Chapter 33
„Er ist nur woanders eingesperrt“, murmelt Nico und scheint plötzlich zu fixiert auf das Schloss zu sein. Misstrauisch sehe ich ihn an.
„Ist was passiert?“ Mein Gefühl sagt ja.
„Nein“, antwortet Nico knapp, doch ich erkenne sofort, dass er lügt.
„Nico!“
„Wirklich mach dir keine Sorgen. Es wird wieder alles gut.“
„Alles gut? Das klingt ja nach fast tot!“, rufe ich entsetzt und er zischt ärgerlich. Schnell dämpfe ich meine Stimme.
„Was ist mit Mate?“
„Er … ist ein bisschen verletzt, bitte mach dir nicht zu viele Gedanken. Das wird schon, du musstest schon genug durchmachen“, versucht er mich friedlich zu stimmen, doch seine Worte haben eine gegenteilige Wirkung auf mich.
Mit geweiteten Augen sitze ich da. Nico hört auf, ihm Schloss herumzustochern. Langsam dreht er sich zu mir um.
„Es wird alles gut. Ich verspreche es.“ Behutsam nimmt er mich in seine Arme. Ich lehne mich gegen ihn und unterdrücke ein Schluchzen. Sie haben Mate was angetan.
„Was ist genau passiert?“
„Ach Liz.“
„Sag schon!“
„Er wurde angeschossen“, murmelt Nico in meine Haare.
„Was?“ Entsetzt weiche ich ein Stück zurück, um in seine Augen sehen zu können.
„Ja. Moralez hat ihn erwischt.“ Nicos Augen sind eiskalt, bekommen aber schnell wieder Wärme. Vorsichtig streicht er mir über den Kopf.
„Wir müssen ihn suchen!“, bestimme ich und Nico lacht. Dafür wird Moralez büßen!
„Was meinst du, was ich vorhabe, nachdem ich dieses blöde Ding aufhabe.“ Er widmet sich wieder dem Schloss und ich stehe auf.
„Mhmm?“, fragt er, ohne von dem Schloss aufzublicken.
„Ich nehme die Seile mit, vielleicht können wir die noch gebrauchen“, antworte ich und wickel die ganzen Seile um meinen rechten Arm.
Sie sind ganz schön schwer, dafür kann man aber mehrere Leute damit fesseln.
„Und wir müssen Finja retten“, fällt mir ein, als ich zu ihm zurückgehe.
„Wer ist … das Mädchen, das mir dir verkauft wurde?“
Klack. Die Tür springt auf und Nico sieht sehr zufrieden aus.
„Ja.“ Ich öffne sie ganz und schaue auf den Gang. Mein Verdacht bestätigt sich: Hier bin ich nie gewesen, aber wenn wir alle Treppen nach oben gehen, sollten wir bald auf etwas bekannteres Terrain treffen. Hoffentlich.
„Los geht’s.“ Nico legt mir einen Arm um die Schulter und schlendert los.
„Lass das“, murmel ich und weiche ihm aus. Mein Gesicht ist bestimmt rot wie eine Tomate. Er lacht und schnappt mich zurück.
„He. Lass mich los!“, protestiere ich, was nur zur Folge hat, dass er meine Haare durchwuschelt.
Grinsend lässt er mich los, wir biegen um eine Ecke und stehen am unteren Ende einer Treppe.
„Breit?“, fragt er und sieht mich schräg von der Seite an.
„Bereit“, antworte ich und wir stapfen nebeneinander die Treppe nach oben. Jetzt heißt es Mate finden und retten.
Ich weiß nicht, ob es Glück, oder Zufall ist, oder gleich beides auf einmal, denn ich erkenne den Gang wieder, in dem wir stehen.
Nico wirkt angespannt, vorsichtig pirscht er los, ich bin dicht hinter ihm.
„Hast du gesehen, wo sie ihn hingeschleppt haben?“, flüster ich und linse um eine Ecke. Niemand ist zu sehen, also schleichen wir weiter.
„Nicht ganz, aber sie haben ihn von diesem Raum aus eine Treppe hochgebracht. Ich glaube die war rechts“, flüstert er zurück.
Also nach oben, wo auch Finjas und mein Zimmer ist. Oder noch höher.
Ich winke ihm zu folgen und husche los, geduckt und wachsam. Mittlerweile kenne ich mich in diesem Haus besser aus, als mir lieb ist.
Schnell werfe ich einen Blick zurück, um zu sehen, ob er noch direkt hinter mir ist, und will gerade um eine Ecke laufen, als er mich mit einem groben Ruck zurückzieht.
Ich mache gerade den Mund auf, um mich zu beschweren, da presst er mir eine Hand auf den Mund. Wir stehen dicht an die Wand gedrückt. Keinen Meter von uns entfernt läuft einer von Herr Moralez Leibwächtern vorbei. Mein Herz droht stehen zu bleiben, meine Finger krallen sich in Nicos Arme. Der Mann bleibt plötzlich stehen, mitten auf der Kreuzung, dann legt er den Kopf leicht schräg und dreht sich in dem Moment zu uns um, indem Nico mich schon fast eine Ecke zurückgezogen hat.
Sofort rennt der Mann los, ich habe ihn erst ein oder zweimal gesehen.
Er zückt ein Funkgerät und murmelt etwas hinein, mehr kann ich nicht sehen, denn Nico und ich rennen um eine weitere Ecke.
Ich will einfach immer weiterrennen, einfach nur weg von diesem Typen, doch Nico packt mich am Arm und zieht mich hinter eine breite Kommode.
Er deutet auf die Seile an meinem Arm und kniet sich kampfbereit hin. Keine Sekunde später kommt der Typ auch schon um die Ecke und sprintet an uns vorbei.
Mit einem Satz fällt ihn Nico von schräg hinten an, ich stürze mich auf seine Beine. Wir gehen alle mit einem Poltern zu Boden.
Hastig wickel ich eins der Seile von meinem Arm und schlinge es ihm um die Beine, während Nico seine Arme auf dem Rücken festhält.
Der Mann fängt plötzlich an zu brüllen. Panisch knote ich seine Beine zusammen und gleich danach auch seine Arme.
„Wir müssen hier weg!“, flucht Nico, zieht mich auf die Beine und wir sprinten los. Doch gerade, als wir wieder an der Ecke sind, wo wir dem Typ begegnet sind, bremst dort ein ganzer Pult, schwerst bewaffneter Bodyguards ab. Moralez ist dicht hinter ihnen.
„Lauf!“, rufe ich, drehe mich auf dem Absatz um und renne so schnell ich kann wieder zurück. Nico bleibt neben mir, auch wenn er deutlich schneller laufen könnte.
Ich höre die donnernden Schritte, Angst kriecht in mir hoch. Sie dürfen Nico auf keinen Fall bekommen.
„Versteck dich irgendwo, bitte“, keuche ich und stolper etwas. „Sie dürfen dich nicht bekommen!“
„Wir sehen uns bei Mate, bring Arztzeug mit“, sagt er und wird schneller.
Ich biege in den Gang, wo der immer noch gefesselte Mann liegt, Nico springt gerade über ihn hinweg.
Schwer atmend mobilisiere ich noch einmal alle Kraft und setze in einem hohen und weiten Sprung über ihn hinweg, sodass er mich nicht erwischt, obwohl er sich mir längs in den Weg rollt.
Ich komme neben seinem Kopf auf und renne einfach weiter.
Nico ist bei der nächsten Kreuzung links abgebogen, also entschließe ich mich für die Treppe, außerdem muss ich eh nach unten, wenn ich etwas Verbandszeug brauche.
In zwei Sätzen bin ich unten, gerade als ein Teil der Verfolger oben ankommen. Einen kurzen Moment stauchel ich, dann sprinte ich weiter.
Da! Die Tür, wo das ganze Arztzeug aufbewahrt wird. Oder ist es die daneben? Doch ich habe nicht viel Zeit darüber nachzudenken, also reiße ich einfach die Tür, von der ich glaube, dass sie es ist, auf, bremse sofort ab und schließe sie so schnell und leise, wie ich kann.
Sie klickt dumpf und ich bin mir nicht sicher, ob sie die Tür noch zugehen gesehen haben.
Doch ich habe keine Kraft mehr. Mit pochendem Herzen rutsche ich langsam an der Tür hinunter und höre ein paar Sekunden später eine ganze Horde vorbeirennen.
Sie haben mich nicht gesehen!, schießt es durch meinen Kopf. Erschöpft sitze ich da und schnappe nach Luft.
Plötzlich kommt mir ein schrecklicher Gedanke: Wenn hier irgendeiner von denen drin ist …
Mit angstweiten Augen drehe ich mich um und wage kaum zu atmen.
Es ist eins dieser kleinen Wohnzimmer, die aus ein paar Sofas und Sesseln bestehen. Auf den ersten Blick scheint niemand da zu sein, doch die Sofas geben hervorragende Verstecke.
Vorsichtig stehe ich auf und pirsche los.
Wenn sich dahinter einer versteckt, kann ich ihn ja immer noch überraschen und mit meinen Seilen fesseln.
Deutlich mutiger, schon mit einem Seil in der rechten Hand spähe ich hinter das erste der drei Sofas. Niemand. Doch plötzlich höre ich ein unterdrücktes Keuchen, und das kommt nicht von mir.
Ha! Also ist doch jemand hier. Zwar ist das eine nicht ganz so gute Nachricht, doch mit dem werde ich schon fertig!
Mit finster funkelnden Augen tippel ich auf Zehenspitzen weiter und springe mit einem Satz hinter das zweite Sofa, das mit einem Sessel zusammen eine super Versteckmöglichkeit bietet.
Wieder der unterdrückte Laut. Doch die Person kann nur noch hinter dem letzen sein. Ich gehe in die Knie und erkenne tatsächlich lange Beine hinter dem dritten Sofa.
Triumphierend stehe ich wieder auf und packe das Seil fester.
Moment, warum versteckt sich die Person eigentlich? Bestimmt wartet sie auf einen günstigen Moment mich anzugreifen, wenn ich nicht mehr so gut zur Tür wegrennen kann, überlege ich und beiße die Zähne zusammen.
Doch Nico wieder zu sehen hat mir Mut gegeben. Mit dem werde es schon aufnehmen können!
Ich mache ein paar schnelle Schritte nach vorne und biege um das Sofa.
„Ok, ich … bitte, tun Sie mir nichts … ich komme … ja schon!“, flüstert der Mann mit rauer Stimme.
Er klingt erschöpft und als habe er Schmerzen. In dem Moment rieche ich auch Blut.
Ich knie mich, alle Vorsicht vergessend neben ihn und erkenne Mate.
Meine Augen füllen sich mit Tränen.
„Mate!“ Ich falle ihm um den Hals, worauf er leise aufschreit. Erschrocken und verwirrt weiche ich zurück. Seine Stimme habe ich fast nicht wiedererkannt.
„Liz, du bist es. Gott sei Dank, ich dachte es sei einer von denen!“ Er richtet sich auf, wobei er das Gesicht verzieht. Obwohl er ungewöhnlich blass ist, ist immer noch dasselbe Funkeln in seinen Augen.
Ich starre ihn an und er drückt mich mit seinem linken Arm an mich. Überrascht hänge ich einen Moment wie ein Schluck Wasser da, dann schlinge ich meine Arme um ihn.
Wir drücken uns so fest, dass mir fast die Luft wegbleibt, doch keiner von uns lässt los.
„Ich bin so froh“, murmelt Mate und das bringt das Fass zum Überlaufen.
Die Tränen laufen über meine Wangen und tropfen auf sein T-Shirt.
„Ist ja gut“, flüstert er beruhigend und streicht mir über den Rücken.
„Ich habe euch so vermisst“, schluchze ich.
„Wir dich auch.“
Ich wische mir über mein Gesicht und sehe ihn an. Seine Haare sind noch genauso unordentlich, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Ich versuche ein Lächeln und er grinst zurück. Das typische Mate Lächeln.
Doch plötzlich verzieht er wieder das Gesicht und seufzt leise. Prompt fällt mir ein, was Nico gesagt hat: Er wurde angeschossen.
„Alles ok?“, frage ich besorgt, sehe an seinem Körper hinunter und entdecke das Blut sofort. Es ist ziemlich viel Blut, an seiner rechten Seite. Er hat die rechte Hand darauf gepresst und auch seine Finger sind voller Blut.
Er lächelt schwach. „Es geht. Aber diese Idioten haben mir noch nicht einmal Verbandzeug gegeben“, seufzt Mate und betrachtet unglücklich seine blutrote Hand.
„Ich hole dir welches“, sage ich und stehe auf.
„Warte, das ist viel zu gefährlich!“, widerspricht er und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Sofa.
„Ach was. Der Verbandsraum ist gleich neben diesem hier“, versuche ich ihn zu beruhigen. Schließlich dachte ich zuerst, dass das hier das Arztzimmer ist.
„Aber beeil dich, ok?“
Ich nicke und laufe eilig zur Tür. Bevor ich sie öffne, drehe ich mich noch einmal zu dem Sofa um, hinter dem ich Mate gefunden habe, doch niemand ist mehr zu sehen.
Vorsichtig ziehe ich die Tür einen Spalt auf und linse nach draußen auf den Gang.
Es ist absolut still, und es ist auch niemand zu sehen. Doch sicherheitshalber warte ich noch zwei Sekunden, dann schlüpfe ich blitzschnell hinaus und mache die Tür hinter mir wieder zu. Wenn sie mich hier entdecken, sollen sie wenigstens Mate nicht finden.
Plötzlich stutze ich. Warum hat Mate sich da eigentlich versteckt? Ist er etwa abgehauen und hat sich in den Raum geflüchtet?
Grübelnd stehe ich da, bis mir klar wird, dass ich gerade mitten im Gang stehe, wie auf einem Präsentierteller. Innerlich fluchend laufe ich zu der Tür auf der rechten Seite und lege ein Ohr an das Holz.
Ich kann nichts Verdächtiges hören, doch dann wird die Stille von gemächlichen Fußschritten unterbrochen. Da kommt einer den Gang entlang!
Verdammt, nicht schon wieder, denke ich und verschwinde so leise und schnell, wie ich kann in dem Raum.
Behutsam schließe ich die Tür und stelle erleichtert fest, dass ich tatsächlich in dem Arzneiraum gelandet bin.
Hier steht an jeder Wand ein Regal oder ein großer Schrank. Ich mache einen Schritt nach vorne und sehe jemanden in der Ecke stehen. Seine kalten, starren Augen sind auf mich gerichtet.
Obwohl ich mir sofort die Hände auf den Mund presse, entweicht mir ein dünner Schrei. Ich taumel einen Schritt zurück, doch die Person macht keine Anstalten, auf mich zuzukommen.
Mit klopfendem Herzen sehe ich genauer hin und seufze erleichtert auf. Es ist die Puppe, bei der ein paar Muskeln zu sehen sind, die aber sonst ziemlich realistisch aussieht. Vor der ich mich schon einmal erschreckt habe.
Wütend starre ich das Ding an. Wenn das so weitergeht, bekomme ich noch vor heute Abend einen Herzinfarkt!
Ich atme tief ein und aus, als die Schritte auf dem Gang plötzlich verstummen. Scheiße, ist das Erste was ich denke, dann: Ich muss hier weg!
Hektisch sehe ich mich um, springe dann zu einem der Schränke und öffne ihn. Ein leises Fluchen entfährt mir. Die Fächer sind viel zu klein, da passe ich nie im Leben rein.
Die Türklinke gibt ein leicht schabendes Geräusch von sich, als sie heruntergedrückt wird, mein Kopf fliegt zu der Tür, dann wieder zurück. Ich muss mich verstecken.
Doch meine Beine scheinen wie angewachsen und ich weiß nicht wohin. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet und ich fange an zu zittern.
Die Tür wird aufgedrückt und ich mache einen Hechtsprung hinter die komische Puppe.
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