uns, schwebt ein Kronleuchter. Mit leuchtenden Augen sehe ich mich um und entdecke, wie Finja heimlich nach einem Kerzenständer greift, jedoch schnell wieder die Finger wegzieht, als einer der Leute sie tadelnd ansieht.

„Kommt schon!“ Der reiche Mann eilt voraus, und wir werden hinterher geschoben. Immer wieder will ich stehen bleiben, um mir etwas genauer anzusehen, werde jedoch sofort weiter gedrückt. Ich bin noch nie in einem solchen Haus gewesen und werde geradezu erschlagen von der Vielfalt und Größe.

Das Büro hat zum Glück eine angenehme Größe, auch wenn es so groß ist wie unser Wohnzimmer zu Hause.

Doch bevor ich mich zu stark an zuhause erinnern kann, räuspert sich der Mann, klatscht in die Hände und lenkt so meine Aufmerksamkeit auf ihn. Auch Finja hebt den Kopf und starrt ihn feindselig an.

„Willkommen!“ Er breitet die Arme aus und lächelt, doch bei ihm ist es eher ein Mundverziehen, als ein Lächeln.

Er sieht wie jemand aus, der die Übung verloren hat. Misstrauisch sehe ich ihn an.

„Ihr habt euch bestimmt schon gefragt, warum ich euch adoptiert habe.“

Wohl eher gekauft, denke ich und verschränke die Arme vor der Brust.

„Aber bevor ich euch die Antwort gebe, will ich etwas wissen. Elizabeth?“ Ich zucke bei dem Klang meines Namen zusammen und schiebe die Unterlippe etwas vor.

„Wer waren die beiden Leute, die uns verfolgt haben?“ Seine Stimme ist leise und höflich, doch dahinter lauert etwas gefährliches.

Einen Moment überlege ich, ob ich ihm die Wahrheit sagen soll, dann fauche ich: „Meine Familie! Und sie wird mich hier rausholen!“

Sein Mund verzieht sich wieder. „Deine Familie? Du hast keine Familie, ich bin jetzt deine Familie!“

Wir starren uns an, beide Blicke eiskalt.

„Und jetzt zu eurer Antwort“, fährt er fort und ignoriert mein wütendes Gesicht einfach.

„Ab heute seid ihr meine Kinder! Elizabeth und Finja. Wie reizend.“ Plötzlich rümpft ihr die Nase. „Das ist mir ja noch gar nicht aufgefallen. Die beiden riechen ja … unangenehm. Gebt ihnen frische Kleider und lasst sie duschen.“ Er hält sich eine Hand vor den Mund.

Jetzt reicht’s! Wütend springe ich auf ihn zu und will ihm gerade die Nase brechen, als ich von zwei Bediensteten zurück gehalten werde, die mich an meinen Armen zurück ziehen.

Doch das hält mich nicht davon ab, ihm einen Schwall Beschimpfungen an den Kopf zu werfen.

„Sie arrogantes Arschloch, Sie haben doch keine Ahnung! Sie sind babarisch, dass Sie mich nicht zu meiner Familie zurücklassen! Und dafür, dass wir schlecht riechen können wir nun wirklich nichts! Beschweren Sie sich doch bei diesem blöden Heim! Denken Sie allen Ernstes, die lassen einen da Duschen? Das kostet doch Geld! Sie, hey, lassen Sie mich los, Finger weg! Warten Sie, ich bin noch nicht mit ihnen fertig …“, doch da haben mich die beiden schon aus dem Raum gezerrt.

Mein Fluchen und Zetern hilft gar nichts, ich werde nach links, und Finja nach rechts geschleppt. Ich habe keine Ahnung, welchen Weg die beiden Bediensteten nehmen, schließlich bleiben sie stehen, öffnen eine Tür und drücken mich in ein Badezimmer.

Ein weiterer kommt angerannt und drückt mir einen Stapel Wäsche in die Hand.

Bevor ich den Mund aufmachen kann wird die Tür vor meiner Nase zugeknallt und abgeschlossen.

„Wenn Sie fertig sind klopfen Sie bitte“, sagt der eine von draußen.

„heißt das, sie stehen jetzt die ganze Zeit vor der Tür?“, brülle ich zurück, ohne mich ein Stück bewegt zu haben.

„Ja, tut mir leid, aber so lautet meine Anweisung.“

„Ich sch… stellen Sie sich auf die andere Seite des Ganges, sonst kommt noch einer auf den Gedanken, dass Sie spannen!“

„Aber nein, ich würde nie. Klar, mach ich.“

Ich höre Schritte die sich etwas entfernen und drehe mich grimmig um. Das Badezimmer ist komplett gefliest, es gibt eine Toilette und eine große Dusche. Und ein sehr seltsam aussehendes Waschbecken. Alles in allem ein sehr ordentlich eingerichteter Raum.

Seufzend betrachte ich die Wäsche, die ich immer noch in der Hand halte. Es ist ein hellblaues Kleid mit einem leicht buschigen Kragen und Rüschen. Ich atme tief ein und starre das Ding an.

Es sieht etwas länger aus, doch ich  habe keine Ahnung, bis wohin es mir gehen wird. Dazu habe ich noch ein paar hautfarbene Socken und Ballerinas bekommen. Ich kann schon fast Nicos spöttischen Kommentar hören, wenn er mich mit dem Zeug sehen würde. „Wunderhübsches Kleid, Süße! Und besonders die Rüschen sind der Renner!“

Ich knirsche mit den Zähnen und spüre ein Ziehen in der Brust, als ich mir seine Stimme vorstelle.

„Hey, Sie! Was sind das für Sachen?“, rufe ich durch die Tür durch.

„Ihre zukünftige Garderobe. Ist etwas damit nicht in Ordnung?“, kommt es besorgt zurück.

„Alles ist damit nicht in Ordnung! Ich ziehe nie im Leben dieses Kleid an!“

„Es tut mir leid …“

„Und hören Sie auf, sich dauernd zu entschuldigen, davon wird man ja ganz wirr im Kopf. Ich behalte meine Alten Sachen einfach an.“

„Das geht nicht, sonst muss ich Sie zwingen.“ Ich höre wieder Schritte.

„Ok, ok! Bleiben Sie ja wo sie sind! Ich ziehe es halt an.“ Kochend vor Wut schmeiße ich die Sachen auf den Boden. Obwohl das Badezimmer keine Fenster hat, fühle ich mich merkwürdig hier drin. Unruhig sehe ich mich noch mal um, dann streife ich meinen Pullover ab.

In dem Moment höre ich jemanden den Gang lang rennen und direkt vor der Tür einen wütenden Aufschrei.

„Lass mich los!“ Das ist Finjas Stimme.

„Vielen Dank!“ Die Person ist ganz schön außer Atem. „Aber sie ist einfach weggerannt.“

„Ich ziehe das nicht an, darin kann man doch gar nicht laufen, geschweige denn rennen!“

Ich muss schmunzel, also bin ich nicht die einzige, die das Zeug nicht anziehen will.

Nach einem kurzen Tumult mit mehreren Schreien, die allerdings alle von männlichen Personen kommen, wird es wieder still.

Als ich mich wieder umdrehe, sehe ich mich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Mein Gesicht ist wirklich dreckig, ich sehe müde und erschöpft aus. Der Großteil meiner blonden Haare hat sich aus dem Zopf gelöst und ich rieche tatsächlich etwas unangenehm. In dem ganzen Durcheinander der letzen zwei Tage ist mir das gar nicht aufgefallen.

Ich gebe mir einen Ruck, schlüpfe so schnell ich kann aus meinen Sachen und kletter in die Dusche.

Das Wasser ist sofort angenehm warm, bei mir zuhause hat es immer eine Weile gedauert. Meine Gedanken driften ab und das Wasser ist nicht mehr angenehm auf der Haut. Jeder Wassertropfen scheint mich daran zu erinnern, dass ich hier nicht zuhause bin. Das alles abgrundtief falsch ist, und ich niemanden habe, dem ich vertrauen kann. Ich muss an Finja denken. Sie scheint mich nicht sonderlich zu mögen, zumindestens hat sie bisher nicht mit mir geredet. Ich erinner mich an ihren Blick im Auto und bin mir sicher, dass Hass in ihren Augen gewesen war.

Ein leises Seufzen kommt aus meiner Brust und ich sehe mich nach Schampoos um. Es stehen sechs zur Auswahl, also schnupper ich an jedem und entscheide mich schließlich das zwischen Rose und was unidentifizierbarem zu nehmen: Es riecht gut, ein wenig nach Sommer. Aber auch das kann meine trüben Gedanken nicht verscheuchen.

Ich beeile mich mit dem Duschen und obwohl ich noch meine Haare wasche bin ich schneller als sonst, das Duschen gibt mir einfach viel zu viel Zeit um nachzudenken, und genau das ist es, was ich nicht will. Wenn ich keine Zeit habe, kann ich mich auch nicht allzu schmerzhaft an zuhause erinnern.

Schließlich hüpfe ich aus der Dusche, trockne mich ab und ziehe die neuen Sachen an. Der Spiegel ist leicht beschlagen, trotzdem kann ich mich in ihm noch recht gut sehen.

Das Kleid steht mir besser, als ich gedacht habe, es reicht mir knapp über die Knie, doch die dunklen Gangstersachen sind mir lieber. Dieses Ding ist einfach so ungewohnt luftig, zum Glück hat es noch dreiviertel lange Ärmel, wo unten Rüschen dran sind. Ich seufze wieder.

Erst jetzt entdecke ich die Schramme über meiner linken Augenbraue. Etwas unbeholfen stehe ich da, dann suche ich einen Fön und trockne meine Haare. Schließlich mache ich mir wieder den Zopf, nur mein Pony hängt noch draußen. Zufrieden drehe ich mich um, schüttel ein bisschen den Kopf, damit meine Haare verwuschelter sind und klopfe an die Tür.

Sofort sind wieder die Schritte zu hören und die Tür wird aufgeschlossen.

„Sie sehen wundervoll aus“, sagt der Bedienstete, doch ich verschränke nur die Arme vor der Brust.

„Werden Sie auch für die Komplimente bezahlt?“, frage ich leicht unwirsch.

Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht, doch verschwindet wieder ziemlich schnell.

„Ich bringe Sie in den Übungsraum, Elizabeth.“ Er gibt einem anderen meine alten Sachen, der damit sofort davon eilt.

„He, bekomme ich die wieder?“, frage ich entsetzt und will dem Mann schon hinter her laufen, als ich festgehalten werde.

„Die dreckigen Dinger? Du hast doch jetzt neue Sachen?“, gibt er verwundert zurück. Mir wird kalt.

„Ich will die Sachen zurück, verstehen Sie?“ Meine Stimme zittert. Das sind die letzen Sachen, die mich mit Nico und Mate verbinden. Meinem Zuhause. Doch der Mann sieht mich nur verständnislos an. Der andere biegt um eine Ecke und ich erhasche einen letzen Blick auf den Pullover. Meine Beine drohen unter mir nachzugeben. Nicos Pullover! Ich renne los, doch komme nur ein paar Schritte weit, dann hat mich der Bedienstete wieder erwischt und zieht mich zurück.

„Lassen … ich, lassen sie mir wenigstens den Pullover!“

„Beruhigen Sie sich.“ Besorgt sieht er mich an. „ich weiß, dass das hier …“ Er hält inne und sieht sich um. „Lass es schnell hinter dir und vergiss alles. Das ist das einfachste.“ Seine Stimme ist todernst.

„Und jetzt kommen Sie bitte mit zum Übungsraum, Elizabeth.“ Er nimmt mich an der Hand und zieht mich hinter sich her. Einen Moment stolper ich mehr, als das ich ihm folge, dann laufe ich neben ihm.

„Welchen Übungsraum? Für was denn, und ich heiße Liz, einfach nur Liz! Ok?“ ich atme tief durch und versuche mich zu beruhigen, verdränge einfach die Gedanken an Nico und Mate, um es besser ertragen zu können.

Er nickt. „Ihr Training, damit ihr auch wirklich als seine Töchter durchgeht.“

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