Kapitel 7 [Daisy]
Als der Abend anbrach, war die Stimmung an einem Tiefpunkt. Obwohl der Kamin warm und beruhigend vor sich hin knisterte, schien eine Eiseskälte in der Luft zu liegen, die jeden von uns umhüllte. Die bunten Kissen, die auf den Sofas lagen kamen mir auf einmal hart und unbequem vor und der leckere Salbeitee schmeckte bitter. Draußen gab es kein einziges Licht, weshalb man durch die hohen Fenster des Gemeinschaftsraumes nichts außer unendlicher Schwärze erkennen konnte.
Paul hatte sich heute bereiterklärt, das Abendessen zu kochen, und hatte sich mit seinem immer noch blassen Gesicht in die Küche verzogen, um wie angekündigt Kartoffelsalat und Eierreis zu machen. Ich wollte eigentlich etwas Zeit für mich alleine haben, doch die Ungewissheit verschreckte mich, weshalb ich mich dazu entschied, mit den Anderen im Gemeinschaftsraum zu bleiben. Im Gegensatz zum gestrigen Abend, hatte Kai kurzerhand die ganzen Ecktische aneinandergereiht, sodass wir alle zusammen sitzen konnten.
Unruhig rutschte ich auf meinem Platz hin und her, ohne eine bequeme Position zu finden. „Also. Wir warten jetzt einfach bis jemand neues hier hoch kommt, um im Rubinpalast Urlaub zu machen. Derjenige wird sehen, dass die Brücke kaputt ist und wird Hilfe holen. Habe ich das jetzt richtig verstanden?", erhob Noah schließlich das Wort und ließ seine dunklen Augen durch die Runde schweifen. Zögerndes Nicken.
„Wir sollten vielleicht ein Schild schreiben und am Zaun hinhängen, damit Vorbeigehende überhaupt wissen, dass jemand hier ist und Hilfe braucht", meinte Eve, die sich zurückgelehnt hatte und gedankenverloren aus dem Fenster starrte. Ihre Iris wurde klarer. „Hat jemand noch einmal probiert, ob das Satellitentelefon zufällig wieder funktioniert?" Ich nickte und lehnte mich nach vorne. „Es zeigt immer noch an, dass es die Nummer nicht finden kann." Kai murmelte etwas, was ich nicht verstehen konnte, doch ich ging schwer davon aus, dass es sich um Schimpfwörter handelte. „Wir sollten vielleicht noch im Rest des Hauses nachsehen, ob es nicht doch noch ein anderes Satellitentelefon gibt", schlug Juna vor, während sie energisch ihren Kaffee umrührte.
„Das bezweifle ich", erwiderte Cuinn schulterzuckend. „Aber wir können es versuchen."
„Sagt mal, wundert es euch nicht, dass wir, naja, dass wir...", murmelte ich und spürte stechende Blicke auf mir, weshalb ich verstummte. „Dass wir nur junge Menschen sind?", vervollständigte Noah meinen Satz und beugte sich vor, wobei er seine Ellbogen auf dem Tisch ablegte und mich eindringlich ansah. Ich nickte.
„Gute Frage. Das hier ist nicht gerade ein Ort, an den junge Menschen denken würden, wenn es darum geht, Urlaub zu machen", sagte Cuinn. „Und trotzdem sind wir hier."
„Das tut doch nicht einmal was zur Sache", unterbrach Kai unsere Gedankengänge und knallte mit der Faust auf seinen Tisch, woraufhin die übrigen Tische ebenfalls erzitterten. „Wir haben gerade echt andere Probleme als unser Alter."
„Aber falls du es noch nicht bemerkt hast, können wir gerade nichts gegen dieses Problem tun, außer zu warten", zischte Juna, was mich kaum überraschte, denn sie schien eine richtige Abscheu gegenüber Kai entwickelt zu haben.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich Seraya. Sie saß reglos auf ihrem Platz, ihr hübsches Gesicht wirkte aschfahl und ihre Hände, die auf der Tischfläche lagen, schienen leicht zu zittern. Ich erhob mich. „Wohin gehst du?", wollte Juna wissen. „Wir essen doch gleich."
„Ich...helfe Paul ein wenig in der Küche. Ich muss mich bewegen, sonst werde ich noch wahnsinnig." Rasch verließ ich den Gemeinschaftsraum und betrat den Korridor, dessen zweite Tür in die Küche führte. Doch anstatt diese zu betreten, eilte ich weiter durch den Flur, an den vielen schönen Bildern vorbei und öffnete die Haustür. Die Kälte und die Dunkelheit, die mich sogleich umhüllten, waren fürchterlich, doch gleichzeitig unglaublich erfrischend. Ich atmete tief durch. Mein rasender Pulsschlag kam langsam zur Ruhe, doch ich ließ die Tür geöffnet, um die Kälte in mich hinein dringen zu lassen. Jeder Atemzug schmerzte, doch ich liebte es.
„Was tust du da?", erklang eine Stimme hinter mir und ich fuhr herum, um kurz darauf Noah aus dem Zwielicht des Korridors treten zu sehen. „Ich genieße die frische Luft", erwiderte ich, während Noah sich neben mich stellte und in die Dunkelheit spähte. Ich bemerkte, wie ein Schaudern durch seinen Körper ging. „Die Ereignisse sind einfach ein wenig viel für mich."
Noah schwieg. „Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage?" Er zögerte kurz, ehe er mich ansah. „Wieso hier so viele seltsame Zufälle gleichzeitig aufeinandertreffen."
Alles in mir spannte sich an. „Was meinst du?", fragte ich mit erstickter Stimme, obwohl ich ganz genau wusste, was er meinte. „Erst stürzt eine Brücke einfach ein. Dann gibt es hier kein Personal, obwohl es auf der Website gestanden hat. Das Satellitentelefon ist kaputt. Die Gästeliste verschwindet einfach. Die Leute hier sind alle gleich alt."
„Und meine Freundin kommt nicht an, obwohl sie gestern schon hätte ankommen müssen", fügte ich hinzu, woraufhin Noahs Augen noch düsterer wurden. „Ja. Das sind echt verdammt viele seltsame Zufälle."
„Könntet ihr die Tür zu machen?", rief Paul, der im Korridor aufgetaucht war und einen großen dampfenden Topf mit Eierreis in den Händen trug. „Es gibt jetzt außerdem Abendessen." Seine Stimme klang resigniert und müde, doch er schien sich wieder halbwegs gefasst zu haben. Ich schlug die Tür mit einem Poltern zu und genoss den letzten Windzug, der durch mein schwarzes Haar wehte. Es erinnerte mich ein wenig an Alaska. Mit dem Unterschied, dass ich dort nicht auf einem verschneiten Berggipfel gefangen war. Und dass mein Leben damals noch nicht in Scherben war, zersplittert und hoffnungslos.
„Vergeben und Vergessen", flüsterte ich, fast lautlos, während ich hinter Noah in Richtung des Gemeinschaftsraumes ging. Ich lachte leise auf, als wären meine Worte ein lächerlicher Witz. Das waren sie zweifellos, denn wie könnte ich auch? „Von wegen Vergeben und Vergessen." Mein Flüstern war leise, unhörbar, doch in meinem Kopf erklang es so laut wie Eisenklingen, die gegeneinander geschlagen wurden. „Nur wegen dir. Nur wegen dir ist jetzt alles kaputt."
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