GA7 - Lo-Fi und Seelengesänge
Die siebte Aufgabe von der Kreativwerkstatt ist ein flüchtiges Wesen. Ein Irrlicht, das immer mal wieder aufleuchtet und sich dann doch nicht zu fassen ist. Dabei ist die Aufgabe eigentlich ganz einfach:
Lasse dich von einem Song inspirieren!
Ich habe tatsächlich eine ganze Liste von Songs, die mich inspirieren, um die ich mir für Geschichten mehr Gedanken drum machen möchte.
Genau aus diesen Gründen habe ich mir letztens Interviews und Interpretationen zu einem dieser Lieder angeschaut und war herbe enttäuscht. Denn egal was für tolle und waghalsige Interpretationen man hineinlesen konnte, so war die andere Hälfte der gelesenen Artikel davon überzeugt gehört zu haben, dass der Songschreiber eigentlich nur sein bestes Stück meinte und die Bedeutung des Songs damit in ein hinfälliges "Ich kann nichts dafür, dass ich fremdgehe" fällt.
Tja ...
Jetzt muss ich erstmal wieder lernen, diesen Song wieder nur auf meine Weise zu interpretieren. So, wie ich es zuvor hatte. Leichter gesagt, als getan. Da ich also wieder Songlos vor dieser Aufgabe stand und nicht noch einmal so eine Enttäuschung erleben wollte, habe ich mich dazu entschlossen zu einem Lo-Fi-Mix einen Charakter zu erstellen.
Zumindest war das der Plan. Doch die ganze Ambientemusik, das Schweben, die Ruhe und Gedankenwolken haben wieder etwas anderes gewollt.
Anstatt also einen neuen Charakter zu erstellen, habe ich in einen Text über einen Charakter aus einem bestehenden Buch von mir geschrieben: Verve.
Über Verve wusste ich zu Beginn des Schreibens nicht viel. Ich wusste, welche Augenfarbe er hat, seine Haarfarbe, seine Größe und seine Stellung in der Geschichte, doch persönliches wie Wünsche und Träume sind erst beim Schreiben entstanden.
⸻ ᓚᘏᗢ ⸻
Verve
»Ich verstehe dich. Bitte, bitte versprich mir nur zu schreiben.«
Ihre Abschiedsworte
Verve ließ seine Füße über die Reling baumeln. Sein erdig braunes Haar flatterte im Wind des Luftschiffes. Es war seine Pause. Hinter ihm hantierte seine Mannschaft fleißig. Liefen über Deck, kontrollierten die Fender, die Taue und die Ware. Verve genoss das Getümmel im Hintergrund. Es vermittelte ihm ein unbändiges Gefühl von Freiheit. Die Menschen hinter ihm waren eine Familie. Seine Familie, die er selbst erwählt hatte. Verve war stolz, dass er Teil davon war. Teil einer Familie, die er selbst erwählt hatte. Eine Familie, die ihm nicht andauernd Dinge um die Ohren warf. Eine Familie, die ihn liebte.
Verve atmete tief durch. Die frische Luft füllte seine Lungen, füllte ihn mit neuer Energie. Er spürte, wie die in der Luft wallende Magie an seinen Haaren spielte. Ihn in die Seite stupste und seine Aufmerksamkeit auf das Blatt vor sich lenkte. Ein leeres Blatt. Ein ungeschriebener Brief, den Verve schon seit Tagen vor sich her schob. Ein Brief an Ildiko.
Ildiko.
Ein leichter Schmerz durchzog ihn. Noch immer. Nie würde er ihr verweintes Gesicht vergessen, als sie ihn ziehen ließ. Das Lächeln, welches sie auf den Lippen gehabt hatte, als sie ihm das Versprechen abnahm zu schreiben.
Verve drückte seine Hand auf die schmerzende Stelle auf seiner Brust. Nur zu gerne hätte er Ildiko mitgenommen. Seine Kindheitsfreundin. Das Mädchen, welches ihm so viel bedeutete. Welches ihm gezeigt hatte, was Familie wirklich war. Welches das schönste Lächeln besaß, dass Verve kannte.
Er spürte die Sehnsucht nach ihr. Er wollte mit ihr Reisen, mit ihr auf diesem Schiff eine Familie sein. Doch Ildiko konnte nicht. Sie durfte ihre Insel nicht verlassen und Verve hasste sich dafür, dass er sie zurücklassen musste. Dass er nicht stark genug gewesen war auf sie zu warten, dass er seinen Traum von der Arbeit auf einem Luftschiff sofort ergriffen hatte. Dass er die erste Gelegenheit ergriffen hatte von seiner nicht-Familie zu flüchten.
Er bereute es und er bereute es nicht.
Der Wind drehte sich, sein geflochtener Zopf schlug ihm nun ins Gesicht und er musste ihn zur Seite schieben, um wieder auf das leere Blatt schauen zu können. Einen Moment starrte Verve sein eigenes Haar an. Er hatte es wachsen lassen, seit er auf dem Luftschiff ein neues Zuhause gefunden hatte. Ein Teil, mit dem er hoffte, Ildiko beim nächsten Treffen eine Freude bereiten zu können. Ihr hatte sein Haar schon immer gefallen.
Nachdenklich drehte er sich zur Seite, stützte sein eines Bein auf der Reling ab, während er sich gegen den Mast lehnte, der an dieser Stelle den Bauch mit dem Ballon verband. Sein Blick schweifte, blieb an den Wolken um sie herum hängen, während er es sich gemütlicher machte. Die Wolken bildeten tausende Gebilde. Früher hatte er mit Ildiko diese betrachtet, Bedeutung darin gesucht oder einfach die Farbenspiele, die die Wolken durch die verschiedenen Monde durchliefen. Auch jetzt konnte Verve zwei Monde gleichzeitig sehen.
Ein Grinsen stahl sich auf Verves Gesicht, als einer seiner Kameraden an ihm vorbeilief und ungeschickt einen Stapel Bücher dabei in den Armen trug. Eines davon war Feuerrot. Verve wusste, dass er diesen Umschlag auch bei Ildiko gesehen hatte. Sie hatte ihm diesen sogar extra gezeigt, weil er dieselbe Farbe hatte, wie seine Augen. Verve konnte dem nicht widersprechen. Er wusste, dass er die gleichen feuer haften Augen besaß, wie sein Vater. Wohl eines der wenigen guten Dinge, dass er von ihm bekommen hatte. Vielleicht noch seine hochgewachsene Statur. Sein Haar hatte er von seiner Mutter, die ihm im Gegensatz zu Ildiko immer nur gesagt hatte, wie dumm es war, dass er nicht die Haarfarbe seines Vaters geerbt hatte.
Eine lange Zeit hatte Verve ihr geglaubt. Bis Ildiko in sein Leben trat.
Er vermisste sie.
Sehr.
Verve spürte, wie ihm die Magie wieder anstupste, ihn darauf aufmerksam machte, dass er schon wieder Ildiko auf seinem Briefpapier skizziert hatte. Eine lachende Ildiko. Eine weinende Ildiko, weil sie ihn vermisste, so wie er sie. Der Wind stob auf. Zerrte kurz so stark am Papier, dass Verve es an seine Brust drücken musste.
»Schreibst du wieder deiner Geliebten?«, fragte einer aus seiner Mannschaft und war neben ihn getreten. Verve öffnete schon den Mund, um zu widersprechen, dass Ildiko nicht seine Geliebte war, als er einen mahnenden Blick erhält und ihn wieder schloss. Dann nickte er langsam.
Nachdenklich schaute er wieder in die Ferne, während er den aufmunternden Schlag seines Kameraden auf seiner Schulter spürte, der danach seines Weges ging. Auch wenn Verve es gerne leugnete, so kannte er nur zu gut, dieses Gefühl in seiner Brust. Ein Gefühl, dass er einschloss und von sich schob, seit er auf dem Schiff war. Ein Gefühl, dass erst hier in Freiheit sich wirklich entfaltet hatte.
Verve glättete das Papier, schaute noch einmal auf seine Zeichnung. Wie sich wohl Ildiko verändert hatte? Was sie gerade tat?
Er nahm sich ein neues Blatt und hob den Stift. Jetzt wusste er, was er Ildiko schreiben wollte.
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