11. "Schon okay"

Aus dem Regen ist inzwischen Schnee geworden. Vereinzelt wirbeln die Flocken durch die Luft und es ist klirrend kalt. Ich brauche drei Versuche, bis ich es schaffe, meine Zigarette anzuzünden.

Im Vergleich zu vorher, wo ich noch voller Elan war, bin ich jetzt ziemlich hoffnungslos. Weil, wenn man mal ganz logisch nachdenkt, hab ich gegen Kims Italiener absolut null Chance. Und er sah nicht so aus, als würde er freiwillig abhauen. Oder als würde er generell oft abhauen.

Während ich an meiner Kippe ziehe und die paar Menschen, die im Park unterwegs sind, beobachte, kommen mir plötzlich Kims Eltern in den Sinn. Vielleicht könnte ich ja mal mit denen reden und ihnen klarmachen, dass ein alter Mann ganz bestimmt nicht das richtige für sie ist.

Wobei, vielleicht ist das keine so gute Idee. Die konnten mich schließlich noch nie leiden, da wäre es schon das achte Weltwunder, wenn sie sich von mir umstimmen ließen.

Auf die Bank neben meiner setzt sich ein alter Mann und packt eine Butterpapiertüre aus. Er schüttet ein bisschen vom Inhalt -irgendwelche Körner- auf den Boden und nur Sekunden später ist er von Tauben umringt.

Ich rutsche automatisch ein Stück ab. Ich kann Vögel nicht ausstehen, Tauben gleich dreimal nicht. Allein wie sie dich schon anschielen. Ekelhaft.

Wenn ich richtig drüber nachdenke, dann mag ich Tauben erst seit der Beerdigung meiner Eltern nicht. Liegt vielleicht da dran, dass auf dem Friedhof hunderte von diesen Viechern waren.

Der Mann sieht zu mir herüber und streckt mir die Tüte entgegen, aber ich lehne ab. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen, dass die auch noch um mich herum hüpfen.

Er zuckt mit den Schultern und setzt sich, ohne Tüte, neben mich auf die Bank. Die Tauben bleiben bei der anderen, wo er den Rest der Körner ausgekippt hat.

Von Nahmen sieht der Mann eigentlich gar nicht mehr so alt aus. Vielleicht 50, wie mein Dad. Er trägt einen Hut und einen beigen Mantel und wieder komme ich mir vor wie im Film.

„Ist das Ihr Dino?", fragt der Mann und reißt mich damit total aus meinen Hollywood Fantasien.

Ich sehe zu ihm, wie er auf Jared-Jace zeigt und nicke. „Wir sind verlobt", schiebe ich dann noch hinterher.

Der Taubenfütterer schaut mich komisch an, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf. Ich meine, ausschließen kann man das nicht, aber er braucht trotzdem nicht so zu kucken.

Wer kommt überhaupt auf die Idee, Tauben zu füttern, während es schneit. Da will man doch lieber drinnen im Warmen sein, oder? Warum sollte man überhaupt Tauben füttern? Die Viecher kommen doch gut allein zurecht.

„Wie...nett." Der Mann ringt sich ein Lächeln ab und ich ziehe nur nochmal an meiner Zigarette. Wenn ich ihn anschweige, vielleicht geht er dann weg.

„Ist es nicht herrlich", redet er aber weiter und ich unterdrücke ein genervtes Stöhnen. „Der Schnee, die Tauben-"

„Ich hasse Tauben", unterbreche ich ihn. „Und Schnee auch."

Er sieht mich geschockt an, als wäre es undenkbar, dass irgendein Mensch auf der Welt Tauben und Schnee hassen könnte. Tja, alter Mann, da kennst du Johnny wohl nicht.

„Wieso das?", will er jetzt wissen.

Ich beobachte eines der Viecher, wie es immer näher zu mir her gewatschelt kommt und wie behämmert mit dem Kopf wackelt. Ich bin kurz davor, nach der Taube zu treten, als der Mann mich an der Schulter anstupst.

„Hm, was?" Ich lasse von dem Vieh ab und fahre mir durch die Haare, eine Geste, die eigentlich cool wirken sollte, aber es bei mir irgendwie nie tut.

Der Taubenfütterer mustert mich kurz, bevor er den Kopf schüttelt. „Nicht so wichtig."

Ich zucke nur mit den Schultern und zünde mir eine neue Kippe an, während der Schnee immer dichter fällt. Ich schaudere und umarme mich selbst, in der Hoffnung, dass es dadurch etwas wärmer wird. Bullshit.

„Haben Sie nicht irgendwas zu tun?", pampe ich nach einer kleinen Weile, in der der Mann immer noch nicht gegangen ist.

„Dasselbe könnte ich Sie fragen", meint er, ohne von den Tauben, die er wie ein Irrer beobachtet, aufzublicken.

„Ich war aber zuerst." Erst, als ich den Mist schon gesagt hab, fällt mir auf, wie kindisch das klingt. Als wäre ich so ein bockiges Kleinkind, das zuerst rutschen will.

„Also ich hab Sie zuerst gefragt", schiebe ich hinterher, auch wenn es die Situation eher weniger rettet.

Der Mann überkreuzt die Beine und lehnt sich zurück und wieder erinnert er mich total an meinen Dad. Der saß auch immer so dran. Wie, als wäre er der größte Macker überhaupt, dabei ist er nichts als ein riesen Arschloch gewesen.

Eigentlich soll man ja nicht schlecht über Tote denken, oder reden, weil sie sich ja nicht mehr wehren können und so, aber wenn ich so drüber nachdenke, würde das Dad wahrscheinlich nicht groß jucken, ob ich ihn Arschloch nenne oder nicht.

„Ich habe heute nichts mehr zu tun", antwortet der Taubenfütterer und ich brauch eine kurze Weile, bis ich checke, was er von mir will. Ich sollte manchmal wirklich besser aufpassen.

„Hm, ich auch nicht." Ich schüttle mir den Schnee aus den Haaren. „Aber haben Sie eine Idee, wie ich den Verlobten meiner Freundin loswerde?"

In Themenwechseln bin ich gut. Manche finden das nervig, aber ich finde es praktisch. Kann schließlich auch nicht jeder von sich behaupten, ein Meister im Themawechsel zu sein.

„Mit so einem Problem hab ich mich noch nie auseinandergesetzt", meint der Mann nachdenklich. Gott, ich hätte nichts sagen sollen, jetzt haut er in hundert Jahren nicht ab.

„Sie könnten mal mit Ihrer Freundin reden?", schlägt er vor.

Ich mache ein abfälliges Geräusch. „Schon geschehen. Sie hasst ihn fast genauso sehr wie ich." Hoffe ich zumindest, so genau hat Kim das noch nie gesagt.

Ich nehme einen weiteren Zug von meiner Zigarette und verschlucke mich fast am Rauch, als der Typ sagt: „Dann brennen Sie doch einfach mit ihr durch."

Ich huste mir förmlich die Seele raus, während ich ihn geschockt ansehe. „Das ist die bescheuertste Idee, die ich jemals gehört habe", keuche ich.

„Warum? Wenn Sie sie zuerst heiraten, dann ist die Verlobung mit dem, den Sie zu hassen scheinen, hinfällig. Problem gelöst."

Ich schüttle den Kopf. Ich kann nicht einfach mit Kim in den nächstbesten Flieger nach Vegas springen und mich von Elvis trauen lassen. Erstens hab ich nicht das Geld dazu, zweitens würde sie das bestimmt nicht mitmachen. Außerdem wären wir dann verheiratet. So richtig, als Ehepaar. Dann wären wir Johnny und Kim Baker.

Und Enzo nicht zu vergessen. Der wäre sicher nicht begeistert, wenn ich ihm seine Frau quasi direkt vor der Nase wegschnappen würde.

„Ich kann Kim nicht heiraten", meine ich leise und als ich es ausspreche, bildet sich so ein nerviger Kloß in meinem Hals. Weil, ganz tief in mir drin, will ich sie vielleicht doch heiraten.

„Was anderes fällt mir nicht ein, tut mir leid", sagt der Mann und ich senke den Blick auf den Schotter.

„Schon okay." Ich schnappe mir Jared-Jace und stehe auf. „Trotzdem danke, schätze ich."

Ich warte nicht auf eine Antwort, sondern drehe mich um und gehe weg. Verfickter Taubenfütterer. Verfickte Hochzeit.

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