Chapter 20

Schließlich bin ich pappsatt, doch Finja mümmelt immer noch gelassen vor sich hin. Ich frage mich wirklich, wie sie diese Mengen verdrücken kann.

Herr Moralez steht auf und kommt zu uns herüber, als Finja gerade ihre mindestens siebte Portion isst.

„Ich zeige euch jetzt eure Zimmer“, erklärt er und Finja lässt seufzen die Gabel sinken.

„Außerdem hat das mit dem Essen sehr gut geklappt, ich denke, ihr seid bald so weit.“ Plötzlich scheint Moralez wieder guter Laune zu sein. Irgendwie sind seine Stimmungsschwankungen gruselig.

Er führt uns aus dem Speisesaal und dann durch ein Labyrinth von Gängen.

Ich versuche noch mir zu merken, wo wir überall abbiegen, doch mindestens zwanzig Gänge weiter und drei Treppen höher gebe ich auf.

„Hier. Sie liegen direkt neben einander, das Rechte ist Finja, das Linke Elizabeth. In den Zimmern gibt es auch einen Knopf, den müsst ihr nur drücken und dann kommt jemand.“

„Kommen dann Sie?“, rutscht es mir heraus und Herr Moralez sieht mich verwundert, aber auch ein wenig misstrauisch an.

„Nein, einer der Bediensteten.“

Irgendwie bin ich erleichtert und nicke schnell, um das zu überspielen.

„Mein Zimmer liegt den Gang da runter, also wenn ihr irgendwelche Fragen habt, aber nicht nach elf Uhr und vor sieben, verstanden?“

Wir nicken und Herr Moralez geht den Gang runter und verschwindet kurz darauf in einem Raum. Dumpf fällt die Tür hinter ihm zu.

Ich sehe zu Finja.

„Schauen wir uns erst mal unsere Zimmer an und treffen uns dann wieder?“, fragt sie und sieht sehnsüchtig auf ihre Zimmertür.

„Ok,gerne. Was ist denn?“

„Ich … hatte noch nie ein Zimmer für mich allein, und erst recht nicht in dem Ausmaß, wie es sein wird.“ Sie lächelt verlegen.

Stimmt, das Zimmer würde meins von der Größe her bestimmt auch übertreffen.

„Dann bis gleich.“

Finja verschwindet sofort in dem rechten Raum, ich warte noch einen Moment.

Das ist nicht zuhause. Sie es einfach als dein Zimmer während eines Urlaubs, oder so, denke ich, dann drücke ich langsam die Türklinke herunter.

Das Zimmer übertrifft meine Erwartungen: Es ist auf den ersten Blick einfach nur gigantisch. Staunend schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich dagegen, um das ganze Zimmer sehen zu können.

Es ist mindestens doppelt so groß wie mein Zimmer zuhause. Wütend versuche ich die Gedanken zu verdrängen. Es ist ein Ferienzimmer. Hör auf, alles dauernd mit zuhause zu vergleichen, denke ich.

Im vorderen Teil, wo ich stehe, ist das Zimmer rechteckig, auf der mir gegenüber liegenden Seite, macht die Wand einen Bogen. Fasziniert sehe ich mich um. Die Tapete ist Sandfarben, nur die Wand, wo auch die Tür sitzt, ist schokobraun und entgegen meinen Erwartungen passen die Farben ganz gut zusammen.

Von außen ist die Tür rechteckig, schaut man sie jedoch von innen an hat sie einen Halbkreis noch oben drauf, der die gleiche Holzfarbe besitzt, und damit dem Fußboden des Zimmers erstaunlich ähnlich ist.

An der linken Wand steht ein richtiges Himmelbett mit Vorhang. Begeistert streife ich meine Schuhe ab und renne darauf zu. Kurz vor dem Bett ist ein sandfarbener Teppich der unglaublich weich ist. Einen Moment überlege ich, ob ich mich nicht doch lieber auf den Teppich legen soll, finde dann aber doch, dass das Bett noch eine Spur weicher aussieht, und werfe mich darauf. Ich feder ein bisschen hin und her und bleibe schließlich liegen.

Die Matratze ist richtig bequem und durch die dünnen Vorhänge wirkt es sicher.

Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Ich bin entführt worden, habe Mate und Nico schon seit … zwei Tagen. Es ist zwei Tage her. Und ich sitze hier und freue mich darüber, wie toll mein Zimmer ist. Ich bin so ein Idiot! Mit aller Kraft halte ich die Tränen zurück, die in meinen Augen brennen.

Aber andererseits … was bringt es mir, hier die ganze Zeit zu sitzen und Trübsal zu blasen? Ich muss einen Weg finden, um zu entkommen. Zusammen mit Finja.

Aber wie sollte das denn funktionieren?

Seufzend drehe ich mich auf dem Bett hin und her. Ich muss optimistisch bleiben, denke ich und atme tief durch. Sonst schaffe ich es nie.

Fest entschlossen rolle ich mich aus dem Bett und sehe mich um. Hier muss doch irgendwo ein Lichtschalter sein und die Rollladen sollte ich auch mal runter machen, da die Dämmerung schon immer weiter ins Zimmer kriecht.

Suchend sehe ich mich um und entdecke einen Schalter, direkt neben einem der Fenster. Gelassen drücke ich drauf, doch das Licht geht nicht an, stattdessen ist nur ein seltsames Surren und Brummen zu hören. Erschrocken lasse ich das Ding wieder los und bemerke, dass sich der Rollladen ein Stück nach unten bewegt hat.

Wow, denke ich und drücke wieder auf den vermeintlichen Lichtschalter. Surrend geht der Rollladen runter und auf einmal ist es stockdunkel.

Begeistert drehe ich mich um, kneife die Augen zusammen und mache sie wieder auf. Es ist und bleibt komplett schwarz.

Schon taste ich mit einer Hand nach dem Rollladen-runter-mach-Schalter, als mir eine Idee kommt.

Eine Übung, mich in einem stockdunklen Raum zur Tür finden! Nico hat diese Übung oft mit mir gemacht und am Anfang war sie mit vielen blauen Knien geendet. Mittlerweile bin ich aber recht gut darin.

Das ich nicht genau weiß, wo was steht, erschwert die Sache natürlich, doch ich müsste schon so ungefähr die Hälfte hinter mir haben, als ich plötzlich gegen eine Wand knalle.

Stöhnend halte ich mir die Stirn. Wo kommt den auf einmal diese blöde Wand her? Moment, und wenn hier eine Wand ist, wo ist dann die Tür?

Fluchend spähe ich durch die Dunkelheit, doch kann immer noch nichts erkennen.

In dem Moment geht die Tür auf und ein breiter Spalt fällt in mein Zimmer. Sofort merke ich, dass ich wohl die ganze Zeit etwas zu weit nach rechts gelaufen bin.

„Alles ok, oder warum läufst du gegen Wände?“, fragt Finja mit einem Grinsen im Gesicht.

„Ach, ich wollte nur etwas ausprobieren“, erwider ich und stapfe zur Tür.

„Hat es geklappt?“

„Ne, sonst wäre ich nicht bei der Wand da gewesen!“

„Na dann. Kommst du rüber?“ Sie sieht mich mit leicht schräg gelegtem Kopf an.

„Klar.“

Gemeinsam gehen wir in ihr Zimmer wo ebenfalls schon die Jalousien herunter gelassen wurden, nur das bei ihr auch noch Licht brennt.

Finjas Zimmer sieht meinem ziemlich ähnlich, nur dass es eher in rot und weiß Tönen gehalten ist.

Sie setzt sich auf ihr großes Bett und ich mich neben sie.

„Also. Ich glaube wir sollten uns über das Abhauen noch mal Gedanken machen“, murmelt sie und sieht dabei auf die Matratze.

Überrascht sehe ich sie an.

„Aber … hast du Angst, dass wir es nicht schaffen und er uns nicht wieder mit zurück nimmt?“

Nach kurzem Zögern nickt sie.

„Die Möglichkeit besteht natürlich auch, doch ich … ich weiß nicht. Glaubst du wirklich, dass er dich danach bei sich aufnehmen würde?“

„Nicht ganz, davon abgesehen, dass ich es gar nicht will.“ Finja lächelt leicht gequält. „Aber was, wenn er es tatsächlich mitbekommt?“

„Wir schaffen das schon irgendwie. Nur, dass wir im Moment nicht wirklich die Möglichkeit haben. Wir müssen uns irgendwie vorbereiten“, überlege ich und setze mich in den Schneidersitz.

„Ja, was zum Beispiel das Problem mit der Sprache trifft“, grübelt Finja.

Wir überlegen noch den ganzen Abend, doch uns fällt keine Möglichkeit ein, wie wir abhauen könnten, ohne das Herr Moralez uns wieder erwischt. Laufen können wir knicken, da wir keine Ahnung haben, in welche Richtung die Stadt liegt, außerdem würden wir an der Straße sofort entdeckt werden.

Wir müssten irgendwie in die Stadt kommen, dann könnten wir es schaffen zu verschwinden.

Irgendwann geht die Tür auf und wir beide verstummen sofort.

„Es ist schon nach elf als ab ins Bett“, grinst Jen uns an.

„Was will der denn hier?“, brummt Finja und sieht ihn ärgerlich an.

„Wieso denn?“, frage ich ihn.

„Hat Moralez gesagt.“

Moralez? Das Verhältnis zwischen den beiden muss ja noch schlimmer sein, als ich bisher dachte, wenn er seinen eigenen Vater schon beim Nachnamen nennt.

„Und warum sollten wir?“ Finja scheint eindeutig noch keine Lust zu haben, ins Bett zu gehen.

„Weil Morgen in voller und anstrengender Tag ist“, erklärt Jen. „Also, kommst du Eli…“

„Liz, noch einmal den anderen Namen, und ich komme nicht“, knurre ich und stehe auf.

Er sieht mich finster an, doch bleibt still, anders, als ich erwartet habe.

„Na gut, wir sehen uns Morgen“, sage ich zu Finja und lächel sie an. „Schlaf gut.“

Sie nickt. „Du auch.“

Ich gehe aus ihrem Zimmer, wo Jen immer noch auf mich wartet.

„Kontrollierst du jetzt, ob ich auch wirklich ins Bett gehe?“, frage ich mit einem Grinsen im Gesicht und gehe zu meiner Tür.

„Wenn du es so ausdrücken willst“, meint er nur.

Ich zucke mit den Schultern und gehe wortlos in mein Zimmer. Dann schließe ich die Tür, tapse in der Dunkelheit zu meinem Bett und werfe mich darauf.

Erst jetzt fällt mir ein, wie müde ich eigentlich bin und schließe die Augen. Ich versuche an gar nichts zu denken, einfach so schnell wie möglich einzuschlafen, und wünsche mir doch, in der Nacht wieder von Nico und Mate zu träumen.

Plötzlich werde ich wach, weil jemand meinen Hals umklammert. Im Zimmer herrscht absolute Schwärze, nur etwas Dämmerlicht flimmert herein, weil die Tür offen steht.

Moment? Sofort bin ich hellwach und versuche panisch, den Griff um meinen Hals zu lösen. Den Angreifer kann ich in der Dunkelheit nicht erkennen. Mein Herz schlägt wie wild, bitte, bitte lass es bloß ein Albtraum sein!

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