2. "Jonathan?"
Verdammte Scheiße, ich glaub, ich muss ins Krankenhaus. Für einen Weg, den ich normalerweise in fünf Minuten schaffe, habe ich 15 gebraucht, außerdem ist es bestimmt nicht normal, Blut zu kotzen.
Ich sitze auf der Matratze in dem verlassene Gebäude, in dem ich die letzten zwei Tage gepennt habe und versuche abzuschätzen, wie schlimm der Italiener mich denn jetzt wirklich verletzt hat.
Mein Hals scheint in Ordnung zu sein, auch wenn er verdammt wehtut. Meine Kopfhaut führt mir deutlich vor Augen, dass es ihr nicht gefallen hat, dass der Kerl so an ihr gezogen hat und dann ist da noch mein Bauch. Wobei der Schmerz jetzt eher bei meinen Rippen liegt, wahrscheinlich hat der mir eine gebrochen. Wäre nicht das erste Mal, aber angenehmer ist es deshalb auch nicht.
Ich rutsche von der Matratze und quäle mich auf die Füße. Ich lasse meine Jacke achtlos liegen und greife stattdessen nach dem Geldbeutel, dem ich dem Typen vorher geklaut hab. Ich habe keine Versicherung, aber der doch bestimmt, so wie der aussah. Und wenn nicht, ist auch egal. Ich hab noch nie bezahlt.
**
Ich hätte meine Jacke mit der Kapuze doch mitnehmen sollen, dann würde ich mich jetzt nicht so unwohl fühlen. Denn wie sich herausgestellt hat, haben sich heute anscheinend ziemlich viele Leute verletzt.
Ich gammle also halb sitzend, halb liegend auf einem Stuhl im Wartebereich von der Notaufnahme und muss mir anhören, wie so ein kleiner Knirps mir davon erzählt, wie er heute Morgen seine Cornflakes wieder ausgekotzt hat.
Ich nicke, als würde ich ihn total verstehen, als er sich beschwert, dass er sein Bett dreckig gemacht hat und sehe zu seiner Mom. Sie erinnert mich ein bisschen an meine, der ist ihr Nachwuchs auch scheiß egal. Scheint zumindest so, denn sie klebt mit dem Blick an ihrem Smartphone und reagiert auf meine entnervten Blicke kein Stück.
„Soll ich dir mal was erzählen?", frage ich den Zwerg, der mit seinem dämlichen Plüschdrachen zu mir aufsieht und nickt. „Ich habe heute Blut gekotzt, stell dir vor. Und zwar auf meine Klamotten, mein Bett und meine Jacke. Dementsprechend bin ich auch angepisst, also wenn du mit deinem Drachen da rüber in die Ecke gehen könntest, das wäre ganz nett."
Ich grinse ihn an und schließe zufrieden die Augen, als der Kleine sich doch tatsächlich zurück zu seiner Mom verzieht. Anstatt aber, dass ich jetzt Frieden habe, steht wenig später Super-Mommy vor mir. Sie räuspert sich entrüstet und ich öffne mit einem Seufzen meine Augen wieder.
„Ja, bitte?", frage ich höflich.
„Wie bilden Sie sich eigentlich ein, mit Justin zu reden?"
Justin also. Willkommen im Club der blöden Namen mit J.
Angepisst funkle ich sie an. „Ich rede mit Ihrem bescheuerten Knirps genau so, wie ich das will. Wenn Sie sich mal um ihn kümmern würden, hätt ich überhaupt nicht mit ihm geredet."
Super-Mommy will gerade zu einer Antwort ansetzen, als mein Blick zur Seite schnellt.
„Sie können jetzt zu Dr Smith gehen", sagt eine Stimme, die ich viel zu gut kenne. Als die Krankenschwester den Kopf hebt und mir direkt in die Augen sieht, grinse ich automatisch auf. Meine Rettung.
„Kimberly!", rufe ich extra laut und breite die Arme aus. Ich stehe auf, den Schmerz in meiner Brust konsequent ignorierend, schiebe Justins Mom zur Seite und komme auf Kim zu.
Sie verzieht das Gesicht. „Was willst du hier, Johnny?"
„Begrüßt man so seinen besten Freund?" Ich lehne mich gegen die Wand, weil es dann doch echt weh tut, und grinse.
Genervt bläst sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zieht mich dann am Arm aus dem Wartebereich in den Flur. Es reicht nach Desinfektionsmittel und ich will kotzen.
„Ich nenne dich schon vier Jahre nicht mehr meinen besten Freund", zischt Kim, als wir allein sind.
Scheiße, vier Jahre ist das schon her? So lange sind meine Alten schon tot und ich penn auf der Straße? Hat sich überhaupt nicht so lang angefühlt.
„Das ist aber schade", meine ich, weil mir grad nichts Besseres einfällt. Außerdem hab ich das Gefühl, jetzt dann wirklich zu kotzen und das ist nicht so geil.
Ich versuche, durch den Mund zu atmen, das soll irgendwie helfen, aber stattdessen sticht es in meiner Brust nur unangenehm und helfen bringt es gar nichts. Scheiß Internet, ich sollte nicht alles glauben, was ich lese.
„Weißt du, was gegens Kotzen hilft?", frage ich Kim, die muss sowas schließlich wissen, als Krankenschwester. Anstatt mir aber eine vernünftige Antwort zu geben, schnellt ihre Hand vor und tastet meinen Hals ab.
Ich zucke zurück. „Was wird das?"
Sie nimmt ihre Hand zurück und wird rot. Irgendwie süß. „Du wirst da ganz blau", sagt sie leise und ich fasse mir jetzt selber an den Hals. Als hätten meine Finger Augen.
„Oh. Scheiß Itaker", fluche ich und stütze mich an der Wand ab. So langsam wird das Stehen echt anstrengend.
Kim sieht mich fragend an. „Itaker?"
Ich nicke stolz. „Ja. Wollte mich fertigmachen, aber ich hab ihn besiegt."
Sie scheint mir meine Lüge nicht abzunehmen, auch egal, denn zwei Türen neben uns tritt ein Mann in Kittel auf den Flur. Er sieht aus wie dieser eine von Greys Anatomy, den, die die Hauptfigur knallt, nur in alt. McDreamy oder so. Meine Chance.
Ich winke Kim flüchtig zu, dann gehe ich zu dem Arzt, der mich mit hochgezogenen Brauen mustert. ,,Sind Sie als Nächstes dran?"
Ich nicke. Als der Mann mir bedeutet, ins Behandlungszimmer zu gehen, mir aber nicht folgt, werde ich dann doch ein bisschen unruhig. Ich habe ganz vergessen, wie sehr ich Krankenhäuser hasse.
Der Mann vor mir sah komisch aus. Er wirkte traurig, aber gleichzeitig auch so, als wäre das nur aufgesetzt. Dieses traurige Gesicht.
Ich starrte ihn schweigend an, er starrte schweigend zurück. Das einzige Geräusch im Raum war das Ticken der Uhr, das mich langsam wahnsinnig machte.
„Jonathan?", fragte der Mann dann irgendwann und ich konnte ihn direkt nicht leiden. Genauso wenig wie meinen Namen.
„Was ist?", entgegnete ich und versuchte, genauso mysteriös zu klingen wie er, was mir aber nicht allzu gut gelang. Es wirkte eher, als hätte ich einen an der Klatsche.
„Weißt du, warum du hier bist?" Er sprach einfühlsam und so langsam machte sich in mir Unbehagen breit. Er sollte einfach mit der Sprache rausrücken, sonst wurde ich hier noch verrückt.
„Nein." Ich konnte nichts gegen das Zittern in meiner Stimme tun. Ich hatte furchtbare Angst, warum ich denn nun wirklich hier war.
„Deine Eltern, sie-"
„Johnny?" Ich schrecke auf und sehe direkt in Kims Gesicht. Verdammt, was macht sie denn hier? Sollte sie nicht irgendwas anderes machen? Einfach irgendwas?
„Was?", frage ich und fahre mir durchs Haar. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal an den Tag gedacht habe, an dem meine Eltern gestorben sind und das wirft mich gerade echt aus der Bahn.
„Ich wollte dir dein Formular bringen." Sie drückt mir ein Klemmbrett mit den typischen Fragen drauf in die Hand. Name, Wohnort, Alter, all der Scheiß eben. Ich nuschle ein Dankeschön und erwarte, dass sie wieder geht, aber Pustekuchen.
Sie sieht mich mit diesem Psycho-Blick an, so nach dem Motto ‚ich werde herausfinden, was mit dir nicht stimmt'.
„Wars das?", meine ich vielleicht ein bisschen zu harsch und Kim nickt schnell.
„Äh, ja. Der Arzt kommt gleich." Sie verlässt das Zimmer wieder und ich schmeiße das Formular mitsamt Klemmbrett in den Müll. Den Scheiß füll ich nicht mal über meine Leiche aus.
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