18 | Seit Jahren
Theo wusste, wenn Draco um diese Uhrzeit den Gemeinschaftsraum verließ, blieb er für lange Zeit weg. Er hatte keine Ahnung, wohin sein Freund verschwand, und wenn er ehrlich war, wollte er es auch nicht so genau wissen. Es gab eigentlich nur eine Sache, die ein Mann wie Draco nachts und in Verschwiegenheit machen würde.
Wenn also nicht jetzt, wann dann?
Mit einem langen Stöhnen stand er vom Sofa auf. Er hatte es schon viel zu lange vor sich hergeschoben. Er traute sich nicht, was ihm nicht ähnlich sah. Er war immerhin derjenige von ihnen dreien, der immer verständnisvoll, aber auch direkt war. Wenn Draco oder Blaise ehrliche Worte hören mussten, um mit ihrem Scheiß aufzuhören, war er es, der sie sagte.
Ohne die anderen Schüler, die noch im Gemeinschafsraum saßen und in leise Gespräche verwickelt waren, zu beachten, begann er den langen Gang zum gemeinsamen Schlafsaal. Es passte ihm sehr gut, dass sie zu dritt in einem Zimmer waren, weil die ungerade Anzahl an Schülern anders nicht aufging. Er hätte nicht gewusst, was er mit einem jüngeren Schüler im Zimmer hätte anfangen sollen.
Beinahe lautlos öffnete er die Tür zum Schlafsaal, trat mit einem langen Schritt ein und schloss sie ebenso leise hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er sofort, dass Blaise die Vorhänge um sein Bett zugezogen hatte. In den vielen Jahren, die sie schon gemeinsam ein Zimmer geteilt hatten, hatte er gelernt, was das hieß: Blaise wollte in Ruhe gelassen werden.
Er atmete erleichtert auf. Heute war nicht an das Gespräch zu denken, wenn Blaise bereits so ablehnend war.
Sofort schüttelte Theo den Kopf. Nein. Er würde sich diese Ausrede nicht durchgehen lassen. Er würde jetzt mit Blaise sprechen, und wenn er ihn dazu zwingen musste.
Entschlossen ballte er die Fäuste und trat an das Bett seines Freundes heran. „Blaise?"
„Geh weg."
Er schluckte. Blaise wollte nicht mit ihm reden. Es verletzte ihn, wie abweisend sein bester Freund war. Wieder einmal fragte er sich, ob er mit dem Kuss alles zwischen ihnen zerstört hatte. Aber Blaise hatte ihn erwidert. Blaise war derjenige, der ihn solange provoziert hatte, bis er nachgegeben und zu seinen Gefühlen gestanden hatte.
„Ich gehe nicht weg, bis wir geredet haben", gab er kühl zurück. Er würde sich nicht wieder einschüchtern lassen.
„Wir reden doch, was willst du noch?"
Wütend packte Theo den Vorhang und zog ihn beiseite.
„Spinnst du?", meckerte Blaise ihn sofort an, doch außer einem bösen Blick leistete er keinen Widerstand.
„Es tut mir leid, dass ich unsere Regel brechen muss", entschuldigte Theo sich zerknirscht, fuhr dann aber verärgert fort: „Wir müssen reden. Wir sind nicht mehr zwölf."
Sein dunkler Freund setzte sich endlich hin und schaute ihn aufmerksam an. „Willst du mir vorwerfen, ein Kind zu sein?"
Frustriert setzte Theo sich auf die Kante des Bettes. „Ich will dir gar nichts vorwerfen, Blaise. Ich will einfach nur ... reden."
„Oh nein, mein Freund!", fauchte Blaise ihn an, der jetzt auch ernsthaft wütend wirkte. Er beugte sich vor und stach Theo einen Finger in die Brust. „Tu bloß nicht so, als wäre ich das Problem! Wage es ja nicht! Du hast den Schwanz eingezogen! Du bist ohne ein Wort weggelaufen und hast mich danach gemieden. Wag es ja nicht, so zu tun, als wäre ich der Grund, warum wir nicht reden."
Theo rutschte ein Stück weiter auf das Bett, um sich mit dem ganzen Körper zu Blaise drehen zu können. „Ich hätte nicht weglaufen sollen, da hast du ja recht. Aber du hast ... du hast mich angesehen, als wäre ich ein Freak. Als würdest du mich nicht kennen."
In offensichtlicher Frustration warf Blaise beide Hände in die Luft. „Was dachtest du denn, wie ich reagiere, Theo? Hast du irgendeine Vorstellung ... wie schwer die letzten Jahre für mich waren?"
Theodore hatte plötzlich das Gefühl, als hätte ihn jemand in die Magengrube geschlagen. Alle Luft wich aus seinen Lungen. „Was meinst du damit?"
Ergeben fuhr Blaise sich mit einer Hand über das Gesicht. „Theodore Nott. Du weißt ganz genau, dass ich bisexuell bin. Wir haben oft genug darüber geredet. Ich stehe auf Jungs und Mädchen. Und du hast oft genug gesagt, dass du das komisch findest und nicht verstehen kannst. Was glaubst du, wie es mir geht, wenn du mich dann plötzlich küsst?"
„Aber du hast mich doch provoziert!", fuhr Theo ihn an. Er wollte nicht hören, was Blaise als Erklärung zu sagen hatte. „Du hast mich solange in die Ecke getrieben, bis ich nicht anders konnte. Und dann starrst du mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen!"
„Verfluchte Scheiße! Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff! Ich bin ernsthaft in dich verliebt, okay? Ich ...", Blaise unterbrach sich und schluckte. Er schaute Theo plötzlich nicht mehr an, sondern richtete seinen Blick auf seine Hände, die in seinem Schoß lagen. „Ich bin schon seit Jahren in dich verliebt, Theo. Seit Jahren. Und ich wusste einfach, dass es sinnlos ist, weil du nicht so tickst. Und ich hab versucht, dass es aufhört, okay, ich hab es wirklich versucht. Aber ich konnte nicht."
„Blaise", flüsterte Theo, doch er wusste gar nicht, was er eigentlich sagen wollte.
„Und dann fängst du an, mich anders zu behandeln", fuhr er fort, mit plötzlicher Verzweiflung in der Stimme. „Seit wir wieder hier in Hogwarts sind, bist du plötzlich so angriffslustig. Und ich frag mich, ob du vielleicht was ahnst. Ob du was ahnst und das abscheulich findest und mich loswerden willst. Und dann streiten wir uns ständig und ich will eigentlich nur, dass alles ist wie immer, aber das ist es nicht mehr. Und dann ... dann küsst du mich einfach. Und ich denke mir nur, Jackpot, ich hab gewonnen. Vielleicht besteht doch Hoffnung. Ich war einfach nur überwältigt, Theo. Überrascht und so glücklich und gleichzeitig hatte ich so viel Angst."
„Bei Merlin, Blaise", hauchte Theo. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte nie darüber nachgedacht, was er wirklich für Blaise empfand. Er wusste nur, dass er sich nach seiner Berührung, nach seiner Umarmung sehnte.
Seine Hand zitterte, als er sie auf die Hände seines besten Freundes legte. „Ich wusste nicht ... ich bin so ein Trottel. Ich wusste einfach nicht ... ich hab mich einfach irgendwie zu dir hingezogen gefühlt. Anders als vorher. Und ich wusste nicht, was das ist, und ich hab mich geschämt dafür."
„Weil du verdammt noch mal im letzten Jahrhundert steckengeblieben bist!", fuhr Blaise ihn an, doch es fehlte die Wut, die zuvor in seinen Worten gelegen hatte.
Theo errötete. Im Gegensatz zu ihm war Blaise einfach schon immer so offen gewesen. Er konnte mit Draco so locker über Sex und Mädchen sprechen, und dabei auch immer selbstbewusst sagen, dass er auch auf Jungs stand. Theo selbst fiel das so viel schwerer. Er konnte einfach nicht von sich selbst als schwul denken.
Aber vielleicht sollte er den Tatsachen endlich ins Auge sehen und seine Gefühle akzeptieren. Er hatte selbst zu Draco gesagt, dass das Leben zu kurz war.
„Es tut mir leid, Blaise", sagte er langsam und betont und schaute ihm dabei direkt in die Augen. „Ich habe mich wie ein Idiot verhalten und dich verletzt. Das war das Gegenteil von dem, was ich wollte."
„Entschuldigung akzeptiert", erwiderte Blaise sofort. Plötzlich lag ein Grinsen auf seinen Lippen, ein Grinsen, das Theo nur zu gut kannte. So sah Blaise aus, wenn er Schabernack im Sinn hatte. Ehe er sein Misstrauen in Worte formulieren konnte, hatte sein Freund sich nach vorne gebeugt und sein Gesicht in beide Hände genommen. „Wenn du eigentlich das Gegenteil wolltest – was ist es denn, was du wirklich willst?"
Hitze schoss in Theos Wangen und er musste einen Moment mit sich kämpfen, um nicht den Rückzug anzutreten. Er wollte das hier. Es machte ihm Angst und war neu, aber er wollte das. Ohne Zurückhaltung schaute er Blaise in die Augen: „Eigentlich will ich das!"
Und dann beugte er sich auch vor, zog seinen besten Freund in seine Arme und küsste ihn. Es dauerte nur einen Herzschlag, bis Blaise den Kuss und die Umarmung erwiderte. Er ließ sich rückwärtsfallen, so dass Theo auf ihm landete, aber sie unterbrachen den Kuss nicht. Stöhnend registrierte er, wie sich die Hände von Blaise ihren Weg zwischen ihre Körper suchten und zielstrebig zwischen seine Beine wanderten.
Heiße Lust durchfuhr ihn und jegliche Angst verschwand. Genau das hier hatte er schon seit langem gewollt.
***
Draco bemühte sich, leise zu sein. Es war inzwischen fast Mitternacht und er wollte seine beiden Zimmergenossen nicht aufwecken. Vor allem, weil gerade niemanden sehen wollte. Das Gespräch mit Granger war so gut verlaufen, und dann hatte es sich einfach um hundertachtzig Grad gedreht und sie waren plötzlich wieder genau da, wo sie angefangen hatten. Alles war furchtbar.
Er legte die Hand auf die Klinke zum Schlafsaal und zog sie ganz langsam runter. Sachte schob er die Tür gerade soweit auf, dass er hindurch huschen konnte, dann schloss er sie und ließ die Klinke ebenso langsam wieder in die Waagerechte gleiten. Er hatte kein Geräusch gemacht. Mit angehaltenem Atem drehte er sich im dunklen Zimmer um.
Ein tiefes Stöhnen drang an sein Ohr.
Draco erstarrte in seiner Bewegung. Das Stöhnen kam eindeutig von Blaise' Bett und das Bett von Theo war leer.
Ein weiteres Stöhnen, etwas lauter und höher diesmal, erklang.
Mit großen Augen starrte er zu dem Bett, dessen Vorhänge zugezogen waren, aber offensichtlich nicht vor Geräuschen geschützt. Das konnte doch nicht wahr sein. Warum stolperte er neuerdings ständig über andere Schüler mitten im Sexakt.
Und was bei Merlin dachten sich seine beiden besten Freunde dabei, so offensichtlich und ohne jegliche Rücksicht auf ihn zur Sache zu kommen? Sollte er seine Anwesenheit kundtun?
Nein, das wäre nur unangenehm für alle. Blaise und Theo hatten es sich verdient, endlich miteinander im Bett gelandet zu sein. Ihr merkwürdiger Streit, die angespannte Luft nach dem Kuss, das war viel zu lange gegangen. Es war gut, dass sie offensichtlich endlich alles, was zwischen ihnen gestanden hatte, aus dem Weg geräumt hatten.
Auf Zehenspitzen schlich Draco sich zu seinem Bett, kroch hinein, zog lautlos die Vorhänge zu und legte dann einen Lärmschutz-Zauber über den Stoff. Sofort erstickten alle Laute, die von außen an sein Ohr drangen. Erleichtert atmete er auf. Er würde ihnen morgen einfach sagen, dass sie zu laut waren.
Erschöpft ließ er sich rückwärtsfallen. Er hasste sich dafür, dass er trotz allem nicht ehrlich zu Granger sein konnte. Sie wollte nur Sex. Sie fühlte sich genauso einsam wie er, und sie litt darunter mindestens ebenso wie er, aber für sie war er eben immer noch nur Draco Malfoy. Er konnte ihr nicht sagen, dass er so viel mehr von ihr wollte.
Er wusste ja selbst nicht einmal, was dieses Mehr eigentlich war. Er spürte einfach nur jede Sekunde, die er in ihrer Gegenwart verbrachte, dass er sie beschützen wollte vor dieser Einsamkeit, die ihn so plagte, und dass er sich wünschte, dass sie ihn vor derselben Einsamkeit rettete. Ein einfacher Kuss würde ihm schon reichen. Irgendein Zeichen, dass sie nicht nur Sex von ihm wollte, sondern echte Nähe. Echte Gefühle.
Mit einem innerlichen Fluch drehte er sich zur Seite. Er konnte nicht bekommen, was er wollte, also brachte es auch nichts, ewig darüber nachzudenken. Er schloss die Augen und zwang sich, nicht mehr über Hermine nachzudenken. Er konnte wieder Sex mit ihr haben. Das war gut. Das würde ausreichen.
Es musste ausreichen.
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