20 | Brave Hexe
Frierend rieb Hermine ihre Hände aneinander. Es war zum ersten Mal diesen Winter richtig kalt und die Luft roch nach Schnee. Sie hoffte, dass es bald schneien würde, damit sie nächste Woche weiße Weihnachten genießen konnte. Aber für einen Spaziergang am See waren die Temperaturen alles andere als ideal.
Immerhin lenkte die Kälte sie von ihrer Nervosität ab. Sie wusste nicht, was sie heute erwarten würde. Dass Draco von sich aus vorgeschlagen hatte, dass sie sich einfach mal so treffen konnten, hatte sie mehr als überrascht. Und gefreut. Es schien ihm unangenehm zu sein, diese Art von Interesse zu zeigen, entsprechend hoch rechnete sie ihm an, dass er die Frage gestellt hatte. Sie selbst hätte dazu niemals den Mut gehabt.
Dunkelheit senkte sich über den See und in der Ferne konnte sie endlich die schemenartigen Umrisse von Draco erkennen. Er war zu spät, aber das war ihr egal. Sie versuchte, nicht von einem Ohr zum anderen zu strahlen, als er sich ihr näherte. Sie musste ja nicht so offensichtlich machen, dass sie sich über dieses Date freute. Falls er es überhaupt als Date sah.
„Hey", begrüßte sie ihn schüchtern, als er direkt vor ihr zum Stehen kam.
„Hey", entgegnete er wesentlich selbstbewusster. „Bist du dir sicher, dass wir das hier machen wollen? Es ist arschkalt."
„Es gibt kein zu kalt", erwiderte sie mit erhobenem Zeigefinger, „es gibt nur falsch angezogen."
Sein Blick wanderte an ihrem dicken, roten Mantel auf und ab und blieb an ihrem Kopf hängen. „Zum Beispiel ohne Mütze und ohne Handschuhe?"
Erröten rieb sich Hermine mit einem Finger über die Wange. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ganz so kalt ist."
Draco kniff die Augen zusammen und starrte sie für einen Moment lang durchdringlich an. Dann packte er seinen Schal, öffnete den Knoten und zog ihn vom Hals. Ehe sie begriff, was er vorhatte, war er direkt vor sie getreten und hatte ihr seinen Schal wie ein Tuch über den Kopf gelegt und unter ihrem Kinn zusammengeknotet.
„He!", protestierte sie beschämt. „Jetzt frierst du doch!"
„Ich friere nicht so leicht", gab er zurück, während er den Kragen seines Mantels hochklappte.
Sie schaute ihn skeptisch an, doch da er nichts weiter sagte, ließ sie es so stehen. Sie konnte fühlen, dass ihre Wangen immer noch brannten. Diese Geste war so süß, dass sie auf der Stelle geschmolzen wäre, wenn es nicht so eisig wäre. Zögerlich setzte sie sich in Bewegung und schlug den Weg nach rechts ein.
Draco folgte ihr augenblicklich, hielt aber etwas Abstand zwischen ihnen. Unsicher wanderte Hermines Blick zu ihm. Worüber sollten sie jetzt reden? Sie hatten noch nie wirklich miteinander geredet. Gab es überhaupt irgendetwas, worüber sie sich unterhalten konnten?
„Du hast mir nie verraten, warum du nicht mehr mit Weasley zusammen bist."
Unwillkürlich zuckte Hermine zusammen. Das war ein mehr als ungünstiger Gesprächsauftakt. Es war zu dunkel, um in seinem Gesicht lesen zu können, was Draco dachte. Den Blick stur geradeaus gerichtet, erklärte Hermine langsam: „Ich glaube, wir haben uns einfach auseinander entwickelt. Ich liebe Ron immer noch, aber eher wie einen Bruder. Er ist eine gute Seele, aber der Krieg ... was passiert ist, hat ihn verändert."
„Aber dich doch auch", warf Draco ein.
Sie nickte. „Schon, aber das ist etwas anderes. Ron hat immer darunter gelitten, dass er nicht im Mittelpunkt steht. Die vielen älteren Brüder, die alle so viel erreicht haben. Sein bester Freund ist Harry Potter, der sowieso immer im Mittelpunkt steht. Ich glaube, Ron war wirklich oft neidisch auf seine Brüder und Harry, und fand es unfair, dass er selbst nie so bewundert wurde."
„Und jetzt ist er ein Kriegsheld und genießt es in vollen Zügen?", hakte Draco nach und Hermine hörte deutlich den spöttischen Untertitel.
Energisch schüttelte sie den Kopf: „Nein, im Gegenteil. Er ... wir haben da nie drüber geredet, weil es einfach niemanden was angeht. Als wir zu dritt im Wald campiert haben, ist Ron weggelaufen. Er war enttäuscht von Harry und wütend auf mich und hat die Kälte und den Hunger nicht mehr ausgehalten."
Mit einem Seufzen fuhr Hermine sich durch die Haare. Sie hatte Ron nie einen Vorwurf gemacht, weil sie schon in der Situation gewusst hatte, dass es nur das verdammte Horkrux war, das ihn hatte so ausrasten lassen. Aber Ron war stur. Zögerlich fuhr sie fort: „Er konnte nicht wirklich etwas dafür. Schwarzmagische Gegenstände verändern Menschen. Weder Harry noch ich haben ihm je wirklich einen Vorwurf gemacht. Und er hat ja alles versucht, um uns wiederzufinden. Das war alles, was für uns zählte. Aber Ron sieht das anders."
„Warte, warte", unterbrach Draco sie erneut. „Er hat euch einfach so im Stich gelassen? Du warst mit Potter alleine unterwegs?"
Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Wie gesagt, es war nicht wirklich seine Schuld. Es ist zu kompliziert, das alles zu erklären. Vielleicht später irgendwann mal. Jedenfalls ... Ron hat in der Schlacht um Hogwarts große Dinge geleistet. Aber je länger die Schlacht her war, umso mehr hat er das anscheinend vergessen. Er ist nur noch eingenommen davon, dass er uns im Stich gelassen hat. Ich glaube, dass er unterbewusst sich immer gefragt hat, ob es einen Grund hat, dass er nicht so erfolgreich ist wie seine Brüder und Harry. Und nach der Schlacht ... da konnte er nur noch sehen, dass er ein Versager ist. Das hat er so gesagt. Dass er ein Versager ist. Seine Schuld hat angefangen, ihn zu zerfressen. Und ... ich hab versucht, ihn aufzubauen."
Wieder seufzte sie. Je mehr sie versucht hatte, für Ron da zu sein, umso weniger ließ er sie an sich ran. Sie konnte nichts mehr richtig machen und er fing an, sich für alles zu entschuldigen. Irgendwann war ihr aufgegangen, dass er nur noch Dinge tat, um ihr zu gefallen. Oder um Harry zu gefallen. Aber von dem, was er wirklich wollte, war nicht mehr viel übrig.
„Was du erzählst, klingt für mich so, als wäre er tatsächlich ein Versager", riss Draco sie aus ihren Gedanken.
Erbost blieb Hermine stehen. „Sag das nicht! Du weißt nicht, was er durchgemacht hat. Was wir alle drei durchgemacht haben. Nicht jeder ist immer mutig und immer optimistisch. Nicht jeder ist immer stark. Ron ist einfach ein Mensch mit ganz normalen Fehlern. Alle um ihn herum haben ihm verziehen. Nur er selbst kann das nicht."
Abwehrend hob Draco beide Hände und drehte sich zu ihr um. „Sorry, sorry. Ich wollte nicht bösartig sein. Naja, vielleicht schon. Weasley war schon immer eine traurige Figur."
Genervt stieß Hermine die Luft aus. „Ich will nicht mit dir streiten, Malfoy. Ich weiß, dass du Harry und Ron nicht magst. Aber ich will nicht, dass du sie beleidigst. Das tut mir auch weh."
Ergeben ließ Draco die Hände sinken. „Okay, du hast Recht, das war nicht fair. Ich sollte sie nur beleidigen, wenn sie anwesend sind."
Gegen ihren Willen musste Hermine grinsen. Sie schlug spielerisch nach ihm, doch wie immer fing er ihre Hand mit Leichtigkeit ab. Statt sie jedoch wieder loszulassen, schlängelte er seine langen Finger durch ihre und hielt sie fest.
Hitze breitete sich in Hermines Gesicht aus. Von jetzt auf gleich hatte sich alles geändert. Sie hielt Händchen mit Draco Malfoy. Verunsichert schaute sie zu ihm hoch. Es war zu dunkel, um wirklich etwas sehen zu können, aber sie war sich sicher, dass auch seine Wangen einen leichten Rotschimmer hatten. Er erwiderte ihren Blick ohne jegliche Bösartigkeit. Er schaute sie einfach nur an, als ob er sie anschauen wollte.
Verlegen senkte sie den Blick und setzte sich wieder in Bewegung. Wenn er sie so ansah, würde sie ihn am liebsten anspringen. Und dazu war jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt.
Zu ihrer Überraschung ließ Draco ihre Hand nicht los. Er lief enger neben ihr, so eng, dass sie sich beinahe berührten, und hielt ihre Hand fest. Sie wagte beinahe nicht zu atmen, weil sie Angst hatte, dass alles nur ein Traum war und sie im nächsten Moment aufwachen würde. Schweigend ging sie neben ihm her. Draco war ebenso stumm, und sein Blick war stur geradeaus in die Dunkelheit gerichtet. Nur die Wärme seiner Hand und das beinahe unmerkliche Streicheln seines Daumens über ihren Handrücken verrieten, dass er die Situation sehr wohl anerkannte.
Für eine Weile gingen sie einfach schweigend durch die Dunkelheit. Hermine musste zugeben, dass sie es genoss, mit Draco alleine zu sein. Dass er nicht die Notwendigkeit verspürte, die Stille zwischen ihnen mit Smalltalk zu füllen, gefiel ihr sehr. Normalerweise suchte sie immer irgendein Gesprächsthema, weil ihr Schweigen schnell unangenehm wurde. Aber jetzt gerade genoss sie es so sehr, dass sie noch stundenlang hätte so weitermachen können.
Nach mehreren Minuten kamen sie an eine Wegkreuzung, wo ein Pfad wieder zurück zum Schloss führte. Nachdenklich blieb Hermine stehen.
„Wir sollten vielleicht langsam wieder zurück zum Schloss?", schlug sie zögerlich vor. Wenn sie ehrlich war, wollte sie den Spaziergang noch nicht beenden, aber sie wollte auch nicht unpünktlich zum Abendessen sein. „Oder was meinst du, Malfoy?"
„Draco."
Verwirrt blinzelte sie zu ihm hoch: „Was?"
Draco stellte sich vor sie und legte ihr eine Hand auf die Wange. „Mein Name ist Draco. Ich fände es schön, wenn du ihn benutzen würdest."
Augenblicklich lief sie hochrot an. Es war nur ein Name, aber plötzlich war sie zu verlegen, um ihn auszusprechen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Warum musste er sie auch immer so anschauen? Warum musste er immer so zärtlich zu ihr sein, wenn sie es am wenigsten erwartete?
„Komm schon, Hermine", flüsterte er ihr mit dunkler Stimme zu. „Probier es mal aus."
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, ließ Hitze in ganz anderen Körperregionen aufkommen. Mit aufeinander gepressten Lippen schüttelte sie den Kopf.
„Was ist denn dabei?", fragte er, seine Stimme immer noch tief und verboten verführerisch, aber mit einem neckischen Unterton. „Ich weiß doch, dass du es liebst, meinen Namen zu stöhnen. Ich hab dich gehört, erinnerst du dich? Ich weiß, wie himmlisch er klingt, wenn du ihn aussprichst."
Ein leises Wimmern entfuhr Hermine. Die Art, wie er ihr diese Worte zuraunte und sie dabei unverwandt anstarrte, ohne ihre Hand loszulassen oder seine Hand von ihrer Wange zu nehmen, stellte unmögliche Dinge mit ihrem Innersten an. Angespannt leckte sie sich über die Lippen. Er hatte ihren Namen gesagt, also konnte sie das auch schaffen.
„Draco", hauchte sie mit zittriger Stimme.
Sie wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt. Dracos ganzes Gesicht hellte sich auf, während er sie voller Wärme anschaute. „So ist es brav."
Sie hätte beinahe laute aufgestöhnt. Erschrocken vor sich selbst trat sie einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Die Art, wie er voller Ernst und mit diesem verfluchten dunklen Tonfall „brav" gesagt hatte, ließ ihre Beine fast zu Gummi werden. Was stimmte nicht mit ihr?
„Wir sollten wirklich zurück zum Schloss", sagte sie betont, ohne ihn anzuschauen.
Sie konnte hören, wie Draco mit Mühe ein Kichern unterdrückte, doch er leistete keinen Widerstand, als sie den Pfad betrat. Zu ihrem Entsetzen schien er ihre Reaktion sehr gut verstanden zu haben. „Wie du wünschst, brave Hexe."
Knallrot im Gesicht fuhr sie ihn an: „Lass das! Ich schwöre, wenn du mich damit aufziehst, nenn ich dich nie wieder Draco."
„Was?", tat er ahnungslos. „Du willst nicht brav sein? Aber du würdest mich so stolz machen, wenn du brav immer wieder meinen Namen sagst."
„Stopp!", flehte sie verzweifelt. „Ich meine es ernst! Hör auf damit."
„Na gut", lenkte Draco schließlich ein, „ich will ja kein fieser Kerl sein."
Hermine wollte gerade erleichtert aufatmen, da beugte sich Draco zu ihr runter und raunte ihr zu: „Heben wir uns das fürs Bett auf, mh? Mal sehen, wie brav du dann bist, kleine Hexe."
Dieses Mal konnte sie ein Stöhnen nicht unterdrücken. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben verwünschte sie die Natur für die höchst unpraktische Funktionsweise des weiblichen Körpers.
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