Kapitel 12

Marie saß zusammengekauert in einer Ecke und weinte. Astajeth hatte sie an einen sicheren Ort gebracht an dem er und seine Familie bereits seid ewigkeiten lebten. Jeden Tag kämpfte sie nun aufs neue gegen den unendlichen Durst an und schien dabei keine Fortschritte zu machen. Sobald ein menschliches Lebewesen in ihre Nähe kam verspürte sie nichts anderes als die Gier nach ihrem Blut.

Sollte Marie sich in diesem Zustand mit Lea treffen würde sie das nicht verantworten können. Es nagte an ihr, genauso wie die Tatsache das sie nicht besser war als die Wölfe. Wieviel Leid hatte sie bereits verbreitet, wieviele Kinder zu Waisen gemacht?. Marie hasste alles was sie tat und was aus ihr geworden war. Sie ekelte sich vor sich selbst und wünschte nichts sehnlicher als ihre Entscheidung rückgängig zu machen.

Die Zeit verging schnell und es mussten bereits Monate vergangen sein seit dem Astajeth sie ins Leben zurück geholt hatte. Jeder weitere Tag der an ihr vorbei zog kostete einen Teil ihrer Menschlichkeit und sie entfernte sich zunehmend von dem Leben das sie einst geführt hatte.

Marie fragte sich ob sie ihre Familie jemals wiedersehen oder wenigstens die Chance erhalten würde um sich von ihnen zu verabschieden, nicht das sie ein besonders gutes Verhältnis zu ihren Eltern gehabt hätte aber sie fehlten ihr trotzdem.

Tränen liefen ihre Wangen entlang und Marie konnte ein schluchzen nicht unterdrücken als die Tür zu ihrem Zimmer mit einem lauten Knall aufschwang.

Rya stand im Türrahmen und grüßte sie mit einem langezogenen "Halloho".

Das hatte Marie grade noch gefehlt, zu all ihrem Glück gab es auch noch dieses kleine freche Biest welches ihr ständig auf die nerven ging und scheinbar einen Riecher dafür hatte zu den ungünstigsten Zeiten aufzutauchen.

Rya war klein und zierlich, äußerlich sah sie aus wie ein Kind, vieleicht Acht oder Neun Jahre doch in Wirklichkeit lebte sie schon Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Sie würde für immer ihr jetziges Aussehen behalten den der Körper entwickelt sich nach der Wandlung nicht weiter und fror ein. Sie trug einen langen Pony der ihre braunen Rehaugen fast völlig bedeckte. Die kleinen Zöpfe welche links und rechts von ihrem Kopf abstanden verliehen ihr ein unschuldiges Aussehen und erweckten in jeder Mutter Beschützerinstinkte doch Marie wusste es besser denn Rya war alles andere als ein Kind auch wenn sie sich gerne so benahm sollte man sie nicht unterschätzen.

Wie alle anderen Vampire war auch sie gefährlich und konnte fast jeden um den Finger wickeln. Einmal hatte Marie sie heimlich beim trinken beobachtet und anstelle der niedlich-kindlichen Gesichtszüge war eine Dämonen verzerrte Fratze getreten. Es war ein schauriger Anblick gewesen der sie bis ins Mark erschüttert hat.

"Was ziehst du den schonwieder für ein Gesicht? kannst du nicht mal aufhören in Selbstmitleid zu versinken und den ganzen Tag nur rumzuheulen? es schneit draußen und du hockst hier die ganze Zeit dumm rum". Als Marie nicht antwortete betrat Rya das Zimmer und hob einen Finger in die Luft.

"Ich habe eine Idee, was hälst du von einer Schneeballschlacht? das wird bestimmt lustig". Marie wischte sich einige Tränen aus dem Gesicht, machte aber keine anstalten zu Antworten. Rya kletterte auf den Schreibtisch der ihr am nächsten war, legte sich der Länge nach hin und stützte das Kinn mit den Händen ab während sie auf das Häufchen Elend vor ihr hinabblickte."Jetzt sag doch mal was".

Marie schnaubte. "Wir könnten natürlich auch Julien ärgern aber ich denke nicht das er für Späße aufgelegt ist, so grimmig wie er in letzter Zeit dreinschaut. Wahrscheinlich würde er uns noch hinterherjagen und versuchen seine Fangzähne in unsere Hintern zu schlagen". Sie kicherte als hätte sie gerade einen unheimlich lustigen Witz erzählt.

"Erde an Marie bist du noch da?" Rya seufzte und ging zu den beiden Fenstern um sie zu öffnen. Kalte luft blies ihr ins Gesicht und die Gardinen flatterten im Wind. Maries Zimmer lag im dritten Stock des riesigen Gebäudes, von hier aus konnte man das gesamte Tal überblicken. Die Aussicht war herrlich und Rya lächelte "komm schnell her Marie, das musst du dir unbedingt ansehen".

Es war hoffnungslos denn Marie war absolut nicht in Stimmung für sowas. Sie atmete tief durch und antwortete im leisen aber warnenden Tonfall "merkst du eigentlich nicht das du hier unerwünscht bist? kannst du mich nicht einfach mal in Ruhe lassen?" erschrocken drehte Rya sich zu ihr um, fast so als habe sie nicht damit gerechnet das Marie überhaupt sprechen konnte."Ah,du kannst also doch reden,also was machen wir denn nun?"

Sie ignorierte Marie absichtlich was ihr einen finsteren Blick einbrachte. Es schien allerdings keine Wirkung zu haben denn sie grinste nur und hob streitlustig die Nase nach oben. Während sie sich gegenseitig versuchten mit blicken zu töten betrat eine weitere Person das schlicht eingerichtete Zimmer, es war Astajeth.

"Wie ich sehe habt ihr beiden spaß miteinander, ich störe zwar nur ungerne aber wir müssen mit den anderen reden, es bleibt nichtmehr viel Zeit". Seine Miene war ernst. "Wenn ihr mir bitte folgen würdet" einen kurzen Moment verharrten sie in ihrer Position und keiner der beiden schien nachgeben zu wollen.

Ein tiefes Knurren aus Astajeths Kehle brachte ihnen Vernunft bei und sie folgten ihm wiederwillig in den Flur. Der schmale Gang war nur leicht beleuchtet und einige Kerzen sowie alte Gemälde hingen an den Wänden. Wenn Marie darüber nachdachte musste sie an alte Dracula Filme denken die in Burgen oder Schlössern spielten und genauso eingerichtet waren wie ihr neues Heim, ziemlich passend. Astajeths Schritte wurden schneller und der Holzboden knarrte unter ihrem Gewicht. Sie gingen eine Wendeltreppe hinunter und erreichten einen riesigen Festsaal.

Kronleuchter hingen von der Decke und spendeten schwaches Licht, nicht das sie welches gebraucht hätten doch den Vampiren gefiel die Atmosphäre. Vier breite Säulen stützten den Raum und ein langer, elegant eingedeckter Tisch mit Goldbesteck lud zu einem besonderem Mahl ein das sich jeder nur erträumen konnte.

Marie hatte in den Büchern über Vampire gelesen das sie nichts Essen und kein Knoblauch vertrugen doch das war gelogen. Genauso wie die Tatsache dass sie sich in Tiere verwandeln konnten oder in der Sonne verbrannten, nichts davon entsprach der Wahrheit. Es war schon möglich ihrer Existenz ein Ende zu setzen doch nur wenn man ihnen den Kopf abtrennte oder ein Pflock ins Herz rammte. Vampire verfügten über besonders stark ausgeprägte Sinne, konnten sich schneller fortbewegen und besaßen mehr Kraft als ein LKW doch die Fähigkeit eine andere Gestalt anzunehmen hatten sie nie erlernt.

Marie nahm auf einem der aufwendig geschnitzten Holzstühle Platz und bewunderte die Auswahl an Gerichten welche dampfend auf dem Tisch standen und nur darauf warteten verspeist zu werden. Ein knusprig gebratenes Hähnchen direkt vor ihrer Nase lies Marie das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es gab verschiedene Salate, Fleisch Sorten, eine Schale voller Süsskartoffeln, Nudeln und einige Krüge die mit frischem blut gefüllt waren.

Einer davon zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie überlegte kurz ob es unhöflich wäre wenn sie sich jetzt schon etwas davon einschenken würde. Der Saal füllte sich langsam und immer mehr Vampire setzten sich auf die freien Stühle. Rya nahm entschlossen neben ihr Platz und grinste sie frech an, ganz so als wäre sie bereit für nächste Runde.

Einige der Gäste sahen zum fürchten aus und wenn Marie noch ein Mensch gewesen wäre hätte sie vermutlich die Flucht ergriffen. Ein großer hagerer Mann mit langen, blond gewellten Haaren nahm ihr gegenüber Platz, ihm fehlte ein Auge und Marie blickte in die gähnend leere Höhle während er sein Jackett zurecht rückte. Julien hatte am anderen Ende des Buffets Platz genommen und blickte wie immer grimmig drein. Seine schwarzen Haare waren ungekämt und er hatte Ähnlichkeit mit einem Verbrecher den Marie mal im Fernsehen gesehen hatte. Juliens eiskalte Augen wirkten bedrohlich und er war allgemein ein Vampir den man nur ungerne als Feind haben wollte. Niemand konnte ihn einschätzen und er war bekannt für seine grausame Art zu töten.

Als auch der letzte Platz vergeben und freudige Erwartung in der Luft lag erhob sich Astajeth vom Kopfende, hielt beide Arme seitlich von seinem Körper ausgestreckt und machte eine einladende Geste "Willkommen meine Brüder und Schwestern, wir haben uns Heute hier versammelt um über die Lösung eines Problems zu reden das uns bereits mehrere Jahrhunderte beschäftigt".

Die Menge wurde laut und ein Mann mittleren alters erhob sich knurrend während er leicht auf den Tisch schlug."Sie sprechen von den Wölfen nicht wahr?". Astajeth nickte während sich beide wieder hinsetzten."Sie kommen unserer Grenze immer näher und Maddison konnte Gestern sogar einen von ihnen dabei beobachten wie er schamlos in unserem Gebiet jagte".

Die Frau mit den langen braunen Haaren und einer Smaragdhalskette zu Astajeths rechten nickte zustimmend "es ist wahr, wir müssen etwas unternehmen". Wieder wurden die Stimmen im Raum lauter. Marie beugte sich zu Rya und flüsterte " warum vertragen sich die Wölfe eigentlich nicht mit den Vampiren, schließlich sind sie doch auch Geschöpfe der Nacht".

Rya blickte sie entgeistert an." Hast du schonmal Löwen und Hyänen an einem Strang ziehen gesehen? Ich nicht". Marie zuckte mit den Schultern "also worum geht es genau? warum stehen sie im Konflikt miteinander?" Rya funkelte sie an und Hass lag in ihren Augen "die Wölfe nehmen uns die Beute weg, töten willkürlich Menschen um ihre gelüste zu Befriedigen und machen es uns schwieriger an Blut zu kommen. Es ist wie bei Katzen, die spielen auch häufig mit ihrer Beute und lassen sie dann einfach liegen ohne ihren Hunger zu stillen, es ist eine Schande, Verschwendung wenn du mich fragst".

Marie holte tief Luft "und woher weisst du so genau das die Wölfe die Jagd nicht genau so sehr brauchen wie wir das Blut?" Rya zog eine ihrer kleinen Augenbrauen nach oben "versuchst du sie etwa in Schutz zu nehmen nach all dem was sie dir angetan haben?" Marie biss sich auf die Unterlippe. "Nein natürlich nicht aber wenn es so wäre wie ich eben sagte könnte ich sie sogar ein wenig verstehen".

Nachdem sich die Vampire langsam wieder beruhigten erhob Astajeth erneut das Wort "Wie ihr wisst habe ich die Wölfe vor einigen Monaten ausgespäht, dabei habe ich etwas interessantes beobachten können" die Vampire schwiegen und waren gespannt auf seine weiteren Worte " Zered, ihr Alpha, lies eine junge Menschenfrau aus dem Wald entkommen und ich bin fest davon überzeugt das es sich bei dieser Frau um seine Gefährtin handelt". Einige entsetzte Geräusche erfüllten den Raum und Astajeth sprach weiter "wir müssen ihn aufhalten bevor er weitere Abkömmlinge in die Welt setzen kann".

Die Menge stimmte ihm zu "wir müssen der Plage einhalt Gebieten ehe sie sich weiter über das Land ausbreitet" hörte Marie eine aufgebrachte Frauenstimme sagen. Astajeths Fingernägel kratzten leicht über den Holztisch."Ich haben bereits eine Idee wie wir ihn daran hindern können". Er ließ seinen Blick ein paar Sekunden durch den Saal schweifen ehe seine Augen an Marie hängen blieben, sie erschauderte.

"Marie kennt diese Frau und wird dafür sorgen das sie dem Feind nicht in die Hände fällt". Die Vampire klatschten Beifall "daher ist es wichtig das sie ihren Blutdurst so schnell wie möglich unter Kontrolle bekommt, sobald es ihr gelungen ist wird sie sich auf den Weg machen und ihre Freundin zu uns bringen". Astajeths Finger waren nun ineinander verschränkt und er schenkte ihr ein Lächeln. Seine Fänge blitzten zwischen den leicht geöffneten Lippen hervor.

"Doch nun lasst uns gemeinsam Speisen und die Sorgen die uns bedrücken vergessen, das Festmahl ist eröffnet". Kaum waren die Worte ausgesprochen klirrte das Besteck und die Vampire stürzten sich auf das Essen. Die Gläser wurden mit Blut gefüllt und eine Männerstimme rief "auf Marie, möge sie erfolgreich sein" während die anderen es ihm nachtaten und zusammen anstießen.

Marie blieb fassungslos sitzen und rührte sich nicht. Sprachen die Vampire etwa von Lea? Konnte sie tatsächlich die Gefährtin des mächtigsten Wolfs,des Alphas wie sie ihn nannten sein? nun ergab alles einen Sinn. Die Vampire brauchten Marie und der Preis für ihre Unsterblichkeit war das Leben ihrer besten Freundin. Der Appetit war ihr eindeutig vergangen und die restliche Zeit saß sie einfach nur da während der Saal von Festgeräuschen durchflutet wurde.



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