Chapter 32
Das Erste, was ich spüre, ist Schmerz. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre jemand draufgetreten und brummt ganz schön. Eine Mischung aus seufzen und schmerzerfülltem Stöhnen entweicht meinen Lippen.
Mein ganzer Körper fühlt sich geschunden an. Plötzlich erinnere ich mich wieder an alles: das Abendessen, Finja, Nicos Stimme. Mate. Ich spüre die Seile, mit denen meine Handgelenke hinter meinem Rücken zusammengebunden sind. Na toll! Moment, was haben die mit mir vor?
Meine Gedanken rasen und ich spüre plötzlich etwas Warmes auf meinem Gesicht.
Ich blinzel, öffne halb ängstlich, halb neugierig die Augen. Sie gewöhnen sich sofort an das funzelig, trübe Licht, weiten sich und ich kann gerade noch einen Schrei unterdrücken.
Keine zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, starrt mich Nico an.
Meine Lippen sind zu einem krächzenden Schrei geöffnet, bis mir klar wird, was meine Augen da eigentlich sehen.
Nico liegt direkt vor mir, sein Gesicht nur läppische zehn Zentimeter von meinem entfernt und grinst mich an.
Fassungslos starre ich ihn an, bringe kein Wort heraus.
„Elizabeth, hu?“ Seine Stimme klingt so vertraut, warm und leicht rau.
Ich merke, wie ich rot werde.
„Ähm …“
„Dir ist schon klar, dass du deinen Boss belogen hast“, fährt Nico fort und ein noch breiteres Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht, als er meinen verdatterten Blick sieht.
„Ich habe … ich … Liz ist …“, stotter ich und Nico lacht leise, worauf ich seinen Atem auf meiner Haut spüre.
„Ich weiß, Liz.“
Ich fühle mich, als würde ich jeden Moment explodieren vor Freude. Am liebsten würde ich meine Hand nach ihm ausstrecken, aber sie sind ja auf meinem Rücken zusammengebunden, also kann ich ihn nur anstarren. Mein Blick wandert über sein ganzes Gesicht, über seine dunklen Augen, seine Lippen bis hin zu seinen mal wieder verwuschelten Haaren.
Plötzlich scheint er eine Idee zu bekommen, denn ein Lächeln spielt um seine Mundwinkel. Verdutzt sehe ich ihn an.
Wir liegen direkt voreinander und ich frage mich gerade, ob man uns so hingelegt hat, oder ob er zu mir gerutscht ist, als er mir plötzlich und völlig unerwartet einen Kuss gibt.
Seine Lippen sind fest auf meine gepresst und rauben mir den Atem. Überall ist sein vertrauter Geruch.
Ich sehe seine dunklen Wimpern, bevor ich die Augen schließe und in einem Wirbel der Gefühle untergehe.
Sein Körper ist so schön warm und ich fühle mich sicher und unglaublich glücklich. Für diesen einen Moment ist alles vergessen.
Plötzlich merke ich, dass die Wärme nicht mehr so da ist, doch mein Herz rast immer noch wie verrückt und meine Lippen halten immer noch an dem Gefühl des Kusses fest, sodass ich erst ein paar Sekunden später merke, dass Nico wieder ein Stück zurückgewichen ist.
Verlegen öffne ich die Augen und starre prompt in seine.
„Wird Zeit, dass wir uns hier befreien“, meint Nico und ist wieder ganz der Boss. Ich muss lächeln.
„Ich bin leider ganz eingeschnürt, also schlage ich vor, dass ich zuerst dich befreie“, sagt er. Ich betrachte sein wunderschönes Gesicht und zucke erschrocken zusammen, als sein durchdringender Blick mich trifft.
„Äh, klar.“ Ich drehe ihm widerwillig meinen Rücken zu.
Bei dem Versuch sich umzudrehen stößt Nico kurz gegen mich und ich nehme wieder seinen Geruch war. Wie konnte ich es nur aushalten, solange ohne ihn auszukommen?, frage ich mich und versuche verzweifelt die ganzen dummen Gedanken aus meinem Kopf zu
verbannen, doch sie kommen sofort wieder, als seine Hände meine berühren und dann anfangen die Knoten zu lösen.
Natürlich ist er blitzschnell fertig und ich setze mich auf. Überrascht stelle ich fest, dass wirklich nur meine Arme gefesselt waren, mit meinen Beinen hat sich wohl niemand die Mühe gemacht.
Hastig drehe ich mich zu Nico um, der neben mir auf dem Boden liegt. Bei ihm hat sich jemand die Mühe gemacht. Nicht nur seine Beine und Arme sind zusammengebunden, auch sind seine Arme mit mehreren Seilen an seinem Oberkörper festgezurrt worden.
An sich sieht er ziemlich eingeschnürt aus.
„Liz. Hör auf zu starren und binde mich los“, erinnert er mich lächelnd und ich würde am liebsten meinen Kopf auf den Boden hauen. Hoffentlich sieht er in dem funzeligen Licht mein rotes Gesicht nicht.
Vorsichtig stehe ich auf und gehe hinter ihn, wo die ganzen Knoten sind.
Anerkennend nicke ich mit dem Kopf. Seine Daumen sind ebenfalls zusammengebunden, damit er sich auf keinen Fall befreien kann.
„Ach übrigens.“ Ich höre ein unterdrücktes Lachen in seiner Stimme. „Tolles Kleid.“
Ich verpasse ihm einen Stoß, kann aber nicht ganz verhindern, grinsen zu müssen.
„He, warte gefälligst, bis ich nicht mehr gefesselt bin, bevor du einen Kampf anfängst!“, lacht er.
„Du bist fies“, brumme ich.
„Gar nicht.“
„Bestreiten hilft gar nichts“, schmolle ich.
„Es sieht wirklich toll aus.“
„Gar nicht.“
„Ha!“, entgegnet Nico bloß.
„Sag ich doch, du bist fies“, grinse ich und würde ihn am liebsten wieder knuffen.
Vorsichtig fange ich an den ersten Knoten an seinem Handgelenk zu lösen und fluche leise auf. Das Ding sitzt verdammt fest. Leise zeternd versuche ich an sämtlichen Seilen, die aus dem Knoten hinausführen zu ziehen, doch ich habe das Gefühl, dass er dadurch nur noch fester wird.
„Sag bloß, du bekommst ihn nicht auf?“, fragt Nico vorwurfsvoll. Ich sehe durch das schwarze T-Shirt, wie er die Muskeln anspannt und zieht, doch die Knoten sitzen einfach zu fest.
„Natürlich bekomme ich ihn auf“, schwindel ich und fange wieder an den Knoten herumzuzerren.
„Liz. Die Art von Knoten haben wir geübt.“
„Wirklich?“, frage ich Schlechtes ahnend und versuche einen anderen Knoten, der jedoch genauso fest sitzt.
Nico lacht, wobei sein ganzer Körper bebt. „Du hast dich wirklich nicht verändert, Süße.“
Ich werde schon wieder rot, zuppel an dem Knoten herum und plötzlich ist er auf.
Begeistert löse ich das Seil und mache mich gleich an den Nächsten, wo ich jedoch erst mal wieder scheiter.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich zumindestens seine Arme befreit habe, worauf er blitzschnell die restlichen Knoten löst.
„Das üben wir zuhause aber noch mal“, grinst er, steht auf und wuschelt mir durch die Haare.
Schnell richte ich mich ebenfalls auf und sehe mich um.
Der Raum ist nicht besonders groß, hat keine Fenster und wird nur von einer schwachen, immer wieder flackernden, nackten Glühbirne beleuchtet.
„Was ist das hier eigentlich für ein Keller?“, fragt Nico und stapft zielsicher auf die einzige Tür zu. Sie sieht schon recht verrostet und alt aus, scheint trotzdem noch recht stabil zu sein.
„Keine Ahnung“, murmel ich und linse bei ihm über die Schulter, wobei ich mich auf die Zehenspitzen stellen muss.
„Mhmm scheint noch ziemlich gut zu sein“, brummt er und drückt und zieht an der Türklinke. „Mal sehen, was wir hier alles haben.“
Nico dreht sich um und stößt mit mir zusammen.
„Soll das eine Drohung sein?“, frage ich provozierend.
„Liz. Ich bin dein Boss.“
Ich winke ab, weiche doch sofort zurück, als er einen schnellen Schritt auf mich zumacht.
Sicherheitshalber werfe ich einen kurzen Blick über meine Schulter und mein Verdacht bestätigt sich: Ich stehe so gut wie an der Wand.
Sofort versuche ich nach rechts auszubrechen, doch Nico ist schneller, packt mich an der Taille und zieht mich zurück.
Ich zeter und strampel, doch er ist stark. Zu stark.
„Also. Jetzt dafür bereit?“, fragt er amüsiert und zieht mich näher an sich heran.
„Nie im Leben“, krächze ich.
„Nun, dann …“ Seine Lippen sind direkt neben meinem Ohr und er lässt den Satz unbeendet.
Am liebsten würde ich schreiend wegrennen, andererseits macht mich seine plötzliche Nähe total verlegen.
In meiner Unaufmerksamkeit zieht er mir die Beine weg und ich liege auf dem Boden.
„Nico!“, fluche ich und drücke mit aller Kraft gegen seine Arme, doch er stützt sich mit seinem ganzen Gewicht auf meine Arme, sodass ich kein Stück hochkomme.
„He. Ich schneide es oben und unten ab und knote den Träger dann wieder zusammen. Sonst nichts“, erklärt er und sieht mir in die Augen.
Ich schlucke und sehe trotzig zurück. Nico lacht, lässt meinen rechten Arm los und streicht mir eine Strähne, die mir während unseres Kampfes ins Gesicht gefallen ist, wieder zu den anderen.
„Vertrau mir einfach.“
Ich seufze. Was soll ich denn da bitteschön drauf antworten?
Murrend drehe ich mich mit seiner Einwilligung auf den Bauch.
„Geht doch“, grinst Nico und ich werfe ihm einen bösen Blick zu.
„Beeil dich aber“, brumme ich. Der Boden ist kalt.
Nico kniet sich neben mich und ich erschauder leicht, als seine warmen Hände meinen Rücken berühren.
„Ist dir kalt?“, fragt er und legt im nächsten Moment eine eisige Klinge an meinen Rücken, mit der er den Träger in Nullkommanichts durchgesäbelt hat. Ich erschaudere erneut und nicke. Wer gibt schon zu, dass es wegen der Berührung war?
Bei der zweiten Berührung mit dem Messer bin ich vorbereitet und bleibe ganz stillliegen. Plötzlich kommt mir ein Gedanke.
„Woher hast du eigentlich das Messer?“ Ich betrachte meine Finger, die neben meinem Kopf liegen.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir Herr Moralez nicht alles abgenommen hat.“
Nico lacht und fängt an, den Träger zusammenzuknoten.
„Das war in meinem Geheimversteck und mit meinen Methoden gut angetarnt. Gegen Abklopfen und so.“
Ich lächel leicht und richte mich dann vorsichtig auf. Das Kleid hält. Erleichtert atme ich aus und er wirft mir einen vielsagenden Blick zu.
„Hätte ja sein können“, verteidige ich mich und folge ihm zur Tür.
„Ach ja.“ Er schlüpft aus seinem Pullover und hält ihn mir hin. Überrascht sehe ich ihn an.
„Nun nimm schon“, grinst er und wedelt damit vor meiner Nase herum.
Leicht eingeschüchtert nehme ich den schwarzen Pulli und ziehe ihn mir über. Er ist schön warm und riecht nach Nico.
Ich beherrsche mich, nicht zu offensichtlich daran zu schnüffeln.
Nico beugt sich ein Stück nach unten und fängt an mit den Haken im Schloss herumzubohren. Ich knie mich neben ihn und schaue interessiert zu.
„Ist dir nicht kalt?“, frage ich schuldbewusst und sehe ihn an. Doch er ist ziemlich konzentriert und sieht nicht zurück, die einzige Regung ist ein Kopfschütteln.
Ich schweige einen Moment und mir kommt Mate in den Sinn. Mein Herz zieht sich zusammen. Er müsste doch auch da sein.
„Wo ist eigentlich Mate?“, will ich leise wissen. Nico zuckt kaum merklich zusammen, doch es reicht, um es mir kalt den Rücken hinunter laufen zu lassen.
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