4. "Milchbubi"

Es ist kalt. Scheiße kalt sogar. Und wenn es außen so scheiße kalt ist, dann ist der Körper auch automatisch so scheiße kalt. Und dann hilft es gegen die Kälte wenig, wenn man sich selbst umarmt, weil wie gesagt, es ist halt immer kalt.

Außerdem ist das Kopfsteinpflaster hart. Normalerweise beschwer ich mich ja nicht, aber meine Rippe tut das schon. Und zwar sehr lautstark. Ich würd ja gern noch ne Ibuprofen runterkippen, aber ich hab irgendwo mal gelesen, dass man da schnell überdosieren kann und ich will auch nicht hier auf der Straße verrecken.

Also versuche ich so gut es geht, die Kälte und den Schmerz zu verdrängen und zähle stattdessen Blätter. Blätterzählen ist eigentlich echt simpel, aber richtig spielen kann man es nur, wenn man draußen ist.

Man setzt sich irgendwo hin und sucht sich einen Baum. Dann zählt man, wie viele Blätter dieser Baum hat. Wenn man fertig ist, macht man mit dem Nächsten weiter und so kann man schauen, welcher am Meisten hat.

Aber heute macht Blätterzählen keinen Spaß. Zum einen macht es mich seltsam melancholisch, wahrscheinlich hab ich doch zu viel Ibuprofen genommen. Zum anderen vermisse ich meine Matratze. Und mein verlassenes Haus.

Verdammt Johnny, reiß dich mal zusammen. So schlimm ist es auch wieder nicht.

Vorsichtig drehe ich mich auf den Rücken und sehe in den Himmel. Früher konnte ich manchmal noch Sterne sehen, aber jetzt ist da kein Einziger. Wahrscheinlich ist es denen auch zu kalt.

Ob Sterne überhaupt frieren können? Wahrscheinlich nicht, die sind ja schon tot. Oder? Ach scheiß drauf, ich hab die Schule einfach viel zu früh abgebrochen.

Ich rapple mich auf und sehe mich um. Irgendwo hier muss es doch einen Imbiss oder so einen Scheiß geben, das findet man doch sonst an jeder Ecke. Ich kann nämlich mit vollem Magen besser schlafen, außerdem sind die Ibuprofen bestimmt auch besser, wenn man was gegessen hat.

Ich lauf also einfach mal los, immer der Nase nach. Irgendwo werde ich bestimmt ankommen.

**

Einen Burger und zwei Portionen Pommes später überlege ich, ob ich einfach hier im Lokal pennen soll.

Oder ob ich mir eine von den ekelhaften Apfeltaschen kaufen und die als Heizung benutzen soll. Weil, ganz ehrlich, zu was anderem kann man die auch gar nicht nehmen, die sind ja mal mega ungenießbar.

Ersteres klingt deutlich angenehmer und als ich mich schon zurücklehne und die Augen schließen will, steht plötzlich so ein bescheuerter Mitarbeiter vor mir.

Er sieht aus wie ein Milchbubi, mit hellen Haaren und Sommersprossen, und als er mir möglichst höflich mitteilt, dass ich hier nicht zu schlafen habe, stelle ich fest, dass er auch genauso klingt.

„Ich will hier nicht pennen, ich trink meine Cola." Demonstrativ schüttle ich meinen quasi leeren Becher und Milchbubi verzieht sich wieder.

Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und drifte langsam weg, als ich plötzlich scheiß laute Stimmen höre.

Angepisst suche ich nach der Quelle und sehe den Italiener vom Vormittag mit zwei anderen am Bestellautomaten stehen und rumschreien. Zumindest hört es sich für mich wie Rumschreien an, schließlich will ich einfach in Ruhe pennen. Aber daraus wird jetzt wohl nichts mehr.

Ich nehm meinen Becher, senke den Blick, weil meine Jacke mit der Kapuze ja von den scheiß Bullen eingenagelt wurde, und gehe möglichst unauffällig zum Ausgang. Wobei mein in Zuckerwatte gepacktes Gehirn da wohl eine andere Auffassung von unauffällig hat als ich.

Denn auf halbem Weg verhake ich mich in einem Stuhl und fliege fast auf die Fresse. Ich kann mich grad noch am Tisch zum Stuhl festhalten, aber da hab ich schon genug Lärm gemacht.

Ich werfe einen Blick über die Schulter und sehe dem Typen direkt in die Augen. Ach scheiße, was muss der Boden hier auch so rutschig sein?

Und dann renne ich wieder vor ihm weg. Voll das Déjà-vu und so. Nur diesmal, hab ich so das Gefühl, könnte das Ganze weniger gut ausgehen. Zu meinem Glück bin ich halt schon fast am Ausgang und der Typ gerad erst beim Eingang.

Ich hab also ziemlichen Vorsprung, als ich raus in die Dunkelheit renne und fast gegen einen Baum knalle. Was stellen die hier auch keine Lampen auf?

Jedenfalls merke ich ziemlich schnell, dass das mit dem Davonlaufen nichts wird, das macht meine Rippe nicht mit. Stattdessen lege ich mich einfach in den Straßengraben und hoffe, dass es dunkel genug ist, dass der Italiener mich nicht sieht.

Bestimmt zehn verschissene Minuten lieg ich so da und atme ins Gras, damit man das nicht so laut hört. Irgendwo neben mir zirpt was rum und ich werde fast wahnsinnig bei dem Geräusch. Sind jetzt dann nicht mal alle Insekten verreckt, es ist doch bald Winter?

Irgendwann muss das ständige Gezirpe mich dann eingeschläfert haben, denn als ich das nächste Mal die Augen aufmache, ist es hell. Außerdem tut mir alles weh.

Stöhnend rolle ich mich auf den Rücken und bleibe eine ganze Weile so liegen, weil ich schlicht zu faul bin, mich mehr zu bewegen. Die Luft ist schwer und feucht, außerdem ist es neblig. Die Nässe setzt sich in meine Haare und meine Klamotten und ich schaudere auf vor Kälte.

Ich muss definitiv aufstehen.

Tu ich dann auch, auch wenn ich mich fast wieder hinlege, weil das Gras scheiße rutschig ist. Fluchend stolpere ich ein paar Schritte, bis ich mich wieder gefangen habe.

Das erste, was ich mache, ist mir eine Ibuprofen reinzuziehen, nachdem ich mich auf den Bordstein gesetzt hab. Trocken ist das echt eklig, muss ich an dieser Stelle schon mal sagen. Aber hilft ja nichts, runter muss sie so oder so.

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