Chapter 17
Mit einem Satz springe ich auf ihn zu und habe ihn fast in einem Würgegriff, als Finja mich zurück zieht.
„Ach so, ich dachte schon es wäre jemand gefährliches“, sage ich süffisant und lehne mich wieder gegen die Wand. Jen funkelt mich böse an und steht auf.
Dann sieht er uns an wie eine Katze, die gerade zwei Mäuse gefunden hat, und sich noch nicht ganz sicher ist, ob sie nur mit ihnen spielen oder sie fressen will.
„Wer kommt?“
Mein Gehirn sucht fieberhaft nach einer Ausrede und ich muss grinsen.
„Meine … Lieblingsband. Ich habe Finja gerade von ihr erzählt, nicht war?“ Ich stoße sie in die Seite und sie nickt.
„Und ich wollte wissen, ob sie in ihrer Tour dieses Jahr tatsächlich nach Deutschland kommen“, spinnt Finja die Idee weiter und schenkt Jen ein breites Lächeln.
„Und wer ist deine Lieblingsband?“, fragt er und verschränkt die Arme vor der Brust. Anscheinend will er sich nicht damit zufrieden geben, keine verschwörerische Tätigkeit entdeckt zu haben.
„Ich gebe dir jetzt keinen Grund mich auszulachen“, erwidere ich bloß. „Hast du nichts zu tun, oder warum gehst du uns auf die Nerven?“
„Wahrscheinlich denkt er, wir würden gerade aus einem Fenster klettern“, kichert Finja.
Jens Blick wird immer böser. „Bah. Und ich weiß, dass du noch mehr eingesteckt hast, als du meinem Vater gezeigt hast.“ Triumphierend sieht er sie an.
„Und?“ Finja zuckt mit den Schulter, dreht sich um und zieht mich hinter sich her. „Verpetz mich doch.“
Jen bleibt hinter uns zurück und wir laufen durch die vielen Gänge.
Wir finden eine Tür hinter der eine Bibliothek liegt. Begeistert gehe ich hinein, während Finja unruhig in der Tür stehen bleibt.
„Sie dir das an! So viele Bücher.“ Ich drehe mich einmal im Kreis und schnupper den Geruch nach alten Büchern.
Finja steht immer noch in der Tür.
„Was ist?“ Fragend sehe ich sie an.
„Ich … ich war noch nie in einer Bibliothek.“
„Aber Bücher sind doch einfach toll! Was ist dein Lieblingsbuch?“
Finja zieht die Stirn kraus. „Ähm.“
Plötzlich kommt mir ein unangenehmer Gedanke. „Habt ihr überhaupt Bücher im Heim gehabt?“
Meines Wissens nach gibt es dort nämlich keine und zur Bestätigung schüttelt Finja den Kopf.
„Ich kann nicht lesen“, sagt sie völlig ruhig.
Ich brauche einen Moment um nicht vor Entsetzen in die Luft zu springen.
„Das ist ja … einfach nur babarisch! Die ganzen tollen Bücher!“
Sie grinst. „Ich würde es ja auch gerne können, aber Frau Kingston wird mir wohl kaum lesen bei bringen.“
„Mhm. Ich könnte es dir beibringen“, überlege ich.
Ihre Augen werden ganz groß. „Wirklich?“
„Japp. Ich bin ziemlich gut in so was. Ich meine lesen.“ Ich erinnere mich an die verzweifelten Nachmittage, wo ich mit Nico zuhause geübt habe, um in der zweiten Klasse nicht total zu versagen. Die Schule hatte sich geweigert, mich mit meinen acht Jahren in die erste Klasse zu stecken. Nicos Übungsmethoden waren nicht sehr fair, aber ziemlich erfolgreich gewesen. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht.
Finja sieht mich fragend an, worauf ich allerdings nur den Kopf schüttel.
„Aber später, ok?“ Sie gähnt. „Ich bin hundemüde. Wir können ja heute Abend anfangen, wenn du willst, aber ich hau mich erstmal hin.“ Langsam schlurft sie auf einen Sessel zu und macht es sich bequem.
„Klar. Ich sehe mich ein bisschen um, bis später.“ Zügig gehe ich aus der Bibliothek und schließe möglichst leise die Tür hinter mir.
„Gut“, sage ich laut zu mir selbst. Los geht’s!
Gut gelaunt mache ich mich auf den Weg und tigere ziellos durch die Gänge, luge mal in irgendwelche Räume hinein, doch meistens sind sie ziemlich unspektakulär: Sessel, Sofas, Fernseher (mindestens drei habe ich schon gefunden) Schreibtische und Bücher, Bäder (mindestens zwei in diesem Stockwerk) und Schlafzimmer. In dem Haus könnte eine ganze Armee übernachten. Außerdem gibt es Treppen. Überall sind Treppen.
Ich spähe gerade in das insgesamt fünfte Badezimmer, als ich ein leises Knarren vom Fußboden höre. Sofort stellen sich bei mir alle Nackenhaare auf, ich drehe mich automatisch in sekundenschnelle um trete zu. Das hat Mate mir beigebracht, und so oft, wie Nico sich an mich ran geschlichen hat, habe ich diese Übung zur Perfektion gebracht.
Der Mann sinkt schmerzvoll stöhnend auf den Boden. Er sieht aus wie einer der Bediensteten.
„Oh, Entschuldigung!“ Hastig helfe ich ihm auf die Beine. „Aber ich dachte, Sie hätten sich an mich herangeschlichen.“
Der Mann sieht mich gequält an. „Eigentlich sollte ich das tun, ja. Super reagiert!“ Er presst sich eine Hand auf den Magen.
„Was?“, kreische ich und werfe die Arme in die Luft. „Wer hat denn das gesagt?“
„Herr Moralez. Zum Training.“
Ich starre ihn aus zusammen gekniffenen Augen an.
„Wie komme ich am schnellsten zu seinem Büro?“, frage ich etwas unwirsch den armen Mann und ziehe ihn vollständig wieder auf seine Füße.
„Den Gang entlang, dann links. Dritte Tür.“
„Danke.“ Ich rausche an ihm vorbei, fege um die Ecke und reiße die dritte Tür auf. Herr Moralez sitzt an seinem Schreibtisch und sieht erstaunt auf.
„Können Sie mir sagen, was das soll?“, fauche ich und polter hinein.
„Ich weiß nicht was du meinst.“ Seine Ruhe und Gelassenheit machen mich nur noch wütender.
„Das Sie uns angreifen lassen, von ihren Angestellten?!“
„Das ist ein wirksames Training“, sagt er seelenruhig und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.
„Jetzt reichts“, knurre ich und springe auf ihn zu.
„Na na, denk an mein Angebot.“
Ich bremse vor seinem Schreibtisch ab und starre ihn hasserfüllt an. Alles in mir schreit danach, ihm eine reinzuhauen, doch ich beherrsche mich. Wütend drehe ich mich um und stapfe wortlos aus seinem Büro.
Der Typ hat doch einen Knall! Langsam gehe ich den Gang entlang. Es ist gerade Nachmittag und ich weiß nicht, was ich machen soll. Normalerweise gehe ich in so einem Fall Nico auf die Nerven, aber das geht ja schlecht.
Vielleicht sollte ich bei Finja vorbei sehen? Aber ich will sie auch nicht wecken.
Plötzlich habe ich eine Idee, renne die nächste große Treppe hinunter und erreiche tatsächlich die Eingangstür. Probehalber rüttel ich am Türgriff und stelle erstaunt fest, dass sie nicht verschlossen ist.
Doch ein ganz anderes Problem stellt sich mir in den Weg. Die Tür ist verdammt schwer. Keuchend versuche ich sie aufzuziehen, doch sie bewegt sich kaum. Missmutig stemme ich mich gegen die Wand und schaffe es, sie so weit zu öffnen, dass ich mich gerade so nach draußen schieben kann.
Es ist angenehm warm. Ich breite die Arme aus und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen.
Hier ist es wirklich toll, noch toller wäre es, wenn ich nicht gerade mit Moralez sondern mit Nico und Mate hier wäre.
Ich seufze. Zumindestens fällt mich hier draußen hoffentlich keiner an. Suchend sehe ich mich um und entdecke den Garten. Begeistert jogge ich los und finde mich in einem ordentlich gepflegten, wunderschönen Garten wieder. Irgendwie passt es nicht zu Moralez, etwas so schönes zu haben. Na ja, die Villa ist ja auch nicht schlecht, aber viel zu groß.
Ich lege mich mitten auf die Wiese und schließe die Augen. Das Gras ist angenehm weich und warm und riecht nach – Gras. Es tut gut, etwas vertrautes zu haben. Ich spüre die Sonnenstrahlen auf meiner Haut und atme langsam ein und aus.
Ganz allmählich schlafe ich ein.
„Liz! Komm schon, steh auf!“ Ich blinzel und sehe in Nicos Gesicht.
„Nico?“, frage ich ungläubig und rappel mich auf.
„Was hast du denn gedacht? Komm, willst du mit mir frühstücken?“ Er sieht mich gelassen an und deutet Richtung Küche. Gähnend krieche ich aus meinem Bett.
„Bleibt mir jetzt wohl gar nichts anderes übrig“, murmel ich und tapse hinter ihm her in die Küche.
„He, nicht so negativ“, lacht er und stupst mich an.
„Isst Mate nicht mit?“, frage ich verwundert, als wir in die leere Küche kommen.
„Ne, der schläft noch.“
Nico und ich setzen uns und ich greife nach einem Brötchen. Es ist noch warm und riecht etwas nach Gras.
„He, das … was ist das für ein Brötchen?“, frage ich misstrauisch.
„Ein ganz normales, wieso? Kannst du mir mal die Butter geben?“
Wir essen beide schweigend, dann greife ich nach einem zweiten Brötchen und nach der Erdbeermarmelade.
„Halt!“ Nico packt das Glas und sieht mich mit seinen dunklen Augen an.
„Was? Stimmt damit etwas nicht?“, frage ich überrascht und versuche das Kribbeln, was seine Finger auf meiner Haut auslösen zu ignorieren.
Nico sieht erst mich, dann das Marmeladenglas und dann wieder mich an. Sein Blick wandert zu seinem aufgeschnittenen Brötchen.
„Ja, sie reicht nicht mehr für zwei“, stellt er fest und rupft mir das Glas aus der Hand.
„He!“, rufe ich empört und springe auf, während Nico hastig den Deckel aufschraubt und nach seinem Messer greift.
Ich renne um den Tisch und schnappe nach der Marmelade, doch er ist schneller und springt ebenfalls auf. Die Erdbeermarmelade hält er so hoch wie er kann.
„Gib sie wieder her!“, beschwere ich mich und hüpfe immer wieder hoch um an seinen Arm ranzukommen, während er mich mit seiner anderen Hand auf Abstand hält.
„Aber die Erdbeermarmelade ist so lecker“, grinst er und drückt mich wieder ein Stück runter.
„Deswegen!“, knurre ich, schiebe seine Hand von meinem Kopf und klammere mich mit meinem ganzen Gewicht an seinen Arm.
Blitzschnell wechselt das Glas zu seiner anderen Hand und ich kann gerade noch loslassen, bevor ich zu Boden plumpse.
„Du gemeiner … gemeiner Dieb!“, fluche ich und strecke einen Arm aus.
„Das ist mein Beruf, Süße!“ Nico wuschelt mir durch die Haare und ich weiche fluchend aus.
Blitzschnell kletter ich auf seinen Stuhl und erwische das Marmeladenglas. Sofort schließen sich meine Finger darum, ich reiße es ihm aus der Hand und flüchte von dem Stuhl.
„Hier geblieben!“, grinst Nico und versperrt mir den Weg, als ich aus der Küche rennen will. Gerade noch so schaffe ich es nicht in ihn hineinzulaufen, ich spüre sein T-Shirt, ducke mich und sprinte wieder in die andere Ecke.
„Na warte.“ Triumphierend kommt Nico näher und ich sehe mich panisch nach einem Fluchtweg um, das Glas fest umklammert. In dem Moment stürzt Nico sich auf mich. Schreiend weiche ich ihm aus, schaffe es halb an ihm vorbei zu kommen, doch er erwischt mich am Arm. Hektisch weiche ich nach hinten aus und spüre Wand in meinem Rücken. Mist, ich stehe in einer Ecke!
Mit einem bösen Lächeln im Gesicht kommt er auf mich zu, lässt sich extra noch Zeit, weil er genau weiß, dass es keinen Fluchtweg für mich gibt.
Meine Augen wandern hektisch von seinen Händen zu seinem Gesicht.
„Gib mir das Glas“, fordert er leise, als er direkt vor mir steht.
„Nö“, erwider ich störrisch und schüttel den Kopf.
„Wenn du meinst.“ Er lächelt wieder und ich versuche schnell an etwas anderes zu denken.
Blitzschnell greift er nach meinem Arm, doch ich lehne mich instinktiv nach vorne, so dass er das Glas nicht packen kann. Mein ganzer Körper fängt an zu kribblen, als ich so an ihn gedrückt dastehe.
„Manchmal denke ich, es war nicht ganz so klug, dir die ganzen Sachen beizubringen“, knurrt er und zieht mir die Beine weg. Ich keuche auf und klammer mich an ihm fest, was mit einer vollen Hand nicht ganz einfach ist.
„Komm schon, lass los.“
„Vergiss es!“ Mit aller Kraft klammer ich mich an seinem T-Shirt fest.
Plötzlich spüre ich seine Hand sanft an meinem Hals. Überrascht heb ich den Kopf und sehe ihm direkt in die Augen.
Nico schlingt einen Arm um mich und zieht mich so ein Stück höher.
„Was“, fange ich an, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. Seine dunklen Augen funkeln.
Ganz langsam fährt seine Hand über meine Wange und zieht meinen Kopf näher zu sich heran. Er hat doch nicht …?
Mein Herz schlägt wie verrückt, ich weiß nicht wo ich hinsehen soll, doch kann andererseits meinen Blick nicht von seinem wunderschönen Gesicht wenden.
Nico ist mir jetzt ganz nahe, ich spüre seinen Atem auf meinen Lippen und frage mich, ob ich ohnmächtig werden soll.
Sanft aber bestimmt hat er mich an sich gedrückt und ich atme seinen Geruch ein. Mir wird ganz schwindelig vor Glück.
Ganz zart streicht er mit einem Finger über meine Lippe und dann spüre ich einen Ruck.
Ein böses Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht und ich sehe das Marmeladenglas in seiner Hand.
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