9. "Es ist kompliziert"

Es gibt Situationen, da wünscht man sich, man wäre nicht so scheiß bescheuert gewesen. Das hier ist so eine. Ich steh nämlich wie der letzte Vollidiot im Wohnzimmer und starre den Italiener an, der auf dem Sofa sitzt.

Er starrt mindestens genauso überrascht zurück und wir sagen kein Wort, bis ein paar Sekunden später Kim reinplatzt und mich am Ärmel packt.

„Johnny, verschwinde jetzt", zischt sie.

Der Typ steht auf. Er trägt einen blauen Anzug, darunter ein schwarzes Hemd und er ist groß. Viel größer, als ich mich erinnere.

Er bleibt direkt vor mir stehen, funkelt mich aus braunen Augen an. Ich versuche, möglichst cool zu bleiben, aber meine Rippe erinnert mich, dass der Kerl mich fertigmachen kann.

„Ist das dein Verlobter?", frage ich Kim.

Der ist doch mindestens schon 30, viel zu alt für sie. Aber vielleicht ist er ja reich. Dann würd ich ihn auch heiraten. Wobei, ich hab mich ja schon Jared-Jace versprochen. Kann man auch zu dritt heiraten?

„Johnny, bitte. Du solltest jetzt wirklich besser gehen", meint sie und sieht mich flehend an.

Ich will zu einer Antwort ansetzen, aber der Itaker unterbricht mich: „Johnny."

Ich hebe eine Augenbraue und wende mich wieder zu ihm. Er hat meinen Namen so komisch in die Länge gezogen, wie das die Superschurken in den ganzen Filmen immer machen.

Warte. Bin ich dann ein Superheld?

„Was ist?"

Der Typ grinst und Kim zieht mich am Arm von ihm weg. Sie sieht irgendwie echt besorgt aus, dabei kann sie unmöglich wissen, dass es ihr vermeintlicher Verlobter war, der mir die Rippe gebrochen hat. Aber vielleicht macht er das ja öfter, zutrauen würde ich es ihm.

Stehen Frauen auf Typen, die andere verprügeln? Vielleicht sollte ich mal üben.

„Komm her, Kimberly", sagt der Italiener und streckt die Hand nach ihr aus. Sie steht hinter mir, weil sie mich ja weggezogen hat, und wie aus Reflex halte ich meinen Arm so vor sie, dass sie nicht zu ihm kann.

„Kim macht, was sie will", meine ich bestimmt und frage mich, woher dieser Mut so plötzlich kommt. Der Typ sieht mich finster an und Kim umklammert meinen Arm.

Ich fühl mich grad echt wie ein Superheld. Dann brauch ich aber auch einen Namen, Superhelden haben immer coole Namen. So wie Iron Man, oder Captain America.

Okay, Johnny, das ist jetzt definitiv nicht die Situation, um dir einen Superheldennamen zu überlegen.

Der Typ macht einen Schritt auf mich zu, die Hand immer noch nach Kim ausgestreckt, aber ich bleibe standhaft. Mein Gehirn chillt nämlich wieder auf Hawaii, sonst wär ich wahrscheinlich schon längst abgehauen.

„Verpiss dich, Johnny", zischt er, beugt sich zu mir runter, bis er nur wenige Zentimeter vor meinem Gesicht ist. Er riecht nach Aftershave, eins von der teuren Sorte, das mein Vater auch immer getragen hat.

Ich rümpfe die Nase. „Kannst du vergessen."

Den Schlag hab ich nicht kommen sehen. Er trifft mich am Kiefer und ich taumle ein paar Schritte nach hinten, Sterne tanzen für einige Sekunden vor meinen Augen. Ich blinzle und fasse mir an den Kiefer. Das kriegt der scheiß Itaker zurück.

Ich balle die Hände zu Fäusten, aber bevor ich auch nur zum Schlag ansetzen kann, packt der Typ mich an den Schultern, hebt mich hoch und schmeißt mich auf den Boden.

Die gesamte Luft wird aus meinem Brustkorb gepresst und ich stöhne auf, als meine Rippe unangenehm sticht. Ganz kurz denke ich darüber nach, einfach liegen zu bleiben, aber dann rapple ich mich doch auf und starre den Italiener wütend an.

Er kommt auf mich zu, die Hände erhoben. Ich will ihm ausweichen, aber er reißt seinen Arm nach unten und knallt ihn mir auf die Nase.

Es passiert noch mehr peinliches Zeug, das ich größtenteils gar nicht richtig mitbekomme, weil ich halb bewusstlos bin. Lange Rede, kurzer Sinn: der Idiot schmeißt mich aus dem Haus auf die Treppe und knallt die Tür hinter mir zu.

Ich bleibe liegen, atme zitternd ein und aus und lasse den Schneematsch meine Nase kühlen. Erst, als meine Kleidung patschnass ist und kalt, richte ich mich langsam wieder auf.

So ein Arschloch. Warum ist Kim mit so jemandem verlobt? Und warum hat sie sich nicht gewehrt? Und warum hat sie mir nicht geholfen?

In Schneckentempo kraxle ich die Treppe runter und schleppe mich ein paar Meter, bis zu einer Bank. Ich lasse mich drauffallen und schließe die Augen.

Mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich explodieren, mein Kiefer tut weh und meine Nase brennt. Blut tropft von ihr auf mein Shirt und ich fasse sie vorsichtig an. Sofort ist meine Hand rot verschmiert und schnell wische ich sie an meiner Hose ab.

Ich hasse Blut.

Mit meinem Oberteil tupfe ich meine Nase ab, bis ich den Großteil des Bluts entfernt hab. Dann taste ich vorsichtig meine Brust ab, zucke aber sofort zurück. So viel zum Thema schonen

. Ich lasse mich an der Bank hinabgleiten, bis ich liege. Es hat aufgehört zu schneien, dafür ist jetzt alles nass. Aber scheiß drauf. Auf die bisschen Nässe kommt es jetzt auch nicht mehr an.

Ich atme möglichst flach und versuche, mich zu entspannen. Hab irgendwo mal gehört, das soll gegen die Schmerzen beim Atmen helfen, tut es aber kein bisschen.

Irgendwann dös ich dann doch ein, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich schlafe oder einfach bewusstlos bin. Als ich wieder aufwache, ist es dunkel und mein Rücken tut weh. Na klasse.

Ich hieve mich in die sitzenden Position und stöhne. Vielleicht wäre sterben jetzt gar nicht so schlecht. Auf jeden Fall besser als diese scheiß Schmerzen.

Da höre ich Schritte neben mir. Ganz deutlich, da patscht jemand durch den Schneematsch auf mich zu. Ich sehe in die Richtung, aus der ich die Schritte vermute, aber meine Augen lassen mich total im Stich.

Die Schritte verstummen und ich halte den Atem an. Wenn es der Italiener ist, dann soll er doch bitte beenden, was er begonnen hat. Oder sich wieder verpissen.

Doch stattdessen: „Johnny?"

Ich atme erleichtert auf. „Fuck, Kim, was machst du hier?"

Sie setzt sich vorsichtig neben mich und zieht scharf die Luft ein. „Du siehst aber schlimm aus."

Danke auch, das weiß ich selber. „Wegen deinem Verlobten", grummle ich.

Sie nickt entschuldigend und sieht auf ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hat. Der Diamantring an ihrem Finger fällt mir erst jetzt so richtig auf und ich sehe weg.

„Enzo ist manchmal einfach ein bisschen impulsiv."

Enzo heißt er also, dieser Dreckssack. Wäre ich nicht so ne Niete im Kämpfen, hätte ich ihn schon längst fertiggemacht.

„Warum bist du mit so jemandem verlobt?", will ich wissen und kann nichts dagegen tun, dass meine Stimme komisch klingt. Ich hasse es einfach, dass Kim bald heiraten wird.

Sie seufzt. „Es ist kompliziert."

„Ich bin bestimmt nicht so blöd, dass ich dir nicht folgen könnte." Ich ziehe Jared-Jace hervor und setze ihn auf mein Knie. Es ist, als leiste mir dieser blöde Dino Beistand, was eigentlich ja total bescheuert ist, weil es ein Stofftier ist und ich außerdem viel zu alt für so einen Mist bin.

Kim schweigt und starrt den Stoffdino an, wahrscheinlich leistet er uns beiden grade irgendwie Beistand.

„Eigentlich will ich das gar nicht", meint sie dann irgendwann.

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