Licht und Schatten
Das hier ist mein Beitrag für den Wettbewerb von RubyAngel90210
Mit leisen Schritte, schlich sich Tom den Gang zur Haustür entlang und schlüpfte in seine abgenutzten Gummistiefel, die zum abtropfen auf der Fussmatte standen.
Seit Tagen hatte es ununterbrochen wie aus Eimern gegossen und der halbe Hof lag inzwischen stellenweise unter Wasser. Tom öffnete die Tür und der tosende Wind peitsche ihm den Regen in sein Gesicht. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und die Beleuchtung auf den Hof funktionierte nicht.
'Der Sturm muss die Leitungen zerstört haben', dachte er sich und drehte sich wieder zu der dunklen aus Eiche gemachten Haustüre um.
Er setzte einen Fuß in die Wohnung, blieb aber plötzlich stehen. Der Junge sah auf seine Gummistiefel hinab. Durch den klatschenden Regen und den Wind waren seine Stiefel mit Wasser vollgelaufen, ohne dass er sich viel im Regen bewegt hatte. Mit seinen Füßen streifte er sich die Gummistiefel ab und bemerkte zugleich, dass auch seine dicken Wollsocken triefnass waren. Aber das war ihm jetzt egal, er wollte endlich zu seinen Tieren in den Stall gehen. Also behielt er die Socken an und seine nassen Fußabdrücke wurden auf den hellen Treppenstufen sichtbar. Er ging zur Kommode in Flur und nahm eine schwere Taschenlampe aus dem obersten Fach.
Mit seinen neu erworbenen Licht machte er sich wieder auf den Weg nach draußen. Seine triefenden Wollsocken machen es ihm schwer, wieder in seine engen Gummistiefel hineinzuschlüpfen, da der Wollstoff an den gummiartigen Material der Stiefel klebte. Endlich hatte er es geschafft und zog die Haustüre auf, wobei ihm erneut der Regen ins Gesicht gepeitscht wurde.
Tom knipste seine Taschenlampe an und der Hof wurde in einem hellen Gelbton erleuchtet. Die großen Obstbäume ließen ihre Schatten auf den Weg fallen, wobei sie noch viel größer erschienen, als sie es sowieso schon waren.
Bei gutem Wetter kletterte er oft auf den knorrigen Apfelbaum herum und schlang sich von dort auf den großen Kirschbaum, der nebenan stand. Er fand es toll, im Schatten der Baumkronen mit seinen Freunden verstecken zu spielen.
Tom sah sich um, denn so wie jetzt, hatte er den Hof noch nie gesehen. Für gewöhnlich ließen die Laternen ihr orangefarbenen Lichter auf den Weg fallen, aber nicht dieses Mal. Heute Nacht erleuchtet er selbst den Hof, wenn auch nicht so kräftig, wie es eine von den vielen Laterne tun würde.
Der ganze Hof schien sich durch den ungewöhnlichen Lichtfall zu verstellen. Es kann ihm fast so vor, als wäre der Schuppen, in dem immer sein blaues rostiges Fahrrad steht, viel weiter entfernt, als gewöhnlich.
Alles wirkte irgendwie unheimlich und keineswegs vertraut. Er hatte das Gefühl, links hinter ihm würde sich etwa bewegen, aber Tom traute sich nicht, das Licht der Taschenlampe hinter sich zu schwenken.
Doch dann nahm er allen Mut zusammen und drehte sich um, richtete die Taschenlampe dort hin, wo er seinen Verfolger vermutet und blickte wie erstarrt um sich.
Tom hatte Recht, hinter ihm war etwas, ein dunkler Schatten türmte sich hinter ihm auf. Doch war dieser Schatten kein bedrohlicher Mensch oder ein wildes Tier, nein, es war bloß die Silhouette der Schaukel, die sein Vater letzte Woche zwischen die beiden Mandelbäumen gespannt hatte und die jetzt quietschende durch den Sturm vor und zurück geschlagen wurde.
Tom lachte auf. Das tat er immer, wenn ihm unwohl war, um seine eigene Angst zu überspielen.
Er drehte sich wieder um und durch die Wasserpfützen springend erreichte er den gegenüber liegenden Stall, in den die Schafe, Kühe und Ziegen in ihren Gehegen eingepfercht waren. Er hatte es schon immer gehasst, wenn die Tiere so eng aufeinander standen. Aber nie wollte ihm jemand zuhören; er war ja schließlich nur ein Kind von neun elf Jahren, das noch viel lernen musste und das den großen Erwachsenen Recht geben sollte.
Der Junge öffnete die Stalltür und betrat den Stall, wo er bereits mit munterem meckern und muhen empfangen wurde. "Guten Morgen", rief er den sechszehn Ziegen, fünf Kühen und achtzehn Schaffen entgegen. Tom machte das Gatter des Ziegengeheges auf und schob die Schubkarre, die er zuvor geholt hatte in das Gehege seiner gehörnten Freunde hinein.
Diese fielen gleich über das Heu her, welches er in die Schubkarre geladen hatte.
Einen Moment lang setzte er sich zu den Ziegen ins Stroh und verweilte dort. Für Tom war der Stall immer schon einer seiner Lieblingsorte gewesen, wenn nicht im hinteren Gehege bei den Schafen immer diese seltsamen Dinge passieren würden.
Er liebte seine Ziegen und seine Kühe, aber die Schafe waren ihn nie ganz geheuer. Es war ja nicht so, dass er Angst vor den Schafen hatte, nein, nicht die Schafe an sich machten ihm Angst, sondern das, was um sie herum geschah.
Über den Schafgehege war eine Art Dachkammer auf der er immer wieder Schritte zu hören vermochte. Wenn er mit seinen Freunden oder seiner Familie darüber sprach, wurde er allemal belächelt. Aber was wussten die den schon? Sie waren ja fast nie in Stall. Die meiste Zeit verbrachte schließlich Tom im Stall und nicht seine Geschwister oder Eltern.
Bisher hatte er sich nie in die Dachkammer hinaufgetraut und der elfjährige verspürte auch nicht das Verlangen, etwas an dieser Tatsache zu ändern. Er war schon stolz auf sich, wenn er es schaffte, überhaupt in das Gehege der Schafe zu gehen, ohne dass ihm der Schweiß von der Stirn rannte.
Nach einigen Momente erhob sich Tom von Boden und machte sich auf, in Richtung Kuhgehege.
Mit einem Mal peitschten Äste von dem Baum hinter dem Stall durch den immernoch tosenden Sturm gegen dass Fenster im Gehege der Schafe. Die Tiere wurden immer unruhiger und der mächtige schwarze Schatten der Fichte, der durch das Fenster in den Stall hindurchfiel machte inzwischen auch Tom nervös.
Vorsichtig ging er in das Schafgehege hinein. Der Schatten wirkte bedrohlich und bäumte sich immer höher auf. Und auch die Schritte in der Dachkammer ließen wieder von sich hören. Mit verschwitzten zittrigen Händen richtete er die Taschenlampe nach oben. Durch das Loch in der Decke, das in die Dachkammer führte erblickte er nicht das geringste bisschen. Das tiefe schwarz nahm jegliches Licht in sich auf und ließ die Strahlen der kräftigen Taschenlampe im Nichts verschwinden.
Er hatte Angst, doch wollte er endlich wissen, was diese ständigen Geräusche auf sich hatten. Tom nahm sich die große Leiter die auf den Gang des Stalls gegen die Heuballen gelehnt war und stellte sie gegen das Loch in der Decke.
Er stemmte sich vorsichtig gegen die aufgerichtet Leiter um sicherzustellen, das sie stabil war. Dann setze er vorsichtig einen Fuß über den anderen und kletterte langsam die Leiter hinauf.
Oben angekommen knipste er wieder seine Taschenlampe an und ließ sie über den Boden der Dachkammer wandern. Viel konnte er nicht erkennen, denn das Licht wurde wieder fast vollständig von der Schwärze eingesogen. Das einzige, was er wirklich sehen konnte, waren die vielen Schatten, die sich in der Dachkammer übereinander stapelten.
Er musste sich also auf seine anderen Sinne, sein Gehör verlassen.
Tom betrat die Dachkammer. Der Boden schien stabil zu sein, auch wenn seine Beine weich wie Pudding waren. Der Junge versuchte sich komplett auf seine Umgebung zu konzentrieren. Plötzlich spürte er etwas das auf seinen Kopf traf. Erschrocken schrie Tom auf und sank in seine Knie nieder.
Er versuchte sich so klein zu machen, wie es ihm nur möglich war, aber immer und immer wieder neue Berührungen über ihm. Mal auf den Kopf, mal auf der Schulter und wieder ein anderes Mal spürte er etwas kaltes seinen Nacken hinunterlaufen.
Voller Angst blickte Tom noch oben, richtete die Taschenlampe an die Decke und der Übeltäter berührte ihn im Gesicht.
Doch handelte es sich hierbei nicht um ein Lebewesen, das es auf Tom abgesehen hatte, sondern lediglich um ein Leck in der Decke. Durch den Sturm war ein Ast durch das Dach gestoßen, der jetzt über ihm baumelte und ein Loch verursacht hatte.
Der Regen prasselte durch das Loch und die Tropfen fielen immer wieder auf ihn hinab. Erleichtert atmete Tom aus und richtete sich wieder auf seine Beine.
Er blickte erneut auf, um durch das Leck in der Decke hinauszuschauen.
Die Dämmerung hatte begonnen.
Tom ging ein paar Schritte weiter, blieb dann aber wieder stehen und schaltete die Taschenlampe aus.
So fühlte er sich sicherer. Er konnte mit dem Licht der Taschenlampe sowieso nicht viel mehr erkennen, als wenn er sie ganz auslassen würde. Zudem war er dann auch für alle unsichtbar, die ihm Schaden wollten. Auch wenn hier oben niemand war, der dies vorhatte, wollte er auf Nummer sicher gehen.
Durch die ausgeschaltete Taschenlampe verwandelt sich der Raum in ein tiefes schwarz. Er konnte nichts mehr sehen; selbst die eigenen Hände verschwanden in der Dunkelheit und auch jegliche Schatten waren unsichtbar.
Das beruhigt ihn, denn auch wenn er wusste, dass Schatten nur das vergrößerte Abbild etwas viel kleinen waren, waren ihm diese großen schwarzen Umrisse unheimlich. Für ihn wirken Schatten und alles was keine Farbe hatte oder nur eine Silhouette war so bedrohlich, das er befürchtete, in nächsten Moment von diesen schwarzen Wesen angegriffen zu werden. In seinem Augen hatten Schatten eine Seele, die sie tief in ihrem schwarzen Körpern verstecken.
Tom lauschte weiter, aber das einzige Geräusch, das er vernahm, war das Plätschern des Regens, der durch das Leck im Dach auf den Boden prasselten.
Nach einigen weiteren Minuten sah der Grundschüler ein, dass es keinen Zweck hatte, weiter auf dem dunklen Dachboden herumzuwandern und er ging wieder in jene Richtung, in der er die Leiter vermutete.
Dabei stolperte er immer wieder über aufeinandergestapelt stehende Kartons, die mit allerlei Gerümpel zugepackt waren und auf dem nächsten Sperrmüll landen sollten.
Als er schließlich die Leiter erreicht hatte, konnte er durch das kleine Fenster im Schafgehege erkennen, das die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihre Schatten bereits in den Stall fallen ließen.
Immernoch vorsichtig kletterte er die ersten Stufen der Holzleiter hinab und ließ sich dann hinabrutschen, wobei er im weichen Stroh der Schafe landete, die ihn misstrauisch anblickten.
Tom ging den Gang im Stall entlang, verabschiedete sich von den neununddreißig Huftieren und verließ den Stall. Draußen hatte der Sturm sich inzwischen etwas gelegt und auch der Regen hatte nachgelassen.
Die Kronen der unzähligen Bäume, legten durch das aufkommende Sonnenlicht ihr ersten Schatten über den Hof; die kleine Schaukel, die ihn zuvor so ängstigte, hatte sich inzwischen in den Ästen der Mandelbäume verfangen und auch der Schuppen, der zuvor so weit entfernt gewirkt hatte, lag wieder wie gewohnt im Schatten der Mandel-, Kirsch-, Apfel- und Mirabellenbäume.
1730 Wörter
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