Kapitel 29
Giyu stand in der Tür.
Ich musste mich verlesen haben. Oder halluzinierte ich vor Schmerzen?
Nein.
Er stand wirklich da. In seiner typischen Art – regungslos, emotionslos, wie eine verdammte Statue.
Ich wusste, dass ich eine einmalige Chance hatte.
Ich setzte meinen besten Dackelblick auf.
Große, flehende Augen, bebende Lippen, mein gesamtes Gesicht sprach ein einziges Wort:
Hilfe.
Ich flehte ihn in Gedanken an.
Tu was, du gefühlloser Eisblock! Wirf sie aus dem Fenster! Verhindere, dass ich gleich an inneren Schmerzen verrecke!
Doch Giyu reagierte nicht.
Stattdessen ...
Setzte er sich auf einen Stuhl.
Und.
Beobachtete.
Shinobu und mich.
„G-Giyu..." krächzte ich. „Bist du hier, um mich zu retten?"
Er blinzelte langsam. „Nein."
Mein Herz sank.
Shinobu kicherte. „Oh, wie wunderbar! Jetzt habe ich sogar einen Zuschauer."
Ich verzog mein Gesicht. „Du... bist ein Monster."
Shinobu lächelte weiterhin. „Wie oft willst du mir das noch sagen? Ich dachte, du wärst kreativer."
Ich knirschte mit den Zähnen. Oder zumindest versuchte ich es – denn mein neuer, schärferer Reißzahn fühlte sich verdammt unangenehm in meinem Mund an.
„Giyu..." Ich versuchte es erneut. „Bitte..."
Er sah mich mit seinem ausdruckslosen Blick an. „Du überlebst das schon."
Ich wollte schreien.
WAS SOLLTE DAS DENN HEISSEN?!
Ich überleb das schon?!
DAS WAR NICHT DER PUNKT!
Ich wollte nicht „überleben". Ich wollte nicht, dass diese sadistische Hexe weiter an mir herumexperimentierte!
Shinobu schüttelte lächelnd den Kopf. „Nun, wenn selbst Giyu nicht eingreift, dann bedeutet das wohl, dass wir weitermachen können."
Ich wollte protestieren, doch da war sie schon mit der nächsten verdammten Spritze.
„W-Warte! Warte! Warte! WAAARRTE!—"
Piks.
Ich keuchte und zuckte zusammen, als eine brennende Flüssigkeit in meine Adern floss.
Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen, und ich biss mir fast auf die Zunge.
„Hmmm... interessant." Shinobu machte sich Notizen. „Wie fühlst du dich, Muichiro-kun?"
„WIE EIN SCHEISS STÜCK FLEISCH AUF EINEM VERDAMMTEN GRILL!" brüllte ich.
„Oh? So starkes Brennen? Ich hätte eher mit Taubheit gerechnet... aber gut zu wissen!"
Giyu verschränkte die Arme. „Ist das wirklich notwendig?"
Ich sah ihn entsetzt an.
„DAS FRAGST DU JETZT?!"
Shinobu nickte fröhlich. „Aber natürlich! Es dient der Wissenschaft. Und Medizin. Und außerdem macht es Spaß."
Ich keuchte vor Schmerz. „DIESE VERDAMMTE HEXE! GOTTVERDAMMTE INSEKTENSÄULE! ICH VERFLUCHE—"
Piks.
„AAAAAAAARGH!"
Shinobu schrieb weiter Notizen auf. „Wirkung tritt sofort ein. Interessant."
Giyu seufzte. „Mach es nicht schlimmer als nötig, Shinobu."
„Oh, keine Sorge~. Ich bin sehr vorsichtig."
LÜGE!
Ich hätte mich am liebsten aus dem Bett gerollt und wäre schreiend aus dem Fenster gesprungen – wenn mein Körper nicht komplett gelähmt wäre.
Das hier war die Hölle.
Und Giyu tat... nichts.
Ich schwor mir: Sobald ich wieder auf den Beinen war, würde ich ihn verprügeln.
Aber zuerst musste ich überleben.
Shinobu setzte eine weitere Spritze an.
Und ich wusste:
Das hier war noch lange nicht vorbei.
Am späten Nachmittag war ich zu erschöpft, um noch zu schreien.
Mein Körper fühlte sich an wie ein ausgelaugter Schwamm – leer, schwer, vollkommen erschöpft. Selbst meine Augen offen zu halten war eine Qual.
Aber weißt du, wer immer noch Energie hatte?
Shinobu.
Diese sadistische, teuflische, völlig durchgeknallte Frau hörte nicht auf.
„Shinobu..." Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Genug..."
„Oh?" Sie neigte den Kopf zur Seite, als hätte sie mich gerade erst bemerkt. „Möchtest du eine Pause, Muichiro-kun?"
„Ja..."
Sie lächelte süß. „Nein."
Mein Atem stockte. „W-Was?!"
„Wir sind noch nicht fertig."
Ich wollte protestieren, mich wehren, irgendwas tun—doch dann bemerkte ich es.
Mein rechter Arm.
Ich konnte ihn nicht mehr spüren.
Gar nicht.
Nicht einmal das leichte Gewicht der Bettdecke darauf.
Panik stieg in mir auf.
„S-Shinobu... w-was hast du gemacht?!"
Sie setzte sich auf einen Stuhl neben mein Bett und begann, sich Notizen zu machen. „Nun, es scheint, als hätte mein neuestes Experiment eine betäubende Wirkung auf Dämonen."
Ich starrte sie entsetzt an. „Du... du hast mich absichtlich gelähmt?!"
„Nicht ganz. Eigentlich wollte ich nur testen, ob deine Regeneration die Nervenrezeptoren beeinflusst. Aber die Taubheit ist ein interessanter Nebeneffekt!"
Ich begann zu zittern. „Du... du bist ein Monster..."
Shinobu lächelte. „Das hast du heute schon einmal gesagt."
Giyu, der die ganze Zeit still dagesessen hatte, verschränkte die Arme. „Shinobu, das reicht."
„Oh? Seit wann setzt du dich für Dämonen ein, Giyu?" Sie grinste.
„Muichiro ist kein normaler Dämon."
„Nein, aber ein sehr interessanter."
„Er ist erschöpft."
Shinobu seufzte dramatisch. „Na schön, na schön. Ich werde für heute aufhören."
Ich stöhnte vor Erleichterung und ließ meinen Kopf ins Kissen fallen.
Endlich.
Endlich war es vorbei.
Ich konnte kaum noch klar denken. Mein rechter Arm war immer noch taub, mein ganzer Körper brannte, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Blei gefüllt.
Ich hörte, wie Shinobu ihre Sachen zusammenpackte.
„Giyu, bleibst du hier?"
„Ja."
„Gut. Falls er stirbt, sag mir Bescheid."
Mein Auge zuckte.
„WAS?!"
Shinobu lachte leise. „Scherz, Scherz."
Dann verließ sie den Raum.
Die Stille danach war beinahe ohrenbetäubend.
Ich drehte meinen Kopf schwach zur Seite und sah Giyu an. „Warum hast du mich nicht gerettet?"
Er zuckte mit den Schultern. „Du hast es überlebt."
Ich wollte ihm am liebsten eine Kopfnuss verpassen.
Aber ich war zu schwach.
Also blieb mir nur eins:
Ich würde mir das merken.
Sobald ich wieder bei Kräften war...
Giyu würde es bereuen.
Ich war kurz davor, in einen tiefen Schlaf zu fallen, als ich plötzlich Schritte hörte. Leise, vorsichtige Schritte, die kaum zu hören waren – aber ich erkannte sie sofort.
„Genya...?" murmelte ich, ohne meine Augen zu öffnen.
„Hey." Seine Stimme war leise, fast unsicher.
Ich öffnete meine Augen und sah ihn im schwachen Licht stehen. Seine bandagierten Arme hingen locker an seinen Seiten, doch sein Gesicht war voller Sorge.
„Dir geht's wieder gut", stellte ich fest, Erleichterung in meiner Stimme.
„Ja..." Genya trat näher ans Bett und setzte sich auf die Kante. „Aber du..." Er schluckte. „Muichiro, was haben sie mit dir gemacht?"
Ich seufzte. „Shinobu hat mit mir experimentiert."
„Diese verdammte Hexe!" Seine Stimme war voller Wut.
Ich schüttelte schwach den Kopf. „Ich lebe noch."
Er sah mich eine Weile an, seine Augen dunkel und voller Schmerz. Dann beugte er sich vor, und bevor ich realisieren konnte, was passierte, spürte ich seine Lippen sanft auf meinen.
Mein Atem stockte.
Es war ein sanfter Kuss, voller Gefühle, die keine Worte ausdrücken konnten. Ein Kuss, der sagte: Ich hätte dich fast verloren. Ich will dich nie wieder verlieren.
Als er sich langsam löste, sah er mich an, seine Stirn an meine gelehnt.
„Ich dachte, du stirbst", flüsterte er.
Ich schluckte schwer. „Ich auch..."
Er schloss die Augen, als würde er gegen die Erinnerungen kämpfen. „Tanjiro... Er hat dich dazu gebracht, mich anzugreifen. Ich konnte es in deinen Augen sehen – du wolltest es nicht, aber du konntest nicht anders."
Ich zitterte. „Er... er war so anders. Es war nicht der Tanjiro, den wir kannten."
Genya ballte die Hände zu Fäusten. „Ich will ihn nicht verlieren. Aber wenn wir ihn nicht retten können..." Seine Stimme brach.
Ich wusste, was er meinte.
Und ich wusste, dass ich darauf keine Antwort hatte.
Wir blieben einfach so sitzen. Nah beieinander. In der Stille der Nacht.
Nach einer Weile nahm Genya meine Hand in seine, als wollte er sich vergewissern, dass ich wirklich noch da war.
„Egal, was passiert", murmelte er. „Ich werde dich beschützen."
Ich lächelte schwach. „Das sagst du jedes Mal."
Er grinste schief. „Und ich meine es jedes Mal."
Dann legte er sich vorsichtig neben mich, hielt meine Hand fest und schloss die Augen.
Ich wusste nicht, was die Zukunft bringen würde.
Aber in diesem Moment... war ich nicht allein.
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