1. "Höllenkind"
Ich sehe auf den Boden, während ich, mit den Händen in den Taschen, gegen die Wand lehne. Menschen gehen an mir vorbei, unterhalten sich, telefonieren oder haben Kopfhörer in den Ohren.
Ich ziehe mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und sehe auf. Ein Mann in Anzug kommt mir entgegen. Er hat das Telefon ans Ohr gehalten, während er auf Italienisch etwas in den Hörer brüllt.
Sobald er an mir vorbei ist, hefte ich mich an seine Fersen. Unauffällig greife ich langsam zu seiner Jackentasche und gleite mit meiner Hand hinein. Ich ertaste, was ich gesucht habe: seinen Geldbeutel.
Langsam und vorsichtig nehme ich ihn heraus und mache dann auf dem Absatz kehrt. Ich laufe kaum zwei Meter, als hinter mir plötzlich jemand „Hey!" ruft.
Ich sehe über die Schulter, nur um den Mann zu sehen, der zornig in meine Richtung kommt. Ohne groß darüber nachzudenken, fange ich an zu rennen. Die Leute um mich herum werfen mir fragende Blicke zu und rufen mir wenig nette Sachen hinterher, als ich mich unsanft an ihnen vorbeischiebe.
Hinter mir kann ich den Mann hören, wie er sich immer wieder bei den Menschen um sich herum entschuldigt. Es ist seltsam, dass ich fast jeden Tag vor irgendwem davon renne. Meistens endet das Ganze gut für mich, aber manchmal auch nicht. Und an der Tatsache, dass das Schnaufen hinter mir immer lauter wird, tippe ich heute mal auf zweiteres.
Ich springe zwischen zwei Autos hindurch und verschwinde dann in einer Gasse. Der Straßenlärm um mich herum verstummt und ich erlaube mir, kurz aufzuatmen. Als ich mich jedoch umdrehe, steht der Italiener vor mir.
Wenig männlich schreie ich auf und mache einen Schritt nach hinten. Verdammt, Johnny, reiß dich doch mal zusammen!
Der Typ guckt grimmig und mir rutscht das Herz in die Hose. Ja, ich gebe es zu, ich bin ein Weichei. Klauen kann ich gut, aber im Kämpfen bin ich nun mal eine Niete.
„Du hast dir den Falschen für deine Taschenspielchen ausgesucht", meint der Italiener und ich gehe langsam rückwärts von ihm weg.
Ich kenne die Gasse: fünf Meter noch und ich steh auf der Straße. Dann wäre ich sicher, zumindest vorerst. Allerdings sieht der Anzugträger gar nicht so aus, als würde er es so weit kommen lassen.
„Hey, man, ich weiß gar nicht, was du von mir willst", sage ich beschwichtigend und lasse den Geldbeutel in meiner Jackentasche verschwinden. So einfach kriegt der den nicht zurück.
Noch drei Meter.
„Stell dich nicht dumm. Du weißt das ganz genau", bellt er und ich beginne, zu schwitzen. Scheiße, ich sollte das mit dem Klauen wirklich mal lassen.
„Keine Ahnung, Kumpel." Ich zucke mit den Schultern, da macht der Italiener einen großen Schritt und packt mich am Hals. Überrascht schnappe ich nach Luft.
„Du solltest aufpassen, mit wem du dich anlegst, Kleiner. So einer wie du ist schnell mal von der Bildfläche geholt", zischt der Mann. Und das ist der Moment, in dem mein Gehirn komplett abschaltet. Das macht es immer, wenn ich es eigentlich am Dringendsten brauche.
Ich starre ihn an, meine Hand umklammert sein Handgelenk und alles, was ich zustande bringe ist: „Fick dich."
Der Italiener lacht und irgendwie finde ich das gar nicht lustig. Er glaub ich auch nicht, denn schon im nächsten Moment packt er mit seiner freien Hand meinen Kopf und zieht ihn an den Haaren nach hinten. Ich zische auf und versuche, zu atmen, aber in dieser Position ist das ein Ding der Unmöglichkeit.
Scheiße verdammt, Gehirn, wo bist du?
„Du solltest besser darüber nachdenken, was du von dir gibst", sagt der Anzugträger.
Ich würde seinen Rat ja wirklich liebend gern befolgen, aber bevor ich auch nur die Chance bekomme, ihm zu erklären, dass mein Gehirn manchmal lieber auf Hawaii chillt, ruft plötzlich jemand von hinten etwas in die Gasse.
Das Blut rauscht durch meine Ohren, weshalb ich es nicht verstehe, aber der Typ lässt mich augenblicklich los und ich klatsche unsanft auf den Boden. Ich fluche leise und reibe mir den Nacken, als der Italiener nach mir tritt und dann aus der Gasse verschwindet.
Ich fluche nochmal, diesmal nicht ganz so leise und rapple mich auf. Besser gesagt, ich versuche es, denn der Idiot hat mir so dermaßen behindert in den Bauch getreten, dass ich nicht mal mehr gerade stehen kann.
Ich fühle mich extrem schwach, als ein alter Mann auf mich zukommt und fragend die Hand nach mir austreckt. Ich sehe ihn nicht an, als ich mich mit der einen Hand an der Mauer hochziehe und mit der anderen meinen Bauch halte. Ich schwöre, wenn ich wegen dem Itaker ins Krankenhaus muss, dann zeig ich ihn an.
„Ist alles okay bei Ihnen?", fragt der Alte und ich nicke verkrampft, auch wenn jeder Blinde sehen könnte, dass es gelogen ist.
Ich hebe den Blick, um den Mann anzusehen, als der augenblicklich ein paar Schritte zurück macht.
„Du", presst er hervor und ich versuche, mich zu erinnern, ob ich ihn schon mal beklaut habe, als eine alte Frau ebenfalls die Gasse betritt. Heute ist aber verdammt viel los hier.
Sie sieht zu mir und dem Alten herüber und ruft: „Komm rein, Barry! Und du" Sie sieht mich direkt an. „Verschwinde von hier, Höllenkind!"
Nichts lieber als das.
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