Kapitel 7: Die Erinnerung (Lucy's POV)

Die Erinnerung traf sie mit voller Wucht. Sie kippte zurück und knallte gegen das Geländer. Das würde defenitiv einen blauen Fleck geben.
Lucy starrte jedoch bloß ohne Reaktion gedankenversunken in die Leere, während sich in ihren Erinnerungen ein vollkommen anderes Szenario abspielte.
Sie war auf einmal nicht mehr in ihrem Körper.
Es war, als wäre sie eine Beobachterin der Szene, die wie ein Film vor ihren Augen ablief.

Eine etwas jüngere Version ihrer selbst stand mitten auf einer glitzernden Straße. Sie unterhielt sich mit einem Mann, der nicht zu identifizieren war, er schien einen Vernebler zu tragen, der sein komplettes Gesicht verdeckte. "Du...das...sonst...tot", drohte der Mann Lucy und diese wich ängstlich zurück. "Spürst...nicht...Wind? Wäre...großartig...er...mächtig...machen...würde? Stell dir vor, nur du und der Wind...
Fühlst...nicht...Gefühl...Macht?", fuhr der Mann fort und Lucy wirkte nun deutlich erregter, auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein boshaftes Lächeln ab. "Das wäre wunderbar", säuselte die jüngere Lucy und ein verträumter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. In Gedanken schien sich die jüngere Lucy schon auszumalen, wie das Gefühl der Macht sich wohl anfühlen würde, bündelte all ihre Kraft, und rief den Wind herbei. "Braves Mädchen", lobte der Mann und hob einen Kristall ins Licht, ehe er davonsprang. Der Wind wurde immer stärker und stärker, bis er sich in einen mächtigen Wirbelsturm verwandelte. Geschrei brach aus und die Leute stoben auseinander, während schon die ersten Dächer flogen und Wände einstürzten.
Doch Lucy wollte mehr.
Und sie war glücklich.
Sie hatte so. Viel. Macht.
Sie lachte gehässig, doch der Hohe Rat tauchte auf und Lucy wurde weggezerrt...

An dieser Stelle endete die Erinnerung und Lucy kehrte wieder in ihren Körper zurück. Immer noch geschockt von dem was sie gesehen hatte, bemerkte sie wie alle sie anstarrten.
Sie alle wirkten so als hätten sie ein paar stürmische Minuten hinter sich: Mit zerzauszem Haar, dass in alle Richtungen abstand, während sie sie erwartungsvoll anblickten.

Lucy richtete sich ein wenig wackelig auf und fragte mit ihrer eiskalten Stimme:
"Was ist gerade eben passiert?"
"Ich und Fitz sind in deinen Geist eingedrungen, aber Fitz wurde bei der zweiten Sicherheitsvorkehrung, dem Umgeheuer aus deinem Geist katapultiert als ich mich ohne ihn "fressen" habe lassen. Ich bin alleine weiter und habe die Erinnerung ausgelöst",
sprudelte es aus der kleinen Göre mit den armseligen Rehaugen hervor. Lucy musste unbedingt verarbeiten, was sie eben gesehen hatte, denn die Erinnerung hatte sie mit eine Menge Fragen zurückgelassen. Wer war dieser seltsame Mann? Hatte sie den Tornado wirklich von selbst ausgelöst, oder hatte jemand Mitschuld?
Und vor allem:
Wieso war diese Erinnerung so seltsam verzerrt gewesen und hatte so oft geruckelt?
Deswegen würde sie aber auf keinen Fall die Göre und den Vacker Jungen mit den gewaltigen Aggressionsproblemen fragen. Fast bereute Lucy es, die Erinnerung nun zurückzuhaben, denn vorher hatte sie sich noch nie sich Gedanken über ihre Vergangenheit gemacht, oder sich gefragt wieso sie überhaupt in Exillium gelandet war.
Lucy spürte wie etwas sie im Ohr kitzelte, und sie drehte ihren Kopf zur Seite, schloss die Augen und genoss den sanften Trost des Windes.
Er war wie ein Freund für sie da, sang ihr seine Klagen vor und füllte sie mit Hoffnung.
Doch dann wurde der Wind schärfer, schneidender und Lucy spürte, wie der Wind ihr in Erinnerung ruf, wie mächtig und gut sie sich nach dem Tornado gefühlt hätte, ein Verlangen nach Macht in ihr hochkam und sie mit einer würzigen Schärfe in der Stimme sich an die Gruppe wandte:
"Ich würde nun gerne auf mein Zimmer gehen. Würde mich jemand hinbegleiten?"
"Ja, ich werde dich hinführen. Es befindet sich im Baumhaus der Mädchen. Und Sophie, nein,",
Mr Forkle richtete seinen Blick auf das Mädchen.
"Es ist keine Zelle. Lucy ist unser Gast, ob du willst oder nicht"
Die Göre wirkte sichtlich genervt, sagte aber nichts dazu.
"Wartet!", rief der Schatten ihnen nach, als sie sich mit Mr Forkle schon zum Gehen gewandt hatte.
"Lass mich raten: Du willst meinen Schattennebel lesen?", fragte Lucy und verdrehte die Augen.
Als Tam nickte, schloss sie kurz die Augen, rief den Wind herbei und befahl ihm leise mit wispernden Worten, die nur er verstehen konnte, ihren Schattennebel so gut wie es ging zu verhüllen.
Sofort spürte sie, wie eine frische Brise sich um sie aufbaute, sich verdichtete und zu einer schützenden Mauer wurde. Im Stillen dankte sie ihrem Mentor, der schon immer Schatten gegenüber misstrauisch gewesen war und ihr diesen Trick gezeigt hatte.
Lucy öffnete ihre Augen und starrte Tam in die Augen.
"Was hast du gerade getan?", fragte er und schien sie mit seinem Blick zu durchleuchten.
"Ich habe nur meinen Schattennebel gelüftet. Wir Stürmer haben immer automatisch eine Schutzmauer um uns aufgelegt, und da du auf absolute Ehrlichkeit beruhst", lügte sie ihm perfekt ins Gesicht, strich sich unschuldig ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht, klimperte mit den Wimpern und verschränkte die Arme.
Tam wirkte nicht überzeugt, als er auf sie zuging, die Arme ausstreckte und mit geschlossenen Augen versuchte, ihren Schattennebel zu lüften.
Er runzelte die Stirn.
"Ich komm nicht durch", erklärte er und beobachtete sie misstrauisch. Auch seine anderen Freunde starrten sie mit Abscheu an, vor allem die kleine Göre und der Vacker Junge.

"Tja, dann geht es wohl nicht", antwortete sie zuckersüß und richtete ihren Blick auf Mr Forkle.
"Nun, ich bin es Leid, die ganze Zeit über hier zu stehen und das Gejammer ihrer dämlichen Teenager Gruppe anzuhören. Also: Bringen sie mich auf mein Zimmer"
Der Mann nickte und gestikulierte ihr, ihm zu folgen. Noch ein letztes Mal drehte sie sich zu der Gruppe um und legte eine ordentliche Portion Sarkasmus in ihre Stimme als sie sagte: "War schön, mit euch zu plaudern"
Dann folgte sie Mr Forkle die Treppe zum Baumhaus hinauf, ohne zu ahnen, was sie dort vorfinden würde.

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