16. "Süß"
Das wäre das perfekte Ende, oder? Nur Kim und ich, auf dem Weg in ein perfektes, glückliches Leben zu zweit.
Tja, Pustekuchen. Was wäre die harte Realität, wenn nicht genau das: hart.
Ich kann den Kuss nämlich gar nicht richtig genießen, als die Haustür mit einem lauten Krachen auffliegt. Bereit denjenigen, wer auch immer meinen Liebesschnulzen-Moment zerstört hat, anzuschnauzen, löse ich mich von Kim.
Ich kann noch nicht mal den Mund aufmachen, da werde ich auch schon am Kragen gepackt. Enzo hebt mich hoch und sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt. So erinnert er mich ein bisschen an einen Stier, aber so bescheuert, ihm das jetzt zu sagen, bin ich nicht.
„Du kleiner Pisser", spuckt er mir entgegen, während er mich gegen die nächstbeste Wand drückt. Ich ziehe scharf die Luft ein, als er mit seinem verfickten Ellenbogen genau meine Rippe trifft.
„Scheiß Itaker", entgegne ich. Ich versuche erfolglos, seinen Griff um meinen Kragen zu lockern, weil so langsam schnürt er mir die Luft ab. Aber seine Hände sind wie ein Schraubstock.
Zu einem Schraubstock hab ich ne lustige Geschichte, aber das passt hier jetzt mal so gar nicht rein.
„Halt dich von meiner Verlobten fern, kapiert!", knurrt Enzo und seine Pulsader pulsiert.
„Das gleiche könnte ich dir sagen." Oh scheiße. Denken, bevor du sprichst, Johnny.
Der Italiener starrt mich eine kleine Weile einfach an, dann weiten sich seine Augen und er scheint endlich gecheckt zu haben, dass ich ihm quasi die Frau vom Altar geklaut hab.
„Ich bring dich um! Ich bring dich verdammt nochmal um!" Er wirft mich auf den Boden, hebt die Fäuste, um weiß Gott was zu machen, als Kim vor mich springt. Gott, ist das peinlich.
„Bitte", fleht sie und klammert sich an Enzos Arm. „Tu ihm nichts, bitte. Ich mach alles, was du willst, nur tu ihm nichts!"
„Verpiss dich, Kimberly", knurrt er und will sie wegschieben, aber sie klammert sich beharrlich an ihm fest.
Wie ein Affe. Ein Affe und ein Stier. Wenn Kim ein Affe und Enzo ein Stier ist, was bin dann ich für ein Tier?
„Bitte. Ich heirate dich auch, wenn du willst, nur bitte, lass Johnny in Ruhe", meint Kim und in diesem Moment, da bleibt mir wieder das Herz stehen. Aber diesmal nicht aus Freude.
Alles in mir zieht sich plötzlich so eklig zusammen, Tränen sammeln sich in meinen Augenwinkeln. Und es ist mir egal.
Kim darf diesen Idioten nicht heiraten, schon gar nicht, um mich zu retten. Wie erbärmlich wäre das denn? Ich kann mich selbst retten. Ich muss mich selbst retten. Ich darf nicht zulassen, dass Kim für immer an dieses Arschloch gebunden ist.
„Einen Scheiß wirst du tun", sage ich und ziehe mich an ihrer Schulter nach oben. Meine Rippe pocht, aber ich schiebe es nach hinten. Wie heißt es, ein Indianer kennt keinen Schmerz. Und Superhelden auch nicht.
„Den Letzten, den du heiraten wirst, ist dieser scheiß Itaker, kapiert. Da sterb ich lieber." Schön die Vin Diesel Stimme ausgepackt, sehr gut.
Aber Enzo scheint meine absolut perfekte Imitation nicht im Geringsten zu beeindrucken. „Bist du so dumm, oder tust du nur so?"
Er will einen Schritt auf mich zu machen, aber Kim, die immer noch zwischen uns steht, blockiert ihn. „Hört auf", fleht sie, Tränen laufen ihre Wangen hinab.
Sie dreht sich zu mir. „Johnny. Ich liebe dich, okay? Ich hatte Angst, es mir einzugestehen, weil ich nicht wusste, was du empfindest und was es bedeutet und..." Sie fährt sich durch die Haare. „Aber ich liebe dich. Und das sollst du nie vergessen, ja?"
Sie greift nach meinen Händen und hinterlässt einen federleichten Kuss darauf. Und genau das ist der Moment, in dem mir bewusst wird, dass ich verloren habe.
Ich müsste Enzo töten, um ihn loszuwerden, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Aber wenn ich Kim mich nicht retten lasse, wird er mich töten und sie trotzdem heiraten. Es ist egal, was ich mache. Am Ende hab ich trotzdem verloren.
Ich nicke. Mehr kann ich gerade einfach nicht machen. Ich fühle mich leer, als hätte man mir das Herz rausgerissen. So hab ich mich nicht mal gefühlt, als meine Eltern gestorben sind.
„Süß", blafft Enzo und packt Kim am Arm. „Du." Er zeigt auf mich. „Mitkommen. Und du." Er zeigt auf Kim. „Wir gehen jetzt heiraten. Und er kann zuschauen."
Sie wehrt sich nicht, als er sie zur Tür schiebt. Olivia und die anderen Frauen stehen wie erstarrt blöd im Raum, glotzen mir hinterher, als ich ihm folge.
Tot zu sein scheint mir plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Was hat mein Leben überhaupt noch für einen Sinn, wenn so ein beschissener Idiot Kim heiratet? Wenn ich am Ende wieder alleine bin.
Ich will nicht mehr alleine sein. Die letzten vier Jahre waren die schlimmsten meines Lebens und das soll was heißen, bei meinen Eltern. Ich brauche Kim. Bei Kim bin ich glücklich.
Aber den Helden zu spielen hilft jetzt auch keinem. Ich hab gegen Enzo null Chance, der würde mich umlegen, noch bevor ich so einen coolen Superhelden-Spruch raushauen kann, wie es die in den Filmen immer machen.
Wie konnte mein Liebesschnulzen-Moment eigentlich so schnell zu so einem Albtraum werden? Das ist doch nicht fair. Alle kriegen irgendwie ihr Happy End, nur ich wieder nicht.
„Einsteigen." Enzo bleibt vor einer schwarzen Karre stehen, ein Volvo, glaub ich zumindest. Sieht mega fett aus, aber was anderes hab ich auch nicht erwartet.
Während ich hinten in den Protzwagen einsteige (im Inneren riecht es total nach Kokos, ich könnte kotzen), schubst er Kim auf den Beifahrersitz. Er knallt die Tür zu und für ungefähr vier Sekunden sind wir allein.
Vier Sekunden, in denen ich ihr hätte sagen können, dass ich sie auch liebe. Aber ich mach's nicht. Zum einen hab ich Angst, dass wenn ich den Mund aufmachen, ich wirklich von diesem scheiß Gestank kotzen muss, zum anderen würde es sowieso nichts ändern. Sie heiratet schließlich einen anderen Typen.
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