#3 - Wundersamer Knabe
Ich wanderte noch ein Weilchen in meinem Käfig umher, ehe ich mich schließlich niederließ. Doch egal, was ich auch versuchte, um mich abzulenken, pochte eine Frage ganz besonders in meinem Kopf. Sie war so laut, dass ich sie weder ignorieren, noch abstellen konnte. Wie konnte er mir das alles nur antun? Nach allem, was wir bisher erlebt haben! Doch je länge ich darüber nachdachte, desto dunkler wurden die Wolken in meinem Kopf und es drohte ein Gewitter einzubrechen.
Plötzlich nahm ich ein Geräusch wahr und mein Kopf huschte zur Tür. Da tat sich etwas! War es Chase? Nein, er meinte doch, er würde heute nicht wiederkommen. Daher war es noch merkwürdiger. Wer würde sich freiwillig in meine Nähe wagen? Immerhin war ich das gefährliche Raubtier!
Die Tür ging auf und ein Junge kam zum Vorschein. Er war nicht sonderlich groß oder kräftig gebaut. Auch schien er nicht einmal Volljährig zu sein. Ich würde ihn auf 14 oder 15 Jahre schätzen – vielleicht auch 16, aber nicht älter. Sein Blick begutachtete den ganzen Raum und er schaute sich mehrmals um. Ich schnaufte. Als wenn es hier groß etwas zu bestaunen gäbe! Der ganze Raum war leer – bis auf den Käfig, in dem ich gefangen war, der in der Mitte stand. Sowohl die Wände als auch die Decke und der Boden waren metallisch verkleidet. Oh ja – hier gab es wirklich eine Menge zu bestaunen!
Schließlich blieb der Blick des rothaarigen Jungen mit den Sommersprossen an mir hängen. Wir sahen uns gegenseitig in die Augen und irgendetwas machte das mit mir. Es gab mir Kraft! Ich wusste zwar nicht, wie das nur allein mit einem Blick möglich war, aber ich spürte, wie die Energie meine Adern durchlief.
„Wer bist du?", fragte ich.
Der Junge kam näher, wandte den Blick jedoch nicht ab. „Das ist nicht wichtig.", meinte er nur knapp. Ich stutzte. Es war die gleiche Antwort, die ich sonst immer gab! Und auch seine Aura – ich konnte sie spüren! Auch, wenn das in diesem metallenen Gefängnis eigentlich unmöglich sein sollte!
„Befreist du mich?" Hoffnungsvoll stand ich auf und lief zu ihm ans Gitter. „Hast du einen Schlüssel?"
Doch der Junge schüttelte den Kopf. Verdammt! Wieso war ich auch so dumm? Ich durfte mir keine Hoffnungen machen! Das machte es nur noch schlimmer, als die Situation sowieso schon war.
„Du wirst dich befreien.", sagte der Junge schließlich, als ich mich schon von ihm abgewandt hatte. Schnell drehte ich mich wieder um.
„Was?", fragte ich zweifelnd. „Denkst du, ich wäre noch hier, wenn ich das könnte?"
Der Junge ging darauf allerdings nicht ein. Seine zitternde Hand wanderte langsam auf mich zu und berührte mich am Herzen. In der Sekunde, als er meinen Körper berührte, durchzuckte mich eine gewaltige Energieflut. Sie war zu überwältigend! Ich sank auf die Knie und stützte mich auf dem Boden ab. Stoßartig wurden die Metallwände mit einmal von mächtigen Wurzeln durchbohrt. Sie bahnten sich ihren Weg zu meinem Käfig und schlangen sich um ihn. Erschrocken blickte ich auf. War ich das etwa? Ich hielt nach dem Jungen Ausschau, konnte ihn aber nirgends erkennen.
Ich bemerkte, wie sich der Druck der Wurzeln um den Käfig erhöhte, da er begann Dellen zu bekommen und nachzugeben. Ich musste grinsen. Das war es! Das war mein wahres Ich! Keine Metallwände, die mich bremsen konnten, sondern die Macht der bloßen Natur! Wer war wohl stärker? Die Menschheit oder die Natur? Ich kannte die Antwort – ohne Zweifel!
Ich ging zum Rand meiner Zelle, wo sich die dicke Wurzel entlangschlängelte. Wenn ich das ohne Befehligung hinbekommen habe, was würde ich wohl erreichen, wenn ich meine Kräfte kontrollieren würde? Ich legte meine offene Handfläche auf die Wurzel, bevor ich sie schnell schloss und als Faust zweimal kurz klopfte. Augenblicklich wurden die Wände des Käfigs eingerissen. Die Wurzel schlang sich beschützend um mich und zog mich fort.
Währenddessen öffnete sich in dem Chaos die Fahrstuhltür und fünf Männer betraten den Raum. An der Spitze sah ich Chase. In der Zeit, wo seine Bodyguards einen Weg durch die Trümmer suchten, lag sein klarer Blick auf mir. Doch am meisten erstaunte mich sein Gesichtsausdruck. Denn ich konnte aus ihm Faszination und nur einen winzigen Hauch Ärgernis lesen. Dieser ging mir nicht mehr aus dem Kopf – selbst nicht, als ich schon lange aus dem Trubel entwischt und meinen Weg unter der Erde fortsetzte. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm.
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