Chapter 28

Wir schlendern noch ein bisschen durch die immer leerer werdenden Straßen. Finja verputzt ihr zweites Eis, Jen verbreitet schlechte Laune, die allerdings erfolglos an Moralez abprallt und ich fange an, mich zu langweilen. Außerdem tun mir meine Beine weh und Jen geht mir mit seinem Gestänker Zusehens auf die Nerven.

„Können wir zurück?“, maule ich in der stillen Hoffnung, dann endlich mit unserem Fluchtplan anzufangen.

„Aber es ist doch gerade so schön“, meint Moralez und strahlt mich an.

„Ich habe Hunger“, wirft Finja völlig unpassend ein und schluckt den Rest ihrer Waffel hinunter. Jen stöhnt auf und rückt seine Sonnenbrille zurecht.

„Wir haben heute noch ein Dinner mit ein paar … Arbeitskollegen von mir, also gibt es nichts mehr“, widerspricht Moralez und ignoriert Jens wütendes Zähneknirschen.

„Dann können wir ja jetzt zurück“, versuche ich es noch einmal.

„Ok.“

Herr Moralez telefoniert kurz und lächelt dann wieder. „Wir werden gleich hier abgeholt.“

Ich werfe Finja einen vielsagenden Blick zu.

„Das war doch ein wunderbarer Tag“, strahlt Moralez und summt leise vor sich hin. Plötzlich kichert Finja leise.

Erstaunt werfe ich ihr einen Blick zu und sie nickt leicht in Jens Richtung.

Als ich zu ihm sehe, würde ich mich am liebsten hinter einem riesigen Felsbrocken verstecken: Sein Blick ist so düster, dass er bestimmt Leute damit töten könnte, während Moralez immer noch außergewöhnlich glücklich aussieht.

Seltsame Familie.

Mit quietschenden Reifen bremst die Limousine neben uns ab und ich steige dankbar ein. Ich bin schon ganz nervös, ob wir anhand der Karte uns einen Fluchtweg zurechtlegen können.

Finja scheint es zu bemerken und drückt ganz kurz meine Hand, was Jen natürlich nicht entgeht.

„Was sollte denn das?“, will er wissen, während er sich und gegenüber setzt.

„Mädchensache“, schwindel ich und grinse ihn unschuldig an.

Er rümpft die Nase und rutscht ein Stück zur Seite, als sein Vater einsteigt.

Die Fahrt vergeht unheimlich schnell, trotzdem kann ich es nicht erwarten, endlich anzukommen. Obwohl ich am liebsten mir Finja geschnappt und losgerannt wäre, reiße ich mich zusammen und steige langsam aus der Limousine aus, die direkt vor der großen Eingangstür geparkt hat.

Die Sonne steht tief am Himmel und taucht alles in ein rötliches Licht. Ein Jammer, dass so ein schönes Anwesen einem solchen Kotzbrocken gehört.

Unruhig warte ich, bis Finja neben mir steht, und gehe dann mit ihr rein.

„Wartet mal“, ruft Herr Moralez und holt uns ein. Erschrocken bleibe ich stehen. Hat er etwa bemerkt, wie nervös ich bin?

„In einer Stunde müssen wir los, also zieht euch rechtzeitig um, verstanden?“

Ich nicke erleichtert und verschwinde mit Finja im Haus.

Sofort laufen wir los, zu ihrem Zimmer und wollen gerade da drinnen verschwinden, als ich einen Schatten bemerke, der uns folgt.

Sofort bleibe ich stehen und pirsche mich zu der letzen Ecke zurück. Dann hole ich tief Luft und springe hinter ihr hervor.

Jen weicht erschrocken zurück und kann gerade noch das Gleichgewicht halten.

Meine Augen verengen sich.

„Was willst du hier?“, frage ich unfreundlich und versuche mich möglichst groß zu machen.

„Ich darf mich hier doch wohl frei bewegen“, erwidert er und fängt dann hämisch an zu grinsen.

„Wenn du spannen willst, wie jemand sich umzieht, dann geh wo anders hin“, sagt Finja ungerührt, schnappt mich und knallt ihre Zimmertür hinter uns zu.

„Idiot.“ Sie geht zu ihrem Schrank und öffnet ihn.

„Was meinst du?“, sagt sie dann mit einer ganz anderen Stimme. „Soll ich das Dunkle, oder doch das beige anziehen?“

„Oh, ich bin für das Grüne, dass betont deine Augen“, antworte ich extra etwas lauter, und glaube förmlich zu hören, wie sich jemand von der Tür löst und davonschleicht.

Finja kann nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken.

Sicherheitshalber warte ich noch einen Moment, dann ziehe ich die Karte unter meinem Kleid hervor. Sie ist noch nicht ganz getrocknet und ich kann auch keine Heizung in dem Zimmer entdecken. So ein Mist!

Außerdem stört es mich, dass wir die Tür nicht abschließen können, aber daran ist gerade nichts zu ändern.

„Hoffentlich reißt sie nicht“, murmel ich und falte die Karte behutsam. Sie lässt sich einwandfrei auseinanderfalten, nur die rechte obere Ecke klebt und als ich etwas stärker ziehe, ist ein mindestens fünf Zentimeter langer Riss drin.

Leise fluchend bekomme ich sie vollständig auseinander und breite sie auf Finjas Schreibtisch aus. Finja ist mit einem Bleistift parat.

Zum Glück ist nichts groß verwischt, die Straßen und Gebäude lassen sich gut erkennen.

„Ich würde sagen, wir sollten als Erstes den Flughafen suchen“, schlage ich vor und lasse meinen Blick über die nicht gerade kleine Karte schweifen.

„Und wie erkennen wir das Ding?“, fragt Finja und sieht sich ratlos die ganzen Gebäude an.

„Eigentlich müsste ein Flugzeug dabei abgebildet sein“, murmel ich. Hoffentlich.

Einen Moment ist es still, dann grinst Finja. „Ich habs.“

Sie deutet mit dem Finger auf ein größeres Gebäude, wo tatsächlich ein umkreistes Flugzeug abgebildet ist.

„Super“, sage ich begeistert, nehme den Bleistift und male ein großes Kreuz auf den Flughafen.

„Jetzt müssen wir den Platz mit dem Brunnen finden.

„Warum das denn?“, will sie wissen.

Ich zucke mit den Schultern. „Dann haben wir einen Orientierungspunkt in der Stadt.“

„Ok.“

Die Suche nach dem Platz ist weitaus schwieriger, doch schließlich haben wir einen Platz gefunden, bei dem wir denken, dass es der richtige sein müsste. Ich ziehe eine Linie durch die Straßen vom Brunnenplatz bis zum Flughafen.

Die Karte zeigt genau die Stadt, nur noch eine kleine Scheune an ihrem Rand, sonst nichts.

„Leider haben sie das Haus von Herr Moralez nicht eingezeichnet“, seufzt Finja.

Ein düsteres Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht.

„Wahrscheinlich hat er ihnen eine nette Summe gezahlt, damit das auch so bleibt.“

Finja nickt. „Der ist mir irgendwie unheimlich und eigentlich habe ich keine große Lust, da heute Abend hinzugehen.“

„Tja. So sieht aber leider dieses blöde Angebot aus“, seufze ich und lege vorsichtig die Karte wieder zusammen. „Wenn er gut drauf ist, ist er fast noch unheimlicher als sonst.“

Finja kichert leicht. „Stimmt.“

„Suchen wir später weiter? Wir sollten uns langsam umziehen“, murmel ich und strecke mich ausgiebig.

Finja versteckt die Karte hinter ihrem Schreibtisch, indem sie sie zwischen ihm und der Wand einklemmt.

„Ich gehe dann mal rüber“, sage ich und verschwinde auf den Gang.

In meinem Zimmer ziehe ich die Vorhänge zu und mache das Licht an. Die Sonne ist zwar noch zu sehen, aber es wird langsam düster.

In meinem Schrank gibt es zwar jede Menge Kleider, aber ich kann mich nicht entscheiden. Oder vielleicht auch genau deswegen.

Einerseits habe ich keine Lust, besonders schön auszusehen heute Abend, andererseits möchte ich nicht von Moralez wieder zurückgeschickt werden, damit ich mich umziehe.

Schließlich nehme ich ein Hellblaues, das leicht glitzert, ziehe mich um und betrachte mich dann skeptisch im Spiegel. Die langen Ärmel sind gut, falls es etwas kälter wird. Obwohl … ich trete ein Stück auf den Spiegel zu und stelle fest, dass es eigentlich dünne

Spaghettiträger sind, an denen hauchdünner, durchsichtig blauer Stoff befestigt ist. Immerhin etwas.

Es sieht nicht schlecht aus, trotzdem fühle ich mich leicht unwohl.

In dem Moment klopft es.

„Ja?“ Ich drehe mich zur Tür, durch die Herr Moralez seinen Kopf streckt.

„Wie ich sehe, bist du fertig, wie schön. Wir wollen nämlich los.“

Ich stapfe auf ihn zu.

Er mustert mich von oben bis unten und nickt dann.

„Finja ist auch schon fertig, wir können los.“

Er bugsiert mich in einem recht zügigen Tempo in die Eingangshalle, wo außer Finja auch noch Jen lehnt.

„Ich bin auch fertig“, sagt er und sieht seinen Vater an.

„Du bleibst hier“, erwidert Herr Moralez, ohne ihn anzusehen.

„Ich bin viel besser als diese beiden … Mädchen“, beschwert er sich.

„Du bleibst hier, und damit basta!“, herrscht ihn sein Vater an.

Finja steht einfach nur da und sieht nachdenklich aus.

„Sei froh, dass du da nicht hin musst“, brumme ich, doch dafür ernte ich nur einen wütenden Blick. Von Jen und Moralez.

„Die beiden haben doch keine Ahnung“, braust Jen auf.

„Ich habe zwei Töchter, keinen Sohn“, entgegnet Moralez völlig ungerührt und rückt seine Fliege zurecht.

„Ich bin Mates Tochter, egal was Sie sagen!“, fauche ich.

„Für dieses Jahr bist du meine Tochter, vergiss das nicht!“, sagt er warnend und öffnet die Haustür.

Jen macht gerade für einen neuen Versuch, als Herr Moralez ihn abwürgt.

„Ich habe dir gesagt, du bleibst hier, und wenn du uns noch mehr aufhältst, lasse ich dich auf dein Zimmer sperren!“

Schmollend stapft Jen davon.

Herr Moralez atmet tief ein und aus und schiebt uns dann nach draußen. Meine Laune sinkt mit jedem Schritt.

„Wie lange dauert das?“, will ich wissen, auch wenn das mir schon wieder einen bösen Blick einbringt.

„Elizabeth!“

„Ich darf doch wohl fragen“, murre ich und steige in die Limousine.

Doch Herr Moralez scheint nicht mehr so gut aufgelegt zu sein, wie heute Mittag. Sein Blick ist ernst, wenn nicht finster und er ist sehr in sich selbst versunken.

Missmutig sitze ich auf dem weichen Polster und zupfe an meinem Kleid herum. Ich habe etwas Angst. Es scheint ein wichtiges Abendessen zu sein und ich hatte noch nie mit einflussreichen Leuten zu tun. Davon abgesehen macht mich Moralez Unmut nur noch nervöser.

Wie gerne würde ich jetzt nach draußen sehen, die Landschaft betrachten die vorbeifliegt, aber in der Spezialscheibe kann ich nur mein traurig blickendes Spiegelbild sehen.

Schließlich scheint sich Herr Moralez einen Ruck zu geben, denn er setzt wieder sein gewollt freundliches Lächeln auf.

Ich seufze innerlich und wende mich von der Scheibe ab.

„Ihr beide seht fantastisch aus“, sagt er und sieht uns zufrieden an.

Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu und sehe dann auf meine Hände.

„He.“ Er beugt sich ein Stück zu uns vor. „Heute ist eure erste Gelegenheit, unseren Vertrag einzuhalten. Darüber hinaus habt ihr euch zu benehmen, das heißt für dich Finja, weniger zu essen. Und du Elizabeth solltest mal öfter lächeln, sonst denken meine Kollegen noch, du hättest Depressionen.“

Finster sehe ich ihn an.

„Lächel.“

Mürrisch ziehe ich meine Mundwinkel nach oben, was bestimmt schrecklich aussieht.

„Denkt dran: Wenn ihr den Vertrag nicht einhaltet, kommt ihr nie mehr zurück.“ Herr Moralez zieht uns einzeln sehr eindringlich an.

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