Kapitel 8
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𝙶𝚎𝚏ü𝚑𝚕𝚎, 𝚍𝚒𝚎 𝚗𝚒𝚌𝚑𝚝 𝚜𝚎𝚒𝚗 𝚍ü𝚛𝚏𝚎𝚗
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𝐌𝐢𝐫𝐞𝐲𝐚
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Die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte die Villa in ein goldenes Licht, das die kühlen Steinwände fast warm erscheinen ließ.
Es war einer dieser seltenen Tage, an denen die Gefahr, die wie ein Schatten über diesem Ort hing, beinahe greifbar weit weg schien.
Eine Woche war seit dem Angriff vergangen und obwohl die Anspannung noch in der Luft lag, hatte sich eine Art trügerische Normalität eingestellt.
Ich hatte die Tage damit verbracht, die Villa zu erkunden, so weit man mich ließ und mich mit Cathy zu unterhalten. Ihre unbeschwerte Art war ein Lichtblick in dieser düsteren Welt.
Aber trotz der scheinbaren Ruhe konnte ich die Blicke der Wachen spüren, die immer auf mir zu ruhen schienen, als wäre ich ein potenzielles Sicherheitsrisiko.
Heute hatte Lucien mich in sein Büro gerufen. Es war ungewöhnlich, ihn mitten am Tag zu sehen, da er oft in der Nacht verschwand und nur selten über seine Geschäfte sprach. Vielleicht war es die Sonne, die durch die hohen Fenster fiel, oder die Tatsache, dass er nicht wie gewohnt im Schatten der Dunkelheit agierte, aber irgendetwas an ihm schien weniger bedrohlich.
Als ich das Büro betrat, war er bereits da. Er saß entspannt an einem großen Tisch, auf dem ein Schachbrett stand.
Die schwarzen und weißen Figuren schimmerten im Licht und er bewegte gerade einen Turm, als er mich bemerkte.
„Mireya", sagte er, ohne aufzusehen.
„Setz dich."
Ich zögerte, doch schließlich ließ ich mich ihm gegenüber nieder. Sein Blick war wie immer ruhig und durchdringend, aber heute lag ein Hauch von Müdigkeit darin.
„Du spielst Schach?" fragte er, während er eine Figur in die Hand nahm und sie nachdenklich betrachtete.
Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „In der Schule war ich in einem Schach-Club."
Er hob eine Augenbraue und schien überrascht zu sein. „Dann zeig mir, ob du das Spiel noch beherrschst."
Ich griff nach einem Bauern und machte meinen ersten Zug. Die ersten Runden verliefen schweigend, abgesehen vom leisen Klacken der Figuren auf dem Brett. Doch ich konnte spüren, wie er mich beobachtete, jede Bewegung und jede Entscheidung die ich traf.
„Warum Psychologie?" fragte er plötzlich, während er seinen Läufer geschickt positionierte.
Ich hielt inne und war überrascht von der Frage. „Ich wollte immer verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun", antwortete ich schließlich.
„Warum sie lieben, hassen, lügen..."
„Und hast du Antworten gefunden?" Seine Stimme war ruhig und schon fast neugierig.
„Ein paar." Ich zuckte mit den Schultern. „Aber die Menschen sind komplizierter, als man denkt."
Er lächelte leicht es war ein Ausdruck, der so selten auf seinem Gesicht erschien, dass ich nicht wusste, wie ich ihn deuten sollte.
„Das stimmt."
Das Spiel ging weiter und mit jedem Zug schien die Atmosphäre lockerer zu werden. Er stellte Fragen und ich antwortete. Über mein Studium, meine Zeit im Café, meine Liebe zum Zeichnen. Es war, als würde er mich Stück für Stück entblättern, ohne dass ich es wirklich bemerkte.
„Und deine Familie?" fragte er schließlich mit leiser Stimme.
Ich hielt inne. Der Springer in meiner Hand fühlte sich plötzlich schwer an. „Meine Mutter hat vor ein paar Jahren verlassen", begann ich und spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Mein Vater... lebt noch. Aber er ist krank. Sehr krank."
Lucien schwieg, doch ich spürte seinen Blick auf mir. Es war, als wollte er etwas sagen, hielt sich aber zurück.
„Er hat Krebs", fügte ich hinzu, meine Stimme brach fast. „Ich habe im Café gearbeitet, um das Studium und seine Behandlungen zu bezahlen."
Die Worte hingen schwer in der Luft und ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Ich wusste nicht, was ich erwartete. Mitleid?
Verständnis?
Beides schien nicht zu ihm zu passen.
Doch dann sagte er etwas, das mich überraschte.
„Du kannst ihn anrufen."
Ich hob den Kopf und sah ihn an. „Was?"
„Du kannst deinen Vater anrufen", wiederholte er, seine Stimme ruhig, aber bestimmt. „Aber du sagst ihm nichts über das hier. Sag ihm, dass du... im Urlaub bist. Mit einer Freundin. Irgendetwas, was glaubhaft rüber kommt."
Ich starrte ihn an, ich war mir nicht sicher, ob ich ihm danken oder ihn hinterfragen sollte. Schließlich nickte ich langsam.
„Danke."
Er reichte mir ein Telefon und ich nahm es zögernd. Meine Hände zitterten, als ich die Nummer wählte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die vertraute Stimme meines Vaters durch die Leitung drang.
„Mireya? Bist du das?" Seine Stimme war schwach, aber sie war voller Freude.
„Ja, Papa. Ich... ich wollte nur hören, wie es dir geht."
Während ich mit ihm sprach, wandte ich Lucien den Rücken zu. Ich wollte nicht, dass er die Tränen sah, die mir über die Wangen liefen. Doch ich spürte seinen Blick, sie waren sehr schwer und unausweichlich.
Als ich auflegte, fühlte ich mich ausgelaugt, aber auch erleichtert. Ich drehte mich zu ihm um und wollte etwas sagen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken.
„Du bist dran", sagte er stattdessen und deutete auf das Schachbrett.
Ich setzte mich wieder hin, griff nach der Figur und machte meinen Zug. Doch etwas hatte sich verändert. Zwischen uns war eine Grenze überschritten worden, eine, die ich nicht benennen konnte.
Und während wir weiterspielten, konnte ich nicht aufhören, mich zu fragen, wer dieser Mann wirklich war, war er derjenige, der mich gefangen hielt, oder derjenige, der mir gerade ein Stück meiner Freiheit zurückgegeben hatte?
Lucien ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken, seine grauen Augen schienen auf das Schachbrett vor uns gerichtet, aber ich wusste, dass er in Gedanken woanders war. Der Raum war in warmes Tageslicht getaucht, das durch die großen Fenster fiel und die Stille wurde nur durch das leise Ticken einer alten Standuhr durchbrochen.
Es war einer der seltenen Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass die Welt um uns herum für einen Moment innehielt.
Ich zog meine Hand zurück, nachdem ich einen Zug gemacht hatte und wartete auf seine Reaktion. Doch anstatt seinen nächsten Zug zu machen, sprach er.
„Mireya."
Seine Stimme war ruhig, fast beiläufig, aber ich spürte die Bedeutung hinter seinem Tonfall. Ich hob den Kopf und sah ihn an, er hatte meine Neugier geweckt.
„In zwei Wochen hat Cathy Geburtstag."
Ich blinzelte überrascht. „Oh... wirklich? Das ist schön. Wie alt wird sie?"
„Achtzehn." Er bewegte den Springer mit einer Präzision, die seine Konzentration auf das Spiel verriet, auch wenn seine Worte etwas anderes andeuteten. „Es ist ein wichtiger Geburtstag. Und ich plane, ihn angemessen zu feiern."
Ich konnte mir nur schwer vorstellen, was Lucien unter „angemessen" verstand. In seiner Welt bedeutete das wahrscheinlich etwas Großes, Aufwendiges und möglicherweise Gefährliches.
„Was hast du geplant?" fragte ich vorsichtig.
„Einen Ball." Er sprach das Wort mit einer Selbstverständlichkeit aus, die mich innehalten ließ. „Eine große, elegante Veranstaltung. Gäste aus verschiedenen Kreisen. Es ist nicht nur eine Feier für Cathy, sondern auch eine Gelegenheit, Stärke zu demonstrieren."
Natürlich, dachte ich. Es ging nie nur um persönliche Anlässe in dieser Welt. Alles war ein Schachzug, eine strategische Entscheidung.
„Und was hat das mit mir zu tun?" fragte ich, während ich den Blick wieder auf das Brett richtete, um meine Verwirrung zu verbergen.
„Ich möchte, dass du daran teilnimmst."
Seine Worte ließen mich erstarren. Meine Hand blieb über dem Brett hängen, und ich sah ihn ungläubig an.
„Du willst, dass ich... was?"
„Teilnehmen."
Er lehnte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah mich mit einem Blick an, der keine Widerrede zuließ.
„Das ist nicht verhandelbar."
„Lucien, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist." Meine Stimme zitterte leicht, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben.
„Ich... ich gehöre nicht in diese Welt. Ich passe nicht hinein."
„Das ist irrelevant."
Seine Worte waren wie ein Messer, sie waren scharf und endgültig. „Du bist hier, Mireya. Und ich will, dass du beginnst, diese Welt zu verstehen. Du kannst nicht ewig in den Schatten bleiben."
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, doch er unterbrach mich mit einer leichten Handbewegung. „Es ist keine Bitte, Mireya. Es ist eine Entscheidung."
„Warum?" fragte ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Warum willst du, dass ich da bin?"
„Weil du gesehen werden sollst." Seine Augen fixierten mich und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. „Weil du lernen musst, dich in dieser Welt zu bewegen. Und weil ich will, dass du beginnst, sie zu akzeptieren."
Ich wollte ihm sagen, dass ich nichts akzeptieren würde, dass ich nicht Teil dieser Welt sein wollte. Aber die Entschlossenheit in seinem Blick ließ mich verstummen.
Lucien Esposito war kein Mann, der sich umstimmen ließ.
„Was soll ich dort machen?" fragte ich schließlich, meine Stimme brüchig.
„Sei einfach da." Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du wirst ein Kleid bekommen, das angemessen ist. Cathy wird dir helfen, wenn es sein muss."
„Oh, ich bin mir sicher, sie wird begeistert sein," murmelte ich sarkastisch, doch Lucien schien meinen Tonfall zu ignorieren.
„Cathy mag dich mehr, als du denkst." Ein winziges Lächeln huschte über seine Lippen, aber es erreichte seine Augen nicht.
Ich senkte den Blick, starrte auf das Schachbrett und versuchte, die Bedeutung seiner Worte zu verarbeiten.
Ein Ball.
Ein riesiges gesellschaftliches Ereignis, bei dem ich als Fremde in einer Welt voller Intrigen und Gefahren auftreten sollte.
„Zwei Wochen," wiederholte er, als wolle er sicherstellen, dass ich es nicht vergaß.
„Und Mireya... versuch nicht, dich davor zu drücken. Es wird dir nicht gelingen."
Ich hob den Kopf und begegnete seinem Blick. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich keine Wahl hatte.
Lucien Esposito war nicht der Typ, der ein Nein akzeptierte.
Und so sehr ich mich dagegen sträubte, wusste ich, dass ich an diesem Abend auf diesem Ball sein würde, ob ich wollte oder nicht.
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