Kapitel 10


༻*ੈ✩‧₊˚
𝙴𝚒𝚗 𝙷𝚊𝚞𝚌𝚑 𝚟𝚘𝚗 𝙽𝚘𝚛𝚖𝚊𝚕𝚒𝚝ä𝚝 

༻*ੈ✩‧₊˚
𝑪𝒂𝒕𝒉𝒚

༻*ੈ✩‧₊

Die Sonne war längst hinter den Hügeln von Velaterra verschwunden, als ich ziellos durch die langen Flure des Anwesens schlenderte. Das Haus wirkte trotz seiner Größe oft erdrückend. Es war zu still und zu perfekt, als würde es die Schatten seiner Bewohner verschlucken.

Ich hatte gehofft, ein bisschen Ablenkung zu finden, aber außer den routinemäßigen Wachen, die stoisch ihre Posten hielten, war niemand zu sehen.

Meine Gedanken schweiften zu Mireya. Sie war anders als alle, die ich kannte.

Irgendwie… ech­ter.

Vielleicht war es die Art, wie sie den ganzen Wahnsinn hier mit einer Mischung aus Trotz und stiller Stärke ertrug, oder der Schatten von Traurigkeit in ihren Augen, den sie nie ganz verbergen konnte.

Ohne groß nachzudenken, stand ich plötzlich vor ihrer Tür. Ich hob die Hand und zögerte kurz, warum eigentlich?

Dann klopfte ich einfach.

„Ja?“ hörte ich ihre Stimme von innen.

Ich öffnete die Tür einen Spalt und streckte den Kopf hinein. Mireya saß auf ihrem Bett, mal wieder hatte sie ein Buch in der Hand, der Ausdruck in ihrem Gesicht war irgendwo zwischen konzentriert und abwesend.

„Langweilst du dich auch so zu Tode, oder ist das nur mein Problem?“ fragte ich grinsend.

Sie blinzelte mich überrascht an, legte dann das Buch beiseite und zog eine Augenbraue hoch.

„Kommt drauf an. Was hast du vor?“

Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, als ich die Tür ganz aufschob und mich gegen den Rahmen lehnte.

„Popcorn, Nägel und Filme?"

Erneut konnte mir ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen, als Mireya das Buch zuklappte und sich langsam vom Bett erhob. „Popcorn, Nägel und Filme also? Überzeug mich.“

„Oh, glaub mir, das wird der beste Abend, den du seit Wochen hattest.“ Ich drehte mich um und bedeutete ihr, mir zu folgen.

Auf dem Weg zu meinem Zimmer summte ich vor mich hin, während Mireya hinter mir herging. Sie trug immer noch diese kastenförmige Ruhe mit sich, die sie seit ihrer Ankunft nicht ganz abschütteln konnte, aber ich spürte, dass sie sich langsam öffnete.

Mein Zimmer war, wie Lucien es immer nannte, ein „Mädchenparadies“. Die Wände waren in einem warmen Rosaton gestrichen und überall standen kleine Dekorationen, von Duftkerzen bis hin zu einer unüberschaubaren Sammlung von Make-up. Auf meinem Bett lagen schon ein paar Kissen und Decken bereit und auf dem kleinen Tisch daneben stapelten sich Snacks: Schokoladenriegel, Chips und natürlich eine Schüssel frisches Popcorn.

„Wow“, murmelte Mireya, als sie den Raum betrat. „Das ist… gemütlich.“

„Gemütlich? Das ist die Definition von Perfektion!“ Ich schob sie spielerisch in Richtung des Bettes und griff nach der Fernbedienung.

„Setz dich. Wir fangen mit dem Film an und dann sehen wir, wie gut du Nägel lackieren kannst.“

Sie ließ sich auf das Bett fallen und zog die Beine an. „Was schauen wir?“

Ich grinste. „Etwas Leichtes. Keine Dramen, keine Action, keine Gewalt. Einfach nur ein bisschen Romantik und Humor. Ich dachte an Ein Herz und eine Krone.“

Mireya zog die Augenbrauen hoch. „Ein Klassiker. Damit kann ich leben.“

Ich startete den Film und für einen Moment herrschte Stille, abgesehen vom Knistern des Popcorns und den Dialogen auf dem Bildschirm. Doch ich konnte nicht anders, als sie zu beobachten. Sie wirkte entspannter, als ich sie je gesehen hatte, fast so, als hätte sie den Wahnsinn um uns herum für einen Moment vergessen.

Nach einer Weile griff ich nach meiner Nagellack-Kollektion und hielt sie Mireya unter die Nase. „Deine Wahl. Pink, Rot, Blau, Glitzer?“

Sie lachte leise. „Du hast wirklich an alles gedacht, oder?“

„Natürlich. Das hier ist mein Spezialgebiet.“

~~~

Wir hatten gerade die erste Hand fertig, als es an der Tür klopfte. Bevor ich antworten konnte, ging sie auf und Aric steckte den Kopf herein. „Cathy, Lucien wollte, dass ich dir Bescheid gebe, dass das Treffen morgen um eine Stunde verschoben wurde.“

„Okay, danke“, sagte ich schnell, aber Aric machte keine Anstalten, sofort zu verschwinden. Sein Blick fiel auf Mireya, die mit halb lackierten Nägeln und einem amüsierten Gesichtsausdruck auf dem Bett saß.

„Was ist?“ fragte sie schließlich, als er sie immer noch ansah.

Er zuckte mit den Mundwinkeln, fast wie ein Lächeln, bevor er den Raum wieder verließ.

Ich bemerkte, wie Mireya mich ansah, ein Grinsen auf den Lippen. „Was war das denn?“

„Was meinst du?“ fragte ich unschuldig und griff nach dem nächsten Nagellack.

„Der Blick. Und das kleine Lächeln. Da läuft doch was, oder?“

Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden. „Nein, absolut nicht. Aric ist… Aric. Das ist alles. Das habe ich dir schonmal gesagt.“

„Mhm“, machte sie und ihr Grinsen wurde breiter. „Also, wenn da nichts ist, warum bist du dann rot wie eine Tomate?“

Ich schüttelte den Kopf. „Es ist nichts, wirklich. Er ist… interessant, ja, aber er würde mich niemals so sehen.“

„Vielleicht siehst du das falsch“, sagte Mireya und hielt mir ihre Hand hin. „Aber gut, ich lasse dich in Ruhe. Fürs Erste.“

Ich verdrehte die Augen, aber innerlich war ich froh, dass sie es nicht weiter ausreizte. Der Abend ging weiter und für ein paar Stunden fühlte sich alles normal an. Fast so, als wären wir zwei ganz normale Mädchen, die in einer ganz normalen Welt lebten.

Doch irgendwo tief in meinem Inneren wusste ich, dass diese Normalität nicht lange anhalten würde.

Der Film lief weiter und ich merkte, wie Mireya langsam entspannte. Sie lehnte sich zurück, die Schüssel mit Popcorn auf dem Schoß, und ließ ihre Beine locker über die Bettkante baumeln. Ihre anfängliche Zurückhaltung wich einer leichten Neugier und ich freute mich insgeheim, dass sie sich zumindest für den Moment auf den Abend einließ.

„Also“, begann ich, als der Abspann des Films lief, „wie war ich als Gastgeberin? Würde ich fünf Sterne bekommen?“

Mireya schnaubte und setzte die leere Schüssel ab. „Vier. Das Popcorn war ein bisschen zu salzig.“

„Unmöglich!“ Ich legte eine dramatische Hand auf mein Herz. „Das ist mein geheimes Rezept. Es ist perfekt!“

Sie lachte, ein echtes, warmes Lachen, das den Raum füllte. Es war das erste Mal, dass ich sie so unbeschwert sah und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. „Na gut, vier und ein halber Stern“, lenkte sie schließlich ein.

„Besser“, sagte ich zufrieden und griff nach einer Bürste. „Jetzt bist du dran. Wir machen was aus deinen Haaren.“

„Cathy…“ Sie hob die Hände abwehrend. „Ich mag sie so, wie sie sind.“

„Aber sie könnten so viel besser sein! Vertrau mir, ich bin ein Profi.“

Widerwillig ließ sie mich gewähren und ich begann, ihre feuchten Haare vorsichtig zu entwirren. „Weißt du“, begann ich beiläufig, „du solltest das öfter machen. Dich entspannen, meine ich. Du wirkst immer so, als würdest du jeden Moment auf der Flucht sein.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil ich es bin. Zumindest fühlt es sich so an.“

Ich hielt kurz inne, überrascht von ihrer Ehrlichkeit. „Es ist nicht leicht, hier zu sein, oder?“

„Nein“, sagte sie leise. „Aber es ist nicht nur das Haus oder die Leute. Es ist… alles. Ich habe das Gefühl, dass ich hier nicht hingehöre.“

Ich setzte die Bürste ab und setzte mich neben sie. „Ich weiß, wie das ist“, sagte ich schließlich. „Ich meine, ich bin hier aufgewachsen, aber manchmal fühlt es sich an, als wäre ich trotzdem eine Außenseiterin. Lucien… er ist großartig, aber er kann so distanziert sein. Und dann ist da noch alles, was mit der Familie zu tun hat.“

„Es ist nicht dasselbe“, murmelte Mireya.

„Vielleicht nicht“, gab ich zu. „Aber du bist nicht allein. Das wollte ich sagen.“

Sie sah mich an und für einen Moment war da etwas wie Dankbarkeit in ihren Augen. „Danke, Cathy.“

Ich lächelte und stand auf, um die Snacks wegzuräumen. „Okay, genug Tiefgang für heute. Wir brauchen noch einen Film, um das auszugleichen. Horror oder Komödie?“

„Komödie“, sagte sie ohne zu zögern.

„Perfekte Wahl.“

Während ich den nächsten Film startete, spürte ich, dass sich etwas zwischen uns verändert hatte. Es war nur ein kleiner Schritt, aber es fühlte sich an, als hätten wir eine Brücke gebaut, eine, die vielleicht stark genug war, um die Kluft zwischen unseren Welten zu überbrücken.

Als der Film begann, lehnte sie sich zurück und ich war froh, dass ich sie ein Stück weit aus ihrer Schale holen konnte. Vielleicht war sie noch nicht bereit, sich vollständig zu öffnen, aber das war okay.
Wir hatten Zeit.
Oder zumindest hoffte ich das.

Der zweite Film begann, eine leichte Komödie, die den Raum mit Lachen und absurden Dialogen füllte. Mireya wirkte lockerer als zuvor und ich war stolz darauf, dass ich sie aus ihrer ernsten Stimmung geholt hatte.

„Okay, aber diese Szene ist einfach lächerlich“, sagte sie plötzlich und deutete auf den Bildschirm, wo der Hauptcharakter gerade in ein absurd peinliches Missgeschick verwickelt war.

„Genau das macht sie so großartig!“ Ich kicherte und warf ein paar Gummibärchen in die Luft, um sie zu fangen, mit mäßigem Erfolg.

„Du bist unmöglich“, murmelte sie, aber ich konnte das Lächeln auf ihrem Gesicht sehen.

„Das ist mein Geheimnis“, erwiderte ich und schnappte mir eine Handvoll Gummibärchen, die ich ihr hinhielt.

„Komm schon, du kannst es besser.“

Zögernd nahm sie ein paar und versuchte es selbst. Der erste landete direkt auf ihrem Schoß und wir brachen beide in Gelächter aus.

„Das war erbärmlich“, sagte ich, immer noch lachend.

„Hey, ich bin nicht gewohnt, Essen durch die Luft zu werfen“, verteidigte sie sich, ihre Wangen leicht gerötet.

„Das müssen wir ändern. Ich meine, was bist du für ein Mensch, wenn du das nicht kannst?“

Der Abend verging schneller, als ich erwartet hatte. Wir redeten über Filme, tauschten Anekdoten aus unseren Schulzeiten aus oder zumindest das, was sie bereit war zu teilen und die anfängliche Distanz zwischen uns schmolz dahin.

„Weißt du“, sagte ich irgendwann, während ich einen weiteren Film einlegte, „du solltest öfter lächeln. Es steht dir wirklich gut.“

Mireya sah mich überrascht an, als hätte sie nicht erwartet, dass jemand so etwas sagt. „Danke“, murmelte sie schließlich.

Ich wollte gerade etwas sagen, als es plötzlich an meiner Tür klopfte. Bevor ich antworten konnte, öffnete sich die Tür und Aric trat ein.

„Lucien schickt mich, um euch etwas auszurichten“, sagte er knapp, seine Stimme gewohnt kühl. Doch dann fiel sein Blick auf mich und für einen Moment blieb er stehen.

Es war nur ein Augenblick, aber sein Blick war anders, wärmer, als ich es je bei ihm gesehen hatte. Seine blauen Augen verweilten kurz auf mir und dann zuckten seine Mundwinkel, fast wie ein angedeutetes Lächeln.

„Was ist es?“ fragte ich, bemüht, meine Stimme ruhig zu halten.

„Lucien möchte, dass ihr beide morgen früh zum Frühstück kommt. Er hat einige Dinge zu besprechen.“ Seine Augen trafen meine ein letztes Mal, bevor er sich abwandte.

„Das war alles.“

Er verließ den Raum so schnell, wie er gekommen war und ließ eine seltsame Stille zurück.

Mireya, die das Ganze offenbar bemerkt hatte, sah mich mit einem wissenden Lächeln an. „Das war… interessant.“

„Was meinst du?“ fragte ich, bemüht, gleichgültig zu klingen.

„Ach, nichts.“ Sie zuckte mit den Schultern, aber ihr Grinsen verriet, dass sie genau wusste, was sie sagen wollte.

Ich rollte mit den Augen. „Es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen musst.“

„Natürlich nicht“, sagte sie, aber ihr Tonfall war neckend.

„Wirklich, Mireya. Aric ist einfach… Aric.“

„Wenn du das sagst.“

Ich warf ihr ein Kissen ins Gesicht, was sie lachend abwehrte. Doch als der Film weiterlief, konnte ich nicht anders, als über Arics Blick nachzudenken.

Was auch immer es war, ich hatte das Gefühl, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass er mich so ansah.

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