Heartbreakers

Er hatte schon überlegt, schon gegrübelt, sich den Kopf zerbrochen, wieder zusammengeflickt und immer so weiter. Es ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, beschäftigte ihn und ließ ihm keine Ruhe. Oder besser: sie. Sie waren miteinander in der Klasse gewesen, und er hatte sie beinahe auf Anhieb gemocht. Ihre Art, ihr Blick faszinierte ihn seit jeher, und sie brachte ihn leichtens zum Lachen. Oft ohne dass sie wirklich etwas dafür tun musste.
Was sie wohl von ihm hielt? Wusste sie, was er für sie fühlte? Er selbst konnte es nicht sagen. Kein Herzlein zeigte sich je in seinen Gedanken, und kein Schatten trübte ihr Bild in seinem Kopf. Es ließ sich nicht auflösen.
Er versuchte, sie so zu behandeln, als würde er sie einfach nur  ungewöhnlich gerne mögen. Das ging bis auf Weiteres gut, sie wurden so auch Freunde. Aber es war auch gewiss nicht die Art zartes Pflänzchen, welche zum Baum bestimmt ist. Sie lachten zusammen; vielleicht hätten sie auch zusammen geweint, wenn sie es gemusst hätten. Aber das war nicht klar.

"Lias", fragte sie ihn einmal, als sie wieder zusammensaßen, "du magst mich sehr gern, stimmt's?" Ein stilles Sprudeln begann in seiner Brust bis Magengrube, Adrenalin strömte durch seine Adern. Lias zuckte zusammen, was ihr nicht entging; da er insgemein unruhig war, gab sie aber darauf wenig. Sein Gehirn arbeitete, höchst darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen. Aber es war so einfach - er ließ es sich einmal durch den Kopf gehen, und lächelte einfach nur. Er lächelte weg, was er nicht beantworten konnte: "Ja." Auch Lara schaute glücklich aus, stellte er fest und war froh. Lange ging das Gespräch nicht mehr, denn ihre Wege führten für den Tag auseinander.

Das Leben nahm seinen weiter monotonen Lauf, und es sollte der Tag des Abschiedes kommen. Wo jeglicher folgender Kontakt in den Sternen stand, die niemand lesen konnte. Lara freute sich darüber, denn es sollte für sie die nervige Schule beenden. Dass ihre Freunde, unter ihnen Lias, von nun an ihr fehlen würden, machte es ambivalent. Aber dies musste ja auch nicht unbedingt die Freude an ihrer gefühlten Befreiung vergällen. Sie würde sie alle vermissen, doch kam damit nur Lias so gar nicht klar. Sie führten das glückliche Leben weiter, was Lias' Schmerz umso größer machen würde. Denn was würde kommen? Man sähe sich ungewissermaßen noch bei ganz wenigen weiteren Veranstaltungen. So dachte er auch in diesem Moment wieder, und weinte. Nicht unbedingt äußerlich; innerlich allemal. Er saß etwas zusammengekauert an einem singulären Tisch in der Pausenhalle, seine Seele verweint. Da kam Lara vorbei, welche gerne wieder sich mit ihm lustig unterhalten hätte. Doch sie sah nun zum ersten Mal selbst, wie traurig Lias war. Sie wusste, dass sich etwas nicht in Ordnung befand; setzte sich neben ihn, fragte, was los sei. "Nichts, eigentlich", brachte dieser heraus, wenig überzeugend. Seine Stimme klang traurig, instabil und bereits ein wenig gebrochen. Er, der nie Augenkontakt im Übermaß praktiziert hatte, vermied ihren mitleidigen Blick. Und er wusste es beinahe selber ganz, dass er dies tat.

Aber sie schaute ihn noch ein wenig weiter an. Und dann würde man wohl sagen, er sei zusammengebrochen. Aber in Wirklichkeit war es eher eine Überwindung seines ach so starken Selbst. "Ach", er setzte noch eine kleine Pause in seinen Satz, "in nunmehr wenigen Wochen ist es vorbei. Dann sieht man sich kaum noch." Sie begann zu entgegnen: "Ich finde es gut, dass wir die Schule los sind...", und brach dann ab, als sie seinen Blick sah. Dieser war nicht glücklicher geworden, wie sie es langsam beinahe gewohnt war, so sie mit ihm sprach. Sondern noch ein bisschen trauriger. "Ach so", versuchte sie einen Neubeginn, machte dann aber doch nur eine hilflose Geste. "Ich werde ein paar Leute auch vermissen, es waren ja auch ein paar nette dabei." "Nicht nur einige", sagte Lias mit unüberhörbarem Wehmut, selbst für die, welche etwas weiter weg. Denn wer es sah, litt irgendwie mit ihm mit. Ohne dass man ihn überhaupt gekannt hätte, obwohl Lias und Lara älter als die Übrigen waren. "Alle", er senkte die Lautstärke beträchtlich. Sie verstehe, sagte Lara. Und sehe es ein.

Und weiter, was er noch nicht hatte eingestehen wollen, war da Lara in den Gedanken des armen Jungen. Und wollte nicht weg. Nicht nur die anderen, die sein Leben waren, würde er vermissen. Auch und insbesondere sie, die allem und der Schule noch einmal einen ganz anderen, besonderen Sinn gab. Was auch immer dieser war, er würde Lias fehlen, gewiss. Sein Fehlen würde brennen als ein Feuer, ein kaltes. Gewiss.
Wieder verrann die Zeit, mal schön, selten unschön, mehr wehmütig. Viele fieberten dem Ende entgegen, Lias kaum. Klar, es gab WhatsApp. Aber in seinem ganzen Leben war es ihm nie gelungen, darüber einen Kontakt zu halten. Und das war niederschmetternd, "devastating", wie Lias fand. Manchmal mochte er englische Wörter einfach. Und unweigerlich brachen die Tage des intermediären Abschiedes an, von welchem an alles zumindest ungewiss war. So kam es auch, Lias vereinsamte. Lara war auch kaum so unter Menschen, wie sie es mochte. Aber es hatte nicht seine Ausmaße. Tag um Tag verging, letztlich auch Klausur um Klausur. Selten sah man sich noch, wenn es denn mal dazu kam. Manchmal hatte Lias auch etwas vor. Aber diese Inseln waren selten, und er zog sich meist auf seine eigene zurück. In seinem Kopf ging viel vor in dieser Zeit, Träumereien, Grübeleien, was die Schule für ihn war, was Lara für ihn war. Was die Schule anbelangte, war die Sache klar. Diese hatte ihm Sicherheit gegeben.

Aber die schwierigere, mindestens gefühlt und in den Gefühlen größere Frage war die nach Lara. War sie anders als die Anderen? Ja, klar. War sie alles für ihn? Nein. Er schrieb gerne Texte, spielte gerne Schach, war begeisterter Tischtennisspieler. Und auch ein paar andere Dinge und Menschen mochte er. Man denke nur an die Schule und Klassenstufe, die er und die ihn so geliebt hatten. Aber das war nicht die wirkliche Frage. Diese eine, komplexe Frage ließ sich auch kaum formulieren. Schloss die Frage doch etwa ein, wie er auf sie zugehen wolle. Ob er etwas Nennenswertes für sie fühlte. Ob er ihr sagen wolle, was er nicht wusste, und wie er dies ihr sagen solle, dass er sie liebe. Wie sie darauf reagieren würde, ob sie es nicht längst schon wüsste, und was sie selber dazu dächte. Fragen über Fragen, wo es doch eigentlich nur eine große solche war. "The Great Question" hielt sein Herz in Atem, wenn man so pathetisch sein darf.

Aber die Frage hatte einen guten Ansatzpunkt - Laras Part. Sie könnte sonstwie reagieren; die Gefahr könnte groß sein, dachte Lias. Und hatte damit womöglich Recht - heute ist sie glücklich vergeben. Nicht an Lias, sofern ich mich nicht irre. Er wusste damals schon und heute noch nur eine Lösung - wohl nicht die beste, aber eine, die die Schmerzen im Herzen wohl noch irgendwie heilbar ließ. Manchmal sind die Fragen kompliziert und die Antworten einfach, dachte er. Und seine Antwort kannte er da schon, die sein Handeln lenken würde, die ihn dazu zwingen würde, im Herzen dies erst einmal auszukurieren: "Nein!" In einer unbeobachteten und ungehörten Minute rief er dies in sein Zimmer. Er rief mehrmals, schrie dann. Und war sich selbst dann noch kaum sicher, aber dennoch allenfalls dieser Meinung, wenn schon nicht keiner Meinung: Liebe ist nichts für ihn. Er konnte sie nicht identifizieren, und kam mit ihr nicht klar. Er musste einfach damit klarkommen, und irgendwie aus der Einsamkeit ausbrechen.

Aber erst einmal blieb das Nein.

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