Reue - Felipe x Clément [Ersatzfahrer F1 x F2]

für: Gifthexe

Gefühl: Reue

Stichpunkte: Vermissen x Verletzung

Stichpunkte 1: Felipe bereut, das die Zeit mit Clément als Teamkollege vorbei ist.

Charaktere: Felipe Drugovich x Clément Novalak

A/N: Ich hatte so meine Probleme eine Idee zu finden. >____< Und als ich eine hatte, ist es beim Schreiben etwas eskaliert Oó
Eigentlich sollte der OS nicht so ausarten und auch nicht so melancholisch werden. Aber nun ist es, wie es ist ;)

Aktuell sind noch zwei Wünsche übrig. An einem Schreibe ich schon. Und für den letzten Wunsch habe ich auch schon eine Idee. In naher Zukunft wird das Buch dann auch beendet sein und ich kann mich vollendendes auf die To-Do-Liste konzentrieren. Ich hab eure Wünsche dort nicht vergessen, aber in den letzten Wochen hatte ich keine große Lust und meine Muse hat sich auch verabschiedet. >.< So ganz langsam komme ich wieder rein ins Schreiben. ^^

!!!Trigger Warnung!!!
Es wird selbst verletzendes Verhalten angesprochen und beschrieben.

+.+.+.+.+.+.+.+.

Dass es so wehtun würde, hatte er nicht erwartet. Einen gewissen Schmerz hatte er erwartet, aber nicht einen so schlimmen.

Sein Herz drohte zu zerspringen und er konnte nichts machen. Konnte das kleine wertvolle Organ nicht in die Hand nehmen und diesem zuflüstern, dass alles wieder gut werden würde. Dann würde er sein Herz anlügen. So wie er Clém und sich selbst die ganze Saison angelogen hatte.

Fühlte man bei Reue auch solch einen Schmerz?

Felipe hielt sich für einen starken, doch sehr selbstbewussten und weltoffenen Menschen. Er ging jedem freundlich entgegen und war wissbegierig, viele neue Menschen kennenzulernen. Als man Clém als seinen neuen Teamkollegen vorstellte, spürte er sofort eine Anziehung zu dem Franzosen. Clém war so anders als die Teamkollegen, die er in seiner Laufbahn gehabt hatte.

Clément war aufgeschlossen, frech, lustig, stand gerne im Mittelpunkt, versprühte immer und zu jeder Zeit gute Laune. Der Franzose wusste genau, wie er mit seinem Wortwitz, seinem Aussehen und Charme umgehen musste, um die Menschen um sich herum für sich einzunehmen. Das Gleiche hatte er auch bei ihm selbst gemacht. Er hatte es nie bereut, Clém so nah an sich herangelassen zu haben. Sie hatten sehr viel Spaß im Team, aber auch außerhalb.

Und trotzdem saß er nun hier in seinem Badezimmer, die Beine mit den Armen umschlungen und fest an den Körper gezogen.

Es zerfraß ihn von innen, dass er seinen Mund nie aufgemacht hatte. Und als er die Chance hatte, dem Franzosen näherzukommen, hat er feige gekniffen. Den Schwanz eingezogen. Noch deutlich konnte er die Enttäuschung in den Augen des Brünetten vor sich sehen, aber auch wie Clém das Herz brach.

„Mach dir keinen Kopf, Felipe. Ich habe da einfach etwas falsch interpretiert. Entschuldige, dass ich dir so nahegetreten bin."

„Nein. Du bist mir nicht zu nahegetreten."

„Scheinbar doch. Seit ich dir gesagt habe, dass ich romantische Gefühle für dich hege, gehst du mir aus dem Weg, obwohl du versprochen hast, es wird sich zwischen uns nichts ändern. Gott, wie konnte ich so dumm und naiv sein und das wirklich glauben? Natürlich ändert sich alles! Ich, der in dich verliebt ist und geglaubt hat, die gleichen Anzeichen bei dir gesehen zu haben. Und du, der mir liebevoll beigebracht hat, dass ich mich geirrt habe. Wie hätte es auch normal zwischen uns weitergehen sollen? Einfach ignorieren, was gesagt wurde? Das kannst du vielleicht. Aber ich nicht. Nun gut. Ende der Saison werden wir uns damit nicht mehr befassen müssen. Die paar Monate schaffe ich auch noch, dem Team oder anderen gegenüber lass ich mir nichts anmerken."

Seit diesem Zeitpunkt ging Clém ihm, wann immer es ging, aus dem Weg. Nur für das Team standen sie gemeinsam vor der Kamera, an den Strecken und machten alles, was verlangt wurde. Aber sobald sie keine Verpflichtungen mehr hatten, suchte Clém das Weite, schloss sich den anderen Jungs an und unternahm vieles mit diesen.

Er vermisste die Zeit vor dem Gespräch. Vermisste ihre gemeinsamen lustigen Drehtage, ihre gemeinsamen Restaurantbesuche, den gemeinsamen Track Walk. Mit Clém fühlte er sich wohl, geborgen. Der andere gab ihm so viel mehr, als dieser geahnt hatte.

Nach dem letzten Rennen war seine Welt endgültig zusammengebrochen. Clém hatte es zwar noch geschafft, ihrer kleine Abschiedsfeier beizuwohnen. Als man dann aber seinen Titel feiern wollte, hatte sich der Franzose mit der Ausrede, dass er noch einen Flug nach Hause bekommen müsste, abgesetzt.

Es hatte so wehgetan, dass Clém seinen Erfolg nicht mit ihm feiern wollte. Kein Bitten hatte geholfen. Aber wieso hätte der andere auch nach Monaten der Ignoranz plötzlich auf seine Bitte hören sollen? Es hatte sich nichts geändert. Obwohl er unter dem litt, was er Clém vorgelogen hatte, bekam er den Mund nicht auf, um klarzustellen, dass er gelogen hatte. Aber es war auch nicht so, als hätte es sein ehemaliger Teamkollege noch mal versucht. Nicht mit einem Wort mehr hatte Clém seine romantischen Gefühle erwähnt. Körperkontakt hatten sie nur, wenn es nötig war. Flirten taten sie auch nicht mehr miteinander. Noch nicht mal zum Frühstück hatte Clém ihn nach dem Gespräch mehr abgeholt, keine gemeinsamen Streckenbegehungen.

Nachdem die Saison zu Ende war, war er zur seiner Familie nach Brasilien geflüchtet, hatte halbherzig die Feiertage und Silvester mit ihnen hinter sich gebracht und auf Biegen und Brechen versucht, seine Fassade aufrechtzuerhalten. Zu Hause wussten nicht viele, dass er auch was für Männer übrighatte. Seine eigene Familie hatte damit keine Probleme, aber es gab Verwandte und nahe Bekannte, die mit jeglicher anderen Form der Liebe Probleme hatten.

Aber auch so war seine Winterpause furchtbar. In den sozialen Medien konnte er mitverfolgen, wie gut es Clém ging, was dieser für einen Spaß mit der Familie und seinen Freunden hatte. Besonders häufig postete Clém Bilder von sich und James. Anfangs hatte er versucht sich einzureden, dass die beiden sich wegen ihres Podcasts so gut verstanden, aber irgendwann war sein Kopf davon überzeugt, dass Clém und James ein Paar waren. Selbst Marcus und Callum streuten mit ihren Kommentaren unter Bildern oder dem Podcast Salz in seine Wunden, so dass er mehr und mehr davon überzeugt war, dass er Clém an den Briten verloren hatte.

Kaum, dass er Silvester hinter sich gebracht hatte, war er in seine Wohnung geflüchtet, hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten, unter Menschen zu sein. Außerdem konnte er in seinen eigenen vier Wänden endlich das tun, was er seit der Trennung von Clém immer heimlich machen musste und an Stellen, die nicht auffällig waren.

Das erste Mal hatte er sich direkt nach seiner Feigheit geritzt, hatte sich absichtlich mehrfach in den Zeigefinger geritzt, als ihm bewusstwurde, was er angerichtet hatte. Er hatte die einmalige Chance auf eine Beziehung mit Clém in den Sand gesetzt. Mit dem Mann, dem schon seit Anbeginn ihrer Zusammenarbeit sein Herz gehörte, mit dem er wirklich geflirtet hatte. Es gab viele verschiedene Situationen, die man einfach nicht falsch verstehen konnte, die auch der Franzose richtig gedeutet hatte. Und trotzdem hatte er diesem eiskalt ins Gesicht gelogen und geleugnet, Gefühle für diesen zu haben.

Schon damals hatte Felipe gewusst, dass sich selbst zu verletzen nicht der richtige Weg war, aber es half ihm, seine Reue zu vergessen. Wenigstens für einen kleinen Moment. Er durfte die Reue nicht empfinden, er hatte es nicht verdient. Immerhin war es seine Schuld, dass sich Clém von ihm entfernt hatte, dass er nicht mit diesem wunderbaren Menschen zusammen war.

Seit er in seiner eigenen Wohnung war, geschahen die Verletzungen häufiger und intensiver. Lange reichte es nicht mehr, sich einfach nur in einen Finger oder ganz oben am Oberschenkel zu ritzen. Mittlerweile hatte er auch feine Linien an den Handgelenken, an den Innenarmen und Füßen. In seiner Vorstellung war sich Felipe sicher, dass man davon später nicht mehr viel sehen würde. Seiner neuen Aufgabe bei Aston Martin stand nichts im Wege. Die Linien waren so fein, dass diese sicher niemandem auffallen würden. Und die wenigen, bei welchen er tiefer und fester geritzt hatte, waren hauptsächlich an seinem Bauch und seinen Oberschenkeln. Bestenfalls Hautpartien, die niemand zu Gesicht bekommen würde.

+

Wie sollte er Felipe unter die Augen treten?

Sie hatten über Monate keinen Kontakt. Und wenn, dann nur sporadisch oder weil es vom Team irgendwelche Verpflichtungen gab. Aber seit dem Ende der Saison waren Felipe und er keine Teamkollegen mehr. Der Brasilianer würde ab diesem Jahr in der Formel 1 tätig sein.

Es hatte ihm das Herz zerrissen, als Felipe ihm eine Abfuhr erteilt hatte. Er hatte das Gefühl, alles würde zerbersten und sein Herz auf dem Boden aufschlagen und in tausend kleine Teile zerspringen. Wie hatte er sich so täuschen können? Clém war sich so sicher gewesen, dass Felipe ihn genauso mochte wie er diesen. Und das war mehr als nur Teamkollegen. Er war schon lange über das Verliebtsein hinaus. Er liebte den Älteren. Und es konnte nicht sein, dass sich Marcus, James oder auch Callum irrten. Sie alle hatten ihm versichert, dass Felipe genauso fühlen würde und dass nur einer den ersten Schritt machen musste.

Und was hatte er davon gehabt, dass er den ersten Schritt gemacht hatte?

Ein gebrochenes Herz. Liebevoll und einfühlsam hatte Felipe ihm erklärt, dass die Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhen würden, sie aber weiterhin Freunde bleiben konnten.

Was für eine billige Phrase! Als ob er mit dem Mann befreundet sein wollte, dem er sein Leben, sein Herz, seine Liebe zu Füßen gelegt hatte und dann eine herbe Enttäuschung erfahren musste. Das mochte vielleicht für andere funktionieren, aber nicht für ihn. Felipe hatte ihn mit seiner Abfuhr verletzt und er legte keinen großen Wert darauf, weiterhin mit diesem auf guten Buddy zu machen. Für das Team und die Öffentlichkeit riss er sich zusammen, schauspielerte die Rolle seines Lebens. Sofern aber nichts mehr für das Team zu erledigen war, entzog er sich dem Älteren, vermied es, Zeit mit diesem zu verbringen oder sich in sinnlosen Smalltalk verwickeln zu lassen.

„Entweder vergisst du Felipe oder du bekommst deinen Arsch hoch und redest noch mal mit ihm! Aber hör auf, alles und jeden in deiner Nähe dumm anzumachen oder wahlweise anzuspringen!"

Wütend funkelte James seinen Kumpel an, der sich mal wieder in seinem Selbstmitleid suhlte. Es war nicht so, dass er Clém nicht verstehen konnte. Einen Korb zu bekommen, war auch schon beschissen, wenn man nicht heftig in die andere Person verliebt war. Clém war weit darüber hinaus, nur verliebt in Felipe zu sein, weswegen es den Franzosen richtig heftig den Boden unter den Füßen weggerissen hatte, als es die Abfuhr gab. Noch schlimmer war die Tatsache, dass sie sich wohl alle geirrt hatten. Nicht nur Clém war sich sicher gewesen, dass Felipe auf das Flirten einging und mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegte.

Und es tat ihnen ja auch leid, dass sie Clém ermutigt hatten, den ersten Schritt zu unternehmen. Aber was ihr Kumpel seitdem abgezogen hatte, war erbärmlich.

„Was glaubst du eigentlich, wie du mit mir reden kannst? Der Arsch hat mich eiskalt abserviert und du sagst, ich soll den Arsch hochbekommen?"

Clém war nicht weniger angepisst. Zurzeit waren James und er in Italien, was ihm persönlich nicht passte, aber James hatte nicht mit sich reden lassen.

„Hat dein Hirn vielleicht mal darüber nachgedacht, dass es einen triftigen Grund haben könnte, weswegen Felipe die Gefühle geleugnet hat?"

„Und welchen Grund?"

„Angst? Dein Spatzenhirn mag vielleicht nur rosarot denken und sich keine Gedanken darüber machen, was es bedeuten könnte, wenn ihr zusammen seid, was ihr alles bedenken müsstet. Natürlich wäre es großartig, wenn ihr offen auftreten könntet, aber würdet ihr das? Würdest du das Felipe antun, wenn er damit Probleme hat? DU hast dich auch noch nicht öffentlich dazu bekannt, auf Männer zu stehen."

Fest biss sich Clém auf die Lippen und ballte die Hände zu Fäusten. Schon seit er mit James das Hotelzimmer bezogen hatte, war die Stimmung zwischen ihnen aufgeheizt und es passte ihm überhaupt nicht in den Kram, was der Brite sagte. Viel lieber wollte er weiter in seinem Selbstmitleid baden und Felipe verfluchen, diesem für sein gebrochenes Herz die Pest an den Hals wünschen.

„Lass uns mal klarstellen. Felipe ist diese Saison in der Formel 1 unterwegs. Du weiterhin in der Formel 2. Ja, es gibt einige Rennen, die am selben Wochenende stattfinden, an denen ihr unauffällig Zeit miteinander verbringen könntet. Felipe hat seine Verpflichtungen gegenüber Aston Martin und du gegenüber Trident. Hast du in deiner Welt mal daran gedacht, wie ihr Zeit miteinander verbringen wollt mit all euren Terminen? Klar, man kann da sicher einen Weg finden, wenn man es will. Es wäre alles möglich, wenn man sich einen guten Plan zurechtlegt, und trotzdem müsstet ihr daran arbeiten, dass es mit einer Beziehung funktioniert bei euren Terminen. Hast du Felipe jemals gefragt, wie es in seinem Umfeld mit gleichgeschlechtlicher Liebe ausschaut? Vielleicht haben in seiner Familie welche Probleme mit zwei Männern. Du hast nur gesehen, was du wolltest. Und das war, Felipe als Arschloch abzustempeln. Statt nach dem Ende der Saison noch mal zu versuchen, mit ihm zu reden, hast du hemmungslos gepostet, wie gut es dir geht, was für eine geile Zeit du hast. Und du glaubst, dass Felipe noch mal von sich aus zu dir kommt? Wird klar, Clém! Und komm von deinem hohen Ross runter. Wenn du tatsächlich noch Gefühle für Felipe hast, rede verdammt noch mal mit ihn, bitte ihn darum, ehrlich zu sein. Wenn er sich dann immer noch sträuben und leugnen sollte, dann soll es so sein."

+

„Du?"

Erschrocken wich Felipe einen Schritt zurück, als er Clément erblickte. Niemals hatte er damit gerechnet, dass der andere jemals vor seiner Haustür stehen würde, hatte er doch auch nicht erwartet, den Franzosen überhaupt noch mal zu Gesicht zu bekommen. Dementsprechend schockte es ihn, nachdem er die Haustür geöffnet hatte.

„Kann ich reinkommen?"

Sein Herz schrie laut JA, sein Kopf hielt mit einem lauten NEIN dagegen.

„Ich ... ich glaube, das ist keine gute Idee."

„Und ich glaube, dass es eine sehr gute Idee ist."

„Nein. Wir sind keine Teamkollegen mehr, nicht mal mehr Freunde. Du hast mir deutlich zu verstehen gegeben, dass du keinen Wert mehr auf mich legst. Und ja, ich verstehe das. Ich habe dir wehgetan und es war dein gutes Recht, mich wie Luft zu behandeln. Wir haben uns nichts mehr zu sagen."

Und damit war auf Felipes Seite alles gesagt. Er hatte aber nicht mit Clém gerechnet, der einfach den Fuß in die offene Tür stellte und sich kurzerhand einfach selbst in die Wohnung ließ.

„Glaub mir, ich bin nicht freiwillig auf die Idee gekommen, noch mal das Gespräch mit dir zu suchen. Aber James und die anderen haben mir in den Arsch getreten und mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt."

Unsicher und hektisch blickte sich Felipe um, schlang die Arme um sich selbst, als der Jüngere ungefragt in seinem Flur stand und ihn fordernd anblickte. Es machte ihn unfassbar nervös, Clément in der Wohnung zu haben, gleichzeitig zu wissen, dass er nicht die Kraft hatte, um Clém herauszuschmeißen.

„Warum wollte James, dass wir noch mal reden? Es ist alles gesagt und du bist doch jetzt glücklich vergeben."

Verwirrt hoben sich seine Augenbrauen. Nicht, dass der Auftritt von Felipe alles andere als merkwürdig genug wäre, aber wie kam der andere darauf, dass er glücklich vergeben war? Immerhin hatte dieser doch verneint, Gefühle für ihn zu haben.

„James ist der Meinung, dass es eine Erklärung gibt. Callum, Marcus und JM sind sich sehr sicher, dass du irgendetwas verbirgst. Ich wollte davon nichts hören. Du hast mich abserviert, gesagt, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Für mich war damit alles gesagt. Ich war dumm, blind und blöd, als ich mir eingebildet hatte, du würdest das Gleiche wie ich empfinden."

Die kühle, abwesende Haltung des Jüngeren tat weh, brannte sich zusätzlich zu den Schmerzen, welche er sowieso schon hatte. Aber er durfte nicht nachgeben, er hatte nicht das Recht, Clém die Wahrheit zu sagen. Nicht nach dem, was er dem Franzosen angetan hatte.

„I-ich wünsche James und dir alles Gute. Mit ihm hast du den richtigen Partner an der Seite. Er ... er würde dir sicher niemals wehtun."

„Was?"

Auch wenn sein Bauch noch grummelte, merkte Clém, dass seine Wut auf Felipe weniger wurde. Nachdem er sich endlich Zeit genommen hatte, um sich den Brasilianer anzuschauen, fiel Clém sofort auf, wie blass und krank dieser aussah. Felipe wirkte verängstigt, fast schon panisch. Der Blick war unruhig, huschte hin und her, und die verkrampfte Körperhaltung machte das Bild nicht besser.

„Bi-bitte, Clém, geh. Ich ... ich bin dir und James nicht im Weg. An ... an den Rennstrecken versuche ich, dir aus dem Weg zu gehen."

„Was redest du da für eine Scheiße?"

„Ich habe es verdient. Ich habe nicht das Recht, Schmerz zu fühlen, weil es meine Schuld ist. Ganz allein meine."

Von Sekunde um Sekunde wurde es merkwürdiger. Clém erkannte den jungen Mann vor sich gar nicht wieder. Dass sich Felipe schon verändert hatte, als sie noch Teamkollegen waren, war ihm nicht entgangen, hatte er zu dieser Zeit aber keinen Kopf dafür, da er noch immer verletzt und enttäuscht über die Abfuhr war. Aber auch nachdem ihre Saison zu Ende war, hatte er hin und wieder bei Felipe auf Insta nachgeschaut. Aber es gab nichts Verräterisches, nur, dass dieser Brasilien wohl eiliger wieder verlassen hatte, als sie besprochen hatten. Anfang der Saison hatte Felipe ihm noch gesagt, dass er es auskosten würde, wenn die Saison zu Ende war und er endlich wieder in die Heimat konnte.

„Felipe, was ist los? Wieso siehst du so krank aus? So panisch? Und wieso glaubst du, dass James mein Partner ist?"

„Weil er und du ständig Bilder gepostet habt. Ihr habt viel Spaß, unternehmt viel. Du strahlst auf den Bildern und wirkst glücklich. James hat dein Herz wieder zusammengesetzt, nachdem ich es kaputt gemacht habe. Dafür bin ich dankbar. Ich mag es nicht, wenn du traurig bist. Und das Wissen darum, dass ich der Grund dafür bin, hat mich erkennen lassen, dass ich kein Recht habe, Reue zu empfinden. Ich habe nicht das Recht, es zu bereuen, dass wir keine Teamkollegen mehr sind. Ich habe nicht das Recht zu bereuen, dich angelogen zu haben. Du warst ein toller Teamkollege und Freund und ich bereue es, dass ich nicht ehrlich war. Aber du bist jetzt glücklich, außerdem besser ohne mich dran. Also darf ich dieses Gefühl nicht haben."

Er wusste nicht, was er erwartet hatte, als er vor der Haustür des Älteren stand. Von Ohrfeigen bis Anschreien und Lippen aufdrücken war irgendwie alles in seinem Kopf gewesen, aber niemals dieser schreckliche Anblick, welcher Felipe ihn bot. Und so genau kam er auch nicht mit dem klar, was der andere sagte. Aber er hatte immerhin herausfiltern können, dass Felipe ihn bezüglich seiner Gefühle angelogen hatte. Aber selbst das erschien ihm gerade nebensächlich, als er für einen kurzen Moment etwas erblickte, was ihm die Luft nahm.

Felipe tippelte von einem auf den anderen Fuß, kratze sich dabei immer wieder über den linken Unterarm, was dafür sorgte, dass er einen Blick auf diesen werfen konnte.

„Felipe? Was ist das?"

Abrupt stand er stocksteif da, fixierte Clém und dessen ausgestreckten Finger, folgte der Richtung und schluckte hart.

„Nichts."

„Felipe, du kratzt dir gerade den Unterarm auf."

„Nein, da ist nichts. Geh! Geh jetzt einfach." Rasch überbrückte er die Meter zu Clém, packte dessen Arm und zerrte diesen zur Haustür. Niemand hatte es sehen sollen. Am wenigsten Clément.

Es war für Clém kein Hindernis, sich gegen den schwachen Zugriff zu wehren. Mit dem Rücken stellte er sich vor die Haustür, packte nun seinerseits beide Handgelenke von Felipe und versuchte, einen Blick auf die Unterarme zu werfen. Aber durch das Langarmshirt war ihm die Sicht nicht uneingeschränkt möglich.

„Felipe?"

Tränen sammelte sich in seinen Augen und drängten sich hervor. Schniefend biss sich Felipe auf die Lippe und kniff fest die Augen zusammen, um den mitleidigen Blick nicht ertragen zu müssen. Er hatte die Sorge des Jüngeren nicht verdient, obwohl er es deutlich aus der Stimme herausgehört hatte.

„Sssh. Ich bin da. Alles gut."

Eigentlich war er mit der Situation vollkommen überfordert, trotzdem schaffte er es, ruhig zu bleiben. Behutsam strich er mit den Fingern über die Handgelenke des Brasilianers, brachte sich dabei Stück für Stück näher an Felipe, bis er vorsichtig die Arme um diesen legen konnte. Im Grunde genommen wusste sein Kopf, was das Kratzen zu bedeuten hatte, war Clém doch auch der Meinung, feine Linien erkannt zu haben. Aber er wollte nicht voreilig sein und Felipe die Chance geben, sich zu beruhigen.

Minutenlang standen sie im Flur.

Felipe weinte bitterlich, während er sich an Clém klammerte.

+

Besorgt musterte er den Älteren.

Mit Müh und Not hatte er es geschafft, Felipe ins Schlafzimmer zu bringen, wo es noch mal ein Unterfangen war, diesen davon zu überzeugen, sich hinzulegen. Fast schien es, als wolle Felipe seine Jacke nicht mehr loslassen wollen, aber mit Geduld hatte er es geschafft, den anderen zu überzeugen. Nachdem sich Felipe hingelegt hatte, verschwand Clém schnell im Badezimmer, wo er ein Handtuch nass machte und ein trockenes mitnahm.

„Möchtest du darüber reden?"

Behutsam hatte er angefangen, das Blut vom linken Unterarm zu tupfen, immer darauf achtend, dem anderen nicht zusätzliche Schmerzen zuzufügen. Gleichzeitig hatte er sich beide Arme genauer angeschaut und erschrocken festgestellt, dass viele kleine feine Linien die Arme zierten. Aber auch an den Händen und Fingern konnte er blasse Linien sehen, einige schien schon älter als andere zu sein.

„Hmm."

Felipe hatte den Kopf zur Seite gedreht, während Clém seine Arme wusch. Würde der Franzose irgendeine Geschichte glauben? Im Grunde war es doch offensichtlich, was er gemacht hatte. Wieso also noch etwas erklären? Warum interessierte Clém das?

„Felipe, hast du dir noch woanders Schnitte zugefügt?

„Hm."

„Okay, Felipe. So kommen wir nicht weiter. Du möchtest nicht darüber reden. Aber kannst du mir sagen, ob es etwas damit zu tun hat, von dem du geredet hast? Dass du glaubst, James und ich wären ein Paar? Dass du mich angelogen hast? Dass du der Meinung bist, keine Reue empfinden zu dürfen?"

„Ja."

Das brachte ihn jetzt nicht weiter, aber das Puzzle setzte sich etwas mehr zusammen, was das Ganze nicht einfacher machte. Im Grunde musste - sollte - er Hilfe holen. Felipe hatte sich absichtlich verletzt, hatte sich geritzt, um den gedanklichen Schmerz abmildern zu können. Sein ehemaliger Teamkollege verletzte sich bewusst, um keine Gedanken zuzulassen, die ihn sehr belasteten. Nie im Leben hatte er erwartet, dass Felipe so was machen würde. Es tat weh, war aber auch ein Schock.

„Erst ... war es nur an den Fingern ... ganz klein, damit niemand etwas sieht ... Als ... als wir keine Teamkollegen mehr waren, wurden die Gedanken immer lauter, immer niederträchtiger ... Ich habe in meinen Oberschenkel geschnitten ... immer wissend, dass es jemand sieht ... bemerkt ... Aber ich habe mir eingebildet, es gut verbergen zu können ... Ich konnte nicht aufhören ... Es hat die Gedanken erträglicher gemacht ..."

Es sollte ihn nicht schockieren.

Nichtsdestotrotz schluckte Clément hart, als er der leisen, brüchigen Stimme lauschte. Bis zu seinem Auftritt vor der Haustür und dem Zustand von Felipe war er davon ausgegangen, dass es seinem ehemaligen Teamkollegen super ginge, dass dieser die freie Zeit genoss und sich richtig in seine Vorbereitungen für Aston Martin gestürzt hatte. Nicht eine Sekunde hatte er daran gedacht, dass Felipe so verzweifelt sein würde. Aber wusste er auch nicht, dass der Ältere ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte.

„Ich sollte glücklich sein mit meinem Meistertitel."

„Bist du aber nicht?"

„Doch. Aber er hat mich deiner Nähe beraubt. Wir sind keine Teamkollegen mehr und das bereue ich sehr. Ich habe dir nie gesagt, was für ein toller Teamkollege du warst. Ich habe jede Sekunde genossen, geliebt, die ich mit dir verbringen durfte."

„Ich finde es auch traurig, dass wir diese Saison nicht mehr ein Team bilden werden. Mein neuer Teamkollege wird sicher in Ordnung sein, aber niemals an das herankommen, was wir beide hatten."

Unsicher tastete Felipe nach der Hand des Jüngeren. Clém hatte mit seinen Säuberungen aufgehört, strich nur noch behutsam über seinen linken Unterarm.

„Ich ... hatte Angst ...", wisperte Felipe leise, nachdem er die Finger von Clém berührte und vorsichtig ihre Finger ineinanderschob. Es war falsch. Clém war in einer Beziehung mit James und er durfte alles andere als nach dessen Hand zu greifen, aber es fühlte sich so gut an, so richtig. Das war es, was er schon während der Saison gerne mit Clém gemacht hätte.

„Wovor?"

„Vor meinen Gefühlen dir gegenüber. Vor einem Teil meiner Familie, vor der Öffentlichkeit. Vor dem, was uns bevorstand. Ich habe Gefühle Männern gegenüber immer einen Riegel vorgeschoben. In meiner Heimat gibt es nur meine eigene Familie, die davon weiß und es akzeptiert. Ich hätte dir nie die Beziehung geben können, die du verdienst. Es wäre nicht richtig gewesen, dich mit nach Brasilien zu nehmen und als ein Freund vorzustellen. Du bist aufgeweckt, lustig, frech, charmant und lebensfroh. Dich kümmert es nicht, was andere über dich denken."

„Ich wäre auch als dein Kumpel mitgeflogen."

„Nein, das wäre nicht richtig. Du wärst nicht ein Freund von mir. Du wärst mein Freund. Wie hätte ich mit gutem Gewissen verlangen können, dass du dich verstellst? Nur damit der homophobe Teil meiner Familie keinen Aufstand macht? Wie hätten wir die Beziehung schaffen sollen, während ich hauptsächlich für Aston Martin unterwegs sein würde und du in der Formel 2?"

Vielleicht war es riskant, aber er konnte nicht anders. Rasch kickte sich Clém die Schuhe von den Füßen und legte sich neben Felipe, ohne ihre Hände zu lösen. Den freien Arm legte er um den Brasilianer und zog diesen an sich.

„Wir hätten darüber reden können und eine Lösung gefunden. Felipe, du hast mich glauben lassen, dass ich mir alles eingebildet hatte, dass wir nicht die Nähe zueinander gesucht hatten, dass wir nicht geflirtet haben oder besonders oft Körperkontakt hatten. Ich war so wütend und sauer. Du hast mir das Herz zerrissen. Ich habe echt unter deiner Abfuhr gelitten. Die anderen mussten wahlweise meine Tränen trocknen, mich aus dem Bett zerren oder dafür sorgen, dass ich dir nicht den Hals umdrehe."

Dass er nach all den Monaten noch Tränen übrighatte, war erstaunlich. Aber die deutlich nasse Spur auf seinem Gesicht und das unterdrückte Schluchzen machten Felipe ziemlich effektiv darauf aufmerksam, dass er noch welche hatte. Krampfhaft hielt er sich an der Hand des Jüngeren fest, während er so sehr versuchte, nicht zu weinen, dass er kaum Luft bekam.

Nur seinetwegen war Clém durch die Hölle gegangen. Nur wegen seiner Feigheit hatte der Franzose leiden müssen, was ihm wieder deutlich vor Augen führte, dass er selbst überhaupt keinen Anspruch auf Reue hatte.

„Beruhig dich, Felipe."

Liebevoll kraulte er den Nacken des Älteren, setzte kleine Küsse auf dessen Haarschopf und versuchte, mit den Fingern beruhigend über die Haut an der Hand zu streicheln. Und er hatte wirklich gedacht, dass es ihm die letzten Monate beschissen ergangen war. Scheinbar war Felipe mit seinen Sorgen, Ängsten und Vorwürfen die ganze Zeit allein gewesen, während er noch James, Marcus, Callum und seine anderen Kumpels gehabt hatte.

„Felipe?"

„Ja?"

„James und ich sind nicht zusammen. Er war in der Zeit sehr viel für mich da, hat mir aber auch klargemacht, dass ich meinen Arsch hochbekommen soll. Entweder vergesse ich dich oder ich suche noch mal das Gespräch mit dir und verlange eine ehrliche Antwort."

„Oh. Okay."

„Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Es tat eben nur so weh, dass ich oft Tage hatte, an denen ich dich echt gehasst habe, weil ich mir so verdammt sicher war, dass du auch romantische Gefühle mir gegenüber hattest. James hat mir nach einer meiner Selbstmitleidsphasen die Augen geöffnet und gemeint, dass es einen Grund gibt, weswegen du die Gefühle geleugnet haben könntest."

„Ich habe mich so gehasst, als ich mir selbst die Chance genommen habe, mit dir zusammen sein zu können. Alles war wahr, was du gesagt hast. Das Flirten, der ewige Körperkontakt, die ständige Nähe suchen. Die romantischen Gefühle dir gegenüber ... Ich hatte so eine Angst um unsere Karrieren. Und das Wissen, dass ich dich kaum sehen würde, war schrecklich. Ich wusste nicht, wie wir das meistern sollten. Dann die Öffentlichkeit, unsere Familien und Freunde. Ich habe mich da richtig reingesteigert, ohne darüber nachzudenken, es mit dir zu besprechen. Und als du mir nach der Abfuhr die kalte Schulter gezeigt hast und auch nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest, war ich einfach zu feige, dir die Wahrheit zu sagen. Ich habe gedacht, es wäre richtig, dass es mich so schmerzt, dass ich keine Reue empfinden darf. Und dann ... dann habe ich angefangen, mich selbst zu verletzen, das hat es wenigstens einen kleinen Moment erträglicher in meinem Kopf und meiner Gefühlswelt gemacht."

Diesmal waren es nicht seine eigenen Tränen, die sein Gesicht benetzten. Clém hatte ihn noch fester an sich gezogen und verteilte unzählige Schmetterlingsküsse auf seinem Gesicht, hauchzart berührten sich auch ihre Lippen für einen Bruchteil von Sekunden.

Wie zwei Ertrinkende klammerten sie sich aneinander, nach Halt und Sicherheit suchend. Felipe war sich bewusst, dass er Hilfe brauchte, dass er sich jemanden suchen musste, der sich mit selbst verletzendem Verhalten auskannte. Es musste einen anderen Weg geben, um mit seinen Gedanken und Gefühlen fertig zu werden, als sich erneut feine Verletzungen zuzufügen. Aber vielleicht war der erste Schritt in Richtung Heilung schon getan, indem er ehrlich zu Clém gewesen war.

„Wirst ... du mir noch eine Chance geben? Willst du noch mit mir zusammen sein, wo du weißt, was ich gemacht habe?"

„Ich wollte die ganze Zeit nichts anderes, als mit dir zusammen zu sein, Felipe. Ich liebe dich und gemeinsam werden wir diese Phase bewältigen. Es tut mir leid, dass ich nicht eher zu dir gekommen bin. Du hättest niemals so lange mit deinen Gedanken allein sein sollen."

„Hm ... Ich hätte meine Gedanken ja teilen können ... Es ist nicht deine Schuld ..."

Dessen war sich Clém grundsätzlich auch bewusst, aber sein Gewissen war da anderer Meinung. Sie würden noch viele Gespräche führen. Er musste seinen Freund davon überzeugen, dass sie eine gemeinsame Chance hatten und dass alles wieder gut werden würde, wenn sie gemeinsam daran arbeiten würden.

Jetzt war es aber erst mal nur wichtig, Felipe in den Armen zu halten, diesen spüren zu lassen, dass er da war, dass er sich ihm anvertrauen konnte.

„Clém?"

„Ja?"

„Ich liebe dich auch."

ENDE

Ihr wisst ja...ich brauche in den meisten Fällen Musik, wenn ich schreibe :)

https://youtu.be/CgjiSCXSUnQ



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