Kapitel 2 - Was nun?
Unser Mathelehrer Chang ist endlich da und schließt den Raum auf. Zögernd gehe auch ich wieder als letzter rein, aber das tut Mary auch, sie weicht mir in der Schule meist auch gar nicht von der Seite, vor allem nach einem Moment wie eben. Wir beide setzen uns in die hintere Reihe und holen unsere Sachen raus. Keine Sekunde später beginnt unser Lehrer auch schon zu sprechen.
,,Guten Morgen, heute fangen wir mit dem neuen Thema an, und zwar der Satz des Pythagoras. Ihr kennt ihn bestimmt alle noch aus den Jahrgängen davor. Warum wir ihn dennoch machen? Ganz einfach, dieses Thema steht jedes Jahr auf dem Lehrplan und wir müssen ihn durchnehmen, damit ihr in Übung bleibt, unabhängig davon wie viele Jahre ihr den bereits gemacht habt. Schlagt daher Seite 132 im Mathebuch auf und bearbeitet alle Aufgaben. Bei Fragen kommt gerne nach vorne, daher viel Erfolg euch", erklärt uns Herr Chang somit den Ablauf der Stunde und setzt sich mit einem kurzen Lächeln an seinem Pult. Der Satz des Pythagoras ist mir und Mary ein leichtes, ein einfacheres Thema gibt es einfach nicht, wir beide sind in dem Fach richtige Experten. Ohne zu zögern beginne ich die Aufgaben zu bearbeiten. Je mehr Aufgaben ich schaffe, desto mehr muss ich grinsen. Mathe macht mir immer Spaß, egal was für eine Laune ich vorher hatte, es macht mich immer Happy. Die Stunde vergeht wie im Flug, die Aufgaben habe ich bereits fertig und es sind nur noch 20 Minuten bis zum Gong. Eigentlich schade, wenn man mich fragt, aber Donnerstag habe ich ja wieder Mathe, von daher passt das. Glücklich und zufrieden packe ich meine Sache ordentlich zur Seite und sehe wartend zur Uhr.
,,Psst, Nathan", flüstert plötzlich Mary neben mir, worauf ich zu ihr sehe.
,,Hmm?", antworte ich ihr verwundert.
,,Ich bin ehrlich, mir geht dein Traum nicht mehr aus dem Kopf, wirst du es heute Abend nochmal versuchen?", fragt sie mich neugierig, jedoch zucke ich nur mit den Schultern.
,,Ich weiß nicht mal, ob ich es überhaupt erneut schaffen würde, es ging letzte Nacht zu viel schief, aber warum sollte ich auch? Es war nun mal eine Traumanomalie und echt war sie ja auch nicht", flüstere ich gleichgültig zurück und blicke nach vorne. Irgendwie will ich mich damit nicht befassen, klar will ich wissen, was im Traum passiert ist und es auch verstehen. Jedoch wüsste ich nicht, wie ich den Traum erneut replizieren kann.
,,Jetzt gib dir einen Ruck, probiere es einfach, was hast du schon zu verlieren?", flüstert sie mir erneut zu und stupst mich an. Ich weiß jetzt schon, dass sie nie nachgeben wird, dafür ist sie nicht der Mensch und Neugier ist bei ihr immer ganz groß.
,,Mal sehen, je nachdem wie es mir heute Abend geht", antworte ich ihr leicht seufzend mit einem Lächeln. Sie lächelt zurück und schaut verträumt nach vorne. Ich muss schon sagen, sie ist echt besonders.
Manchmal frage ich mich, wie sie das macht, immer so glücklich zu sein, trotz ihrer Probleme Zuhause. Vielleicht ist die Schule für sie wie ein Zufluchtsort. Schließlich wird sie nicht seit Jahren schikaniert und darf Therapiesitzungen abhalten, zumindest glaube ich das, aber eigentlich erzählen wir uns alles.
,,Ding Dong", ertönt die Schulglocke laut, worauf alle anfangen ihre Sachen einzupacken.
,,Dann ab in die Pause, die Aufgaben vergleichen wir Donnerstag, einen schönen Tag euch noch"
Meine Klassenkameraden beginnen nach einander den Raum zu verlassen. Wie üblich verlassen ich und Mary zuletzt den Klassenraum, es ist einfach eine Taktik zum Selbstschutz. Jetzt nur noch Erdkunde und dann ist endlich Feierabend, irgendwie freue mich, aber irgendwie auch nicht, keine Ahnung, ich meine bei meinem Zuhause? Zusammen laufen wir den Schulflur entlang zum nächsten Raum. Wir gehen tatsächlich auch nie auf den Pausenhof, denn ich wurde da schon oft verprügelt und das will ich einfach nicht riskieren, auch wenn Mary dabei ist. Die Cafeteria versuche ich auch zu meiden, wenn es geht, mir wurde nämlich dort schon oft etwas über den Kopf gekippt, manchmal ging es gut und manchmal eben nicht.
Beim Raum für Erdkunde angekommen, pflanzen wir uns beide auf den Boden und rücken an die Wand ran.
,,Und was machst du noch heute so?", frage ich Mary lächelnd, als ich zu ihr sehen.
Sie erwidert das Lächeln, aber seufzt kurz und geht mit ihrem Handy auf Instagram.
,,Ach du, meine Eltern wollen mich zu einer Veranstaltung schleppen, irgendwie geht es da um das Klima und wie am Arsch wir eigentlich sind, sie nennen es wichtige Bildung. Ist aber nichts, was ich nicht auch im Internet finden würde. Aber egal, was machst du noch so?"
Sie scrollt weiter durch ihr Handy, als sie mir diese Frage stellt, ich glaube, mit dieser Frage eben habe ich ihr echt die Laune ruiniert.
,,Tut mir leid, das ich mit dieser Frage eben..." Doch plötzlich unterbricht sie mich und packt meinen Arm.
,,Nathan, du glaubst nicht, was ich hier gerade gefunden habe", spricht sie ganz euphorisch und sieht mit großen Augen auf ihr Handy.
,,Was denn Mary, was ist los?", frage ich rasch, da ich noch etwas erschrocken bin und rücke neugierig näher an sie ran. ,,Ist etwas passiert? Eine Katastrophe? Sag schon, spann mich nicht so auf die Folter."
Sie sieht mich mit großen Augen an und streckt mir ihr Handy ins Gesicht. Ich nehme sofort das Handy aus ihrer Hand, da sie es mir fast ins Gesicht gedrückt hätte und was dann meine Augen erblicken, lässt mein Herz höher schlagen.
The Guardian:
Schwuler Kronprinz? Blaine von England hält Händchen mit unbekanntem Jungen auf einer Bank.
17-jähriger Kronprinz sorgt für Spekulationen nach öffentlichem Flirt
Der 17-jährige Kronprinz von England, Blaine, sorgt für Aufsehen und Spekulationen in den Medien, nachdem er heute Nachmittag öffentlich mit einem Jungen auf einer Parkbank flirtete und Händchen hielt. Das vermeintliche Geheimnis rund um die Identität des jungen Mannes und die Natur ihrer Beziehung haben die Gerüchteküche angeheizt.
Die beiden Jugendlichen wurden dabei beobachtet, wie sie sich auf einer öffentlichen Bank in der Nähe einer Schule vergnügten. Der Unbekannte begleitete Blaine bereits zuvor zu einem Interview, bei dem er Anonymität wahrte. Bislang ist weder bekannt, wer der junge Mann ist, noch woher er stammt und ob er auch auf diese Schule geht.
Diese unerwarteten öffentlichen Zuneigungsbekundungen werfen die Frage auf, ob dies die erste große Liebe des Kronprinzen ist. Die britische Öffentlichkeit und internationale Beobachter sind neugierig auf die Entwicklungen in Blaines Leben und seine künftigen Beziehungen.
Die königliche Familie und ihre Sprecher haben bisher keine Stellungnahme zu diesem Vorfall abgegeben. Die Gerüchteküche wird jedoch sicherlich weiter brodeln, während die Medien und die Öffentlichkeit auf mehr Informationen und vielleicht eine offizielle Reaktion warten.
Es bleibt abzuwarten, wie dieser Vorfall die öffentliche Wahrnehmung und die Zukunft des 17-jährigen Kronprinzen von England beeinflussen wird.
Was ich gerade gelesen habe, ist unglaublich. Der Kronprinz Blaine aus England soll schwul sein? Ich sehe zu Mary hoch und sie sieht mich noch immer fassungslos an.
,,Du hast es gelesen, oder?", fragt sie mich ganz aufgeregt und lächelnd.
,,Ja ich...", setze ich überfordert ab und schaue wieder auf mein Handy und überfliege nochmal den Artikel.
Ich kann einfach meinem Blick nicht mehr von diesem Artikel abwenden. Auch wie davon berichtet wurde, es ist, als würde es nicht mal wirklich falsch sein. Ich erblicke erneut das Bild, welches geschossen wurde, jedoch löst dieses Bild in mir etwas aus und einige Tränen bahnen sich in mein Gesicht, als ich meinen Daumen über die zwei streiche.
,,Oh nein Nathan, nicht weinen, was ist denn los", spricht Mary besorgt zu mir, als sie ein Schluchzen von mir hört.
,,Ic-h-h wei-ß au-c-ch ni-cht"
,,Shhht, ganz ruhig, komm mal her", spricht sie beruhigend zu mir und zieht mich in ihren kuscheligen Pulli, in welchen ich mich reflexartig fest greife.
,,Jetzt sag schon, was ist los? Es ist wegen diesem Blaine, oder?", fragt sie mich, als würde sie es bereits wissen. Mit einem spürbaren Nicken antworte ich ihr.
,,Ding Dong", ertönt es plötzlich. Der Schul Gong klingelt zur fünften Stunde, ich will mich von Mary lösen, doch sie lässt es nicht zu und kurz darauf höre ich eine weibliche Stimme im Hintergrund ertönen.
,,Hallo Mary, was ist denn mit Nathan los? Kann ich etwas tun?", fragt sie, während sie den Raum aufschließt und die anderen schon mal hereinlässt, welche die ganze Zeit schon am Tuscheln waren.
,,Danke Frau Smith, es ist alles gut, wäre es aber okay, wenn wir vorm Raum noch etwas bleiben könnten, ganz in Ruhe?"
,,Ja natürlich ist das in Ordnung", setzt sie ab, bückt sich zu uns runter und flüstert: ,,und Nathan, wenn was ist, mit mir kannst Du immer reden, auch wenn Du denkst, Du könntest es nicht, denn selbst Deine Orientierung macht mir nichts aus, ich finde sowas wirklich schön, daher keine Angst, sprich mich an wenn was ist, ich bin für Dich da."
Ich nicke nur kurz, worauf sie dann wieder davon geht und sich in den Raum begibt.
,,Jetzt sind wir beide alleine, sag schon, was geht in Dir vor?", fragt Mary mich, während sie mir über den Rücken streichelt.
,,Ic-h-h fühle mich einfach nur...", ich schlucke kurz, ,,ich fühle mich so einsam... ich wollte eben einfach nur... ich wollte dieser fremde Junge bei diesem Blaine sein...", gebe ich ehrlich zu, wodurch sich noch mehr Tränen in mein Gesicht Bahnen. ,,Es tut mir so leid, da sich hier gerade... aber... ich kann einfach nicht mehr... wieso muss ich nur auf Jungs stehen...", setze ich erneut stotternd ab und gebe dann ein kraftvolles und lautes: ,,Ich hasse mein Leben..." von mir.
Ich kann spüren wie ich am ganzen Körper zittere, wie sehr wünsche ich mir nur normal zu sein oder woanders zu leben? Warum nicht in England? Wieso bin ich nicht dieser mysteriöse Junge bei Blaine? Er ist ein Kronprinz, wahrscheinlich schwul und es juckt im grunde niemanden, klar, sind alle in Aufruhr, aber ich, ich werde wie Dreck behandelt und stecke hier im Bundesstaat Oklahoma, in einer wirklich schrecklichen intoleranten Stadt namens Willowbrook fest und kann nicht mal ich selbst sein und musste bis jetzt jegliche Schikane, Therapien und auch eine Verfolgung über mich ergehen lassen, selbst das Leben wollte ich mir schon nehmen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann? Ohne Mary wäre ich doch schon lange... vielleicht sollte ich ja wirklich... nein, ich kann das einfach nicht...
,,Mary... ich will hier weg... ich will nachhause... ich will nicht in den Raum, wo mich dann alle ansehen werden...", bitte ich verzweifelt und versuche erneut den schweren Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
,,Nathan... bist Du sicher?"
,,Ja... ich will nur noch alleine sein... meine Eltern sind eh noch arbeiten..."
,,Na gut, dann mach das und wenn was ist, melde Dich bei mir, okay?"
Ich gehe von ihr, blicke in ihr Gesicht, dabei nicke ich und wische mir die Tränen von den Wangen. Zusammen stehen wir auf, ich nehme meinen Rucksack, setze ihn mir auf und umarme Mary ganz fest.
,,Danke", flüstere ich ihr zu, ,,ich hab Dich so lieb"
,,Ist okay, ich bin für Dich da, immer, ich hab Dich auch lieb."
Langsam gehe ich von ihr, wische mir noch die letzten Tränen von den Wangen, drehe mich mit einem kurzen Schmunzeln um, damit sie sich weniger Sorgen macht und laufe, ohne zurück zu sehen Richtung Ausgang. Ich höre nur noch, wie die Tür zum Raum hinter mir zu geht. Jetzt war ich ganz alleine und irgendwie war ich auch froh drum. Der Witz ist ja jetzt auch noch, durch den wirklich süßen Kronprinzen Blaine muss ich nur noch an meinem Traum denken. Aber auch nach meinem sehnlichsten Wunsch, einfach jemanden bei mir zu haben und zu lieben, was diesem Blaine wohl gelungen ist, aber mir? Ich weiß ja nicht mal wie es ist, jemanden zu küssen, mein Leben ist doch echt eine Folter und das nur wegen meinen Eltern und dieser grauenhaften Stadt. Kann ich nicht einfach von Oklahoma weg ziehen und nach England gehen?
Laut seufzend, mit diesen Gedanken, verlasse ich das Schulgebäude und begebe mich auf den Heimweg.
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