Kapitel 8: Das Angebot
Kaum hatte Lucy ihre Zimertür hinter sich geschlossen, erstarrte sie mitten im Türrahmen.
Sie blinzelte.
Es blieb alles unverändert.
Denn dort, genau da auf ihrem wunderschönen, riesigen Himmelbett lag ein Briefumschlag, der mit einem seltsamen Zeichen versiegelt war.
Lucy trat rasch näher und schaute sich erst im Zimmer um, ehe sie sich den Umschlag schnappte.
Sie betrachtete das Symbol genauer.
Ein weißes Auge.
Das Zeichen der Neverseen.
Was wollten die denn von ihr? Lucy wusste, es gab nur einen Weg, es rauszufinden.
Ihre Finger zitterten, als sie den Umschlag öffnete und einen kurzen Brief herauszog.
Wir haben Antworten.
Treffen am Sonntag nach Sonnenuntergang.
Benutze den Sprungkristall.
Komm alleine.
Erst jetzt bemerkte Lucy den Sprungkristall, der dem Brief beigelegt worden war.
Er war blau.
Die Farbe der verbotenen Städte.
Wow.
Lucy wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Der Vackerjunge hatte sie gewarnt, dass die Neverseen ebenfalls versuchten sie zu rekrutieren.
Aber sie hatte es nicht allzu ernst genommen.
Und jetzt war sie an einem Punkt, an dem sie sich dringend setzen musste.
Sie ließ sich auf der Bettkante ihres Himmelbettes nieder.
Sie hatte eine Menge Fragen.
Was meinten die Neverseen damit, dass sie Antworten hätten?
Antworten auf die Fragen, die sie sich gestellt hatte, kurz nachdem sie die Erinnerung an den Sturm zurück hatte?
Antworten auf ihre Fragen wegen dem seltsamen Mann?
Antworten auf ihre Vergangenheit?
Lucy wurde klar, dass sie sich in einer verzwickten Lage befand.
Denn ob sie wollte oder nicht, spätestens jetzt wurde sie dazu gezwungen, zwischen den beiden Organisationen zu wählen.
Und die große Frage war:
Welche war die bessere Wahl?
Black Swan war ziemlich verschlossen, geheimnisvoll und neigte bekanntlich dazu, viel mehr nachzudenken als wie zu handeln.
Außerdem hatten sie Genexperimente an der DNA eines Elfen durchgeführt und dieser Elf handelte jetzt wie eine brave Marionette nach den Anweisungen der Organisation.
Bei den Mitgliedern von Black Swan wusste Lucy nicht, wo sie anfangen sollte.
Allesamt stürköpfige, hitzige Teenager, die von einem Kolletkiv angeführt werden, das nicht mal annähernd so schlau ist wie sie denken.
Der einzige unter den Jungendlichen der ein wenig Grips im Schädel hatte, war der Schatten.
Die "Mondlerche" hatte ja nicht das geringste Zeug zur Anführerin,
dieser Fitz dachte, er wäre was besseres als alle anderen und seine Schwester von Miss Tausendschön wollte sich nicht die Hände schmutzig machen.
Der Technopath würde in einem richtigen Krieg nicht viel ausrichten können, und der Empath versteckte sich unter einer Hülle aus Humor.
Fazit:
Ein Haufen voller idiotischen Elfen, die bis jetzt noch nicht einen einzigen richtigen Schlag gegen die Neverseen ausrichten konnten und sich stattdessen in ihrem kleinen Versteck verkrochen.
Und die Neverseen?
Tja, von denen wusste sie nicht besonders viel, außer dass sie ziemlich skrupellos waren und nicht vor Gewalt zurückschreckten.
Und sie waren Black Swan immer um haufenweise Schritte voraus.
Auch wenn sich ihre Anführer dauernd wechselten.
Im Moment waren die Neverseen laut den ihr bekannten Fakten die bessere Wahl.
Doch waren sie das wirklich?
Da beschloss Lucy es.
Sie würde zu dem Treffen gehen, und den Neverseen persönlich entgegen treten, um mal zu schauen, wie sie ticken.
Dann konnte sie sich entscheiden.
Heute war Freitag, was bedeutete, dass das Treffen übermorgen stattfand.
Da fiel Lucy ein...
Wenn sie zu dem Treffen ging, würde sie einen Kristall brauchen, um zurückzuspringen, falls sie wieder nach Alluveterre zurückkehren wollen würde.
Lucy glaubte es zwar nicht, aber sie hatte gelernt, dass man immer notfalls einen Fluchtweg gebrauchen konnte.
Sie würde sich nicht die Mühe geben, mach einem zu fragen, sie würde einfach einen "ausleihen".
Und sie perfekte Gelegenheit würde sich morgen bieten: Mr Forkle hatte ihr erklärt, dass morgen die gesamte Gruppe ihr Fähigkeitstraining absolvieren würde, und sie wenn sie wollte auch daran teilnehmen konnte.
Nicht dass Lucy tatsächlich daran dachte, teilzunehmen.
Aber alle wären gut genug abgelenkt, damit sie einen Kristall stibizen konnte.
Sie musste nur wissen, wo sie einen finden konnte.
Wie aufs Stichwort ertönte ein leises Klopfen an ihrer Zimertür und Lucy versteckte hastig die Nachricht und den Kristall in einer der vielen Schubladen ihres Nachttisches.
„Herein?" Eine kleine Gnomin betrat den Raum und lächelte sie mit ihren grünen Zähnen an. Sie trug einen großen Stapel Kleidung im Arm und erklärte:
„Da du nicht viel Kleidung mitgebracht hast, dachte ich, ich bringe dir was mit" Die Gnomin verschwand in ihrem begehbaren Kleiderschrank und als sie wieder rauskam, fügte sie noch ein „Und ich bin übrigens Calla" hinzu. „Lucy", antwortete sie trocken, und gerade als Calla sich zum Gehen wandte und auf der Türschwelle stand, riss sie die Augen auf und erkannte ihre Chance.
„Warte!",
rief sie dem kleinkindgroßem Wesen hinterher.
Calla blieb stehen und drehte sich zu ihr.
„Sag mal, habt ihr auch Sprungkristalle, die nach Alluveterre führen?" „Ja, haben wir. Aber die befinden sich alle in Mr Forkle's Besitz" Calla warf ihr einen misstrauischen Blick zu und runzelte die Stirn, fragte allerdings nicht weiter nach.
„Danke" Lucy lächelte kalt, als die Gnomin ihr Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. In ihrem Kopf entstand schon ein Plan.
Und sie konnte kaum darauf warten, ihn morgen in die Tat umzusetzen.
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