Kapitel 8 (überarbeitet)
Gerade wollte sie sich verstecken, da stürzte ein riesiges Raubtier aus dem Gebüsch und drückte sie in den Waldboden. Elly schrie vor Schreck auf, als sie erkannte, dass es sich bei ihrem Angreifer um einen schwarzen Panther handelte.
Er fletschte die Zähne und gab warnende Laute von sich. Falls Elly es wagen sollte, sich zu befreien, würde das Tier sicher nicht zögern und zuschlagen. Elly zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, um den Panther nicht weiter zu provozieren. Das Blut rauschte durch ihre Adern.
Schritte näherten sich ihr und wurden immer lauter. Ein junger Mann mit braunen, lockigen Haaren erschien in ihrem Sichtfeld und musterte sie misstrauisch.
Schließlich gab er dem Panther ein Zeichen, woraufhin er von Elly ablies und sich neben sie setzte. Die Raubkatze ließ sie jedoch nicht eine Sekunde aus den Augen und knurrte sie an. Inständig hoffte Elly, dass der Panther nicht dazu fähig war, Silas Geruch an ihr zu riechen.
"Ihr seid kein Lykaner", stellte der braunhaarige Mann fest und runzelte verwirrt die Stirn. Spinnte er eigentlich, sein Schoßtier auf sie zu hetzen und ihr eine Heidenangst einzujagen? Es war ja wohl mehr als offensichtlich, dass sie kein Werwolf war.
"Sieht wohl so aus", antwortete sie leicht gereizt, woraufhin der Fremde lächelte. Rasch bot er ihr seine Hand an und zog sie auf die Beine.
"Verzeiht mein schlechtes Benehmen, aber in diesen dunklen Zeiten kann man nie vorsichtig genug sein", meinte er nur und Elly beruhigte sich langsam wieder. Eigentlich hatte er ja recht. Aerrion war bereits jetzt ein dunkler Ort geworden, der nicht mehr sicher war. Im ganzen Königreich kämpften die Wesen des Lichts gegen Silas dunkle Streitkräfte an. Sie wollte gar nicht wissen, wieviele Lebewesen bereits ihr Leben ausgehaucht hatten im erbitterten Kampf um die Vorherrschaft.
"Ist schon so gut wie vergessen. Werdet ihr mir euren Namen verraten?", fragte sie und betrachtete den Fremden genauer. Er trug alte, zerschlissene Kleidung. Eine grüne Tunika, die seinen athletischen Körper betonte und eine braune Hose, die farblich perfekt zu dem abgenutzt Umhang an seinem Rücken passte. Die Schuhe des Fremden bestanden aus Wildleder. Er hatte einen Bogen und einen kleinen Dolch bei sich. Doch das einzige, was ihr wirklich wertvoll erschien, war seine Gürtelschnalle, die silber schimmerte. Sie zeigte eine Raubkatze mit geöffnetem Mund, sodass man ihre scharfen Zähne sehen konnte. Die Gürtelschnalle zeichnete ihn eindeutig als einen Bestienzähmer mittleren Ranges aus.
Bestienzähmer waren Jäger Aerrions, die eine starke Verbindung zur Natur aufwiesen und dazu in der Lage waren, ein Raubtier zu zähmen, dass sie ihr Leben lang begleitete. In den meisten Fällen waren Bestienzähmer Menschen mit kaum ausgeprägten magischen Fähigkeiten. Und doch wurden ihre gezähmten Tiere nicht älter, sobald sie an ihrer Seite standen. Außerdem erzählte man sich, dass die mächtigsten unter ihnen sogar per Gedankenübertragung mit ihren Tieren kommunizieren konnten. Dieser Mann hier zählte allerdings nicht dazu. Sonst würde er eine goldene Gürtelschnalle besitzen.
Der Braunhaarige verbeugte sich knapp und stellte sich vor. "Simon Devarux, freut mich, eure Bekanntschaft zu machen", sagte er und bot ihr das Du an.
Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. "Elly Pierce", antwortete sie und ihr Blick wanderte zwischen ihm und dem Panther hin und her.
"Du bist ein Bestienzähmer", sprach sie das offensichtliche aus.
Simon nickte zur Antwort und deutete dann auf die Raubkatze. "Richtig, das hier ist Nayrah." Er tätschelte den Kopf des Panthers, der ihn daraufhin genervt anfauchte. Nayrah mochte wohl keine Streicheleinheiten. Elly musste schmunzeln.
"Normalerweise kämpfen wir beide an der Front, um Arvening vor den Werwölfen zu schützen", erklärte er und Elly zog fragend eine Augenbraue nach oben. Sie wusste nicht, dass Arvening ebenfalls belagert wurde.
"Finden denn häufiger Angriffe auf Arvening statt?", hakte sie nach. Das fehlte ihr jetzt noch. Sie wollte doch einfach nur ihre Ruhe haben und einen Ort finden, an dem sie vorerst in Sicherheit war.
Simon antwortete nicht gleich, ihn schien etwas zu bedrücken. Schließlich sah er ihr direkt in die Augen.
"Leider ja. Ich denke nicht, dass wir die Stadt noch lange gegen die Werwölfe verteidigen können. Vor allem nicht, wenn ihre Angriffe unerwartet kommen", meinte er.
"Daher kundschafte ich auch die Gegend aus, damit wir keine unangenehmen Überraschungen erleben."
"Ich verstehe", antwortete Elly und dachte einen Moment nach. Auch wenn Arvening unsicher sein sollte, wäre eine Nacht in den Wäldern sicher gefährlicher.
"Kannst du mich trotzdem nach Arvening bringen? Vielleicht kann ich den Stadtbewohnern etwas unter die Arme greifen. Außerdem wäre es wohl besser die Nacht dort in einem Gasthaus zu verbringen, anstatt hier draußen im Wald", fuhr Elly fort.
Simon schien darüber nachzudenken, ob er ihr helfen sollte. Sein Blick wanderte über sie.
"Was tust du hier eigentlich? So ganz alleine im Wald?", fragte Simon schließlich und ging nicht auf ihre Frage ein. Er musterte sie neugierig.
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Kurz überlegte sie, wieviel sie ihm erzählen konnte. Letztendlich kam sie zu dem Entschluss, dass es wohl am besten wäre, ihm nur das Nötigste zu sagen.
"Harving, mein Heimatdorf, wurde von einigen Drachen belagert und vollständig zerstört. Ich bin bei meiner Flucht in den Kiefernwald gerannt, um mich in Sicherheit zu bringen", erklärte sie und konnte sehen, wie sich Simons Kiefermuskeln anspannten. Sein Blick verfinsterte sich.
"Silas und sein Gefolge sollten im Höllenfeuer schmoren für das, was sie in ganz Aerrion anrichten. Wenn ich diesen Bastard erwische, werde ich ihm eigenhändig den Hals umdrehen", grummelte er und das Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass er seine Worte absolut ernst meinte.
Elly konnte Simons Wut nachvollziehen, aber trotzdem ärgerte es sie, dass er so schlecht über Silas sprach. Vermutlich einfach aus dem Grund, weil sie seine Gefährtin war.
Nayrah knurrte lauter, fixierte Elly dabei mit den Augen. Doch Simon schien nicht zu bemerken, dass sein Schoßtier nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen war.
"Ich weiß, Nay, du kannst es auch kaum erwarten, Silas in den Hintern zu beißen", lachte Simon nun und versuchte die Stimmung etwas aufzulockern. Er wuschelte über Nayrahs Kopf und beinahe glaubte Elly, dass die gereizte Raubkatze nach Simons Hand schnappen würde, wenn er es wagte, noch einmal ihr Fell zu berühren.
Mehr und mehr hatte Elly das Gefühl, als würde Nayrah spüren können, dass sie Silas Gefährtin war. Doch die Raubkatze konnte es Simon nicht verständlich machen. Ein Glück, dass er kein Bestienmeister war. Sonst hätte sie jetzt ernsthafte Probleme.
Ihr wurde unwohl zumute, wenn sie daran dachte, dass sie jederzeit entlarvt werden konnte. Eine unglückliche Begegnung in Arvening mit jemandem, der sie als das erkannte was sie war, könnte bereits ihre Gefangenschaft bedeuten. Aber sie musste das Risiko eingehen, irgendwo musste sie ja hingehen. Und sie hatte nicht vor sich von den Menschen abzuschotten und ein einsames Leben in Angst zu leben.
"Es tut mir leid, was dir und deinem Dorf wiederfahren ist", meinte Simon schließlich und holte sie aus ihren Gedanken.
"Was geschehen ist, ist geschehen. Bringst du mich nun nach Arvening, oder bin ich auf mich alleine gestellt?", fragte sie nach und gab sich keine Mühe, besonders betroffen zu wirken.
Es überraschte ihn sichtlich, dass sie nicht in Tränen ausbrach. Kurz sah er sie an, als würde er verstehen wollen, warum ihr das Erlebte nicht sonderlich nahe ging. Eine Frage schien ihm bereits auf der Zunge zu liegen, aber er stellte sie nicht.
"In Ordnung, ich hatte ohnehin vorgehabt, bald zurückzukehren. Folge mir", forderte er sie auf und Elly atmete erleichtert aus. Ihre Stimmung hellte sich augenblicklich auf.
"Ich danke dir, Simon", antwortete sie ihm und er nickte nur. Nayrah erhob sich geschmeidig vom Boden und folgte den beiden, als sie sich auf den Weg Richtung Westen machten.
Eine Zeit lang herrschte Stille. Nur das Rascheln der Bäume und das Zwitschern einiger Vögel war zu hören. Elly war mit den Gedanken schon in einem kleinen Gasthof wo sie ein wohltuendes Bad nehmen und frische Kleidung anziehen konnte. Zum Glück trug sie ihr hart verdientes Geld immer in einem kleinen Beutel mit sich herum. Ansonsten könnte sie nun tatsächlich im Wald schlafen.
"Ich würde dir allerdings raten, nicht zu lange in Arvening zu bleiben. Kauf dir etwas zu Essen, nimm dir ein Zimmer für die Nacht und ziehe dann schnell wieder weiter", nahm er das Gespräch wieder auf und quetschte sich zwischen zwei Bäumen hindurch.
Nayrah folgte ihm und hatte dabei wenig Probleme. Für sie schien das ganze nur eine Bühne zu sein, auf der sie ihren prachtvollen Körper zur Schau stellen konnte.
Elly traute der Raubkatze nicht über den Weg und war froh darüber, dass sie nun Simon folgte und nicht mehr hinter ihr herlief. Sie hatte bereits ihre Bedenken gehabt, dass Nayrah womöglich aus einer Laune heraus handeln könnte und ihre scharfen Krallen über ihren Rücken zog.
"Weil du davon ausgehst, dass die Stadt bald fallen wird?", antwortete sie und er bestätigte ihre Vermutung.
"Ja, richtig. Die Angriffe der Lykaner werden immer zahlreicher und Morr'ag wird nicht eher ruhen, bis die Stadt eingenommen wurde", sprach er weiter.
"Morr'ag?", hakte sie nach und runzelte verwirrt die Stirn. Sie hatte diesen Namen noch nie zuvor gehört.
"Morr'ag ist der Anführer des Werwolfclans und einer von Silas mächtigsten Kriegsherren. Er plant die Angriffe auf Arvening und einige andere Städte im Westen des Landes."
Elly biss sich auf die Unterlippe und hatte keine Ahnung was sie darauf sagen sollte. Sie konnte nicht fassen, dass es tatsächlich Wesen gab, die Silas als Herrscher akzeptierten und ihn dabei unterstützten, die Bewohner Aerrions zu unterwerfen. Aber was war schon von Lykanern anderes zu erwarten. Werwölfe gehörten schon immer mit zu den bösartigsten Kreaturen dieser Welt. Für sie war das Ganze sicher nicht mehr als ein Spiel, bei dem sie ihren animalischen Gelüsten folgen konnten. Sie liebten es zu jagen und das Blut Unschuldiger zu vergießen.
Elly erschauderte und eine Kindheitserinnerung kam in ihr hoch. Sie musste an ihre erste Begegnung mit dem Warg im Wald denken, der Eric in Stücke gerissen hatte. Er war den Werwölfen sehr ähnlich. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass sich Werwölfe auch in Menschen verwandeln konnten, während Warge nur ihre wölfische Gestalt besaßen.
Ob der Warg schon damals erkannt hatte, dass sie Silas Gefährtin war? Hatte er sie deshalb seine Königin genannt und sich plötzlich so handzahm verhalten? Das musste es sein, anders konnte sie sich sein Verhalten nicht erklären.
Manchmal wünschte sich Elly, dass sie die dunkle Macht noch einmal spüren konnte, die in jener Nacht in ihr aufgestiegen war. Obwohl das Geschehene schon lange zurücklag, konnte sie sich noch immer genaustens an den Tag zurückerinnern. Sie hatte sich mächtig gefühlt, als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Elly war sich sicher, dass sie magische Kräfte besaß, doch sie hatten sich seit dieser einen Nacht nie wieder bemerkbar gemacht. Ganz so, als würden sie nur freigesetzt werden, wenn sie sich in ernsthafter Gefahr befand. Sie wollte unbedingt in Erfahrung bringen, was es mit der verborgenen Kraft in ihr auf sich hatte.
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