Chapter 40

In dem Moment werde ich gepackt und zucke zusammen. Verdammt, den Typen habe ich völlig vergessen.

Keine Sekunde später fliegt die große Tür zum Speisesaal, mit einem gewaltigen Rums auf und alle im Raum drehen sich zu ihr um.

Ich verrenke meinen Hals, um ebenfalls sehen zu können, wer hereingeplatzt ist und fange an zu strahlen:

Finja steht mit einer schwarzen etwas zu großen Hose, die stark nach Bedienstetenuniform aussieht und darüber einem schwarzen Pullover, der mich irgendwie an Mate erinnert mit ihrer Krücke bewaffnet dort und lässt ihren finsteren Blick über die Versammelten schweifen.

Doch der Grund, dass mein Herz plötzlich doppelt so schnell schlägt vor Freude ist der groß gewachsene Mann mit den dunklen zerzaust aussehenden Haaren und dem grimmigen Lächeln im Gesicht, der neben ihr steht. Mate!

„Lassen Sie sofort meine Tochter los!“, sagt Mate laut und deutlich und kommt auf uns zu.

„Ah, Ihre Tochter. Bis gerade eben war sie noch seine“, bemerkt der ältere Mann und deutet auf Herr Moralez.

Doch Mate ignoriert ihn einfach, haut dem Typen, der mich festhält auf die Finger, worauf der überrascht loslässt.

Ich umarme Mate ganz fest und er schlingt ebenfalls seine Arme um mich.

Finja taucht neben uns auf, auf die Krücke gestützt und sehr grimmig aussehend.

„Da wäre dann auch die kranke zweite Tochter“, bemerkt der Mann mit der blutroten Krawatte spöttisch.

„Wie hast du es geschafft abzuhauen?“, frage ich Finja verblüfft.

„Die Idioten wollten mir Vitamine geben. Leider habe ich kein V auf bei dem Namen finden können und habe sie mit ihren Vitaminen gefüttert“, grinst sie stolz. Ich muss ebenfalls lächeln.

„Ich störe das tolle Wiedersehen ja nur ungern“, wirft einer der Typen ein. „Doch eigentlich würden wir gerne weitermachen!“

„Ergreift Sie!“, brüllt Moralez seinen Angestellten zu, die sich sofort auf die Männer stürzen und versuchen sie am Aufstehen zu hindern, was jedoch gründlich in die Hose geht.

Schützend zieht mich Mate zurück, damit ich nicht einfach umgerannt werde, als plötzlich ein vernehmliches Klopfen zu hören ist.

Wieder drehen alle ihren Kopf zu der Tür um, halten im Kampf inne, und ich habe das Gefühl, dass mein Herz aufhört, zu schlagen, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuhämmern.

„Wo ist dieser Mistkerl?“, fragt Nico mit einer Grabesstimme, sein Blick bleibt an Herr Moralez hängen und ein rachsüchtiges Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.

„Und wer ist das bitte?“, fragt der ältere Mann genervt und macht eine wegwerfende Handbewegung in Nicos Richtung.

„Mein Freund!“, fauche ich und werde sofort rot, als ich merke, was ich da eigentlich gerade gesagt habe.

Für einen paar Sekunden starren der Mann und ich uns über den Tisch hinweg an, dann fängt er an, kalt zu lächeln.

„Da wir dann hoffentlich alle versammelt sind, können wir ja fortfahren.“

„Schnappt sie euch!“

„Denkt daran, wir brauchen Moralez lebend!“

„Auf sie!“

„Kämpft ihr Weicheier!“, zetert Herr Moralez.

Es herrscht ein Durcheinander aus lauten Stimmen und Schreien, als sich die zwölf Typen auf Herr Moralez stürzen, der jedoch von seinen Bediensteten tapfer verteidigt wird.

„Wenn ich diesen Kotzbrocken erwische.“ Mit wirren Haaren taucht Nico neben uns auf. Sein T-Shirt ist dunkler und sieht irgendwie nach Blut aus.

„Schön dich wiederzusehen, Süße!“ Er haucht mir einen Kuss auf die Haare, krempelt sich die Ärmel doch und stürzt sich ins Gewühl.

Plötzlich werde ich am Arm gepackt und von Mate weggezogen. Ein leiser Schrei entweicht mir, als ich grob herumgerissen werde und einem von Moralez Angestellten gegenüberstehe.

„Wagen Sie es ja nicht!“, fauche ich, als er mit der Hand ausholt, greife blitzschnell nach einer Gabel auf dem Tisch und steche ihm in die Hand.

Fluchend lässt er mich los, ich weiche zurück und falle über zwei am Boden kämpfende Leute.

Mit einem unangenehmen Geräusch lande ich auf dem Parkett und will mich gerade wieder aufrappeln, als ich am rechten Bein zurückgezogen werde.

„Wo willst du denn so schnell hin?“, fragt mich jemand, ich habe keine Ahnung, ob es einer der Gangster oder einer der Angestellten ist. Überall sind kämpfende Leute und es herrscht ein heilloses Durcheinander.

Bevor ich mich wehren oder protestieren kann bekommt er eine Krücke ins Kreuz gerammt.

„Lass sie gefälligst los“, herrscht Finja ihn an und zieht mich wieder auf die Beine.

„Danke“, lächel ich.

„Kein Ding, aber jetzt sollten wir deinen Freunden helfen“, bemerkt sie und deutet mit ihrer Krücke auf Nico und Mate.

Nico liegt halb auf dem Tisch und kämpft mit oder gegen ein paar Leute, so genau kann ich das nicht erkennen, auf jeden Fall befindet sich in dem Knäul aus Fäusten, Armen und Köpfen auch irgendwo Herr Moralez.

Mate dagegen bewirft gerade zwei von den Angestellten mit Souvenirs, die er aus einer Vitrine hinter sich geklaut hat.

Ich habe das Gefühl, das er dringender Hilfe benötigt.

Vorsichtig pirsche ich mich von hinten an die Zwei heran, bedacht möglichst immer direkt hinter ihnen zu bleiben, damit sie mich auf keinen Fall entdecken können.

Plötzlich saust ein Messer an mir vorbei und bohrt sich neben dem Bein des einen in den Boden. Gerade noch rechtzeitig kann ich stehen bleiben und starre mit weit aufgerissenen Augen auf das noch leicht wackelnde Ding.

Sofort wirbelt einer der beiden herum, sieht mich und verpasst mir bevor ich die Hände hochreißen kann einen ordentlichen Kinnhaken.

Fluchend taumel ich ein Stück zurück, bleibe jedoch auf den Beinen.

„Na warte!“ Knurrend stürze ich mich auf ihn, trete ihm vors Schienbein und als er vor Schmerz leicht in die Knie geht schubse ich ihn um.

„Super!“ Mate taucht mit wild aussehenden Haaren neben mir aus und fängt plötzlich an leise zu lachen. Erstaunt folge ich seinem Blick und entdecke den Mann mit der blutroten

Krawatte, der um den Tisch herumflüchtet, Finja mit wild schwingender Krücke ist ihm dicht auf den Fersen.

„Lass uns Leute unschädlich machen“, grinse ich und Mate wuschelt mir über die Haare.

„Bis gleich.“ Und damit verschwindet er zu einem der kämpfenden Haufen. Ich sehe mich um und beschließe Finja ein wenig zu helfen.

Nach einem weiteren Blick in ihre Richtung bestätigt sich mein Beschluss. Mittlerweile hat sie dringend Hilfe nötig: Der Mann hat sich eine riesige Fleischgabel und das dazugehörende Messer geschnappt und ist zum Angriff übergegangen.

Sofort sprinte ich los, weiche zwei kämpfenden Leuten aus, springe auf einen Stuhl und von da aus auf den Tisch.

Für einen kurzen Moment schwanke ich leicht, weil ich auf einmal so hoch bin, dann renne ich weiter, möglichst bemüht nicht auf Teller oder in Schüssel zu treten.

Im Rennen schnappe ich mir eine Glaskanne mit Wasser und springe mit einem riesigen Satz auf der anderen Seite wieder hinunter. Etwas Wasser schwappt auf meine Finger, doch ich beachte es gar nicht, erreiche den Typen mit der roten Krawatte und kippe das kalte Wasser auf ihn.

Mit einem Schrei fährt er herum und sticht mit seinem Messer zu, was Gott sei Dank an der Glaskanne abrutscht.

Eine Sekunde später bekommt er die Krücke in die Kniekehlen gerammt und geht in die Kniee.

Sofort sprinte ich zu einem der großen Fenster und reiße mit aller Kraft an dem weißen Vorhang.

Mit einem unangenehmen Geräusch reißt der Stoff und ich ziehe ihn hinter mir her, zurück zu Finja, die gerade versucht mithilfe ihrer Krücke den Mann auf dem Boden zu halten.

Ich kniee mich neben ihn und fange mit Finja an, ihn in dem Vorhang einzuwickeln.

Der Mann flucht fürchterlich, doch schafft es nicht, sich zu befreien. Triumphierend ziehe ich den Knoten noch mal schön fest und richte mich dann wieder auf.

Neben mir kommt Finja mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck ebenfalls wieder auf die Füße.

„Ha, das wäre schon mal geschafft“, grinse ich und bekomme im gleichen Augenblick einen Stoß in den Rücken.

Überrascht falle ich nach vorne und fange mich auf, doch da hat mich die Person auch schon gepackt und wieder hochgezerrt.

Wie eine schlaffe Puppe hänge ich in seinem Griff und werde auf den Tisch geschleudert.

Unsanft lande ich zwischen dem Essen, Schüsseln rutschen auseinander und eine schrammt an meiner Wange vorbei.

Ich spüre einen stechenden Schmerz, doch bevor ich mir groß darüber Gedanken machen kann, werde ich erneut geschnappt und auf der anderen Seite hinunter gestoßen.

Mit einem Schrei reiße ich die Arme hoch und glaube schon die harten Stühle unter mir zu spüren, als ich von zwei starken Armen aufgefangen werde.

„Vorsicht Süße, sonst brichst du dir noch was.“ Behutsam stellt Nico mich wieder auf meine eigenen Füße.

Ich strahle ihn an, weiß gar nicht was ich sagen soll.

Sein Lächeln wird noch breiter, als er bemerkt wie ich ihn anstarre.

„Ähm … ich bin so froh … wie hast du … Schuss“, stammel ich, doch er legt mir einen Finger auf meine Lippen. Sofort halte ich inne und versuche angestrengt nicht rot zu werden.

Dann beugt er sich das Stück zu mir herunter und drückt mir einen Kuss auf die Nasenspitze.

In dem Moment taucht jemand direkt hinter ihm auf und holt schon zum Schlag aus, doch ich bin schneller und hau ihn um.

„Gut gemacht.“ Nico streicht mir über die Haare und mein ganzer Körper ist vom Prickeln seiner Berührung erfüllt. Ich fühle mich als könnte ich jeden Moment explodieren vor Glück.

Jetzt wird doch noch alles gut.

Ich grinse bestimmt wie ein Honigkuchenpferd.

Alle schlechten Gedanken, Erinnerungen und die verlorene Hoffnung des Tages schrumpfen auf ein Nichts zusammen.

Plötzlich packt mich Nico fester, drückt mich nach unten und meine Beine nach hinten. Erschrocken klammer ich mich an seinem T-Shirt fest und spüre, wie jemand über meine Beine fällt.

Ich schüttel den Kopf und löse mich wiederstrebend von ihm.

„Hilfe!“

Entsetzt drehe ich mich um und sehe Finja, die auf dem Tisch steht, um sie herum drei von Moralez Leuten und zwei von den Gangstern.

Ich schenke Nico noch ein Lächeln, dann laufe ich los und greife nach einem Stuhl, um diesen jemand überzuziehen. Doch ich werde mitten in meiner Bewegung gestoppt und ächze leise. Der Stuhl wiegt ja Tonnen, zumindestens bekomme ich ihn kaum vom Fleck.

Dann muss eben eine andere Methode her!

Fest entschlossen schnappe ich mir eine Schüssel mit dem Schokopudding und fange an die Leute damit zu bewerfen. Die Männer reagieren verwirrt und auch etwas erschrocken und Finja ist in Nullkommanichts von dem Tisch hinunter. Schnell flüchtet sie sich zu mir.

„Danke“, japst sie und stützt sich auf ihre Krücke.

„Geht’s?“, frage ich und ducke mich, als ein Teller auf mich zufliegt.

Plötzlich trifft mich ein Stück Kuchen. Empört sehe ich mich nach dem Werfer um und entdecke den immer noch eingeschnürten Mann, der es irgendwie geschafft hat, sich aufzurichten und eine Hand aus dem Vorhang zu befreien.

„Na warte!“, brumme ich und schnappe mir die zweite Schüssel Schokopudding. In dem Moment taucht Herr Moralez in meinem Blickfeld auf. Er scheint Schwierigkeiten zu haben, zumindestens sind die Leute die ihn verteidigen deutlich weniger geworden.

Ich hole aus und werfe gleich zweimal direkt hintereinander.

Die eine Portion trifft Herr Moralez, die andere erwischt Nico. Ich zucke zurück, doch der lacht nur und patscht seine schokoverschmierte Hand einem anderen ins Gesicht, der daraufhin taumelt und über einen herumliegenden Stuhl fällt.

Generell herrscht hier eine ziemliche Unordnung: Überall liegen Stühle und Leute herum und der Tisch sieht aus, als sei ein Wirbelsturm drübergefegt.

Das Essen ist mehr auf ihm verteilt als noch in den Schüsseln oder Tellern, der ganze Tisch ist von Scherben und anderen Bruchstücken übersäht und immer wieder landet jemand mitten in dem ganzen Chaos.

Ich laufe los, um den Tisch herum, rutsche auf etwas Soße aus und knalle mit voller Wucht hinten gegen Herr Moralez.

Ich höre sein Fluchen, spüre wie er ins Wanken gerät und finde mein Gleichgewicht wieder. Es hat sich zu mir umgedreht und fixiert mich mit seinen kalten Augen.

„Da bist du ja!“, knurrt er mich an. „Das zum Thema wir hatten eine Vereinbarung!“

„Ich pfeif auf ihre Vereinbarung!“, zische ich zurück und schlage ihm mit voller Wucht vor die Brust. Das hat Nico mir gezeigt. Herr Moralez schnappt nach Luft, doch erholt sich schneller, als ich mir erhofft habe. Sofort geht er zum Angriff über: Seine Faust saust direkt auf meine Nase zu und ich kann sie gerade so noch abblocken, als auch schon die Zweite kommt und mich an der Wange streift. Wieder spüre ich den stechenden Schmerz, anscheinend hat er meine Wunde erwischt.

Ich unterdrücke einen Schrei und schlage zurück, treffe ihn erneut an derselben Stelle. Diesmal braucht er länger, um wieder richtig Luft zu bekommen, doch trotzdem schaffe ich es nicht, davor noch einmal zuzuschlagen.

„Du bist ja richtig gut, wenn du dir Mühe gibst“, bringt Moralez heraus, seine Augen sprühen geradezu Funken.

Mein Blick verfinstert sich.

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