26 | schon wieder Alex

Ich sah Hildegarde gebannt dabei zu, wie sie die Pistole in den Hohlraum des Kuchens legte und die beiden Hälften dann wieder zusammenfügte. Jetzt verstand ich: Sie versteckte die Waffe im Kuchen.

Aber wieso? Wer macht sowas? Warum?

Sein oder nicht-sein; das ist hier die Frage!, zitierte der Hutmacher, um etwas Intelligentes beizutragen.

Ich fürchte, das Zitat passt nicht wirklich..., meinte Alice vorsichtig, doch das war ein Fehler. Der Hutmacher machte ein empörtes "Pah!" und verschränkte die Arme. Er war eben schnell beleidigt.

,,Vor Jahren, als ich noch jung, aber nicht weniger schön war, lernte ich einen jungen Mann kennen... Muffin?", fing sie an.

,,Nein, danke...", murmelte ich. Die Vorstellung, dass in den Muffins vielleicht ein paar Mini-Bomben enthalten können, erzeugte ein mulmiges Gefühl in meinem Magen.

,,ICH HAB EXTRA GEBACKEN! JETZT NIMM DIR EINEN, DU UNDANKBARE GÖRE!", brüllte sie. Meine Güte, jetzt wusste ich endgültig, von wem Trent diese Aggressivität haben musste.

Murat richtete sich auf und nickte mir hektisch zu, sodass ich nicht auf dumme Ideen kam. Aber ernsthaft, was sollte ich denn schon groß tun? Ihr den Muffin ins Gesicht werfen? Auf das Backblech spucken und dann darauf zu Macarena tanzen?
Wofür genau hielten diese Jungs mich?

Schließlich gab ich nach und nahm einen Muffin, während ich Murat böse Blicke zuwarf.
,,Jedenfalls, er hieß Clyde. Und deshalb nannte er mich seine Bonnie. Es war wie im Märchen; wir plünderten, demolierten, zerstörten, töteten, erpressten und entführten..."

Wie im Märchen!

,,...Wir waren circa zwei Jahre zusammen. Aber dann ist etwas schreckliches passiert, einfach schrecklich. Es war schrecklich."

,,Du hast 'schrecklich' vergessen.", kommentierte Murat und futterte unterdessen seinen dritten Muffin.
Im nächsten Moment sauste ein Nudelholz durch die Luft auf ihn zu.

,,DAS WAR EINE WARNUNG!", brüllte Hildegarde, nachdem Murat fast am Ohr getroffen wurde. ,,Oh mein Gott...", hauchte dieser empört.
,,Heul doch.", meinte die Oma eiskalt.

Ich wusste nicht, ob ich lachen sollte oder nicht, doch Hildegarde fuhr sowieso endlich fort und lenkte mich somit ab.
,,Clyde und ich befanden uns auf einer Straße mitten im Nirgendwo. Edward, so nannten wir unseren alten Wagen, konnte nicht mehr fahren, weil die Reifen geplatzt waren. Ein Polizist hatte nämlich darauf geschossen. Edward's Lack glänzte in der Sonne, die gnadenlos auf uns niederschien..."

Plötzlich wurde sie von Stimmen unterbrochen. Die Jungs kamen wieder aus dem Keller. Murat winkte hektisch mit vollem Mund, obwohl sie vielleicht drei Meter von uns entfernt waren.
,,Also, wir können gehen. Neuer Plan. Sam, Minho-"
Es war Sangster der sprach und letztendlich von Hildegarde unterbrochen wurde:

,,HALT DIE KLAPPE, ICH ERZÄHLE HIER WAS! IHR SEID ALLE SO UNHÖFLICHE WICHSER!", brüllte sie.

Du nicht-liebe Zeit, so habe ich ja noch nie eine alte Dame sprechen hören, meinte Alice sichtlich geschockt. Der Hutmacher futterte unterdessen die Muffins vom Blech und bekam deshalb nicht viel mit. Ich kicherte. Irgendwie mochte ich diese Frau, obwohl sie mir ein wenig Angst machte.

,,Granny, bitte! Deine Ausdrucksweise bringt viel negative Energie mit sich und Miss Charting hat gesagt, ich muss im Reinen bleiben.", beschwerte sich Trent. Seine Stimme war weich und zart und leicht, als würde sie gleich davonschweben.

Hildegarde verdrehte die Augen. ,,Diese Charting-Tusse hat aus dir eine Pussy gemacht."

,,Danke für deine Ehrlichkeit, aber ich finde das beleidigend. Bitte hör auf damit." Es war Trent anzusehen, dass er gleich die Nerven verlor und mit sich rang. Seine Hände verkrampften sich, er schloss die Augen.

,,Also, ich finde Trent viel ruhiger und das ist auch gut so.", nickte Siegmund Freund ihm ermutigend zu. ,,FRESSE, KEINER BRAUCHT EINEN PSEUDO-PSYCHOLOGEN!", brüllte Hildegarde. Alle in diesem Raum zuckten zusammen. Ich konnte sogar schwören, dass ich aus den Augenwinkeln sah, wie der altmodische Kronleuchter über der Kochinsel zu wackeln begann. Wahnsinn!

Das nenne ich Girlpower..., murmelte die Grinsekatze einigermaßen gefasst.

,,Ja... also, wir müssen uns sowieso auf den Weg machen. Da wäre noch eine letzte Sache: Trent, hast du eigentlich noch dieses Armband?", fragte Sangster nach einigen Sekunden des Schweigens.
Der Angesprochene nickte und bedeute dem Obergangster mit einer Handbewegung kurz zu warten.

Währenddessen lehnte ich mich zurück an die Küche und beobachtete, wie Hildegarde sich wieder um den Kuchen (in dem sich eine Pistole befand) kümmerte.
,,Wieso ist da eigentlich eine Waffe drinnen?", fragte ich vorsichtig, weil ich kein Opfer ihrer plötzlichen Wutausbrüche werden wollte.

,,Den Kuchen schenke ich meiner Freundin Renata. Ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen und vermisse ihre liebevolle Art und ihren Humor.", antwortete Granny.

,,Aw, wie süß!", kommentierte ich.

,,Ja, als sie ein Auto geklaut und damit ein Liebespaar halb überfahren hat, wurde sie sofort in den Knast gebracht."

Oh.

Doch nicht mehr so süß.

,,Der Kuchen ist ihr Ticket zur Freiheit. Schließlich hat sie das auch mal bei mir gemacht, das bin ich ihr schuldig.", vollendete Hildegarde, während sie ihre Kreation mit einer pinken Schicht übergoß. Wahrheitscheinlich sowas wie Erdbeersoße.

Kreativ, das muss man ihr lassen.

Inzwischen war Trent wieder zurück. In seiner Hand lag etwas, das ich nicht genau erkennen konnte, doch erst, als Sangster es nahm und damit langsam auf mich zukam, wurde ich richtig darauf aufmerksam.
,,Streck deine Hand aus.", befahl er.

,,Wieso?", fragte ich misstrauisch.

,,Ich hab ein Geschenk für dich.", grinste er. Für meinen Geschmack war dieses Grinsen viel zu hinterhältig. Der Hutmacher verschrenkte schmunzelnd die Arme und zog eine Augenbraue hoch, während er langsam den Kopf schüttelte und dabei Sangster musterte. Das glaube ich dir nicht!, erwiderte er, wie ein trotziges Kleinkind. Da konnte ich dem Hutmacher nur zustimmen.

Das Ding in seiner Hand war ein dickes Armband aus schwarzem Stoff. Es sah seltsam aus. Und aus irgendeinem Grund erschien es mir vollkommen falsch, es anzunehmen. Vielleicht lag es an den verdächtigen Knöpfen oder dem besonderen Verschluss?

,,Was ist das?", hakte ich nach.

Sangster öffnete gerade den Mund, doch Trent kam ihm zuvor:
,,Das ist eine Erfindung von mir. An der Innenseite sind kleine Nadeln von noch kleineren Spritzen, die im Stoff versteckt sind. Auf Knopfdruck bohrt sich eine Nadel in deine Haut und spritzt dir eine Flüssigkeit, die je nach Spritze eine andere Wirkung hat.

Eine macht sie für ungefähr zwanzig Minuten bewusstlos, aber dafür wirkt das Mittel in Sekunden. Die andere macht sie schlaff; sie wird nicht mehr richtig sprechen oder denken können. Zur Beruhigung, und auch wenn sie bei Kontrollen Probleme verursachen könnte. Die Dritte sorgt dafür, dass sie krasse Krämpfe erleidet-"

Tja, ich bin ein Mädchen. Krämpfe bin ich gewöhnt!

,,-Oh, und die letzte bringt sie um."

,,WAS?!" Jetzt war ich die, die schrie.
Verzweifelt stammelte ich etwas ohne Zusammenhang, korrekter Grammatik oder gar richtigen Worten, bis ich ein halbwegs verständliches "Nein, n-nein, das zieh ich ni-... das will ich nicht, nein!" hervorbrachte.

Während ich kurz davor war, zu hyperventiliren, schien Trent immer stolzer zu werden. ,,Du kannst es sogar von deinem Handy aus so einstellen, dass sie ab einer gewissen Entfernung zu dir zusammenbricht, oder den Geist aufgibt, wenn du es so willst."

Ah, das gute alte Handy kommt wieder zum Einsatz!, kam es von der Grinsekatze.

Wie bitte? Den Geist aufgeben? Ich war kein Roboter und wollte auch nicht wie ein Haustier behandelt werden, das man per Halsband kontrollieren konnte! ,,Nein!", gab ich noch einmal von mir.

Trent fasste das aber anders auf. ,,Ja, unglaublich, nicht?", strahlte er mich begeistert an.

,,Nein!", piepste ich wieder, weil ich nicht wusste, wie ich sonst ausdrücken sollte, was gerade in meinem Kopf vorging.

,,Doch. Hand her.", kam es von Sangster.

,,Nein.", gab ich zurück und vergaß von Sekunde zu Sekunde alle anderen Wörter aus meinem Wortschatz.

Sir Blackhair und Schwarzeneggi Senior kamen ihm zur Hilfe und hielten mich fest, während Sangster nach meinem Arm griff. Es folgte eine Art Tanz; ich wackelte panisch mit den Armen und meinem Oberkörper und versuchte dabei, die Jungs zu treten. Die drei bewegten sich darauf schnaufend mit, bis Sir Blackhair sich den kleinen Zeh anstieß und fluchend meine Schulter losließ.

Darauf packte Schwarzeneggi Senior allerdings meine Hüfte und hob mich ruckartig hoch, sodass ich für einen Moment die Kontrolle verlor. Ehe ich mich versah, machte es plötzlich Klick und ein schweres Gefühl legte sich um mein Handgelenk. Mission Failed.

Widerwillig zerrte ich an dem harten Stoff, doch das "Armband" ging natürlich nicht ab. Wahrscheinlich war ein weiterer versteckter Super-Mechanismus von Trent daran schuld.
Blöder Trent.

Mit zusammengebissenen Zähnen blickte ich in Sangster's Gesicht. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
Blödes Honigkuchenpferd.

,,Meine Güte, selbst meine Mutter kann sich länger wehren und die ist achtzig!", kommentierte Hildegarde abfällig.
Darauf wurde Sangster's Grinsen breiter. ,,Arschloch.", flüsterte ich, sodass nur ich es hören konnte, aber er sah, wie sich mein Mund bewegte und schien zu wissen, was ich sagte.

Sangster beugte sich ein wenig zu mir hinüber und erwiderte: ,,Sag es mir das nächste Mal ins Gesicht, wenn du dich traust, Kleine!"
Er grinste immer noch so gewinnerisch. Okay, ich muss zugeben, ich war eine schlechte Verliererin.
Im Kindergarten hatten wir oft irgendwelche Wettrennen veranstaltet und jeder, der gegen mich gewann (also ausnahmslos jeder, bis auf Kevin die Rotznase, wie ihn alle nannten), wurde von mir auf der Siegerehrung geschubst, angespuckt oder gebissen.

Und in diesem Moment juckte es mich auch wieder in den Fingern.

Bedenke, Ruby, wie es ausgehen wird, wenn du ihn hier und jetzt schlägst!, ermahnte mich die Grinsekatze.

Bevor ich das in Gedanken ausdiskutieren konnte, zog Sangster erneut meine Aufmerksamkeit auf sich, indem er diesmal an gerichtet rief: ,,Okay, wir sind soweit. Lasst uns gehen!"

Die wenigsten schlurften sofort zur Tür, der Rest machte noch einen kleinen Abstecher in der Küche, um sich einen Muffin mitzunehmen.

,,HALT STOPP, ICH BIN NOCH NICHT MIT MEINER GESCHICHTE FERTIG!", regte sich Hildegarde auf und merkte nicht, wie sie dabei auf das Backblech spuckte. Gunther Fuchs, der gerade einem Muffin davon nehmen wollte, zog angewidert seine Hand zurück.

,,Aber die kennt doch schon jeder.", stöhnte Murat genervt auf.
,,Deinem Lover, Clyde, wird von einem Polizisten in die Eier geschossen, du erschießt Clyde aus Gnade, danach entführst du das Baby des Bullen als Racheaktion, um es in einem Flugzeug nach Afghanistan zu verfrachten, aber dann spielt das Baby mit deiner Waffe und schießt dir dabei aus Versehen das Ohrläppchen weg und du warst so ergriffen davon, dass du es behalten wolltest und Trent nanntest."

Murat vollendete die Zusammenfassung der Geschichte mit einer halbherzigen Verbeugung. Irgendjemand applaudierte ihm, aber Hildegarde sah ganz und gar nicht gkücklich aus. Eher aggressiv, wie mein Geschichtelehrer, wenn ich anfing, mit ihm über den trojanischen Krieg zu diskutieren.

,,ICH WOLLTE DAS ERZÄHLEN, DU PISSER!"

Im nächsten Moment raste etwas durch die Luft, das vermutlich eine Bratpfanne war. Murat duckte sich noch rechtzeitig, bevor das Ding direkt in seinem Gesicht gelandet wäre, doch die Person hinter ihm hatte da viel weniger Glück.
Ein stumpfes, aber extrem lautes Geräusch ertönte. Dann rief jemand:

,,Hey, Alex hat es schon wieder erwischt!"

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