21 | Weihnachten steht vor der Tür
Mit zitternden Händen hielt Hermine den Brief fest. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gelesen hatte. Egal, wie oft sie die wenigen Zeilen las, sie konnte es einfach nicht glauben. Sie kniete auf ihrem Bett und starrte auf das Pergament. Was erlaubte sich dieser Schuft?
Liebe Mine!
Ich hoffe, Hogwarts ist nett zu dir als Rückkehrerin. Ich verstehe immer noch nicht, warum du unbedingt ein weiteres Jahr die Schulbank drücken willst.
Ich schreibe dir wegen Weihnachten. Ich weiß, dass geplant war, dass du Weihnachten mit uns im Fuchsbau feierst, weil deine Eltern ja nicht mehr da sind. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn wir das doch nicht machen.
Ich bin wieder mit Lavender zusammen. Ich weiß, dass du sie nicht magst, und ich bin mir sicher, dass du Weihnachten auch lieber nicht hier feiern willst, wenn sie da ist. Meine Mutter stimmt mir da auch zu. Sie meint, du wärst bestimmt nur eifersüchtig, und dann hast du keine Freude am Fest.
Es tut mir leid, dass ich dir das so kurzfristig schreibe. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Aber Ginny meinte, ich muss es tun, sonst wäre ich unfair. Grüß sie bitte von mir, ja?
Ron
Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Sie konnte nicht glauben, dass Ron sie einfach so fallenließ. Es war ihr doch egal, ob er eine neue Freundin hatte. Sie hatte sich aus Überzeugung von ihm getrennt. Und jetzt wurde sie ausgeladen? Und Molly stellte es so hin, als wäre sie schuld?
Mit einem lauten Fluch zerriss sie das Pergament. Das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Verstand er wirklich nicht, wie viel ihr Weihnachten im Fuchsbau bedeutete? Ihre Eltern wussten nicht mehr, dass sie existierte – mit wem sonst sollte sie feiern?
Heulend griff sie sich ihr Kopfkissen und umklammerte es mit beiden Armen. Sie hatte so viel für Harry und Ron geopfert, und jetzt wurde sie einfach so fallengelassen. War sie für Ron nur etwas wert gewesen, weil er in ihr eine potentielle Ehefrau gesehen hatte? Hatte sie sich ihre jahrelange Freundschaft nur eingebildet? War sie nur in ihrer Rolle als Frau etwas wert?
Und sie hatte ihn vor Draco noch verteidigt. Hatte seine Macken und seinen Minderwertigkeitskomplex voller Verständnis und Wohlwollen verteidigt.
Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür zum Schlafsaal. „Oh, schlechter Zeitpunkt?", kam es von Ginny, die gerade eingetreten war.
Alle Wut, die Hermine auf Ron empfand, brach plötzlich aus ihr hervor. „Du! Du kannst mich auch einfach in Ruhe lassen!"
Mit großen Augen trat Ginny an ihr Bett. „Was? Was ist los?"
„Ich hab gerade Rons Brief gelesen!"
„Oh", machte Ginny und ihr Gesicht verriet, dass sie sich plötzlich an jeden anderen Ort, nur nicht hier wünschte.
„Ja, oh!", fuhr Hermine sie an. „Du hättest mich nicht warnen können? Seit wann wusstest du, dass Ron mich ausladen will?"
Verlegen schaute Ginny auf ihre Hände. „Seit ein paar Wochen."
„Ein paar Wochen?!"
„Hey, komm schon, Hermine", wehrte Ginny sich. „Was erwartest du von mir? Ron und Mama haben entschieden, dass du nicht dabei sein kannst. Ich fand das von Anfang an doof. Glaubst du, da will ich dir diese Nachricht überbringen?"
Wütend wischte Hermine sich die Tränen von den Wangen. „Hast du wenigstens versucht, sie umzustimmen? Oder Harry? Habt ihr überhaupt was dazu gesagt?"
„Was soll ich denn dazu sagen?", verlangte Ginny zu wissen. „Wir wissen doch alle, wie das Weihnachten vor zwei Jahren abgelaufen ist. Da war Lavender auch da und das ganze Fest war ruiniert, weil ihr zwei euch angezickt habt."
Mit offenem Mund starrte Hermine ihre rothaarige Freundin an. Diesen Vorwurf hatte sie nicht erwartet. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Ich hab das Fest ruiniert? Nicht eher Lavender, die Ron diese furchtbare Kette geschenkt hat? Oder Percy, der plötzlich mit dem Zaubereiminister auftaucht, weil der Harry in seine PR-Maschine einbauen will? Ich hab das Fest ruiniert?"
Mit den Augen rollend warf Ginny sich auf ihr Bett. „So hab ich das nicht gemeint. Mensch, Hermine, was ist denn los? Du weißt doch, dass ich dich gerne im Fuchsbau hab. Ich finde es auch doof, dass du nicht da bist."
Am liebsten hätte Hermine Ginny nach übermorgen gehext. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Dass Ron unsensibel und kindisch war, konnte sie ja vielleicht noch verstehen. Aber dass jetzt auch Ginny so offensichtlich egal war, dass sie zu Weihnachten alleine sein würde, tat ihr wirklich weh.
Ehe sie sich zügeln konnte, schrie Hermine: „Weißt du was? Der Fuchsbau kann mir gestohlen bleiben! Ihr könnt mich alle mal! Vielleicht ist es besser, wenn ich dieses Jahr in Malfoy Manor Weihnachten feiere. Das wäre doch angemessen, oder nicht?"
Sie ließ Ginny keine Zeit, um darauf zu reagieren. Mit einem Satz sprang sie vom Bett, griff sich ihren Bademantel und ihre Hausschuhe, und floh aus dem Schlafsaal. Sie hatte genug von Ginnys Anwesenheit.
***
Nachdenklich schaute Draco in seinen Koffer. Normalerweise freute er sich auf die Weihnachtsferien, doch dieses Jahr war er nicht in richtiger Stimmung. Letztes Jahr war an feiern nicht zu denken gewesen, und dieses Jahr fuhr er aus mehr als nur einem Grund mit gemischten Gefühlen heim.
Sollte er seinen Eltern verraten, dass er eine Affäre mit Hermine hatte?
Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, wie ernst seine Eltern der Reinblutglaube noch war. Er hatte dem Ganzen abgeschworen in der Sekunde, in der der erste Schrei über Hermines Lippen gekommen war, während seine Tante ihn gefoltert hatte. Nichts in dieser Welt rechtfertigte es, auf andere Menschen so einen Hass zu haben.
Aber ob seine Eltern genauso dachten?
Er wusste, dass seine Mutter mit dem Tod ihrer Schwester nur schwer klargekommen war. Natürlich hatten sie alle gewusst, dass Tante Bella wahnsinnig war, aber es war trotzdem ihre geliebte Schwester. Ob sie vielleicht Hermine oder einen ihrer Freunde für den Tod verantwortlich machte?
Ganz zu schweigen von seinem Vater. Der hatte seit der Verurteilung kaum ein Wort mehr gesprochen, weder mit ihm, noch mit seiner Mutter. Wer wusste schon, was in seinem Kopf vor sich ging.
Wie konnte er dieses Jahr nach Hause fahren und auf ein schönes Weihnachtsfest hoffen?
Mit einem Seufzen klappte er den Koffer zu und stellte ihn neben das Bett. Es war auch egal. Morgen würde er wie alle anderen auch in den Zug steigen und heimfahren. Wie jedes Jahr.
Vielleicht schaffte er es, heute Abend noch Hermine zu erwischen, um sich gründlich von ihr zu verabschieden. Er wusste nicht genau, wie lange ihre Frauenprobleme anhielten, aber vielleicht war ja schon wieder alles klar.
Lächelnd dachte er an den Spaziergang zurück. Die Art, wie Hermine errötet war, als er sie direkt angeschaut hatte und brav zu ihr gesagt hatte, war einfach zu entzückend gewesen. Er hatte an sich halten müssen, sie nicht mit Haut und Haaren aufzufressen. Ob sie wusste, wie unfassbar niedlich sie sein konnte?
Er wünschte, sie würde in Hogwarts bleiben diese Weihnachten. Dann würde er auch hierbleiben und sie konnten gemeinsam ein paar ruhige Tage verbringen. Aber sie fuhr natürlich zu den Weasleys, um mit ihrer zweiten Familie Weihnachten zu feiern. Er hatte sich nicht beklagt, als sie ihm das am Vortag erzählt hatte, aber innerlich hatte er gebrannt.
Warum feierte sie Weihnachten mit ihrem Ex-Freund?
Natürlich wusste er, dass sie ihre Eltern verloren hatte. Er verstand, dass sie sich nach einem Ersatz sehnte. Deswegen hatte er auch nichts gesagt. Aber die Eifersucht hatte ihn doch gepackt. Er konnte sich nicht helfen. Er wollte, dass sie ihm gehörte, ihm alleine, und dass ei für niemanden sonst Augen hatte.
Wieder seufzte er. So vielversprechend der Spaziergang auch gewesen war, er sollte sich keine zu großen Hoffnungen machen. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sie ihn genauso sah wie er sie. Sie war einfach nur einsam, deswegen mochte sie seine Gesellschaft.
Kopfschüttelnd stand er vom Bett auf. Er würde diesen Gedanken nicht folgen. Er konnte nicht wissen, wie es in ihr aussah. Vielleicht wartete sie im gewohnten Korridor auf ihn. Er würde auf jeden Fall jede Sekunde bis zur Abfahrt nutzen, um sie daran zu erinnern, was sie an ihm hatte. Vielleicht konnte er so verhindern, dass sie über Weihnachten und von alten Freunden umgeben vergaß, dass es ihn gab.
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