Kapitel 15

Am nächsten Tag wachte ich auf, und das Erste, was ich sah, war Obanai. Er saß auf einem Stuhl neben meinem Bett, seine Arme vor der Brust verschränkt, und Kaburamaru, seine Schlange, lag träge auf seiner Schulter. Sein Blick war wie immer kühl, doch in seinen Augen lag ein Hauch von Unmut. Es sah aus, als wäre er zu allem bereit – und gleichzeitig widerwillig.

„Guten Morgen", murmelte ich, meine Stimme rau und schwach.

Obanai hob eine Augenbraue und sah mich an, als hätte ich etwas besonders Dummes gesagt. „Morgen, ja. Aber ich weiß nicht, ob es für dich ein 'guter' ist."

Ich richtete mich langsam auf, fühlte aber sofort die Erschöpfung in meinen Gliedern. „Warum... bist du hier?" fragte ich vorsichtig.

„Weil ich anscheinend nichts Besseres zu tun habe, als auf einen Dämon aufzupassen", erwiderte er trocken. Seine Worte waren scharf, aber nicht ganz ohne Ironie. „Mitsuri hat mich überredet, und wie immer kann ich ihr nichts abschlagen."

Ich seufzte leise. „Ich bin kein gewöhnlicher Dämon, Obanai."

„Das weiß ich", schnappte er. „Sonst hätte ich dir längst den Kopf abgeschlagen." Seine Schlange hob den Kopf, als würde sie die Aussage unterstreichen. „Aber das macht die Situation nicht weniger... kompliziert."

Ich sah weg, unfähig, seinem durchdringenden Blick standzuhalten. „Es tut mir leid", murmelte ich.

„Du entschuldigst dich zu oft", sagte er, und seine Stimme wurde für einen Moment weicher. Doch dann setzte er hinzu: „Aber lass uns ehrlich sein – Entschuldigungen machen die Dinge nicht besser. Was, wenn du die Kontrolle verlierst? Was, wenn Tanjiro wieder versucht, dich zu manipulieren?"

Ich öffnete den Mund, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen. „Ich meine es ernst, Muichiro. Wenn du auch nur einen falschen Schritt machst..." Er zog sein Katana ein kleines Stück aus der Scheide, die Klinge blitzte bedrohlich im Licht. „...werde ich dich persönlich aufhalten."

Ich schluckte hart und nickte, obwohl ich innerlich zerrissen war. „Ich verstehe."

Die Sonne war hoch am Himmel, und ich durfte das Zimmer nicht verlassen. Genya hatte mir Essen gebracht, aber ich hatte kaum Hunger. Obanai blieb in meiner Nähe, immer wachsam, als könnte ich jeden Moment durchdrehen.

„Du brauchst nicht ständig auf mich aufzupassen", sagte ich schließlich, die Spannung zwischen uns kaum ertragend.

„Doch, das muss ich", erwiderte er knapp. „Du bist eine wandelnde Zeitbombe. Und solange wir nicht wissen, wie wir dich stabilisieren können, bleibe ich hier."

Ich wollte etwas entgegnen, doch plötzlich ging die Tür auf, und Sanemi stürmte herein. „Was soll das, Obanai? Warum sitzt du hier herum, während wir planen, wie wir Tanjiro zur Strecke bringen können?"

Obanai drehte sich langsam zu ihm um, seine Augen blitzten vor Unmut. „Vielleicht, weil mir jemand die glorreiche Aufgabe übertragen hat, auf deinen Bruderersatz aufzupassen?"

Sanemi knurrte und funkelte ihn an. „Hör auf, so über ihn zu reden! Muichiro hat genug durchgemacht."

„Oh, wirklich?" Obanai lehnte sich zurück, seine Stimme vor Sarkasmus triefend. „Entschuldige, ich hatte nicht gemerkt, dass du plötzlich der Anwalt für Dämonen bist."

„Willst du Streit anfangen, Obanai?" Sanemi trat einen Schritt näher, seine Hände zu Fäusten geballt.

„Vielleicht", sagte Obanai kühl. „Zumindest wäre das interessanter, als hier herumzusitzen und zu warten, dass dein kleiner Freund sich in eine Bestie verwandelt."

„Ich werde dir zeigen, wer hier die Bestie ist!" Sanemi warf die Arme hoch, bereit, sich auf ihn zu stürzen.

„Das wäre ja mal was Neues, dass du denkst, mit Gewalt löst sich alles", konterte Obanai und stand langsam auf.

„Hör auf zu reden, als wärst du was Besseres, Obanai! Du bist hier doch nur, weil Mitsuri dich dazu gebracht hat. Du würdest nicht mal allein ein Huhn bewachen!"

Obanai verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. „Das sagt der Mann, der fast ausgerastet ist, weil sein Bruder ihm ein Keksangebot abgelehnt hat."

Sanemi schnappte hörbar nach Luft. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest!"

„Ich weiß genug, Sanemi. Und eines weiß ich ganz sicher – dein Temperament ist schlimmer als Kaburamarus Launen, wenn er hungrig ist."

Ich konnte nicht anders, als bei dieser Bemerkung zu lachen, auch wenn es ein schwaches, erschöpftes Lachen war. Beide drehten sich gleichzeitig zu mir um.

„Was gibt's da zu lachen?" fauchte Sanemi.

„Nichts", sagte ich und legte den Kopf auf die Seite. „Es ist nur... ihr zwei benehmt euch wie ein altes Ehepaar."

Obanai und Sanemi sahen mich mit einer Mischung aus Schock und Empörung an, bevor sie gleichzeitig riefen: „Was?!"

Ich konnte nicht anders, als erneut zu lachen.

Als ich langsam aufstand, spürte ich, wie die Sonne durch das Fenster strahlte und das Zimmer in ein warmes Licht tauchte. Doch dann, plötzlich, begannen sich Wolken vor die Sonne zu schieben, und der Raum wurde dunkler. Der Zeitpunkt war gekommen, um endlich hinauszugehen.

„Bleib einfach in meiner Nähe", sagte Obanai in einem warnenden Ton, als er sich vor mir positionierte. Seine Augen waren misstrauisch, als er mich musterte, als wäre ich ein gefährliches Tier, das jederzeit außer Kontrolle geraten könnte.

„Du kannst mir nicht immer nachlaufen, Obanai", murmelte ich, versuchte aber, seine ständige Aufsicht zu ertragen.

„Natürlich kann ich das, du bist der Grund, warum ich hier bin. Also halt dich besser an die Regeln", antwortete er mit einem unangenehm festen Blick.

Ich rollte mit den Augen. „Du bist echt nervig, weißt du das?"

„Nervig? Du hast keine Ahnung, was nervig ist, du kleiner Dämon", erwiderte Obanai, und seine Stimme war scharf wie ein Messer.

Gerade als er seinen Satz beendete, hörte ich von der Tür her laute Stimmen – die bekannte Reiberei zwischen Sanemi und Obanai begann mal wieder.

„Was hast du gesagt? Du hast es also immer noch nicht begriffen, Obanai?" Sanemis Stimme hallte durch den Raum, und ich hörte die Wut darin. „Du bist genauso ein Idiot wie immer! Denkst, du bist hier der große Beschützer?"

„Glaubst du, du bist hier der Retter, Sanemi?" Obanai schnaubte. „Du bist genauso ein Witz, wie du immer warst. Du behandelst Muichiro wie ein kleines Kind, als ob er es nicht selber schaffen würde!"

„Und du bist ein arrogantes Arschloch, der sich immer aufspielen muss! Denkst, du kannst uns hier alle anführen? Mit deinem ständigen Misstrauen und dieser übertriebenen Fürsorge für alles? Du bist so ein beschissener Klotz, Obanai!"

„Klotz?", sagte Obanai mit einer Grinsen, das mehr wie ein fieses Lächeln aussah. „Du bist der Klotz, Sanemi! Du redest so viel, aber am Ende bist du nichts anderes als ein wütender Hund, der die ganze Zeit an der Leine zieht. Vielleicht solltest du mal an deiner Einstellung arbeiten, bevor du hier weiterhin den großen Mann spielst."

„Du beschissener Bastard!", schrie Sanemi. „Du bist so ein verdammtes Heuchler, Obanai!"

Ich sah beide an, den Kopf in die Hand gestützt. „Ihr seid unmöglich", murmelte ich, fühlte mich wie ein Gefangener zwischen ihren streitenden Persönlichkeiten.

Doch dann, plötzlich, wurde der Streit von einer unerwarteten Stille unterbrochen. Genya betrat den Raum und sah sich die beiden Streitenden an. Ein schiefes Grinsen spielte auf seinen Lippen. „Muss das wirklich wieder sein? Ihr streitet euch wie ein altes, verheiratetes Paar. Seid ihr euch sicher, dass ihr euch nicht gegenseitig liebt?"

Obanai und Sanemi drehten sich zu ihm um, wütend, als wollten sie ihn in Stücke reißen. „Halt die Klappe, Genya!" riefen sie im Chor.

„Komm schon, ihr seid ja echt furchtbar", sagte Genya ruhig, schüttelte dann mit einem Lächeln den Kopf. „Muichiro, komm, ich hole dich raus aus diesem Chaos."

Ich sah ihn an, völlig überrascht, als er seine Hand ausstreckte und mich damit aufforderte, ihm zu folgen. „W-Wo willst du hin?", fragte ich zögernd.

„Weg von diesen beiden Idioten", antwortete Genya und zog mich leicht an der Hand. „Du kannst mir glauben, es ist viel angenehmer, wenn man sich nicht mit ihren ständigen Streitereien herumschlagen muss."

Obanai und Sanemi brüllten noch einige wütende Worte, aber Genya kümmerte sich nicht darum und zog mich einfach hinter sich her. Wir gingen durch den Garten und dann durch das Tor, weit weg von den Zeltplanen des Schmetterlingsanwesens.

Als wir weit genug weg waren und die Luft still war, drehte sich Genya zu mir und sah mich tief in die Augen. Er legte sanft eine Hand an mein Gesicht und kam näher. „Ich... Ich wollte das schon länger tun", sagte er leise, bevor er sich langsam zu mir neigte und mich küsste.

Der Kuss war zärtlich und warm, doch ich konnte nicht verhindern, dass meine Reißzähne leicht in seine Lippen eindrangen. Ich bemerkte es zu spät, als ich seine Lippen ein kleines Stück einriss.

„Ah... tut mir leid", sagte ich erschrocken, als ich den Schmerz in seinem Gesicht sah.

Genya hielt sich die Lippen, aber er schüttelte den Kopf und lächelte. „Es ist schon okay", sagte er leise. „Es ist nichts, was wir nicht beheben können."

„Ich wollte dir nicht weh tun", murmelte ich und trat einen Schritt zurück.

„Ich weiß", antwortete Genya, und plötzlich wurde seine Stimme ernster. „Aber du bist nicht allein in dieser Sache. Ich bin bei dir, Muichiro, egal was passiert. Und das wird nicht aufhören."

Ich sah ihn an, und in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich ihn brauchte. Wie sehr ich ihn wirklich brauchte, um gegen diese dunklen Mächte zu kämpfen, die mich immer wieder zerrissen.

„Genya...", flüsterte ich, und er zog mich sanft zurück zu sich, als wollte er mir Halt geben.

Ich schloss die Augen und ließ mich für einen Moment einfach in Genyas Nähe fallen. Das Gefühl seiner starken Arme, die mich sanft umhüllten, war beruhigend, auch wenn ich wusste, dass wir uns inmitten von Chaos und Gefahr befanden. Es war, als wäre alles andere plötzlich weit entfernt. Die ständigen Kämpfe, die Stimmen der anderen, die ständige Bedrohung der Dämonen – all das schien für einen Augenblick nicht mehr von Bedeutung zu sein.

„Du bist so viel größer als ich", murmelte ich gegen seine Brust, als ich ein wenig von ihm zurücktrat, um zu ihm aufzusehen.

Genya lachte leise, und ich konnte die Wärme in seiner Stimme spüren. „Du bist kleiner, ja", sagte er mit einem schelmischen Grinsen, „aber du bist auch viel stärker, als du denkst. Ich meine, du hast immerhin diesen verdammten Dämonenanteil in dir."

Ich schnaubte. „Ja, und der macht alles nur noch schwieriger. Ich weiß nicht einmal, wer ich noch bin. Manchmal fühlt es sich an, als würde der Dämon in mir alles übernehmen."

„Ich verstehe dich", sagte Genya ruhig und legte eine Hand auf meinen Kopf. „Aber du bist nicht allein. Und auch wenn du dich verloren fühlst, ich bin hier. Du kannst dich immer auf mich verlassen, Muichiro."

Sein Blick war fest und voller Ernst, als er mich ansah. Ich konnte die Wahrheit in seinen Augen sehen, und für den Bruchteil eines Moments fühlte ich mich, als könnte ich alles überstehen.

„Danke", flüsterte ich, als ich mich wieder an ihn lehnte, mein Gesicht wieder gegen seine Brust drückte. Es war seltsam. Er war zwei Jahre älter und viel größer als ich, aber in diesem Moment fühlte es sich an, als würde er mich mehr brauchen, als ich ihn brauchte.

„Kein Problem", sagte Genya und strich mir sanft durch die Haare. „Ich würde nie zulassen, dass dir etwas passiert. Aber..."

Ich zog mich leicht zurück, um ihn anzusehen, als er seine Worte stocken ließ. „Aber?" fragte ich neugierig.

„Aber du musst mir versprechen, dass du mir vertraust, wenn es hart auf hart kommt", sagte er, seine Stimme plötzlich ernster. „Ich weiß, dass du stark bist, Muichiro, aber wenn der Dämon in dir wieder die Oberhand gewinnt, musst du dich auf mich verlassen können, okay?"

Ich nickte stumm. Irgendwie konnte ich ihm vertrauen. Es fühlte sich richtig an, bei ihm zu sein, und für den Moment wusste ich, dass er nicht nur an meiner Seite kämpfte, sondern mir auch half, die Kontrolle zu behalten.

„Ich verspreche es", antwortete ich leise. „Ich werde mich auf dich verlassen, Genya."

Genya nickte und zog mich dann wieder näher an sich. „Gut, denn wir müssen zusammen durch diese Hölle gehen. Egal, wie dunkel es noch wird."

Ich konnte spüren, wie sich die Luft um uns herum veränderte, wie der Druck der bevorstehenden Nacht immer näher kam. Wir waren weit genug weg vom Schmetterlingsanwesen, um ein wenig Ruhe zu finden, aber der Kampf, der vor uns lag, war noch nicht vorbei.

„Ich weiß nicht, wie lange ich noch gegen den Dämon in mir kämpfen kann", sagte ich schließlich, meine Stimme leise und unsicher. „Es fühlt sich an, als würde er mich irgendwann übermannen."

Genya nahm meine Hand und drückte sie fest. „Du wirst es schaffen. Ich werde dafür sorgen, dass du es schaffst. Du bist nicht alleine."

Seine Worte gaben mir ein wenig Trost, aber der Gedanke, dass der Dämon in mir jederzeit die Kontrolle übernehmen konnte, ließ mich nicht los. Was, wenn ich nicht genug war? Was, wenn ich all die Menschen, die ich liebte, irgendwann verletzen würde?

„Was ist, wenn es passiert?" fragte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

„Dann bin ich da", sagte Genya ohne zu zögern. „Ich werde dich nicht aufgeben. Nie."

Für einen Moment blieb es still, nur das Rauschen des Windes war zu hören. Ich konnte Genya hören, wie er ruhig atmete, als würde er seine eigenen Ängste unterdrücken, aber er versteckte sie nicht vor mir. Ich wusste, dass auch er ein gewisses Maß an Furcht verspürte, auch wenn er es nicht zugab. Aber er war stark, viel stärker, als er es ihm zugestand, und ich wusste, dass wir gemeinsam alles durchstehen könnten.

„Lass uns gehen", sagte Genya schließlich und nahm meine Hand. „Die anderen werden sich schon Sorgen machen, wenn wir noch länger verschwunden bleiben."

„Ja", stimmte ich ihm zu, obwohl der Gedanke, zurückzukehren, mich innerlich aufwühlte. Die anderen waren mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und ich wollte nicht, dass sie sich weiterhin um mich sorgten. Doch ich wusste, dass wir nicht lange in diesem Moment der Ruhe bleiben konnten.

Als wir den Weg zurück zum Anwesen antraten, fühlte sich alles plötzlich so viel schwerer an. Der Gedanke, was noch kommen würde, die Gefahr, die uns alle bedrohte – es war schwer, das alles abzuschütteln. Doch während wir zusammen gingen, fühlte ich mich ein kleines Stück weniger allein. Genya war bei mir, und das gab mir Hoffnung.

„Wir werden das überstehen", sagte ich, mehr zu mir selbst als zu Genya. „Wir werden nicht zulassen, dass der Dämon uns besiegt."

„Genau", antwortete er mit einem Lächeln, das mich ein wenig beruhigte. „Solange wir zusammen sind, gibt es nichts, was uns aufhalten kann."


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