Me in my own head
Es ist still in meinem Zimmer und lautlos drücken sich meine Zähne immer fester auf meine Unterlippe. Ich schmecke bereits Blut. Der metallisch-süße Geschmack liegt hauchdünn auf meiner Zunge, während sich eine unangenehme Trockenheit nicht aus meinem Mund lösen möchte. Mein Handy liegt schwer in meinen Händen und unsicher starre ich auf den schwarzen Bildschirm. Schon seit gefühlten Stunden kann ich meinen Blick nicht davon abwenden und noch schlimmer: schon seit Tagen kann ich meine Gedanken nicht, von dem Wunsch auf eine Nachricht, ablenken.
'Wenn es ein Problem gibt, löse es'.
Eigentlich ist ein ganz einfacher Satz, den meine Familie ständig zu sagen pflegt. Aber trotzdem kann ich ihn nicht zu fassen bekommen, was wahrscheinlich auch daran liegt, weil ich ein Feigling bin. Ich habe viel zu viel Angst davor, sie zur Rede zu stellen. Stattdessen liege ich nachts wach. Mit der Angst zu sterben, wenn ich die Augen schließe. Oder schlimmer. Wieder am Leben zu sein, wenn ich die Augen am nächsten Morgen öffne.
Und jedes Mal muss ich daran denken, was ich geben würde, um mein Leben verschlafen zu können. Denn dann müsste ich mich nie mehr einsam fühlen, auch wenn es dasselbe ist wenn ich träume. Denn wenn ich träume, dann träume ich häufig von ihr. Und alles ist besser, als auch nur an sie zu denken.
„Ich weiß nicht ob ich ihr schreiben soll."
Mein Blick fällt bei diesem Gedanken zurück zu mein Handy. Das Display ist noch immer schwarz und das hat sich seit Stunden schon nicht verändert. Seit Tagen schon nicht, wenn man nur ihre Nachrichten zählt. Ich spüre dieses unangenehme Gefühl in meiner Brust, als würde sich mein Herz bei dem Gedanken an das Ende unserer Freundschaft schmerzhaft zusammenziehen. Ich habe keine Ahnung was zwischen uns passiert ist und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich nicht mit diesem Thema abschließen kann.
„Solltest du nicht."
Eine Person löst sich aus dem Schatten und lässt sich neben mir auf das Bett fallen. Ich spüre wie die Matratze neben mir leicht unter dem neuen Gewicht zusammensinkt und ich mit dem Körper leicht in ihre Richtung falle. Ich möchte meinen Blick von dem Handydisplay lösen, scheine jedoch die Kontrolle über meinen eigenen Körper verloren zu haben. Meine Augen bleiben nachdenklich auf der spiegelnden Oberfläche hängen und somit auf dem traurigen Abbild von mir selbst.
„Aber ich muss es einfach wissen," widerspreche ich mit einer leisen Stimme und fahre mit meinem Daumen über das Display, als würde ich mein eigenes Spiegelbild damit verwischen können. Stattdessen nimmt das Handy meine Berührung wahr und mein Sperrbildschirm erscheint. Es ist ein Bild von ihr und mir. Das wohl letzte, dass wir gemeinsam gemacht haben und es bricht mir das Herz, es anzusehen. Ich habe keine Ahnung wieso ich es noch immer gespeichert habe, bringe es aber auch jetzt nicht übers Herz es endgültig zu löschen. Meine Finger umfassen das Handy etwas fester und tief atme ich aus.
Ich sollte ihr Schreiben und dieser verdammten Ungewissheit ein Ende setzen.
„Wann war das letzte Mal, dass sie dir geantwortet hat?"
Erneut ertönt diese besserwisserische Stimme in meinem Ohr und fest beiße ich meinen Kiefer zusammen. Ich spüre den Druck auf meinen Zähnen und die Wut in meinem Körper. Innerlich weiß ich, dass sie mich nur daran erinnern möchte dass meine beste Freundin noch nie wirklich wert drauf gelegt hat eine Nachricht von mir schnell zu beantworten...und seit dem wir diesen stillen Krieg führen hat sie sogar aufgehört mir überhaupt zu antworten. Ich weiß, dass das Mädchen neben mir recht hat. Auch dieses Mal würde mir meine beste Freundin höchstwahrscheinlich nicht antworten und doch fühlt es sich so an, als hätte sie mit ihren Worten ungerechterweise über meine Freundin geurteilt. Ich spüre die Hitze in meinem Körper und habe das plötzliche Gefühl sie verteidigen zu müssen.
„Dieses Mal wird sie antworten müssen."
Meine Stimme klingt schärfer als beabsichtig und ich spüre die Hitze der Wut in meinem Körper. Schon jetzt weiß ich, dass ich mich zu sehr in die Sache reinsteigere und der Abend wahrscheinlich in Tränen enden wird. „Und wenn nicht?," das Mädchen neben mir stellt mir diese Frage nicht weniger aufgebracht. Ruckartig erhebt sie sich von meinem Bett und fängt damit an, unruhig in meinem Zimmer auf und ab zu laufen, „Dann bist du wieder ganz unten."
Ich ignoriere ihre Worte.
„Ich sollte ihr Schreiben," murmele ich jetzt kopfschüttelnd vor mich hin und richte meinen Blick zurück auf mein Smartphone. Mit einer schnellen Bewegung entsperre ich den Bildschirm und ignoriere dabei das gemeinsame Speerbild. Ich bin gerade dabei WhatsApp zu öffnen, als sich das erneut die weibliche Stimme zu Wort meldet: „Schlechte Idee."
In der Zwischenzeit hat das Mädchen aufgehört durch mein Zimmer zu laufen. Sie ist im Schatten meines Kleiderschrankes stehen geblieben und wird dort nahezu komplett von der Dunkelheit erfasst. Trotzdem habe ich keine Probleme ihr herablassendes Augenverdrehen zu sehen, als wäre meine Idee nichts als Humbug...und das ist sie vielleicht auch. Doch ein Gedanke geht mir schon lange nicht mehr aus dem Kopf. Ich brauche ein paar Anläufe um ihn laut zu formulieren.
„Ich weiß. Aber für sieben Jahre war sie meine beste Freundin. Für sieben Jahre war sie meine einzige Freundin. Sie war alles was ich kannte."
„Na und? Sie hat sich gegen dich entschieden," das Mädchen vor mir zuckt lässig mit den Schultern als hätten meine Worte keinerlei Bedeutung für sie, „Wo liegt also das Problem?" Sie tritt aus dem Schatten des Schranks und jetzt kann ich auch die Gleichgültigkeit in ihrer Haltung sehen. Wütend krallt sich meine Hand fester um mein Handy und ich habe Probleme meine Wut zu kontrollieren. Doch ich fühle mich unverstanden und muss meine Gefühle mit Worten zum Ausdruck bringen. „Das Problem liegt darin, dass ich immerzu an sie denken muss. Und wenn sie nach sieben Jahren Freundschaft einfach so entscheiden kann mich zu ignorieren, mich fallen zu lassen, was lässt mich dann sicher sein, dass überhaupt jemand für immer bleibt."
Erst als meine Stimme in der Stille des Raumes verschluckt wird, spüre ich die Hitze der Wut. Sie lodert wie ein gefährliches Feuer in meiner Brust und doch haben meine Worte dafür gesorgt, dass die Wärme unter meiner Haut langsam abklingt. Ich atme tief durch und vorsichtig entkrampfen sich sich meine Muskeln. Meine Finger lösen den festen Griff um mein Handy, sodass es wieder locker in meiner Hand liegt. Mein Blick richtet sich auf das Mädchen vor mir und erst jetzt spüre ich den nassen Tränenschleier auf meinen Augen. „Nicht jeder ist wie sie," ertönt jetzt wieder die ruhige Stimme meiner Freundin und mit leisen Schritten kommt sie auf mich zu. Im ersten Moment glaube ich, dass sie mich tröstend in den Arm nehmen möchte. Jedoch bleibt sie mit etwas Abstand vor mir stehen und schaut traurig auf mich herab. Meine Lippen zittern und trotzdem spüre ich das unangenehme Ziehen in meinem Magen. Ich nehme all' meinen Mut zusammen um noch einmal den Worte des Mädchens zu widersprechen.
„Vielleicht. Aber wenn mich meine beste Freundin nach so einer langen Zeit einfach verlassen kann, was sollte jemand anderen dann davon abhalten?"
Ich bekomme auf diese Frage keine Antwort. Das Mädchen vor mir starrt mich weiterhin an. Plötzlich breitet sich die Stille im Zimmer ohrenbetäubend laut aus und als ich meinen Blick zurück auf das Mädchen richte, sehe ich gerade noch wie es sich mit den Schatten im Zimmer verbindet und langsam in der Dunkelheit verschwindet. Seufzend lasse ich mich langsam zurück in die Kissen meines Bettes sinken. Ich bekomme auf meinen letzten Satz keine Antwort und die Tränen brennen wie Feuer in meinen Augen.
Aber was habe ich auch erwartet?
Wieder einmal bin nur ich in meinem eigenen Kopf.
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