II. {Kurzgeschichte}

Der Hirtensohn war wie immer mit seiner Herde durch die Lande gezogen. Seine Eltern waren bereits gestorben, als er Sieben Jahre alt gewesen war. Er jedoch hatte Glück gehabt, denn die meisten Kinder wurden tot geboren oder ihre Mütter starben schon vor der Geburt. Es war eine schlimme Zeit.

Nicht nur dass:
Er hatte ein Geheimnis, denn es gab ein Zwilling von ihm, ein Mädchen. Sie lebte weit entfernt am Rande eines Gebirges, doch er hatte nie etwas höheres als einen Hügel gesehen, und so wusste er es  nicht einzuordnen. Um den großen Fluss, den er bei sich Okawa nannte, beneidete er sie zwar, aber dennoch spürte er, dass sie sich immerzu fürchtete.

Das alles wusste er von Visionen, die er immer bekam, wenn er sein jetziges Leben vergaß und an seine  Familie dachte - hin und wieder auch zu anderen Zeiten.

Er war auf den Weg ins Dorf, um ein paar Schafe zu verkaufen und sich dafür einen  Mantel zu besorgen, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis es Winter wäre. Dann würde er seine Herde in ein Tal treiben und dort überwintern, in der Hoffnung, dass er nicht allzu große Verluste erlitt.

Während er nachdenklich auf das Dorf zuging, kam plötzlich ein Pfeil mit einem Stück blutgetränktem Stoff angeflogen. Natürlich erkannte er gleich, dass es Tierblut war, so dachte er sich nichts weiter dabei. Er übersah jedoch, dass das Blut auch mit menschlichem gemischt worden war.

Kaum hatte er sein Dorf betreten, wurde ihm der Fehler bewusst. Alles war zerstört, Heuwagen umgestoßen und der Geruch von Angst lag in der Luft. Zum Glück hatte er, wie jeder gute Hirte, die Schafe auf einem nahe gelegenem Hügel grasen lassen und war allein ins Dorf gelaufen, während die Schafe, vom Dorf aus nicht sichtbar, sich ausruhten.

Aus einer für den Jungen nicht sichtbaren Ecke hörte er einen Soldaten grob Befehle bellen. Leise schlich der Junge vorwärts, um zu sehen, was die Soldaten vorhatten. Dann passierte alles ganz schnell; er sah einen Wagen auf dem scheinbar alle Kinder - und Jugendliche - des Dorfes zusammen gepfercht worden waren, von den Soldaten umzingelt.

Darüber erschrak er sich so sehr, dass einer der Jungen auf ihn aufmerksam wurde und ihn dadurch auffliegen ließ. In den Augen des gefangenen Jungen lag blanke Panik, während er: "Lauf!" schrie. Die Soldaten riefen sich gegenseitig Befehle zu, während der Hirtensohn umkehrte. Dabei wurde ein "Noch eines dieser Bälger, wir hatten doch schon alles durchsucht!" an sein Ohr getragen.
Der erste hatte es aufs Pferd geschafft und ritt dem Jungen hinterher, sein Pferd peitschend und laute Flüche ausstoßend.

Zu Fuß wäre er sicher entkommen, denn er war sehr flink, doch gegen ein Pferd hatte er keine Chance. Aber nicht nur flink war er, auch gewitzt, oh ja. So dachte er, wenn er den Wald erreiche, so könne er sie abschütteln und sich verstecken. Das hätte er auch geschafft, wenn nicht just in diesem Moment eine Vision übermannt hätte.

Es war wie immer, das selbe Gebiet, die selbe Furcht lag in der Luft. Nur etwas fehlte.

Seine     Schwester        war             weg.

Nein, falsch. Er konnte ihr Anwesenheit spüren, sah sie aber nirgends. Und noch etwas war anders als sonst. Er konnte es spüren, es hatte eine machtvolle Aura. Jetzt konnte er seine Zwillingsschwester verstehen. Er wollte lieber sterben, als dies noch einmals zu spüren.

Er war gestürzt, lag im Dreck. Nun war ihm klar: er wollte seine Schwester befreien, koste es, was es wolle. Zuvor hatten die Pferde gescheut - ja, die Pferde, denn zwei weitere Reiter waren in der Zwischenzeit hinzugekommen - doch nun ließen sie sich wieder führen von ihren Reitern. Wiederwillig zwar, aber sie ließen es zu. Einer, wohl der erste Reiter, der ihn verfolgt hatte, vielleicht auch der schnellste, schoss dem Jungen durch den Kopf, beugte sich zu ihm hinab. "Da haben wir ihn ja, den Ausreißer. Männer, fasst ihn!"

Verwirrt schüttelte der Junge den Kopf. Etwas war falsch, nicht, dass er gefangen genommen werden sollte, sondern eher, dass hier etwas nicht stimmte, so als ob er im falschen Theater säße*. Als ob das hier nicht sein Schicksal war, schien er plötzlich nur noch der Zuschauer zu sein. Von einem Leben, dass wie seines aussah, aber komplett falsch ablief. Es flimmerte und auf einmal waren sie weg. Einfach weg. Als wären sie nie dagewesen. 

Benommen richtete er sich auf. Weshalb lag er dort im Dreck? Er wusste es nicht mehr. Noch kurz war ihm ein Bild vor Augen. Ein Mädchen, nicht älter als er. Das Gesicht ähnelte dem von jemandem, den er kannte. Er kam nicht drauf. Angespannt wartete sie, wie ein Tier, das weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist.
Er schien kurz einen traurigen Schleier in ihren Augen zu erblicken. Dann nichts mehr.

An was hatte er gerade gedacht? Er wusste es nicht mehr. Er klopfte sich den Dreck von den Kleidern und marschierte Richtung Dorf.

Es dämmerte, als der Junge sich wieder zu seiner Herde begab. Von da aus würde er in ein nahe gelegenes Tal gehen und den Winter verbringen. Wie immer, allein. Ohne einen Menschen zu sehen, ohne von einem Menschen gesehen zu werden. Niemals wäre er wie andere Hirten. Er lebte allein, zog umher. Hatte kein Dorf, niemanden, der ihn kannte oder gar mochte. Sein einziger Besitz war die Herde und der Mantel. Er konnte nur hoffen, dass er über den Winter kam - doch andererseits, warum lebte er überhaupt weiter? Es gab nichts für ihn zu erreichen. Nächsten Frühling würde er fortgehen, von allem. Frei sein.

Etwas, ja, etwas, er vermochte nicht zu sagen, was es war, woher es kam oder warum er es nicht ignorieren konnte, wollte ihm das Herz zerreißen. Es war ein Gefühl, doch nicht von ihm. Es war wie eine Sehnsucht, ein Flehen. Doch er ignorierte es. Und es kam nicht wieder.

*damals gab's ja noch keine Filme ;)

Also, da bin ich wieder.

Falls es nicht ganz klar ist: Im letzten Teil vergisst er alles, ist sozusagen wieder "im richtigem Theater", und das Gefühl kommt von seinem Zwilling. 

So, die erste Kurzgeschichte meinerseits. Falls das hier überhaupt jemand liest... wie kommt es an?

~By: Flamesofhope~

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