Kapitel 19 [Daisy]

Ich wusste bereits, dass etwas nicht stimmte, als ich den Rubinpalast betreten hatte.

Ich hörte Cuinns Schritte noch, wie er die Treppen hinauf stürmte, um sein Feuerzeug zu holen, doch nachdem ich die Küchentür aufgerissen hatte, und zum Vorratsraum gerannt war, bekam ich nichts mehr von Cuinn mit. Ich begann, so leichte und nahrhafte Lebensmittel wie möglich in den Rucksack zu werfen, doch gerade als ich nach einer Packung Nüsse griff und überlegte, ob ich sie für den Freiwilligen einstecken sollte, verharrte ich in der Bewegung und horchte in die Stille.

Sie war seltsam bedrückend und kalt und irgendetwas bereitete mir eine unangenehme Gänsehaut, weshalb ich nur noch wahllos eine Packung Trockenfleisch einsteckte, um so schnell wie möglich, zurück zu den Anderen zu gehen.

Alleine sein bedeutet nichts Gutes.

Und auch, wenn ich natürlich bereits mit Schneewittchen und dem Mädchen mit den Schwefelhölzern auf der Liste abgehakt war, fühlte ich mich nicht sicher.

Natürlich nicht. Wer weiß schon, was in dem kranken Kopf dieses Psychos vorgeht?

Mit großen Schritten eilte ich zurück durch die Küche und in den Korridor, wo ich mir den Rucksack über die Schulter warf und in Richtung Haustür lief. Die ganze Zeit über verspürte ich ein ängstliches Kribbeln in meinem Bauch, das noch intensiver wurde, je näher ich mich an der Haustür befand. Mit zittrigen Fingern griff ich nach der Türklinke und zog bereits daran, als ich auf einmal Schritte auf der Treppe hörte. Einen Moment dachte ich mir nichts dabei, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später erstarrte ich wie vom Blitz getroffen.

Die Schritte... sie entfernten sich. Sie gingen nach oben, obwohl Cuinn doch nach unten kommen sollte, nachdem er das Feuerzeug geholt hatte.

Meine zittrige Hand, die immer noch regungslos auf dem Türknauf lag, zuckte unentschlossen. Hatte Cuinn etwas vergessen und war einfach noch einmal nach oben gegangen, um es zu holen? Vermutlich.

Obwohl mein gesunder Menschenverstand mir dringlich riet, einfach das Haus zu verlassen, um zu den anderen zu gelangen, drehte ich mich mit verwirrtem Blick um.

Ich muss wenigstens nachschauen. Cuinn ist schließlich da oben, ich bin also nicht alleine.

So leise wie möglich huschte ich wieder durch den Korridor, schlüpfte in den Gemeinschaftsraum und betrat die Treppe, wobei ich versuchte kaum Geräusche beim Auftreten zu machen. Ich war zweifellos paranoid geworden, aber ich war lieber übervorsichtig als tot.

Die Gemälde an den Wänden erschienen mir düsterer als je zuvor, denn nun schien mich das Rotkäppchen hämisch anzugrinsen und Schneewittchens kalte Augen durchbohrten mich mit einem tödlichen Blick, während mich Dornröschen in ihrem hundertjährigen Schlaf zwischen leicht geöffneten Augenlidern beobachtete, ohne den Blick von mir zu nehmen.

Endlich hatte ich den zweiten Stock erreicht, wo ich auf Zehenspitzen durch den Korridor sauste und dabei den Rucksack fest an mich presste. Mein Herzschlag raste vor Aufregung und die Stille, diese tödliche Stille, schmiegte sich hinterlistig an mich, als sei sie ein guter Freund, der mich jedoch im nächsten Moment von hinten erstechen würde.

Ich erreichte die erste Ecke des Korridors, bei der ich vorsichtig stehen blieb und um die Ecke lugte. Auch dieser Korridor war leer.

Cuinn ist vermutlich gerade in seinem Zimmer und kommt jeden Moment raus.

Doch die Minuten verstrichen, ohne dass Cuinn sein Zimmer verließ, weshalb ich mich letztendlich doch um die Ecke wagte, um mucksmäuschenstill den Korridor entlang zu schlüpfen und zum hintersten Zimmer des Ganges zu gelangen, in dem Cuinn untergebracht war.

Es lag nicht mehr viel vor mir, als sich plötzlich eine der Türen, die dazwischen lagen, öffnete.

Ganz langsam und mit einem leisen Knarzen schwang die Tür von Zimmer 13 auf.

Zimmer 13 gehört zu niemandem. Hier ist noch jemand außer Cuinn und mir.

Ohne nachzudenken und mit angehaltenem Atem riss ich die nächstbeste Tür auf, die zu Zimmer 11 gehörte, und verschwand im unbewohnten Zimmer, ehe ich gesehen werden konnte.

Mein Herzschlag dröhnte ohrenbetäubend laut in meinem Kopf und mein hechelnder Atem konnte nur von meinen Handflächen gedämpft werden.

Langsam und Stück für Stück lehnte ich mich nach vorne, um in den düsteren, kaum beleuchteten Korridor zu spähen. Mein Herz machte einen Satz, als meine weit aufgerissenen Augen eine dunkel gekleidete, vermummte Gestalt erfassten, die wie ein Schatten durch den Gang glitt.

Immer wieder sah sie sich um, während sie sich graziös und fast lautlos dem letzten Zimmer des Gangs näherte. Cuinns Zimmer.

Mein Kopf drohte zu explodieren und ich unterdrückte einen Aufschrei, doch ein winziger, kaum hörbarer Laut verließ meine aufgerissenen Lippen.

Die Gestalt verharrte in ihrer Bewegung und drehte sich langsam um, schien zu überlegen, ob das Geräusch nur Einbildung war oder nicht.

Ich glitt zurück ins Zimmer, das mir als Versteck diente, und schloss einen Moment die Augen. Panik machte sich in mir breit und eine solche Furcht packte mich, dass mir ein erneutes Keuchen entschlüpfte.

So leise, so unhörbar. Und doch war es laut genug für eine verräterische Stille wie diese. 

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