So wie du bist

Du hast gesagt, zwei Dinge die du auf den Tod nicht ausstehen kannst, sind Lügen und Selbstmitleid. Gut, dass ich die Personifikation beider Dinge bin. Du weißt es nur noch nicht. Einerseits, weil ich in deiner Anwesenheit nicht den Drang verspüre zu lügen. Mit dir fühlt es sich irgendwie so einfach an die Wahrheit zu sagen. Egal was ich dir erzähle, du bist verständnisvoll und redest mir ein, dass es okay ist. Mit 22 Jahren noch keinerlei Erfahrungen mit Jungs? Du hast gesagt, es wäre nicht schlimm. Ich hab dir von meinen Selbstzweifeln erzählt und du hast mir geholfen, sie wenigstens für eine Nacht zu vergessen. Mit dir ist die Wahrheit einfach und doch weiß ich, dass ich dich irgendwann anlügen werde - anlügen muss. Auch wenn ich das, was wir haben, auf keinen Fall ruinieren möchte. Doch lügen ist nun mal ein Teil von mir. Ich habe früh gelernt, dass zu Lügen oft einfacher ist, als die Wahrheit zu sagen und dass ich überraschend gut darin bin Menschen zu täuschen. Ich mache es jeden Tag. Ja mir geht es gut. Kleine Lügen. Nein ich habe heute keine Zeit, ich muss lernen. Große Lügen. Ich liebe dich. Und Lügen ohne Sinn. Ich habe jeden Star Wars Film gesehen.

Ich glaube, dass du mich nicht mögen könntest, wenn du das über mich weist. Dass du dich von mir distanzieren könntest, weil du schlechte Erfahrungen mit Lügnern gemacht hast und selbst die ehrlichste Person bist, die ich kenne. Dabei habe ich mir selbst geschworen, unsere Beziehung nicht mit ausgedachten Geschichten zu zerstören...und wie gesagt, mit dir fühlt sich die Wahrheit nicht wie ein schwerer Klotz am Bein an, sondern wie eine wärmende Decke, die uns miteinander verbindet. Deshalb lüge ich dich an und sage, dass mir die Wahrheit genauso wichtig ist wie dir. Dass ich genauso ehrlich durchs Leben gehe, wie du. Damit du mir vertrauen kannst und ich vielleicht damit anfange meine eigenen Worte zu glauben.

Lustig, wie ich dich anlüge, um dich nicht mehr anzulügen.

Und dann gibt es noch meine Selbstzweifel.
Natürlich.
Du weißt von ihnen und du tust dein Bestes, um mich aufzufangen und mich vor ihnen zu retten. Ich mag es, wenn du dich um mich kümmerst und mir alle Zweifel ausredest. Auch wenn sich deine Worte nur für wenige Momente wie heilende Pflaster über meine Wunden legen, und sofort wieder verschwinden wenn du offline gehst. Es fühlt sich gut an, endlich jemanden an seiner Seite zu haben, der dich versteht. Du hast gesagt, ich wäre wie du, nur ein Kapitel weiter vorne. Dass du meine Selbstzweifel verstehen kannst. Dass du sie selbst durchlebst hast. Du redest mir ein, dass auch ich sie hinter mir lassen kann. Genau wie du.

Doch ich bin nicht wie du.
Ich kann nicht aufhören zu lügen. Weil Lügen das Einzige ist, was mich bis hier hin gebracht hat. Weil es bisher immer das Einzige war, mit dem ich Menschen von mir überzeugen konnte. Ich kann meine Selbstzweifel nicht vergessen, weil sie die einzige Erklärung für meine Einsamkeit sind. Ich dachte du würdest sie vertreiben können. Für immer. Doch du bist bei ihnen genauso machtlos wie ich. Du hast gesagt, ich darf nicht länger vor ihnen wegrennen. Mich nicht mehr selbst bemitleiden und stattdessen anfangen mein Leben zu leben. Ich habe dir versprochen, es zu versuchen.

Und ich habe es versucht.
Doch schlechte Gewohnheiten sterben nie. So sitze ich dir nun gegenüber. Schenke dir ein schwaches Lächeln und lüge dir mitten ins Gesicht. Du sagst ich sehe hübsch aus, in meinem gelben Kleid und ich weiß, dass auch du lügst. Wie könntest du mich den hübsch finden. Du könntest jedes Mädchen haben. Und wie könnte mich überhaupt jemand hübsch finden. Ich weiß, das heute kein guter Tag ist. Aber um ehrlich zu sein gibt es keine guten Tage mehr in meinem Leben. Auch wenn ich manchmal so tue als ob. Anfangs hatte ich noch das Gefühl, du könntest der Grund für einen guten Tag sein. Und anfangs warst du das auch.

Eine Nachricht von dir hat alle schlechten Gedanken vertrieben. Ein Anruf hat alle Selbstzweifel erstickt und nur eine Berührung von dir, hat geholfen mich selbst ein kleines bisschen mehr zu mögen. Du hast gesagt, ich soll so bleiben wie ich bin. Weil du mich genauso magst. Ich habe dir geglaubt, solange du bei mir warst. Dann bist du Nachhause gegangen. 7 Minuten habe ich nichts von dir gehört und schon waren die Selbstzweifel wieder da. Du hast mir kurz darauf geschrieben 'Ich bin gut zuhause angekommen', und plötzlich ist mir klar geworden, dass ich nicht gut für dich bin.

Ich kenne deine Geschichte.
Jedes Detail.
Ich kenne deine Vergangenheit und die Tatsache, dass du tatsächlich einmal so warst wie ich. Dass du eine schwere Vergangenheit hattest, wahrscheinlich sogar eine Schlimmere als ich. Dass du genauso viele Selbstzweifel hattest. Ängste. Unsicherheiten. Und dass du es trotzdem geschafft hast, aufzustehen. Zu allen zu sagen Fickt euch und das zu tun, was dich glücklich macht. Du hast gesagt, ich kann es auch schaffen und erneut habe ich dich angelogen. „Ich versuche es." Ich habe es versucht. Wirklich. Aber ich bin nicht wie du und habe wieder damit aufgehört. Die Selbstzweifel sind zurück und mit ihnen auch die Lügen. Du fragst mich, wie es mir heute geht. Ich setze ein Lächeln auf, streiche dir sanft über den Arm. Gut. Du weist noch nicht einmal, dass ich dich anlüge. Dass ich dazu in der Lage bin. Du ahnst noch nicht einmal, wie Leicht es mir fällt, dir in die Augen zu schauen und zu lügen. Obwohl ich weiß, dass du mich dafür hassen könntest.

Ich wende mich von dir ab.
Ignoriere deine Nachrichten. Anrufe. Besuche.
Ich möchte dich nicht mehr sehen. Berühren. Fühlen.
Ich möchte möglichst weit weg von dir sein. Nicht, weil ich dich hasse. Nicht, weil ich dich nicht mehr liebe. Sondern weil ich Angst habe. Weil ich verdammt nochmal Angst davor habe, dich zu verletzen. Dich mit meinen Problemen zurückzuhalten.
Du hast gesagt, ich wäre wie du.
Nur ein Kapitel weiter vorne.
Und das macht mir Angst.
Was wenn du anfängst, die Seiten wieder zurück zu blättern, weil ich dich an dein altes Ich erinnere.
Was wenn ich all' deinen Fortschritt zerstöre, weil ich noch immer in der Vergangenheit feststecke und sie nicht loslassen kann, auch wenn ich es für dich tun möchte.
Was wenn du meine Rettung, ich aber dein Verderben bin?

Du hast gesagt ich soll so bleiben wie ich bin. Weil du mich so magst, wie ich bin. Weil alle anderen sich verändern, um jemand zu sein, der sie nicht sind. Ich habe es versucht. Ich habe versucht ich selbst zu sein, obwohl ich weiß, dass ich damit nichts erreichen werde. Weil wir hier nicht in einem herzzerreißenden Hollywoodfilm sind. Weil wir hier nicht in einem Roman sind, bei dem die beiden Hauptcharaktere zueinander finden, egal was passiert.
Das hier ist das echte Leben.
Mit Schmerz, Selbstzweifeln, Lügen, Hass, Aufgeben.

Du hast gesagt ich soll so bleiben wie ich bin.
Und das habe ich versucht.
Doch am Ende stellt sich herausraus, dass niemand so bleiben sollte wie er ist. Weil niemand dein wahres Gesicht sehen möchte. Weil niemand dich für die Person mag, die du bist. Bei dir hatte ich schon immer das Gefühl, dass du mein wahres Ich siehst. Dass du die Wahrheit hinter der strahlenden Fassade siehst und das ist das Problem.
Ich habe Angst dich zu enttäuschen.
Zu zerstören.
Weil ich nunmal so bin.

Also stehe ich nun vor dir.
Lüge dir ins Gesicht.
Zerbreche dein Herz in tausend Teile, weil ich weis, dass du damit besser zurecht kommen wirst, als wenn ich noch länger in deinem Leben bleibe. Ich sage, dass du so bleiben sollst wie du bist. Keine Lüge. Aber ich sehe dir an, dass du mir nicht mehr glauben kannst. Weil du den Lügner hinter der Fassade gesehen hast und mir nie wieder vertrauen kannst. Doch ich weiß, dass du trotzdem so bleiben wirst wie du wirklich bist. Weil du stark bist. Hoffnungsvoll. Ehrlich. Du wirst so bleiben wie du bist, weil du es schon einmal geschafft hast, aufzustehen und „Fick dich" zu sagen. Weil du es geschafft hast, herauszufinden was dich glücklich macht und du genau das tust.

Ich bin nicht wie du.
Und das ist das Problem.
Ich habe dich geliebt.
Aber manchmal muss man jemanden gehen lassen, wenn man weis, dass, zu sein wie man ist, eine andere Person zerstören kann.

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