17 | Offene Aussprache
Sie ließ sich Zeit mit allem. Sie hatte sich langsamer als sonst ausgezogen, länger als sonst über die Auswahl des Badezusatzes nachgedacht und lag jetzt schon länger als sonst im Becken.
Es war nicht so, dass sie bewusst länger brauchte. Es war keine aktive Entscheidung gewesen, sich heute Nacht Zeit zu lassen. Es war nicht einmal eine bewusste Entscheidung gewesen, ins Bad der Vertrauensschüler zu gehen. Aber während Hermine im Becken lag, die Augen geschlossen, den Kopf am Rand abgelegt, ging ihr auf, dass ein Teil von ihr hoffte, dass Draco wieder hier auftauchen würde.
Sie versuchte, den Gedanken zu verscheuchen, doch das nervöse Flattern und die Anspannung blieben. Tief holte sie Luft und tauchte in das heiße Wasser ein. Mit offenen Augen paddelte sie vorsichtig auf der Stelle, hielt sich knapp unter der Oberfläche, solange wie es ihr Atem hergab. Wenn nur diese verdammte Hoffnung nicht wäre.
Als ihre Lungen kurz davor waren zu bersten, schoss sie wieder hoch und schnappte nach Luft. Sie wischte sich den Schaum vom Gesicht und stellte frustriert fest, dass ihre Hoffnung noch immer wie ein Parasit an ihr klammerte.
„Willst du einen neuen Rekord aufstellen?"
Mit aufgerissenen Augen wirbelte sie herum. Er war hier. Er war tatsächlich gekommen.
Barfuß, aber noch in sein weißes Hemd und die schwarze Hose gekleidet, beide Hände in den Hosentaschen vergraben, stand Draco Malfoy am Beckenrand und schaute auf sie hinab. Ein erleichtertes Grinsen huschte über Hermines Lippen. Sie konnte sich nicht helfen, sie freute sich maßlos.
Sie streckte einen Arm aus und zog sich zum Beckenrand, so dass sie genau vor seinen Füßen im Wasser schwamm. Es war ihr egal, dass sie wie eine Idiotin grinste, sie hatte nicht vor, ihre Freude vor ihm zu verbergen. „Was führt dich zu so später Stunde hierher?"
Langsam ließ Draco sich vor ihr auf den Fliesenboden sinken. Er schaute sie direkt an, doch seine Miene verriet nicht, was er dachte. „Ich hatte gehofft, dass du hier sein würdest."
Hermine schluckte. Obwohl sie selbst so offen war, hatte sie nicht mit diesem ehrlichen Geständnis gerechnet. Errötend schaute sie auf ihre Hände, die sich an den Beckenrand klammerten. „Du wolltest mich sehen?"
Seine langen Finger legten sich um ihre Wange und zwangen sie, zu ihm aufzuschauen. Im gedimmten Licht der Kerzen schien sein Blick zu flackern, als er sie unverwandt anstarrte.
„Natürlich wollte ich das."
Es lag so viel Wärme in seiner Stimme. So viel Ehrlichkeit. Wieder schluckte Hermine. Aus dem Nichts formten sich Tränen in ihren Augen und jegliche Freude darüber, dass er da war, wurde überschattet von Traurigkeit und Wut.
Mit einem Schniefen stützte sie sich auf den Beckenrand und zog sich aus dem Wasser. Es war ihr egal, dass sie jetzt nackt neben Draco saß. Sie hatten sich oft genug nackt gesehen und Sex miteinander gehabt. Verzweifelt versuchte sie, die Tränen zu unterdrücken, doch je mehr sie sich zurückhalten wollte, umso stärker flossen sie.
„Hey", kam es in hörbarer Überraschung von Draco, „hey, Granger, was ist denn los?"
Er war so verdammt ignorant. Wütend schlug sie mit einer Hand nach ihm, und als er mühelos ihr Handgelenk packte, schlug sie mit der anderen zu. Auch diese Hand fing er ab. Trotzig und verzweifelt rangelte sie mit ihm, doch er ließ sie nicht los. Mit aller Kraft warf sie sich auf ihn, bis er rückwärts umfiel und sie hart auf ihm landete. Immer noch flossen heiße Tränen über ihr Gesicht. Sie konnte nicht glauben, wie dumm er war.
„Idiot!", zischte sie ihn an, während sie sich mit beiden Händen abstützte, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Du bist unfair! Wie kannst du ... wie kannst du mich einfach ignorieren und wegstoßen, als wäre ich dreckiger Abschaum? Und dann tauchst du hier auf, als wäre nichts gewesen, und erwartest, dass ich dir glücklich zu Füßen liege?" Sie boxte ihm halbherzig gegen die Brust und dieses Mal hielt er sie nicht auf. „Wenn du eh vorhattest wiederzukommen, warum ... warum hast du das dann getan? Hast du irgendeine Vorstellung ... ich hasse dich! Ich hasse dich so sehr."
Heulend brach sie über ihm zusammen und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so einsam gefühlt wie in dieser Woche. Es war ihr egal, ob Draco nur Sex von ihr wollte. Es war ihr egal, was er wirklich über sie dachte. Sie wollte nur, dass er sie wieder im Arm hielt. Sie wollte doch nur, dass jemand da war, der verstand, wie schlimm der Krieg für sie gewesen war.
Dracos Arme schlossen sich um sie und hielten sie eng an seinen Oberkörper gepresst. Er hielt sie fest, während sie nur weinen konnte. Eine seiner Hände strich ihr beruhigend über den Rücken. Er sagte nichts, als würde er instinktiv spüren, dass jedes Wort gerade unangebracht war.
Erst jetzt, als sie hier in seinen Armen lag, ging Hermine auf, wie einsam sie sich wirklich gefühlt hatte. Wie viel ihr Draco Malfoy bedeutete, obwohl sie kaum ein Wort miteinander gesprochen hatten. Er war einfach nur da, stellte sie nicht in Frage, verlangte nichts von ihr, sondern gab ihr stattdessen, was sie brauchte. Sie hatten kaum miteinander geredet, und trotzdem fühlte sie sich so viel besser verstanden als von Harry, der auf all ihre Sorgen antwortete, dass sie eine Heldin und wie stark und mutig und intelligent sie war. Besser sogar als Ron, der sich so sehr dafür schämte, sie zwischenzeitlich im Stich gelassen zu haben, dass für ihren Kummer kein Platz mehr war.
Besser als ihre eigenen Eltern, die nicht einmal mehr wussten, dass sie existierte.
„Ich bin einfach so alleine", wisperte sie, nachdem die Tränen endlich versiegt waren. „Ich bin so allein und ich kann das einfach nicht mehr aushalten."
Vorsichtig richtete Draco sich in eine sitzende Position auf. Sein Rücken lehnte an der niedrigen Mauer zwischen dem Becken und dem Eingang, und Hermine ließ sich von ihm hochziehen, bis sie auf seinem Schoß saß. Immer noch hielt er sie in seinen Armen und sie lehnte sich an seine Brust.
„Ich wollte dich nicht alleine lassen", sagte Draco langsam. Seine tiefe Stimme trug Traurigkeit in sich. „Mir geht es ähnlich wie dir. Und dann warst du da und hast diese Leere in mir gefüllt und ich hab mich wieder gut gefühlt."
Sie drückte sich ein wenig vom ihm weg, um ihm in die Augen schauen zu können. „Warum warst du so wütend? Ich bin ehrlich, wenn ich sage, dass ich es nicht verstehe."
Er schaute sie offen an. Sein Blick huschte zwischen ihren Augen hin und her, als suchte er darin nach etwas. Schließlich legte er ihr wieder eine Hand auf die Wange. „Du hast doch selbst gesagt, dass du traumatisiert bist. Von dem, was in meinem Zuhause passiert ist. Es ist einfach gefährlich, mich soweit zu treiben, dass ich die Kontrolle verliere. Ich will dir nicht wehtun, Granger, auch wenn es dir vielleicht schwerfällt, das zu glauben."
Neue Tränen stiegen in ihr hoch. Wie konnte dieser Junge, nein, dieser Mann so einfühlsam sein? Wieso begriff er Dinge, die Harry trotz aller Erklärungen nie verstehen konnte? Sie schluckte, blinzelte, und zwang die Tränen weg. Entschlossen umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und schaute ihn direkt an. „Ich weiß das, Malfoy. Ich vertraue dir, so merkwürdig das auch sein mag. Ich vertraue darauf, dass du mir niemals absichtlich Schaden zufügen würdest."
„Merlin, Granger!", unterbrach er sie hitzig und wischte ihre Hände weg. „Hörst du dir zu? Wie kannst du mir vertrauen? Ich vertraue ja nicht mal mir selbst! Hast du vergessen, was ich getan habe? Hast du vergessen, dass ich mehrfach beinahe unsere Mitschüler getötet hätte, nur um mein Ziel zu erreichen? Wie kannst du ... ich vertraue ja nicht mal mir selbst!"
Bestimmt schüttelte Hermine den Kopf. „Du hattest Angst. Dein eigenes Leben war in Gefahr. Wir alle tun absurde Dinge, wenn unser Leben in Gefahr ist. Aber das ist vorbei. Du wurdest von allen Verbrechen freigesprochen. Man hat dir verziehen. Und ich vertraue darauf, dass du niemals wirklich jemandem etwas antun wolltest. Deswegen kann ich dir vertrauen."
Ruckartig beugte Draco sich vor und brachte sie damit aus dem Gleichgewicht. Mit rudernden Armen kippte sie nach hinten. Draco packte sie an den Schultern und verhinderte so, dass sie unsanft mit dem Kopf aufschlug. Dann er beugte sich über sie und hielt sie unter sich gefangen. Als sie zu ihm aufschaute, sah sie, wie sein Blick hungrig auf ihr ruhte. Seine Kiefer pressten sich aufeinander, genauso wie seine Hände zu Fäusten geballten neben ihrem Kopf auf den Fliesen lagen. Es stand so viel Hunger und Verlangen und Verzweiflung in seinem Blick.
Langsam beugte er sich tiefer zu ihr runter. Sein Blick huschte über ihre Lippen und plötzlich wurde Hermine unfassbar heiß. Er wollte sie küssen. Er wollte sie küssen und sie wollte das auch. Sie wollte nichts mehr, als von ihm geküsst zu werden.
Nervös leckte sie sich über ihre Lippen und wartete mit angehaltenem Atem, dass er die letzten Zentimeter überbrückte.
Mit einem verärgerten Knurren stieß er sich von den Fliesen ab und rutschte ein ganzes Stück von ihr weg. Verwirrt stützte Hermine sich auf ihre Arme, um sich wieder aufzusetzen.
„Ich glaube, ich verstehe nicht so richtig, was genau deine Sorge ist", sagte sie langsam und ohne ihn anzuschauen. „Aber es tut mir wirklich, wirklich leid, dass du dich wegen mir so schlecht gefühlt hast. Ich wusste nicht, dass du so über dich selbst denkst. Ich habe einfach nie wirklich darüber nachgedacht, wie das alles für dich gewesen sein muss."
Sie seufzte leise und blickte endlich zu ihm auf. Er saß da, die Beine angewinkelt und seine Arme auf den Knien abgelegt, und starrte einfach nur zu Boden. Mit zitternder Stimme fuhr sie fort: „Ich weiß jetzt, dass ich zu viel von dir verlangt habe."
„Granger!", unterbrach er sie erneut, doch Hermine hob sofort eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Nein, Malfoy, bitte, hör mir einfach zu." Sie hörte selbst, wie verzweifelt und bettelnd ihre Worte klangen. „Es ist okay. Wir suchen beide nach etwas, damit es uns besser geht. Es sollte hier nur darum gehen, was sich gut anfühlt. Und", sie leckte sich erneut nervös über die Lippen, ehe sie die nächsten Worte rausbrachte, „Sex mit dir fühlt sich gut an. Ich wünsche mir, dass wir ... genauso wie vorher. Genauso wie in den Wochen davor. Das war doch gut, oder? Du hattest auch Spaß, oder?"
Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, Draco weiterhin anschauen zu können. Sie spürte selbst, wie ihre Wangen heiß und rot geworden waren. Es war merkwürdig, wie leicht sie Sex mit ihm haben konnte, aber wie schwer es ihr fiel, darüber zu reden. Sie merkte kaum, wie sich ihre Fingernägel nervös in ihre eigenen Handflächen gruben, während sie auf eine Antwort wartete.
„Ja", kam es schließlich tonlos von Draco. „Ich hatte auch Spaß. Wenn du willst, können wir wieder ... wie vorher. Wenn es das ist, was du willst."
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Er klang nicht begeistert, aber er hatte zugestimmt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie noch viel länger geredet. Es gab so viel, was sie ihm sagen wollte. Aber Dracos unemotionale Antwort ließ alle Gedanken daran unmöglich werden. Das war okay. Sie konnte ihn wieder regelmäßig sehen, ihn wieder regelmäßig spüren. Das war das wichtigste.
Sie lächelte ihn zaghaft an. „Das freut mich. Und danke, dass du mir zugehört hast. Es bedeutet mir wirklich viel."
„Granger, ich...", setzte Draco an und in Hermines Herz zog sich etwas zusammen. Es schwang so viel in diesem einen Wort, in ihrem Namen mit. Er sagte es, als würde sie ihm etwas bedeuten. Als wollte er ihr auch nahe sein. Begierig beugte sie sich vor, um zu hören, was er zu sagen hatte.
Doch er brach ab, senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Es ist okay. So wie vorher ist gut."
Enttäuscht nickte sie. Vielleicht verlangte sie immer noch zu viel von ihm. Nur, weil sie sich ihm emotional offen und verletzlich gezeigt hatte, hieß das nicht, dass er das auch wollte. Vielleicht überforderte sie ihn damit. Er hatte immerhin seine ganz eigenen Probleme. Sie sollte ihr Glück nicht riskieren und ihn in eine Ecke drängen. Überhaupt wieder Sex mit ihm haben zu können, war schon viel wert.
Etwas zittrig stand sie auf. Sie wollte noch irgendetwas zum Abschied sagen, doch sie wusste nicht, was. Es gab zwischen ihnen nichts mehr zu sagen. Sie schluckte erneut ihre Tränen hinunter.
„Also dann, man sieht sich", presste sie mit gespielter Fröhlichkeit hervor.
„Ja", erwiderte er, ohne sie anzuschauen. „Ich warte darauf, dass du mich wieder am Arm packst und über mich herfällst."
Sie konnte nicht einmal lachen über seine spielerische Bemerkung. Sie drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zur Umkleide. Es war gut so. Sie hatte Draco wieder in ihrem Leben. Das war genug für sie.
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