99.

Elternsprechtage
Für manche sind sie in Gedanken gar nicht existent, anderen graust es davor.
Für Schüler sind die Elternsprechtage nicht gemacht, aber dennoch eine schöne Möglichkeit sich von den Lehrern neu Motivieren zu lassen. Vielleicht sogar mal Kritik zu bekommen, was man noch besser machen könnte. Gespräche führen, die im Schulalltag untergehen.
Mein Vorsatz dieses Jahr war es mich bei meinen Lehrern auszuheulen. Sicherlich nicht bei allen, aber bei denen, die hinter ihrer Fassade als Lehrer auch tolle Menschen sind. Besondere Menschen. Menschen die in ihrer Tätigkeit als Lehrer mehr sehen als nur ihren Stoff in die Köpfe von Schülern prügeln zu wollen.
Jedenfalls hatte ich "ausheulen" nicht wörtlich gemeint.
Die Erschöpfung ist viel zu groß, als dass Tränen ihren Weg an die Oberfläche finden würden.

Da saß ich nun. In einem Klassenzimmer der fünften Klasse. Tränen fallen herab ohne dass ich sie aufhalten könnte.
Tränen vorerst wieder versiegen und zuhause zu weinen werden.
Schluchzen schüttelt meinen Körper.
Ich vergrabe mein Gesicht in Fell, dass bereits Nass ist von meinen Tränen.

Mein Tränennasses Gesicht in schwarzem Hundefell vergraben habe ich endlich wieder das Gefühl alles hier überstehen zu können.
Nicht nur irgendwie, immer auf der Schwelle, dass alles was bisher noch nicht kaputt ist gar zerbricht in mir. Sondern das alles hier richtig überstehen zu können.
Leben zu können, während ich mich hier durchkämpfe.

Während schluchzen meinen Körper schüttelt reflektiere ich über die Worte und Ratschläge die ich bekommen habe. Ich denke nach und filtere die wichtigsten Erkenntnisse des abends heraus.

Erkenntnis Nummer 1: Nur ein Mathelehrer bringt es fertig dir zu sagen, dass du weiter lernen musst, weil dass Abi bald kommt. Du bekommst als Antwort auf ein verzweifeltes "ich kann und will das alles nicht mehr" ein "du musst am Ball bleiben und weiterlernen".
Aus dieser Erkenntnis folgt zwangsläufig, dass ein Mathelehrer vielleicht nicht die beste Adresse ist, wenn man vor lauter Erschöpfung keinen Sinn mehr sieht.

Erkenntnis Nummer 2: Manchmal gibt es Menschen, für die sich nicht in Worte fassen lässt, was sie für einen tun. Immer wieder und immer wieder. Ohne dessen Müde zu werden.
Einen speziellen Menschen, der mir meine Kampf mit mir selbst nicht abnehmen kann, aber mir immer wieder hilft.

Erkenntnis Nummer 3: Verständnis und ein paar aufbauende Worte von einem Menschen, mit dem zu sprechen du an diesem Abend gar nicht gerechnet hast, können genug Kraft geben das Schlechte Gewissen dass man etwas lernen müsste beiseite zu schieben. Jeder Mensch braucht Pausen, aber manche merken es erst wenn sie bereits am Boden liegen.

Erkenntnis Nummer 4: Manchmal bekommst du Hilfe von angeboten, von Menschen, bei denen du trotz allem was bisher war nicht damit gerechnet hättest.

Erkenntnis Nummer 5: Ein Mensch, der dich mit seinen Worten zu Weinen bringt, weil es tief in dir etwas anspricht, reicht manchmal aus um eine Reihe von Erkenntnissen auszulösen.

Ich muss nicht jetzt schon wissen, wo ich mit meinem Leben hin will oder was ich nach dem Abi machen will. 
Das halbe Jahr muss ich noch überleben, aber das schaffe ich schon. Ein Satz den mehr als eine Person heute zu mir gesagt hat.
So viel Zuversicht mir diese Aussage gibt, dass ich es schaffen kann, gleichzeitig macht es mir Angst diesen Satz von so vielen zu hören.
Was wenn ich es doch nicht schaffe?
Was wenn ich den Kampf mit mir selbst verliere?

Ich weine in das Fell meines Hundes. Wir sind zusammen erwachsen geworden.
Erwachsen werden heißt auch selbstständig werden.
Ich frage mich ob ich wirklich etwas ohne meinen Hund machen kann. 
Reisen
Die Welt entdecken
Ich wollte immer weg von daheim als ich klein war. Raus in die Welt.
Alles was ich nun hält ist mein Hund.
Ich habe Angst, dass die Frage gar nicht ist, ob ich eine gewisse Zeit ohne meinen Hund überstehe.
Vielleicht ist die Frage ob es richtig ist sich von ihr aufhalten zu lassen.
Früher oder später wird sie nicht mehr in meinem Leben sein.
Früher oder später muss ich es ohne sie schaffen.
Ich will die Zeit, die mir bleibt für sie da sein.
Vielleicht bin aber auch ich es, die jemanden braucht. Dieser Gedanke ist fast offensichtlich, während ich in ihr Fell weine.
Ich brauche sie gerade, nicht umgekehrt.

Aber eigentlich ist es gar nicht so wichtig, was in einem halben Jahr passiert. Zumindest versuche ich mir das einzureden.
Wichtig ist was jetzt ist.
Und jetzt muss ich erst mal schaffen weiterzumachen.
Das Ziel ist gar nicht mehr so weit weg.
Jede Woche ist eine weitere Woche die ich abhaken kann, weil ich es geschafft habe.
Was auch immer danach kommt, irgendetwas kommt immer.

Meine Tränen sind inzwischen getrocknet.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt am Ende dieses Abends weiter bin als vorher.
Aber ich weiß jetzt, dass abgesehen von Mathelehrern tiefes Verständnis für mich da ist.
Dass es Menschen gibt die mir helfen wollen. Die mehr in mir sehen, als das Mädchen, das an dem Kampf mit sich selbst zerbricht.

Aus ausheulen im übertragenen Sinne, wurde ausheulen im wörtlichen Sinne.
Ich bin allen Lehrern für das Dankbar, was sie mir heute versucht haben mit auf den Weg zu geben.
Aber am dankbarsten, bin ich für den Lehrer, der es geschafft hat die Mauern in mir aufzubrechen. Es ist schmerzhaft zu sehen, dass man diesen ganzen Krieg nur gegen sich selbst führt und nur gewinnen kann wenn man aufhört.


Ehm ja, ich würde sagen das geht nicht mehr als Poetry Slam durch sondern ist einfach eine Erzählung aus meinem Leben. Aber da das Buch Gedanken eines ganz normalen Mädchens heißt, und meine Gedanken nicht immer poetisch und allgemein sind findet das ganze hier seinen Platz. Scheiß drauf dass das Buch in der Kategorie Poesie eingeordnet ist. Diese Gedanken sind einfach nur ungeschliffene Poesie, weil ich sie mir von der Seele schreiben musste, bevor ich allgemeinere Gedanken dafür finden konnte.

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