Patricia

Ich hatte relativ lange einfach nur dagesessen und die fest verschlossene Tür vor mir angestarrt. Jetzt hörte ich auf einmal die Stimme einer Frau. Sofort schoss ich hoch und versuchte das Geräusch ausfindig zu machen, woraufhin ich durch lose Holzbretter eine Dame mit langem roten Rock und Highheels sehen konnte.

Oh mein Gott! Vielleicht war das meine Chance! Ich begann lautstark an die Tür zu hämmern und zu rufen, bis die Frau fragte: "Wie viele sind da drin?"  Eine tiefe Stimme antwortete. Mein Entführer. Er versuchte sie aufzuhalten, aber das Klackern ihrer Absätze auf Parkett kam näher und schließlich öffnete sich die Tür.

"Keine Sorge. Er weiß wozu du hier bist. Er darf dich nicht mehr anrühren, er weiß das."

Sie machte einige aufmunternde Laute, wobei 'sie' nicht wirklich eine Frau war. Geschockt starrte ich in 'ihr' lächelndes Gesicht, das gleichzeitig zu meinem Entführer gehörte. Einen Augenblick wollte ich lachen, aber dann überkam mich eine unglaubliche Panik, ich hatte es mit einem hochgradig Geisteskranken zu tun! DIS nennt man seine Krankheit und soweit ich mich noch an den Unterricht erinnern kann steht diese Abkürzung für 'dissoziative Identitätsstörung'.

Nun, ein wenig gestört ist in meinen Augen sowieso die ganze Welt, aber man kann es auch übertreiben! Mir fiel nichts Erwähnenswertes zum Sagen ein, also starrte ich sie bloß an und versuchte, meinen Mund zum Zuklappen zu bewegen. Die Frau lächelte freundlich und fast hatte sie einen mütterlichen Aspekt in ihrem Ausdruck, trotzdem traute ich ihr nicht.

Zum einen teilte sie sich praktisch eine 'Körper-WG' mit einem Kidnapper, zum anderen hatte ich noch nie richtig eine Mutter gehabt und/oder gebraucht. Schön. Vielleicht würde sie mir in Zukunft mal helfen können, auch wenn sie im Moment ebenfalls sehr interessiert an dieser ganzen irrwitzigen Nummer war. Doch dann kam tatsächlich ein guter Vorschlag von ihr:

"Und, willst du nicht essen, Liebes?" Erst jetzt bemerkte ich das Knurren meines Magens und nickte dankbar.


Zehn Minuten später saß ich in einer kleinen Küche, welche von orientalischer und verdauungsanregender Musik umhüllt wurde. Die Frau, die anscheinend Patricia hieß, hatte mir ein appetitliches Sandwich hingestellt und schmierte ein weiteres, während sie leicht zu der gewöhnungsbedürftigen Musik hin und her wippte. Plötzlich knallte sie das Messer auf die Theke und ich schreckte zusammen.

"Es ist nicht grade geworden." Flüsterte Patricia bedrohlich und erinnerte mich mit ihrem Hang zur Perfektion stark an den männlichen Teil des Entführers. Sie begann ein neues Brot zu schmieren und obwohl es wohl nicht das perfekteste Timing war, fragte ich leise: "Kommen Chlaire und Marshia nichts essen?" Patricia drehte sich kurz um und sagte leicht lächelnd:

"Dennis meinte, sie sollten im Moment nichts essen. Ich bin mir nicht sicher was vorgefallen ist, aber er will bis auf weiteres keinen Kontakt mehr zu ihnen pflegen. Jeder von uns wollte eine von euch drei Mädchen besonders im Auge behalten und Dennis wollte unbedingt dich, Schätzchen, ich glaube du bist in seinen Augen noch am umgänglichsten."

Ich zögerte. Mein Entführer, Dennis, der gerade mit mir getanzt hatte, mochte mich am liebsten. Auch wenn er ein brutaler Kidnapper war, niemand sonst mochte mich lieber als Chlaire oder Marshia.

Ich aß zu ende und wurde erneut auf 'mein' Zimmer geschickt.

Ich schlief ein und träumte beunruhigt von meiner Kindheit. Mein Vater und mein Onkel waren mit mir im Wald zum Jagen. Eines der Eichhörnchen trug Glatze und Brille. Ich lächelte.

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