22 | Zukunftspläne


Draco war überrascht, Hermine tatsächlich im gewohnten Korridor zu finden. Noch überraschter war er allerdings davon, dass sie in Nachthemd und Bademantel weinend auf einer Fensterbank saß. So hatte er sich ihre letzte gemeinsame Nacht vor Weihnachten definitiv nicht vorgestellt.

Zögernd blieb er vor ihr stehen. Sie hatte seine Anwesenheit sofort bemerkt, aber nur kurz den Kopf gehoben, um ihn anzusehen. Jetzt war ihr Gesicht wieder in ihren Armen vergraben und ihre Knie eng an die Brust gezogen. Was sollte er tun? Sie hatten gerade erst angefangen, normale Gespräche miteinander zu führen. War er wirklich der richtige, um sie zu trösten?

Langsam ließ er sich neben ihr auf die Fensterbank sinken. Es war eiskalt hier. Er wusste nicht, wie lange Hermine schon hier saß, aber es musste lange sein, denn ihr Körper strahlte keinerlei Wärme mehr ab. Vorsichtig, immer darauf bedacht, sie nicht zu erschrecken oder zu überwältigen, legte er erst einen Arm um sie, dann den anderen, und zog sie auf seinen Schoß.

Sie wehrte sich nicht, sondern schlang ihre Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Ihr Weinen wurde heftiger. Draco zwang sich, sie nicht zu fragen, was los war. Wenn sie es ihm erzählen wollte, würde sie das schon tun. Er hielt sie einfach nur fest und streichelte ihr über den Rücken, während sie haltlos schluchzte.

„Sie sind alle so doof", wimmerte Hermine, als ihr Weinen langsam aufhörte. „Allesamt. Wie können Menschen sich so schnell so sehr verändern? Ich dachte, wir hätten etwas Besonderes. Ich dachte, wir wären Freunde fürs Leben, die nichts auseinanderbringen kann."

Wut stieg in Draco auf. Wenn sie so sprach, konnte sie eigentlich nur Weasley oder Potter meinen. Vermutlich eher Weasley, der hohle Rotschopf. Er presste ihren zierlichen Körper enger an sich. Sie weinte wegen ihres Ex-Freundes. Er spürte, wie sich neben Wut ein ganz anderes, hässlicheres Gefühl in ihm regte. Er würde nichts dazu sagen. Sie war schon traurig genug.

„Sie wissen, dass ich niemanden mehr habe. Sie wissen das doch!", schluchzte Hermine und Draco hörte ihre Frustration deutlich.

„Was ist denn passiert?", wisperte er leise. Jetzt hatte er es doch gefragt. Er verwünschte die Eifersucht, die ihn dazu drängte, alles, was sie über Weasley dachte und fühlte, herauszufinden.

„Ron!", erwiderte sie und plötzlich war alle Emotion aus ihrer Stimme gewichen. Sie klang nur noch erschöpft. „Ron ist passiert. Ich dachte, ich feire Weihnachten dieses Jahr im Fuchsbau. Aber offensichtlich passt das dem Herrn nicht, weil er wieder mit Lavender zusammen ist."

Mühsam schluckte Draco die nächste Frage runter, die sich sofort gebildet hatte. Weinte sie, weil sie eifersüchtig auf Lavender war? Sie hatte gesagt, dass sie mit Weasley Schluss gemacht hatte, aber stimmte das wirklich?

Hermine rutschte von seinem Schoß und setzte sich alleine neben ihn auf die Fensterbank. Sie schaute ihn nicht an, während sie weitersprach. „Wir haben schon mal zusammen Weihnachten gefeiert, im sechsten Schuljahr. Das war ziemlich unangenehm für alle und jetzt meint Ron, dass es besser für mich wäre, nicht dabei zu sein. Und Ginny und Molly scheinen ihm Recht zu geben."

„Bist du eifersüchtig auf Lavender?" Wieder rutschte ihm eine Frage raus, die er definitiv nicht hatte stellen wollen. Errötend schaute Draco zur Seite. Was gab ihm das Recht, Hermine mit seiner Eifersucht zu belasten, wenn sie gerade so litt?

„Was?", kam es in offensichtlicher Überraschung von ihr. „Malfoy ... du denkst ... denkst du, ich wäre eifersüchtig auf Lavender?"

Mit einem unterdrückten Fluch fuhr er sich durchs Haar. Er hatte die Frage wirklich nicht laut aussprechen wollen. Schuldig blickte er sie an. „Naja, ich weiß halt nicht, was du wirklich denkst. Oder fühlst."

Sie schaute ihn nur an. Schaute ihn an, als würde sie ihn das erste Mal wirklich sehen. Angespannt verschränkte Draco die Arme vor der Brust. Er konnte sich vorstellen, was in ihr vorging. Vermutlich würde sich gleich ihre Wut auf ihn richten. Dass es ihn nichts anging. Dass er unsensibel war. Sein ganzer Körper verkrampfte sich, während er sie anstarrte und auf eine Antwort wartete.

„Oh, Draco", flüsterte Hermine. Er konnte das Mitleid in ihrer Stimme hören. Frustriert blickte er wieder weg. Hätte er bloß nichts gesagt. Es war gerade alles so gut gegangen, und jetzt hatte er die Grenze überschritten. Natürlich verstand sie mit einer Frage von ihm, dass er selbst eifersüchtig war. Dass er sich mehr erhoffte, irgendwann vielleicht zumindest.

Ihre kleinen, kalten Hände griffen nach seinem Gesicht und zwangen ihn, wieder zu ihr zu schauen. Ernst blickte sie ihn an. „Draco. Ich dachte, das wäre klar. Ich dachte, wir wären endlich auf einer Wellenlänge. Du hast doch selbst ... du hast den ersten Schritt getan. Denkst du, ich wäre blind?"

Verwirrt sah er sie an. Er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte. Welchen ersten Schritt hatte er getan? Und was sollte klar sein?

„Draco", wiederholte Hermine betont. „Ich bin nicht eifersüchtig auf Lavender. Ich will Ron nicht zurück. Ich habe Schluss mit ihm gemacht und meine Gefühle für ihn sind immer noch wie im Sommer: Ich liebe ihn wie einen Bruder. Mehr nicht. Wenn ich überhaupt jemanden ...", errötend brach sie ab.

Draco spürte plötzlich, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Seine Anspannung stieg, aber es fühlte sich nicht mehr belastend an. Im Gegenteil. Er wollte wissen, was sie zu sagen hatte. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass sie weitersprach.

Immer noch rot im Gesicht, immer noch beide Hände auf seinen Wangen, erklärte Hermine: „Ich mag das, was wir haben. Wir, Draco. Du und ich. Du bist in kürzester Zeit zu einem wertvollen Menschen für mich geworden. Ich mag unser Wir. Deswegen bin ich nicht eifersüchtig auf Lavender."

„Ich mag das auch!", brach es aus Draco raus, ehe er sich sammeln konnte. Hermines Worte hatten irgendetwas tief in ihm berührt. Als wäre da plötzlich ein Lichtstrahl, der seinen ganzen Körper in sanfte Wärme badete.

Sie lächelte ihn an. Ihre Augen waren immer noch gerötet und er konnte die Spuren ihrer Tränen sehen, aber sie lächelte ihn an. Nicht zum ersten Mal fühlte Draco den beinahe überwältigenden Drang, sie zu küssen. Und nicht zum ersten Mal unterdrückte er das. Sie hatte gesagt, dass sie ihr Zusammensein mochte, aber bisher hatten sie sich nie geküsst. Ihre Worte mussten nicht heißen, dass sie ihn küssen wollte.

„Jedenfalls", fuhr Hermine schließlich fort, „habe ich jetzt niemanden mehr, mit dem ich Weihnachten feiern kann. Ich bin mal wieder alleine."

Irgendwie hatte Draco das Gefühl, gerade einen wichtigen Moment verpasst zu haben. Ihre Stimme klang wieder emotionslos und sie schaute ihn nicht länger an. Unsicher rieb er sich mit den Handflächen über die Oberschenkel. Er wusste eine gute Lösung für ihr Problem. Eine, die ihm auch gut gefallen würde. Aber wenn sie ablehnte, wusste er nicht, ob er das aushalten konnte.

„Ich denke, ich werde morgen mit Professor McGonagall sprechen und sie fragen, ob ich spontan hierbleiben kann." Immer noch klang Hermines Stimme merkwürdig in Dracos Ohren. Hoffte sie, dass er etwas sagte? Angespannt schielte er zu ihr. Sie schaute ihn nicht an, sondern blickte auf ihre ineinander verknoteten Finger. „Vermutlich wird sie Molly einen Heuler schicken, wenn sie hört, dass ich spontan ausgeladen wurde."

Er würde es bereuen, wenn er sie nicht fragte. Und es kam ihm eh zu Gute, da er sowieso nicht nach Hause fahren wollte. Es gab keinen Grund, sie nicht zu fragen. Draco schluckte. Warum machte es ihn immer so unfassbar nervös, sie simple Dinge zu fragen?

„Wenn du willst", setzte er an, doch seine Stimme versagte ihm. Er räusperte sich. Hitze stieg ihm in die Wangen. Man sollte nicht meinen, dass er achtzehn Jahre alt war. Verärgert über sich selbst räusperte er sich erneut und fuhr dann fort: „Wenn du möchtest, kann ich auch hierbleiben und wir machen zu Weihnachten gemeinsam etwas?"

Hermines Augen wurden groß. „Bist du sicher?"

Verlegen rieb er sich über den Hinterkopf. „Ich will sowieso eigentlich nicht nach Hause. Meine Eltern haben sich noch nicht vom Krieg erholt und es ist einfach alles so seltsam. Und ich hab so viel schlechte Erinnerungen an unser Haus, weil ... naja, du weißt schon."

„Oh, Draco!", rief Hermine aus und fiel ihm um den Hals. „Wenn du hierbleiben willst, würde mich das sehr, sehr glücklich machen. Wir können dem Rest der Welt den Rücken kehren und einfach nur zu zweit sein."

Erleichtert erwiderte er die Umarmung. Warum hatte er sich eigentlich Sorgen gemacht? Die letzten Tage war Hermine so viel offener mit ihren Gefühlen gewesen, er sollte wissen, dass sie gerne Zeit mit ihm verbrachte. Er musste aufhören, sich ständig Sorgen zu machen. Lächelnd streichelte er ihr über den Kopf. Wenn er sie in den Armen hielt, waren alle negativen Gedanken so fern.

„Was meinst du", er senkte seine Stimme, um verführerisch zu klingen, „wollen wir zu Weihnachten rausfinden, ob du wirklich eine brave Hexe bist?"

„Ugh, Malfoy!", protestierte sie, doch er hörte deutlich, dass sie es nicht ernst meinte. „Wenn du nicht willst, dass ich hier im kalten Korridor über dich herfalle, hältst du dich mit dem Tonfall besser zurück!"

Breit grinsend tätschelte er ihren Kopf. Es war gut, dass ihre schlechte Laune sich gebessert hatte. Und es tat noch besser zu wissen, dass er die Ursache war. Innerhalb von wenigen Wochen hatte Hermine Granger es geschafft, dass er sich in ihrer Gegenwart wirklich wohlfühlte und es ihm besser ging, einfach nur wenn sie da war. Dass er anscheinend einen ähnlichen Effekt auf sie hatte, versetzte ihn in Hochstimmung.

„Also", wechselte er das Thema, „wir reden beide morgen mit McGonagall, dass wir hierbleiben. Und dann machen wir Pläne für Weihnachten. Wir könnten reinfeiern. Wir treffen uns Heilig Abend und verbringen die Nacht bis Weihnachten zusammen."

Draco versuchte, den Vorschlag so selbstverständlich und unschuldig wie möglich klingen zu lassen, doch er merkte sofort, dass er kläglich scheiterte. Sein Mund war trocken und er hörte die Unsicherheit aus seinem eigenen Tonfall.

Zu seiner Erleichterung grinste Hermine ihn schief an. „Die Nacht zusammen verbringen, mh? Mit der Idee könnte ich mich anfreunden."

Zufrieden schloss Draco die Augen und genoss es einfach, seine Hexe in den Armen halten zu können. Er wusste nicht, wie es nach Weihnachten weitergehen würde, aber für den Moment war er glücklich. An die Zukunft konnte er später noch denken.

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